„Titel Thesen Temperamente“-Moderator

Ein Bro für die Kultur: Die Berufung von Thilo Mischke zu „ttt“ ist ein schlimmes Signal

Gegen Thilo Mischke als Moderator spricht nicht nur sein Buch „In 80 Frauen um die Welt“, sondern vor allem auch, wie er sich seitdem über Männer und Frauen äußert.

Die Nachricht, dass der Autor und Reporter Thilo Mischke neuer Moderator von „Titel Thesen Temperamente“ werden soll, hat eine Reihe Kultuschaffender empört. Sie haben sich darüber nicht nur beschwert, sondern auch Argumente und Belege gesammelt und in einem Podcast veröffentlicht. Die Autorin Rebekka Endler ist eine von ihnen.


„ttt“-Feed-Nachbarn: Gilda Sahebi, Thilo Mischke, Arnaud Gallais Screenshot: Instagram/ttt_titel_thesen_temperamente

Der Eintrag davor ist eine Kachel mit einem Zitat von Arnaud Gaillais, wonach wir in einer „Kultur der männlichen Dominanz, einer Vergewaltigungskultur“ leben, der Eintrag danach ein Adventskalendertürchen von Gilda Sahebi zur „Yalda-Nacht“. Dazwischen postet der Instagram-Account von „Titel Thesen Temperamente“ (ttt) ein Video, das den neuen Moderator des ARD-Kulturmagazins der Öffentlichkeit vorstellt. Auf 17 Jahre Max Moor folgt: Thilo Mischke. Sein Kulturbegriff, so erzählt Mischke uns in dem Instagram-Reel, sei ein „unterkomplexer“ und sein neuer Job sei das „Näherbringen von Kultur“, weil er möchte, „dass jeder Mensch in der Lage ist, Kultur zu konsumieren“. Thilo Mischke, ein Mann aus dem Volk, ein Mann für das Volk.

Es dauerte nicht lang und unter dem Post rührt sich Kritik an der Wahl des neuen Moderatoren. Denn Mischke ist kein Unbekannter. Sein literarisches Werk umfasst unter anderem Bücher wie „In 80 Frauen um die Welt“ (2010) und „Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen“ (2013). Vor allem für ersteres musste er schon Ende 2020 kritische Fragen über sich ergehen lassen; damals stand er mit einer investigativen Recherche für seine Dokumentation „Rechts. Deutsch. Radikal.“ über die Vernetzung von Rechtsradikalen in der Öffentlichkeit.

„In 80 Frauen um die Welt“ handelt davon, dass sich ein Typ, Mischke, von Liebeskummer geplagt auf eine Weltreise begibt, um ein gebrochenes Herz heilzuvögeln, nicht durch Qualität, sondern durch Quantität. Dass er dabei nicht besonders achtsam mit Frauen umgeht, steckt schon in der Prämisse, doch die misogynen Abgründe erschließen sich einem erst, wenn man den Text liest. Der Ich-Erzähler, Mischke, schreibt:

„Ich wollte Fingerabdrücke nehmen, heimlich Nacktfotos machen, Tonbandaufnahmen vom jeweiligen Sex.“

oder auch:

„Ich stelle mir vor, wie ich diese arrogante Frau über einen Küchentisch werfe. (…) Ich bin betrunken, schon wieder. Die Arroganz der Münchnerin ist so schwerwiegend, dass ich ihr gerne eine scheuern würde. Ich frage mich, woher meine Aggressionen kommen.“

Das sind keine mit Lupe und Pinzette extrahierten Sätze, sondern Beispiele der ersten Seiten, von denen es im Buch nur so wimmelt. Teilweise werden sie noch problematischer, da Mischke auf einer Reise unterwegs ist und mit zunehmender Entfernung von Deutschland immer mehr rassistische Stereotype hinzukommen.

Eine Jugendsünde und alles nur fiktiv?

