Wieso ist das so? (27)

Wie beeinflusst die Nachrichtenlage die Outfits der „Tagesschau“-Sprecher?

„Die Optik ist wahnsinnig wichtig“, sagt NDR-Kostümbildnerin Michaela Vogt im Übermedien-Interview. Sie und ihr Team wählen die Kleidung für die „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ aus. Ist die Krawatte Pflicht? Welche Farben funktionieren am besten? Und tragen die Moderatoren die Outfits auch privat?
Julia-Niharika Sen - Sprecherin und Moderatorin der "tagesschau"
„Tagesschau“-Moderatorin Julia-Niharika Sen Foto: NDR/Hendrik Lüders

Übermedien: Frau Vogt, wie wichtig ist Kleidung im Fernsehen?

Michaela Vogt: Kleidung ist sehr wichtig. Fernsehen ist ein visuelles Medium: Wenn man durch die Sender zappt, hat man ja meistens schon entschieden, ob man dranbleibt, bevor die Moderatorin oder der Moderator ein paar Sätze gesprochen hat. Wenn das, was ich sehe, mich anspricht, bleibe ich dabei und gebe dem Inhalt auch eine Chance. Deswegen ist Optik – und dazu gehört nicht nur Kostüm, sondern auch Maske und Set-Design – wahnsinnig wichtig im Fernsehen.

Welche Kleidungsregeln gibt es für „Tagesschau“ und „Tagesthemen“?

Generell kann man für beide Sendungen sagen, dass es klare Schnitte und klare Linien sein sollten. Keine Muster. Das liegt daran, dass viele große Bilder im Hintergrund zu sehen sind, auf denen viel passiert. Wenn dann noch viel in der Kleidung passiert, wissen die Zuschauer und Zuschauerinnen gar nicht, wohin sie gucken sollen. Kleidung darf nicht zu sehr ablenken und sollte deswegen nicht zu extravagant sein.

Bei der „Tagesschau“ um 20 Uhr sind Anzug und Krawatte und Kostüm mit Blazer der Standard. Warum so steif?

Die Kleidung muss zum Format passen. Bei „tagesschau“ und „tagesthemen“ wird man kein Paillettenkleid tragen, es muss Businessmode sein. Die verändert sich aber auch. Seit Ende 2022 können unsere Sprecher und Moderatoren auf die Krawatte verzichten – außer in der 20-Uhr-Ausgabe. Man sieht auch in Firmen, bei Vorständen oder Politikern immer weniger Krawatten. Auch bei den Damen müssen es keine Blazer sein. Wir gehen immer mit der Mode. Eine Zeit lang waren Seidenblusen in der Businessmode angesagt – also haben auch unsere Moderatorinnen sie getragen.

Wer bestimmt das, dass keine Krawatten mehr getragen werden müssen?

Das ist eine redaktionelle Entscheidung, die nicht bei uns im Kostüm getroffen wird.

Am 21. Januar 2025 moderierte Jens Riewa die Mitternachtsausgabe der „Tagesschau“ mit T-Shirt unter dem Sakko. Was war da denn los?

In der Nacht-Ausgabe und bei „tagesschau24“ ist es nicht ungewöhnlich, dass die Sprecher ein T-Shirt oder einen Pullover tragen. Wenn das halbwegs hochwertig aussieht und keinen ausgeschlabberten Ausschnitt hat, ist das erlaubt.

Jens Riewa im Shirt
Nachts darf das Outfit lockerer sein: Jens Riewa mit Shirt unterm Sakko. Screenshot: „Tagesschau“

Bei den „Tagesthemen“ geht es etwas lockerer zu. Warum?

Die „Tagesschau“ ist eine Nachrichtensendung und die „Tagesthemen“ ein Nachrichtenmagazin, das heißt, dass sich die Moderationstexte und somit auch die Ansprechhaltung unterscheidet. In den „tagesthemen“ ist viel mehr Bewegung drin. Die Moderatorinnen und Moderatoren bewegen sich viel freier im Studio und laufen auch gelegentlich an der Wand entlang. Diese Unterschiede im Format sind dann auch im Styling zu sehen.

Werden die Outfits bei den „Tagesthemen“ aufeinander abgestimmt?

