Wenn der Opa keinmal klingelt: Der Image-Film der Funke-Mediengruppe
Nachthimmel, eine hart angerissene Gitarrensaite, abnehmender Mond. Blätterrauschen und ein elektronischer Pulsschlag. Schattenbeine auf einem Bürgersteig. Vor einem Kiosk raucht ein Mann im Anorak eine Kippe und zieht den Rauch tief in seine Lungen.
Umschnitt auf eine schöne schlafende Frau im Profil. Der Schattenmann passiert eine Baustelle. Gleich wird ein Verbrechen geschehen. Der Radiowecker im Schlafzimmer zeigt 5:59 Uhr. Der Schattenmann hat draußen seinen Mantelkragen hochgeschlagen. Alle, die etwas Ungesetzliches planen, schlagen ihren Mantelkragen hoch. Jeder weiß das.
6:00 Uhr. Der Wecker summt. Die aufgewachte Schlafende drückt nicht auf „Snooze“, sie schaltet die Nachttischlampe ein, dreht das Display zu sich und überzeugt sich davon, dass wirklich 6:00 Uhr ist. Ihr Mann ist ebenfalls sofort wach, sie begrüßen sich synchron mit „Guten Morgen“ und küssen sich sofort auf den Mund. Die haben natürlich gar nicht wirklich geschlafen, das sind Schauspieler, die sich fünf Minuten zuvor noch die Zähne geputzt haben.
Der Schattenmann überquert nun eine Straße. Vor ihm liegt der Kiosk und der Typ, der eben noch rauchte, übergibt ihm wortlos im Dunkeln ein geheimnisvolles Paket. Drogen? Falschgeld? Plastiksprengstoff? Der Schattenmann verschwindet, und der Mann vor dem Kiosk zieht wieder an seiner Kippe.
Die Beine der jungen Frau gehen in die Dusche. Das ahnt man nur, weil im Unschärfebereich der Kamera Duschgelflaschen stehen. Sie hat schöne Fersen und keine Hornhaut. Wahrscheinlich geht sie zur Fußpflege. Plötzlich fällt ihr Nachthemd kreisrund um ihre Füße. Ein völlig normaler Vorgang, man kennt das: Kurz vor der Dusche fällt einem einfach so das Nachthemd vom Körper. Unter der Dusche streichelt sie ihren Kopf und lächelt. Wahrscheinlich fiel ihr gerade erst auf, dass sie geschminkt unter der Brause steht.
Der Schattenmann geht durch eine dunkle Wohnstraße. Gleich wird er die duschende Frau meucheln, und jetzt ist sogar noch ein weiteres potenzielles Opfer im Bad. Eine Teenagerin, die während der Arbeit mit einer elektrischen Zahnbürste auf ihrem Smartphone liest: „Kein Promi verdient laut ‚Forbes‘ mehr als Taylor Swift“. Was wird ihr diese Information im Grab noch nützen?
Die Herzschlagmusik nähert sich ihrem Höhepunkt und der Schattenmann dem friedlichen Wohnhaus. In der Küche ist ihr Mann fertig angezogen. Er hat nicht geduscht und stellt auf dem Küchentresen Frühstückscerealien bereit.
Dramageigen setzen ein! Der Schattenmann versucht, die Haustür aufzuschließen. Klappt nicht sofort. Wahrscheinlich der falsche Dietrich. Währenddessen deckt der Mann im Haus den Tisch: Kunststoffuntersetzer und hellblaue Papierservietten. Die Messer hat er neben die Teller gelegt. Er würde sie besser in seinen Gürtel stecken, gleich könnte er sie gut gebrauchen. Draußen lässt der Schattenmann von der Haustür ab und geht Richtung Garten.
Am Frühstückstisch vor dem Fenster zum dunklen Garten treffen sich nun Teenager, Mann und Frau. Sie fragt: „Na, gut geschlafen?“, aber weil immer noch die Dramamusik pocht, wirkt ihre Frage seltsam passiv-aggressiv.