Nun ist das Buch von 2010. Vier Jahre zuvor war in Deutschland der Pick-up-Ratgeber „The Game“ von Neil Strauss zur Bibel für Männer geworden, die glaubten, man müsse Frauen plump austricksen, um sie ins Bett zu bekommen. Zwei Jahre zuvor hatte Barney Stinsons „Bro Code“ der gleichen Zielgruppe erklärt, warum Frauen, die ein Freund gebumst hat, benutzt und unbumsbar sind. Soll heißen, es war eine richtig gute Zeit für Hallodris, sich durch das „Wegficken“ von Frauen und einem arbiträren Regelwerk ihrer Männlichkeit versichern wollten.

Das ist über 14 Jahre her, in der Zeit ist viel passiert in Sachen Sexismus- und Rassismuskritik: #Aufschrei, #BlackLivesMatter, #Metoo. Da wird man erwarten können, dass der Autor zu einer kritischeren Haltung gegenüber seiner „Jugendsünde“ gelangt ist, die er mit zarten 29 Jahren veröffentlicht hat. Genau das will jedenfalls die „ttt“-Redaktion festgestellt haben, die sich nach mehr als einem Tag der Kritik meldet, sowohl auf Instagram, als auch via Mail auf Nachfragen von Zuschauer*innen.

Sie schreibt unter anderem:

Seit Erscheinen des Buches „In 80 Frauen um die Welt“ im Jahr 2010 hat sich Thilo Mischke vielfach mit den Vorwürfen, darin ein sexistisches Frauenbild vermittelt und stellenweise rassistische Sprache verwendet zu haben, selbstkritisch auseinandergesetzt, sich öffentlich der Kritik gestellt und für seine Ausdrucksweise entschuldigt. (…)

Mischke distanziert sich bis heute vom Titel und Inhalt des Buches und hat den Druck einer Neuauflage untersagt.

Außerdem sei das Werk fiktional, behauptete die Redaktion in einer Antwort: „Nichts davon hat tatsächlich stattgefunden – außer eine Recherchereise, in der er die Orte, die er in dem Roman beschreibt, bereist hat.“

Buchcover Thilo Mischke: "In 80 Frauen um die Welt"
Die Taschenbuchausgabe von „In 80 Frauen um die Welt“

Interessant für ein Buch, dass bei einem Sachbuchverlag erschienen ist und außerdem in der Neuauflage den Autor auf dem Cover zeigt. Zumal dieser 2024 der in einem Format mit Helene Hegemann behauptete, es habe den Grundstein seiner Reportage-Karriere gelegt. Mischke hat in den letzten Jahren immer wieder Details einzelner „Errungenschaften“ in Podcasts geschildert und sich etwa damit geschmückt, er habe sich in Buenos Aires „einen Tripper eingefangen“, aber „fürs Buchschreiben war das toll. Weil, man möchte das erzählen.“ Aber die „ttt“-Redaktion will von alledem nichts wissen.

Die Natur des Mannes als Vergewaltiger

Doch das vielleicht Schlimmste, das den ARD-Leuten entgangen zu sein scheint, sind Mischkes pseudowissenschaflichen Hot Takes, die er 2019 in einem Podcast zu der Natur des Mannes formulierte:

„Ich glaube das unterstützt so ein bisschen meine These dieses, dass es etwas Urmännliches ist, im Prinzip meine Sexualität – also nicht meine, Thilos, sondern die männliche Sexualität – basiert vielleicht auf Vergewaltigung. Und die Gesellschaft und die Moral, die wir in den letzten 2000 Jahren Christianisierung in Europa verteilt haben, hat uns das so ein bisschen abgewöhnt, dass wir nicht mehr vergewaltigen.“

Nicht weniger abenteuerlich geht es weiter: „Der Urmensch ist ausgestorben, weil er nicht reden kann und vielleicht zu zärtlich ist zu den Frauen und sie nicht vergewaltigt und der Homo homo sapiens hat eben überlebt, weil er anfänglich in seiner Gesellschaft vergewaltigt.“

Frauenfeindlichkeit als die wahre Natur des Mannes? Das klingt so gar nicht nach sapiens sapiens. Ähnlich hanebüchen auch seine Äußerung, dass Frauen ausgestorben seien, die nicht die Fähigkeit hatten, beim Geschlechtsverkehr feucht zu werden, „weil so Sexualität funktioniert hat. Frauen wurden hart wegvergewaltigt in der Urmenschenzeit, und überlebt haben die, die den Gendefekt hatten ‚Meine Vagina wird feucht‘, weil sie eben keine inneren Verletzungen beim Geschlechtsverkehr bekommen haben.“ Diesen ganzen Blödsinn haben viele andere und ich schon an anderer Stelle im Detail widerlegt.