Um die Uhrzeit sind wir nicht mehr da. Das heißt, dass die Moderatorinnen und Moderatoren sich untereinander abstimmen müssen. Bei anderen Sendungen, wie zum Beispiel bei „Das!“ oder dem „Hamburg Journal“, richten wir die Kostüme für die ganze Woche im Voraus her. Das können wir bei den „Tagesthemen“ und der „Tagesschau“ nicht machen, weil wir vorher nicht wissen, welche Bilder im Hintergrund zu sehen sind. Wenn wir einer Moderatorin einen roten Anzug rauslegen würden und das Schwerpunktthema der Sendung mit großen roten SPD-Plakaten bebildert wäre, würde das nicht funktionieren.

Das heißt, die Sprecher und Moderatorinnen von „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ entscheiden immer selbst, was sie anziehen?

Genau. Die Outfits an sich sind vorher mit uns abgestimmt. Nachdem wir einkaufen waren, machen wir im Sender eine umfangreiche Anprobe und fotografieren die Styles und wie man sie kombinieren kann. Die Fotos hängen an den jeweiligen Teilen, damit man sich schnell richtig anziehen kann.

Wird die Kleidung auch an den Inhalt der Nachrichten angepasst?

Jede Moderatorin und jeder Moderator hat ein Traueroutfit. Wenn etwas Schlimmes passiert, zum Beispiel wenn die Queen stirbt, muss also niemand im pinken Anzug moderieren. Allerdings sind die Nachrichten eigentlich immer schlimm. Ab wann ist es angebracht, sich dunkel zu kleiden? Das liegt im Ermessen unserer Moderatorinnen und Moderatoren. Es gibt ja auch Abstufungen: Man muss nicht gleich den schwarzen Anzug tragen, sondern kann auch erstmal den dunkelgrünen nehmen.

Im Normalfall tragen die Moderatorinnen allerdings viele knallige Farben. Warum?

Moderationsbekleidung ist generell sehr viel bunter als private Kleidung. Das sieht man auch bei uns im Fundus: ein tolles Farbenspiel. Das liegt daran, weil die gedeckten Farben in den Studios oft untergehen. Ein Fernsehstudio ist ja keine reale Welt. Die Farben im Hintergrund sind nicht wie im wirklichen Leben. Das Licht ist auch anders. Mit knalliger Kleidung heben sich die Moderatorinnen besser ab.

Jessy Wellmer - Moderatorin Tagesthemen
„Tagesthemen“-Moderatorin Jessy Wellmer Foto: NDR/Hendrik Lüders

Kann denn jede Farbe gleich gut getragen werden? Ich denke da zum Beispiel an den Greenscreen.

Greenscreens haben wir aktuell nur bei „Tagesschau24“. Da muss man mit dem Grünton aufpassen, denn wenn Kleidung und Hintergrund dieselbe Farbe haben, wird man hinterher durchsichtig und hat keinen Körper mehr. Aufpassen müssen wir zum Beispiel auch bei Salbeitönen, die im Moment modern sind. Da wird man zwar nicht durchsichtig, aber die Technik filtert den Grünanteil aus dem Bild heraus, damit die Haut besser aussieht. Ein salbeigrüner Anzug wird dann grau.

Und bei den Sets von „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ ist das kein Problem?

Da sind die Hintergründe real und bestehen nicht aus Greenscreens. Es gibt aber in jedem Fernsehstudio irgendeine Farbe, mit der es Probleme gibt. Bei „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ ist das Lila. Viele Lilatöne werden zu royalblau, weil das Rot herausgefiltert wird. Das hat technische Gründe und hängt mit den LED-Lampen im Studio zusammen. Wenn man einen komplett lilafarbenen Anzug hat, der dann komplett blau wird, ist das kein Problem. Schwierig wird es nur, wenn man verschiedene Farben kombinieren möchte. Was in der Anprobe gut zusammengepasst hat, sieht im Fernsehen dann vielleicht nicht mehr gut aus.

Wie läuft das ab, wenn Sie neue Kleidung einkaufen?

Wir gehen tatsächlich in die Stadt und kaufen für oder teilweise auch mit den Moderatoren und Moderatorinnen ein. Wie häufig wir das machen, kommt darauf an, wie oft die Person auf Sendung ist und wie viel man in dem Jahr schon für sie gefunden hat. Wir haben feste Etats für jeden Moderator, an die wir uns halten müssen. Aber mindestens zweimal im Jahr gehen wir los zum Einkaufen.