Vor dem Fenster zum Garten erscheint nun der Schattenmann. Der Puls der Musik verwischt zum Crescendo. Poch, Poch. Wusch. Schreie. Umschnitt auf das Fenster zum Garten, blankes Entsetzen im Blick des Mannes.
Der Schattenmann ist Opa, und der Plastiksprengstoff ist eine WAZ und eine Tüte Brötchen. „Mensch Opa, hast Du uns erschreckt“, stöhnt der Teenager.
Mensch Opa – das hier ist der neue Unternehmensfilm der Funke-Mediengruppe, der seit ein paar Tagen auf YouTube zu sehen ist. Nur logisch, dass der Titel auch lautet: „FUNKE MEDIENGRUPPE – der Unternehmensfilm“.
Und der Film ist noch lange nicht vorbei: Die dramatische Pulsmusik allerdings schon, stattdessen ist jetzt flirrender Happysound zu hören. Man sieht die WAZ im Rotationsdruck, einen Drucker, der synchron mit Opa und Papa dieselbe Ausgabe aufschlägt, während Tochter und Mutter die News auf einem iPad konsumieren. Die Männer lesen Nachrichten, Mutter und Tochter gibbeln über buntem Gossip. Wie das eben so ist im wirklichen Leben. Für den Papa eine Tageszeitung und ein Kitschheftchen für die Ladys.
Umschnitt auf die Redaktion, wo auf breiten Bildschirmen Fernsehtipps von „tvdigital“ trenden, die gleichzeitig auf einem Tablet-PC vom Teenager der Frühstücksfamilie konsumiert werden. Die junge Frau schmökert in der „LandIdee“, ein Fotograf fotografiert den knupsrigen Flammkuchen mit Kürbis und roten Zwiebeln, den sie gleich aufblättern wird. Das macht sie so hungrig, dass sie sofort den Backofen vorheizt – nein, hoppla – der Backofenregler ist an einem Mischpult von Radio Essen. Jetzt verschwimmen endgültig alle Ebenen.
Die Welt der Funke-Mediengruppe ist eine Welt der Gleichzeitigkeit. Fanfaren ertönen und die Mega-Bildschirmwand eines Newsrooms zeigt alle Funke-Zeitungstitelseiten nebeneinander. Ein grauschläfiger Redakteur im schwarzen Anzug gestikuliert vor dieser Wand, eine Mitarbeiterin in Trainingsjacke muss ihm zuhören. In einem loftigen Büro mit langflorigem Teppich findet eine Blattkritik der „Bild der Frau“ statt, und plötzlich ist ein Kiosk zu sehen.
Funke ist Ruhrgebiet und Ruhrgebiet ist die Heimat der Büdchen, Trinkhallen und Kioske. Allerdings ist es ein Funke-Mediengruppe-Kiosk: Sogar die Langnese-Truhe ist mit einer Funke-Plane beklebt, es gibt nur Funke-Zeitungen am Funke-Ständer, neben dem Kiosk steht ein WAZ-Aufsteller, und für visuell Unsensible steht zur Sicherheit noch ein überlebensgroßes Rollup-Display vor dem Kiosk. In Regalen ist das gesamte Portfolio ausgebreitet, und das Imagefilm-Kamerateam filmt ein Funke-Kamerateam, das die Kioskbesitzerin filmt.
Der gefakete Film im Film ist dann im Smartphone zu sehen – als Beitrag auf „derwesten.de“, unter „Hier ist der Kiosk einfach Kult!“ Um das nicht basteln zu müssen, gibt es den Fake-Film dort tatsächlich, allerdings ohne Ton und ungelistet bei Youtube, aber Google findet bekanntlich alles.
Im Finale überschlagen sich die Ereignisse. Opa liest „Hörzu“, schaut die „Goldene Kamera“, roter Teppich, Promis, die Teenager-Tochter liest „Herzstück“, und Papi grillt draußen an einem dieser Weber-Grills, die aussehen wie monströse Wurst-Kopierer. Zum Schluss noch ein Drohnenflug, weil Imagefilme ohne Drohnenflug seit einiger Zeit gesetzlich verboten unmodern sind.