Wirklich der geeignetste Kandidat für ein Kulturmagazin?

Zentral ist aber die Frage, ob ein Mann, der im Jahr 2024 zu glauben scheint, dass sexualisierte Gewalt in der Natur des Mannes liege und gewissermaßen durch feministische Aufklärungsarbeit wegerzogen werden muss – in etwa so, wie man einen Hund abrichtet – der geeignetste Kandidat für die Moderation eines der wichtigsten deutschen Kulturmagazine in öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist. Und was bedeutet es, wenn eine Redaktion trotz breiter und fundierter Kritik aus der Kulturwelt an ihrer Wahl festhält, ohne eigene Nachforschungen anzustellen?

Thilo Mischke vor ttt-Logo
Foto: ARD / Marc Rehbeck

Mischke ist nichts weiter als ein Symptom, jedoch eines mit Signalwirkung. Seine Personalie steht für ein größeres Problem. Wir leben in einer Bro Culture, in der patriarchale Denkstrukturen so fest verankert sind, dass sie zu häufig unwidersprochen bleiben. Wir machen es Männern viel zu einfach, mit einer linken progressiven Performance Karriere zu machen, ohne dass sie die wichtigsten Grundvoraussetzungen für ein gleichberechtigten Zusammenlebens verstanden haben.

Ein Beispiel: Mischke beschwert sich 2021 in seinem Podcast „Alles muss raus“ bei Autorin Nadine Primo, ihm werde vorgeworfen, zur rape culture beizutragen, und fragt Primo, ob er jetzt deswegen „ein Vergewaltiger“ sei. Mischke ist sicherlich nicht der einzige, der nicht genau weiß, was rape culture ist – doch von einem investigativen Journalisten, dem vorgeworfen wird, zu eben dieser beizutragen, könnte man erwarten, den Begriff zumindest schon mal bei Wikipedia eingegeben zu haben. Auf diese Weise hätte er erfahren können, dass rape culture eine Umschreibung unserer Gesellschaft ist, in der sexualisierte Gewalt gegen weiblich gelesene Körper und Flinta* so allgegenwärtig ist, dass wir es als Kulturpraxis betrachten können.

Rape culture ist das Instrument mit dem cis-männliche Dominanz über alle anderen Geschlechter ausgeübt wird. Wer sich an ihr beteiligt, konstruiert seine Männlichkeit vor allem darüber, Frauen zu entwerten. Das reicht vom sogenannten locker room talk mit Witzen über K.O.-Tropfen bis hin zur Vergewaltigungstat. Und es umfasst eben auch Literatur, in der darüber fantasiert wird, Frauen „wegzuficken“ und dies für die (fiktiven?) Kumpels zu dokumentieren, oder pseudowissenschaftlichen Unsinn zur Evolutionsgeschichte der Geschlechter in Podcasts zu verbreiten.

Einige Männer schaffen es immer

Einerseits erleben wir gerade einen Moment, in dem progressive Stimmen, auch dank der sozialen Medien, immer mehr Gehör finden und große Teile der Gesellschaft für ihre Themen sensibilisiert werden. Andererseits findet zeitgleich eine Radikalisierung vieler junger Männer statt. Sie werden mit Inhalten sozialisiert, die sexualisierte Gewalt verherrlichen und zu einer Kunstform erheben.

Am Tag nach der Urteilsverkündung im hundertfachen Vergewaltigungsfall Gisèle Pelicot, und am Tag nach der Veröffentlichung einer Investigativ-Recherche von „Strg_F“ zu weltweiten Vergewaltiger-Chatgruppen so eine Personalie zu setzten, das bedeutet etwas. Es bedeutet, dass es für einige Menschen, Männer, völlig egal ist, was sie sagen und schreiben, ob sie qualifiziert sind oder nicht – sie werden dennoch in prestigeträchtige, gut bezahlte Jobs gehoben und zum Gesicht wichtiger Magazine gemacht. Frauen, Opfer sexualisierter Gewalt, werden öffentlich verhöhnt.

