Die Gesprächspartnerin

Eva Bodenmüller ist Architekturjournalistin und seit 2024 im Vorstand von Freischreiber, dem Berufsverband für freie Journalist:innen.
Um objektiv berichten zu können, müssen Journalist:innen unabhängig sein. Trotzdem übernehmen vor allem freie Medienschaffende auch Aufträge für Unternehmen, vor allem im Bereich Public Relations (PR) und in der Unternehmenskommunikation. Sie formulieren zum Beispiel Pressemitteilungen, moderieren Branchen-Events oder befüllen Social-Media-Kanäle. Für die Freischreiber, einen Berufsverband für freie Journalist:innen, ist es kein Ausschlusskriterium, wenn die Mitglieder gleichzeitig mit Journalismus und mit PR Geld verdienen. Warum lehnt der Verband diese Doppeltätigkeit nicht ab? Welche Interessenkonflikte können entstehen, wenn Journalist:innen Aufträge von Firmen oder Verbänden annehmen? Und was bedeutet das für ihre journalistische Arbeit? Das haben wir Vorstandsmitglied Eva Bodenmüller gefragt.
Salwa Houmsi ist ZDF-Moderatorin, unter anderem der Debattensendung „13 Fragen“, und hat parallel zu ihrer journalistischen Tätigkeit 2022 einen Podcast der Deutschen Bahn gehostet. Ist das in Ordnung?
Schwieriges Thema. Hier würde ich sagen: eher nein.
Wenn Sie solche Doppeltätigkeiten ablehnen: Warum distanzieren sich die Freischreiber dann nicht davon, dass ihre Mitglieder auch PR-Aufträge annehmen? Anders als die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche, die in ihrem Kodex schreibt: „Journalisten machen keine PR.“
Eva Bodenmüller ist Architekturjournalistin und seit 2024 im Vorstand von Freischreiber, dem Berufsverband für freie Journalist:innen.
Weil wir die Realität von freien Journalist:innen kennen. Es ist leider so, dass es als Freie:r teilweise schwer ist, über die Runden zu kommen. Das hat System: Verlagshäuser verdienen immer noch genug, beteiligen aber die Freien häufig nicht gut genug daran. Und in dem Fall wäre es einfach nicht in Ordnung, zu sagen, dass Freie überhaupt keine PR als Nebenerwerb machen dürfen. Eine Journalistin, die genügend verdient, hat diesen Zwang nicht.
Wie viel verdienen freie Journalisten im Journalismus und in der PR denn?
Das ist schwierig zu sagen, weil es in beiden Berufen eine große Bandbreite gibt. Freischreiber hat letztes Jahr einen Honorarreport herausgebracht, der zwar nicht repräsentativ ist, aber einen guten Eindruck vermittelt, was freie Journalist:innen verdienen. Das sind im Durchschnitt aktuell 25 Euro Stundenlohn brutto. In der PR können Sie das um Etliches vervielfachen, noch mehr im Marketing. Es gibt auch journalistische Magazine, die gut zahlen und von deren Aufträgen es sich ganz gut leben lässt. Aber der Großteil der Freien muss um die Honorare kämpfen und hart verhandeln.
Wenn man konkret einen Aufmacher für eine Tageszeitung mit einem Beitrag für ein Kundenmagazin vergleicht: Wie viel mehr ist da drin?
Es kommt immer darauf an, wie gut die Kollegin, der Kollege verhandelt. Konkrete Zahlen möchte ich hier nicht nennen. Es lohnt sich in der Regel wesentlich mehr, für ein Kundenmagazin zu schreiben als für eine Tageszeitung – rein finanziell betrachtet.
Warum ist der Unterschied so groß?
Das müssen Sie die Medienhäuser fragen, warum die so wenig für guten Journalismus bezahlen. Das war auch schon so, als dort noch sehr gut verdient wurde. Die Situation ist heute aber natürlich noch viel prekärer. Unternehmen sind bereit, in ihre Markenbildung deutlich mehr zu investieren.
Gibt es etwas im Fernsehen, Radio, in Zeitungen oder online, bei dem Sie sich immer wieder fragen: Wieso ist das so? Fragen Sie uns, dann fragen wir Leute, die sich damit auskennen! Schreiben Sie uns!
Welche Aufträge bekommen Freie denn normalerweise von Unternehmen?
Da müssen wir erstmal klären, was PR eigentlich ist. Das kann alles Mögliche sein: Viele unserer Mitglieder schreiben für Kundenmagazine, für Unternehmensbroschüren oder Geschäftsberichte. Manche moderieren nebenbei Veranstaltungen. Im Grunde ist PR alles, womit ich die Öffentlichkeit über meine Anliegen informiere.