Wie hoch ist denn der Etat?

Dazu kann ich nichts sagen.

Welche Marken tragen die Moderatoren und Sprecherinnen?

Da ist wirklich alles dabei. Das fängt bei H&M an und geht bis zur Luxusmarke Windsor. Es gibt nicht die eine Marke für Moderationskleidung – entscheidend ist, wem welcher Schnitt am besten steht. Wir kaufen gerne hochwertige Kleidung, die dementsprechend länger hält. Aber wir ergänzen sie durch günstigere Teile, weil wir uns an den Etat halten müssen. Manchmal findet man bei den günstigen Labels Teile, die auf dem Schirm sehr edel aussehen.

Tauschen die Moderatoren und Sprecherinnen die Kleidung untereinander?

Die meisten Teile werden an die Moderatorin oder den Moderator angepasst: Die Ärmel werden gekürzt, an der Taille wird etwas enger genäht. Deswegen wird da nichts hin und her getauscht. Jeder hat seine eigene Kleiderstange.

Wie viele Kleidungsstücke hat denn so ein Moderator?

Das hängt davon ab, wie lange jemand schon moderiert. Über die Jahre kommen immer wieder Teile dazu, die auch lange getragen werden. Letztens hatten wir eine Anprobe, bei der wir eine Bluse von 2016 aussortiert haben. Es werden aber auch noch Teile von 2010 getragen.

Kostüm-Fundus beim NDR
Kostümfundus des NDR Foto: NDR

Wie viele Outfits könnten Sie denn zum Beispiel mit der Kleiderstange von Susanne Daubner generieren?

Das ist schwer zu sagen. Frau Daubner ist schon sehr lange dabei und hat viele Teile an ihrer Stange hängen. Wenn man alle Kombinationen mit einkalkuliert, dann kommt man bestimmt auf 50 Outfits.

Und was passiert mit der alten Kleidung?

Wir schmeißen eigentlich nichts weg. Bevor wir ein Teil aussortieren, schauen wir erstmal, ob wir daran noch etwas ändern oder es anders kombinieren können. Funktioniert ein Teil gar nicht, kommt es auf unsere Nachhaltigkeitsstange. Da hängen aussortierte Teile, die noch wirklich gut sind. Bei Anproben wird die Garderobe, wenn möglich, mit einzelnen Teilen von dieser Stange ergänzt.

Dürfen die Moderatorinnen und Sprecher alte Kleidung auch für sich behalten?

Nein, das geht nicht. Die Kleidung ist das Eigentum des NDR. Es würde ja auch kein Mensch auf die Idee kommen, einen alten Computer oder Bürostuhl mit nach Hause zu nehmen.

Wie häufig bekommen Sie Kommentare von Zuschauern zu der Kleidung der Sprecherinnen und Moderatoren?

Ganz häufig fragen die Zuschauerinnen – und vermehrt auch Männer – woher bestimmte Kleidungsstücke sind. Die wollen dann wissen, wo wir diese spezielle Bluse oder diesen einen Anzug gekauft haben. Wenn uns jemand explizit fragt, beantworten wir das. Das tun wir auch, wenn sich jemand beschwert.

Worüber beschweren sich die Leute?

Jeder hat seinen eigenen Geschmack und deswegen wird ein Outfit nie jedem Zuschauer gefallen. Oft bekommen wir am selben Tag für dasselbe Outfit positive und negative Zuschriften. Manchmal fehlen mir aber auch ein bisschen die Worte: Vor kurzem hat sich jemand beschwert, dass die Nachrichtensprecher so häufig blaue Anzüge mit weißen Hemden und roten Krawatten tragen. Das ist eine ganz klassische Kombination. Aber der Zuschauer hat sich daran gestört, weil das die Farben der AfD sind. Da muss man erstmal drauf kommen.

Bei Wahlen schaut man natürlich nochmal besonders auf die Farben der Kleidung.

Am Wahltag selbst versuchen wir, die Moderatorinnen und Moderatoren möglichst neutral zu kleiden. Das war früher leichter, weil es da noch nicht so viele Parteien im Bundestag gab. Mittlerweile weiß man gar nicht mehr, welche Farbe man noch nehmen kann. Ich weiß nicht, ob die Zuschauer das wirklich als Statement für eine Partei sehen, wenn jemand einen roten oder blauen Anzug trägt.