Die Funke-Mediengruppe, die bis vor ein paar Jahren WAZ-Mediengruppe hieß, ist der drittgrößte Zeitungsverlag Deutschlands. Das wollte man mit dem Imagefilm allzu offensichtlich endlich einmal in Bilder fassen: Wir sind groß, omnipräsent – und natürlich sehr jung! Mal abgesehen von Opa, aber der hat ja die „Hörzu“. Im Ergebnis wirkt der pompöse Clip wie die übersteigerte Selbstwahrnehmung eines metallverarbeitenden Mittelständlers, der in seinem Gewerbegebiet zwei Nachbarschlossereien aufgekauft hat und sich nun das Wort „Gruppe“ hinter seinen Nachnamen aufs Briefpapier druckt.
Von 1979 bis 1982 strahlte das ZDF die US-Fernsehserie „Lou Grant“ aus. In jeder Folge kämpft der bärbeißige Edward Asner als Journalist Lou Grant für seine investigativen Geschichten in der fiktiven „Los Angeles Tribune“. Der Vorspann ist kurz. Er beginnt mit einen Wellensittich im Käfig. Danach sieht man den Weg vom Baumstamm zum Papier zur Druckmaschine zur verteilten Zeitung – die nach dem Lesen dem Wellensittich zum Vollscheißen in den Käfig gelegt wird. Aber vielleicht ist diese lässige Selbstironie einfach nicht mehr modern. Im Abspann von „Lou Grant“ wurden schließlich auch noch nicht die Copterpiloten, Digital Content-Experten und Heads of Lighting genannt.
Ja, hätte man besser machen können. Bisschen viel Klischee, bisschen viel Hochglanz, bisschen viel Pathos. Alles sehr konservativ eben. Wie die Zielgruppe (Leute, die für relativ anspruchslosen Content noch Geld bezahlen, womöglich sogar regelmäßig). Dass man damit das eigene Jungsein in Bilder fassen wollte, wage ich zu bezweifeln. Aus dem Film lese ich eine solche Botschaft jedenfalls nicht heraus.
Das ist wirklich ein bemerkenswertes Filmchen, auch wegen der komplett überzogenen Pathos-Musik und eines einminütigen Abspanns nach gerade mal 2 Minuten 40 Filmlänge.
Aber wie immer geht es bei solch einem Imagefilm hauptsächlich darum, daß er den Auftraggebern gefällt. Und das bedeutet, der Film muß den Auftraggebern schmeicheln. Die wenigsten Firmen-Vorstände verstehen es, daß sie ihr Unternehmen mit einem gewitzten Understatement wesentlich sympathischer präsentieren könnten. Daher also auch bei Funkes „dicke Hose“ und eine Pointe (Opa ist der Dunkelmann, haha), die uns einiges verrät über das Maß an Kreativität und Humor der Funke-Vorstandsetage.
Dank an Peter Breuer für die wunderbare Sequenzbeschreibung, von der ich leider nur den kostenfreien Teil habe lesen können.
Eine wunderbare Beschreibung. Ansehen muss ich mir das Machwerk nun nicht mehr, denn es kann nur schlechter werden. Es ist wohl eines dieser typischen und immer gleichen Image Filmchen, die kaum austauschbarer sein könnten und die lediglich dem Ego der Verantwortlichen dienen.
Wie Thomas schon schrieb, wäre gekonntes Understatement der deutlich sympathischere Ansatz, wenn man sich beispielsweise einmal Image Filmchen der Berliner BVG ansieht – nicht direkt vergleichbar, doch der Unterschied im grundsätzlichen Ansatz wird sicher deutlich.
Wer´s nicht kennt:
Die Mutter aller Imagefilme. S´Lebn is a Freid.
https://www.youtube.com/watch?v=DXIsTTH2wzg