Verstehen Sie unter PR also auch die Beratung von Unternehmen?
Ja, durchaus. Ich finde, es ist auch schon PR, wenn jemand für die Pressestelle von Unternehmen, für CEOs oder für Politiker:innen Schulungen anbietet. Zum Beispiel, wie diese mit kritischen Fragestellern umgehen können.
Journalisten behaupten von sich, dass sie unabhängig sind. Wie kann man das tun, wenn man gleichzeitig Geld und Aufträge von Verbänden oder Unternehmen annimmt?
Da muss man unterscheiden und deutlich kenntlich machen: Wenn ich als Journalistin tätig bin, berichte ich meistens über ein bestimmtes Themenfeld. Wenn ich für ein Unternehmen arbeite, das überhaupt nichts mit den Themen meiner journalistischen Arbeit zu tun hat, finde ich es durchaus in Ordnung, PR für dieses Unternehmen zu machen.
Und wenn es keine unterschiedlichen Themen sind?
Wir als Freischreiber fordern, dass Journalist:innen ihre PR-Tätigkeiten transparent machen, wenn sie in demselben Themenfeld auch journalistisch tätig sind. Trotzdem müssen Journalist:innen wissen, wo ihre Grenzen sind und sollten sich nicht in eine Abhängigkeit begeben.
Was meinen Sie damit?
Wenn ich als Journalistin über Energiethemen schreibe und von einem großen Energiekonzern angefragt werde, dessen Kundenmagazin zu betreuen, ist das für mich schon verlockend. In diesem Zusammenhang erfahre ich viel, was für meine journalistische Arbeit interessant sein könnte. Andererseits: In die Hand, die mich füttert, beiße ich nicht. Die Gefahr ist hier viel zu groß, dass ich durch diesen Auftrag nicht mehr kritisch über das Unternehmen schreibe.
Dass Journalismus und PR strikt getrennt sein sollten, sagt auch der Pressekodex. Erst kürzlich hat der Presserat die Richtlinie dazu geändert, in der es jetzt heißt: „Bereits der begründete Verdacht einer interessenbeeinflussten Berichterstattung kann die Glaubwürdigkeit der Presse beschädigen.“ Das heißt doch: Gleichzeitig PR und Journalismus zu machen ist ein No-Go.
Da würde ich unterscheiden: Wenn ich PR-Aufträge annehme, spreche ich für ein Unternehmen oder eine Organisation und arbeite ganz anders, als wenn ich journalistisch arbeite. Wenn ich PR-Texte schreibe, informiere ich wohlwollend über die Anliegen meines Auftraggebers. Wenn ich journalistisch tätig bin, betrachte ich das Unternehmen kritisch. Das sind zwei getrennte Berufsfelder.
Sie sagen also, dass man jeweils in eine andere Rolle schlüpft, je nachdem, ob man einen journalistischen oder einen PR-Text schreibt?
Ja.
Das geht?
Wenn man es ernst nimmt, funktioniert das. Wenn ich eine journalistische Talkshow moderiere, will ich vielleicht auch mal einen Konflikt provozieren. Ich will Informationen bekommen, die kritisch sind und Gegensätze herausarbeiten. Anders ist es bei einer Unternehmensveranstaltung, bei der ich jeder Person auf dem Podium erlaube, ihr Statement loszuwerden, ohne kritisch nachzufragen. Das sind zwei verschiedene Rollen. Das ist die Kunst, die ich beherrschen muss, wenn ich PR und Journalismus gleichzeitig betreiben möchte.
Nach dieser Logik wäre das Beispiel der ZDF-Journalistin Salwa Houmsi als Podcast-Host für die Deutsche Bahn kein Problem.
Salwa Houmsi ist ein prominentes Gesicht des ZDF. Ich muss unterscheiden, ob ich als Host angefragt werde, weil ich eine gute Stimme habe und gut moderieren kann oder weil die Deutsche Bahn die Glaubwürdigkeit meines Namens nutzt, um damit für sich zu werben.
Wo ziehen Sie die Grenze? Finden Sie es richtig, dass die ARD-Moderatorin Aminata Belli eine Veranstaltung eines Drogeriemarkts moderiert und dafür Werbung auf ihrem Instagram-Account macht?