Während sich, drei Jahre zuvor, eine qualifizierte Journalistin, wie Nemi El-Hassan 2021 von ihrem Moderationsjob bei der Wissenschaftssendung „Quarks“ (WDR) verabschieden musste, weil sie sieben Jahre zuvor eine Demonstration besucht hat, auf der israelfeindliche Aussagen getätigt wurden. Nicht sie selbst machte die Aussagen, in einem Podcast beispielsweise, nein, sie war dort, als etwas gesagt wurde.

Keine Plattform für Sexismus

Wie sollen wir uns das vorstellen, wenn nächstes Jahr im Januar das Buch von Gisèle Pelicots Tochter Caroline Darian erscheint („Und ich werde dich nie wieder Papa nennen“)? Wird Mischke dann mit Darian ein Gespräch über die „Vergewaltigungsnatur des Mannes“ führen? Oder werden Themen, die mit Feminismus, sexualisierter Gewalt und Dekonstruktionen von Geschlechtern zu tun haben, fortan nur in den Moderationswochen seiner Kollegin Siham El-Maimouni stattfinden?

Eigentlich ist die Sache klar. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen Bildungsauftrag und es liegt in der Verantwortung der Reaktionen, ihn zu erfüllen. Dazu gehört es auch, sexistischen und rassistischen Meinungen keine Plattform zu bieten. Wie sich das mit dieser Personalie gestalten soll, ist mehr als fraglich.

„ttt“ hat sich in den vergangenen Jahrzehnten den Ruf erarbeitet, Themen zu setzen und Personen zu featuren, die für progressive Ideen standen. Künstler*innen und Autor*innen haben den Redaktionen mitunter sensible Themen anvertraut, in dem Wissen, dass sie dort guten Kulturjournalismus machen. Deswegen ist schon bezeichnend, dass die Kritik bisher in der Hauptsache von uns, den freien Kulturschaffenden kommt. Jede Person, egal ob Autor*in, Musiker*in oder Künstler*in, die sich online und beispielsweise in unserem Podcast dazu geäußert hat, lehnt sich damit auf eigene Gefahr aus dem Fenster, denn „ttt“ ist noch immer ein relevantes Kulturmagazin, dass entscheidend zum Erfolg eines Kulturproduktes beitragen kann. Wir alle gehen das Risiko ein, dort nicht mehr vorzukommen, weil Mischke als Moderator für uns ohnehin das Ende des Kulturmagazins „ttt“ bedeutet.

Will man in diesem Format stattfinden?

Menschen – und damit auch Männer – sind vielschichtig; gut möglich, dass viele Menschen Mischke als total prima und soliden Kerl kennen. Diese Persönlichkeit kann problemlos parallel zu einer öffentlichen Persona existieren, die zur Verbreitung von rape culture beiträgt. Für ihn persönlich sollte jetzt eine glaubwürdige Auseinandersetzung mit seinem problematischen Geschlechterverhältnis im Vordergrund stehen, gerne auch fernab der Öffentlichkeit. Und für die „ttt“-Redaktionen sollte Schadensbegrenzung im Vordergrund stehen, und zwar nicht, um das eigene angegriffene Image zu retten, sondern um das verlorengegangene Vertrauen der Kulturschaffenden zurückzugewinnen, die nun sehr genau abwägen werden müssen, ob sie in diesem Format stattfinden wollen.

Der Literaturwissenschaflter Adrian Daub sagte uns im Podcast dazu, dass – unabhängig davon, ob Mischke als „ttt“-Moderator verhindert wird oder nicht – uns diese Sache ohnehin eine neue Debatte über die Cancel Culture in Deutschland bescheren wird:

„Es gibt Menschen, die von ihren Fehlern definiert werden und andere, die immer eine zweite Chance und ihren Erfolg verdient haben. Man tut so, als habe man #MeToo mitgemacht, aber eigentlich vollzieht man eben doch nur den Backlash dagegen mit.”

Das ist die Frage, die sich die Verantwortlichen bei „ttt“ stellen sollte: Auf welcher Seite der Geschichte wollen sie stehen?

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