8 Kommentare

  1. Wer zappt denn heute noch? Ich würde auch nicht bei der Tagesschau abhängig von der Kleidung hängen bleiben oder nicht. Entweder interessiert mich die Weltlage gerade, oder eben nicht.

  2. Ein schönes und lesenswertes Interview, aber hier musste ich schmunzeln:
    „Es würde ja auch kein Mensch auf die Idee kommen, einen alten Computer oder Bürostuhl mit nach Hause zu nehmen.“
    Auf die _Idee_ kämen wohl sehr viele Menschen. Wie viele diese umsetzen, ist eine andere Frage.

  3. zu #1:

    Es zappen noch sehr viele. Alle über 60, 65 noch sehr oft. Googeln Sie mal, wie viele das sind in Deutschland. (Quelle: eigene Beobachtung, dass Mediatheken/Streaming nur sehr zurückhaltend genutzt werden in der Alterklasse, um mal eine verpasste Folge der Lieblingsserie aufzuholen etwa. Aber ansonsten wird linear geschaut und gezappt.)

  4. Also meine Vater ist über 80 und zappt so gut wie nie, obwohl er weder Computer noch Smartphone besitzt. Er schaut gezielt, was ihn interessiert und widmet sich dann wieder anderen Dingen … beziehungsweise schläft mittlerweile auch einfach ein und das Programm läuft ungezappt weiter. Ich weiß auch von anderen in der Altersklasse, die gezielt schauen und eine Programmzeitschrift voller Anmerkungen rumliegen haben. Allerdings stehen auch alle noch im Leben und haben ihre kleinen und großen Aufgaben und Verpflichtungen (Garten, Kirche, Vereine, Seniorentreff, Einkaufen …).

    Also allein am Alter kann man das Zappingverhalten wohl nicht festmachen. Dafür zappt mein jüngerer Bruder viel, ist aber auch bald 45. :D Allerdings zappt er mit in Werbepausen, um dann zurückzukehren oder nach einer Sendung. Er wird sicher nicht wegen der Kleidung bei der Tagesschau kleben bleiben. Never ever.

  5. @2, re: Sachen mit nach Hause nehmen:

    Ich habe in den letzten drei Firmen (Bürojobs) immer wieder erlebt, dass alte Hardware oder Büromobiliar gegen einen kleinen symbolischen Betrag an Mitarbeitende verkauft wird. Meinen Laserdrucker habe ich so für 10 Euro bekommen, mein Headset wurde mir geschenkt, nachdem ich zuvor der Firma ein paar Überstunden geschenkt habe. Alte Handys werden auch mal versteigert, für einen Bildschirm musste man für die Kolleg:innen Kuchen backen. Jetzt sind das aber ach alles privatwirtschaftliche Firmen. Ich kann mir vorstellen, dass es bei öffentlich-rechtlichen Anstalten mit gutem Grund sehr viel strengere Regeln gibt.

  6. #2,#5
    Ja, die Stelle wollte ich auch spontan kommentieren, dass in meiner ehemaligen Firma sehr viel Ausgemustertes nach Hause genommen werden durfte, insbesondere auch Computer.

  7. Danke für den informativen Beitrag. Seit ca. drei Wochen fällt mir auf, dass Julia-Niharika Sen bei Tagesschau und Hamburg Journal wirklich auffallend oft eine Kombination aus Brombeer-Blazer und pinker Bluse (nicht die, auf dem Aufmacherbild dieses Artikels) trägt. Habe daher auch zuletzt viel über die Fragen gegrübelt, die hier beantwortet werden. Tolles Timing!

  8. Mir fallen immer wieder die Krawatten von Christian Sievers vom ZDF-heute journal auf. Meine heimliche Vermutung ist ja, dass es sich dabei um eine Bewerbung für den Titel „Krawattenmann des Jahres“ (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Krawattenmann_des_Jahres) handelt. Jedenfalls muss seine Krawattenstange in der Maske des ZDF einen beträchtlichen Umfang aufweisen. Vielleicht könntet ihr bei Übermedien ja mal eine Collage zusammenstellen – da ist schon das ein oder andere ausgefallene Modell dabei.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.