Das ist eine schwierige Abwägung. Thematisch hat diese Werbung nichts mit dem zu tun, was sie sonst macht. Aber als Gesicht des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird sie mit dessen Unabhängigkeit und Neutralität in Verbindung gebracht. Deswegen sehe ich das kritisch. Gerade ARD und ZDF müssten doch in der Lage sein, so hohe Honorare zu zahlen, dass ihre Mitarbeiter:innen keine PR-Aufträge nötig haben.
Ein fiktives Beispiel: Finden Sie es richtig, dass eine Lokaljournalistin, die das Programm der Leipziger Buchmesse formuliert hat, für den MDR einen Hörfunkbeitrag von der Buchmesse macht?
Davon sollte sie Abstand nehmen, weil hier eine zu große Nähe zwischen journalistischer Arbeit und PR besteht. Die Frage ist: Kann ich unabhängig und kritisch über Personen berichten, die vorher meine Auftraggeber:innen waren? Von denen ich Geld bekommen habe und mit denen ich später ein kritisches Interview führen will? Hinzu kommt: Die öffentlich-rechtlichen Sender haben Richtlinien, die solche Interessenkonflikte regeln und ausschließen.
Finden Sie es richtig, dass ein Journalist ein Interview mit einem Autor führt, dessen Lesereise er auf Honorarbasis betreut hat?
Auch das finde ich bedenklich. Freie Journalist:innen, die stark von ihrem Netzwerk und tragfähigen Kontakten leben, müssen gleichzeitig genug Distanz wahren. Wenn der Journalist durch die Lesereise den Kontakt für das Interview bekommen hat, frage ich mich als Leserin, ob ich ihm vertrauen kann. Weiß der Journalist unter Umständen mehr über den Autor und führt dadurch ein besseres Interview oder enthält er mir Informationen vor, weil er kritische Fragen lieber nicht stellt? So eine Nähe ist gefährlich.
Falls sich solche Interessenkonflikte nicht vermeiden lassen, sollte man sie laut dem Pressekodex gegenüber der Leserschaft zumindest offenlegen. Also zum Beispiel unter einem Text darauf hinweisen, dass der Autor für einen Verband, über den er schreibt, auch schon tätig war. Was soll das bringen?
Wenn ich einen Transparenzhinweis gebe, weise ich auf die Verbindung hin und verwahre mich dagegen, dass mir unterstellt wird, ich sei nicht kritisch genug. Wenn ich mit einem Unternehmen so eng in Kontakt stehe, dass ich einen solchen Hinweis nicht unter einen Text schreiben will oder kann, sollte ich mich fragen: Was ist mir wichtiger – der Kontakt zum Unternehmen oder der journalistische Auftrag?
Aber nur, weil ich den Transparenzhinweis unter einen Text schreibe, heißt das doch nicht automatisch: Ich bin mir meiner Grenzen bewusst und weiß, dass ich hier kritisch genug sein konnte.
Ich unterstelle schon, dass Journalist:innen, die einen Transparenzhinweis unter ihren Text setzen, sich der Problematik eines möglichen Konflikts bewusst sind. Sie machen sich damit angreifbarer, wenn sie für die gleichen Organisationen, über die sie berichten, auch PR machen.
Die sicherste Bank ist es, eine solche Doppeltätigkeit komplett sein zu lassen.
Ja. Oder meine Auftraggeber so klar zu trennen, dass die PR-Arbeiten thematisch überhaupt nichts mit meiner journalistischen Tätigkeit zu tun haben. Ich selbst habe jahrelang in der PR gearbeitet und für IT-Unternehmen geschrieben. Heute bin ich Architekturjournalistin. Das sind zwei komplett verschiedene Themenfelder. Wenn mich jetzt ein Kollege von früher fragen würde, ob ich einen Text über Datenauswertung schreiben könnte, würde ich das bei guter Bezahlung machen. Wenn mich jemand fragt, ob ich einen PR-Artikel über das Thema Smart Home schreiben kann, wäre ich vorsichtiger, weil Smart Home auch ein Thema ist, das im Architekturjournalismus gut läuft. Für mich wäre das Thema dann journalistisch verbrannt.
Jeder Journalist, jedes Medienhaus setzt diese Grenze woanders. Für die Leserinnen und Leser ist das sehr intransparent. Warum hat der Journalismus noch keine allgemein gültige Regelung für dieses Problem gefunden?
Weil es das strukturelle Problem dahinter gibt: Für die gesellschaftlich so wichtige Aufgabe, die Journalismus hat, werden – vor allem freie – Journalist:innen zu schlecht bezahlt. Wenn wir eine ordentliche Bezahlung hätten, wäre ein zweites Standbein in der PR nicht nötig. Wir hätten die Diskussionen darüber nicht und könnten wie Netzwerk Recherche klar sagen: Journalist:innen machen keine PR.
Warum wählen Journalisten als zweite Tätigkeit ausgerechnet PR, wenn gerade da so großes Konfliktpotenzial besteht? Sie könnten doch auch einen anderen Job nebenbei machen.
Welchen?
Zum Beispiel in einer Buchhandlung arbeiten.
Grundsätzlich könnte es aber auch da zu Interessenkonflikten kommen. Was hinzukommt: Das ist keine artverwandte Tätigkeit. Bei solchen Jobs hat man fixe Arbeitszeiten, die mit dem Alltag von Freien, die ja wirklich gerne frei sind, nicht zusammenpassen.
Es müsste also eine zeitunabhängige und flexible Tätigkeit sein.
Außerdem haben Journalist:innen gewisse Talente, die sie gerne in ihrer Arbeit verwirklichen möchten. Ich unterstelle, dass Freie gerne journalistisch arbeiten. Je näher die Aufträge, die sie übernehmen, am Journalismus sind, umso lieber machen sie diese natürlich.
Die Frage ist also, was mir wichtiger ist: Soll der Job näher an dem sein, was ich gerne mache und was ich gelernt habe als Journalistin? Oder möchte ich mir als Journalistin keine Unglaubwürdigkeit vorwerfen lassen?
Ich finde, ich kann auch glaubwürdigen Journalismus betreiben, wenn ich nebenher PR mache. Aber ich kann keinen Journalismus machen, wenn ich davon meine Miete nicht bezahlen kann. Übrigens haben viele Freie ihr zweites Standbein nicht in der PR – viele unterrichten oder haben noch einen ganz anderen Zweitjob.
Das heißt, es geht: Es muss nicht die PR sein.
Das stimmt. PR ist aber naheliegend: Wenn es mein Beruf ist zu schreiben, schreibe ich eben auch noch den Geschäftsbericht. Das kann ich. Und was ich kann, mache ich gerne und gut.
Was würde sich in der Berichterstattung ändern, wenn Journalisten gar keine PR mehr machen würden?
Es würde wahrscheinlich noch mehr gute Recherchen geben, weil die Leute mehr Zeit dafür hätten.
Johanna Bernklau studiert Journalismus in Leipzig und war Autorin für die Medienkolumne „Das Altpapier“ beim MDR. In den Journalismus hat sie durch ein Volontariat bei der „Passauer Neuen Presse“ gefunden. 2022 und 2023 war sie Mitglied in der Jury des Grimme Online Awards. Für Übermedien betreut sie die Serie „Wieso ist das so?“. Wenn Sie ein Thema haben, dem wir nachgehen sollten, dann schreiben Sie Johanna Bernklau eine Mail.
Danke für das spannende Interview.
Ich persönlich würde es begrüssen, wenn Journalist:innen gar keine PR machen. Jetzt ist die Realität natürlich eine andere. Daher wäre mein Wunsch, dass die Transparenzhinweise erstens zu Beginn des Textes stehen und nicht unter dem Text. Und zweitens: dass es immer einen Transparenzhinweis gibt, wenn eine Person sowohl journalistisch als auch in Sachen PR tätig ist. Ganz gleich wie weit die Themen aus Sicht der schreibenden Person auseinander liegen. Das möchte ich nämlich als Leser gerne selbst bewerten.
interview spannend? oh ja. aber je tiefer johanna bernklau in die materie einsteigt, desto eiertänzerischer kommen die antworten von eva bodenmüller rüber. problematisch wird es für mich, wenn moderatorinnen oder moderatoren des ö-r rundfunks sich einspannen lassen von firmen, die die prominenz eben dieser leute ausnutzen. kann mir nicht vorstellen, dass die moderatorenhonorare hungerlohnmäßig sind. über die zeilenhonorare von lokalzeitungen kann man wirklich nur in tränen ausbrechen. die größte tageszeitung bielefelds z.b. hat grundsätzlich nur die hälfte des unterschriebenen tarifvertrags gezahlt bei überregionalen berichten. ist aber kein wunder: die zeitung wurde und wird von der spd gemolken. wie es jetzt ist, also seit dem verbund mit rnd deutschland weiß ich allerdings nicht. aber da werden die überregionalen geschichten eh vom rnd gemanagt. die einst stolze größte tageszeitung bielefelds hat sich auf regionalniveau verzwergt.