Gratis-Werbung

Wenn Journalisten zu Pizza-Boten werden

Anfang vergangener Woche wurde bekannt, dass ein großes Lebensmittelunternehmen ein neues Produkt auf den Markt bringt: ein rundes, plattes Stück Schokoladenteig, das mit Schokolade belegt ist. Angesichts der Reaktionen, die das hervorgerufen hat, muss es sich um eine Weltsensation handeln.

Screenshot von Google News zur Schoko-Pizza von Dr. Oetker

Das ist nur eine sehr kleine Auswahl dessen, was so geschrieben und gesendet wurde über die so genannte Schoko-Pizza, die mit einer Pizza lediglich Name, Form und Verpackung teilt, sonst gar nichts: keine Tomatensauce, kein Käse, kein Oregano. Die Schoko-Pizza ist keine Pizza, sondern ein sehr flacher Schokoladenkuchen mit Schokoladenüberzug, aber der simple Trick, das Pizza zu nennen, reicht schon aus, Journalisten zu Gratis-Werbern zu machen.

„Oh! Mein! Gott!“, titelt „Der Westen“; die „Abendzeitung“ fragt, ob das nun „Genie oder Wahnsinn“ sei, so eine Pizza mit Schokolade; und der „Merkur“ schreibt, Dr. Oetker, der die Pizza herstellt, wolle es nun „wirklich wagen“.

Alle sind völlig verrückt geworden. Ein Moderator von „Radio Hamburg“ hat die Pizza in seiner Sendung gegessen und sich dabei filmen lassen.

Der Branchendienst „Turi2“ weist die Medienbranche freundlicherweise darauf hin, was da bald in den Tiefkühltruhen der Supermärkte liegt.

Beitrag von turi2.de zur neuen Schoko-Pizza

Auch die Blogger von Mimikama, sonst gelobt, weil sie ernsthafte Fakes und Lügen entlarven, springen auf den Werbezug auf: „Könnte es womöglich am Ende wirklich ein Fake sein?“, fragt das Portal klickfreundlich auf Facebook.

Selbst bei der altehrwürdigen „Neuen Zürcher Zeitung“ fragen sie bang, ob die Pizza das denn „verdient“ habe, dass man sie mit Schokolade belege. Vor lauter Verzweiflung greift der Autor zur Flasche: „Darauf einen Schnaps“, lallt er und verweist auf den Kakao-Konsum der Maya und am spanischen Hof anno 1544, weil das so kakaoschlau klingt in so einer schokoschnöden Werbeglosse. Also rasch noch ein Schriftstellerzitat oben drauf, immer gut, und schon hat man wieder etwas Intellekt verbrannt und kann den nächsten Kurzen kippen.

In Bielefeld, bei Dr. Oetker, heißt es auf Anfrage, man sei schon recht überrascht, welche Resonanz das neue Produkt hervorrufe, und zu welchem Zeitpunkt: Als die ersten Texte dazu erschienen, hatte der Konzern noch gar keine Pressemitteilung herausgegeben, geschweige denn: dafür geworben. Angeblich nahm alles von ganz alleine seinen Lauf. In der Marketing-Abteilung mussten sie sich nur noch zurücklehnen und zusehen. (Und telefonieren.)

Eine Food-Bloggerin hatte am Montag ein Foto der neuen Kreation bei Instagram veröffentlicht. Im „Handelsblatt“ erzählt sie nun, sie habe die Pizza in einem Supermarkt gefunden, obwohl sie, laut Hersteller, erst am 1. April in den Handel kommen soll. (Was zusätzlich für die Verwirrung sorgte, es könnte sich um einen Aprilscherz handeln.) Eine Schoko-Pizza, sagt die Food-Bloggerin, habe sie einem Speise-Youtuber gebracht, und der hat dann ein Video daraus gemacht, einen Food-Porn, in dem er die Schoko-Pizza auspackt, heiß macht und isst: „Ein unglaublicher Geschmacks-Orgasmsus in meinem Mund.“

Etliche Medien haben das Video, in dem sich der Pizza-Tester kaum einkriegt vor Begeisterung, in ihre Artikel eingebettet. Inzwischen zählt es mehr als 350.000 Abrufe – die anderen Videos dort haben eher so um die 1.000 Klicks. Auch die food-bloggende Flugbegleiterin, die das neue Produkt in Umlauf brachte, ist nun populärer. Auf Twitter folgten ihr schon vor dem Hype Redakteure der Zeitschrift „Chip“, außerdem von ProSieben und dem „Müttermagazin“, schreibt das „Handelsblatt“. Die Begründung der Bloggerin ist toll:

„Ich habe die Twix- und Bounty-Brotaufstriche als erste gezeigt. Seitdem folgen mir die Redakteure.“

Seit der Sache mit der Pizza hat die Bloggerin auf Twitter ein paar Tausend weitere Follower (und Redakteure) hinzugewonnen, auf Facebook hat sich die Zahl ihrer Fans versiebzehnfacht.

Hier könnte die Gratis-PR-Geschichte enden. Aber sie geht tatsächlich weiter!

Als sich bereits alle in einen Kalorienrausch geschrieben haben, postet ein Schokoladen-Hersteller einen Scherz: eine Schokolade mit Pizza-Geschmack. Höhö. Der Schokoladen-Hersteller bekommt so auch noch etwas Werbung ab, insofern: klug gemacht! Journalisten schreiben auch darüber gerne.

Dann taucht bei Twitter dieses Foto auf, und weil eh alle ganz grundgeschockt und überzuckert sind, seit die Kalorienbombe in den Redaktionen eingeschlagen ist, schockt einige Pizza-Sonderbeauftragte dies nun umso mehr.

„Nun scheinen erste Bilder der Schoko-Kreation aufgetaucht zu sein“, schreibt das Münchner Boulevardblatt „tz“ in der Unterzeile, und diese Bilder seien „nicht sehr appetitlich“. Überschrift: „Schoko-Pizza: Schockierendes erstes Foto aufgetaucht?“ Absätze lang schwärmt die Autorin von der „wohl süßeste[n] Pizza aller Zeiten“, bei der einem „schon das Wasser im Munde zusammenlaufen“ kann, weil sie auf der Verpackung so „verführerisch“ aussehe.

Aber!

Ob die abgebildete Pizza allerdings die echte ist, daran mag man zweifeln.

Die Frau, die das schreibt, ist nur einen Tag bevor der Artikel erschien, zur Chefin des „Channel-Teams“ der Ippen-Gruppe ernannt worden. Sie verfasst und verantwortet dort nun „überregionale Inhalte für die Lifestyle-Ressorts der rund 50 Online-Portale“, die Ippen gehören, und sie hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Antworten des Tweets zu lesen. Dort steht längst, dass das Foto nicht die Schoko-Pizza von Oetker zeigt, sondern die des britischen Herstellers Goodfella’s.

(Ja, alle Pizza-Boten in den Redaktionen müssen jetzt ganz stark sein: Oetker hat diese Schoko-Pizza gar nicht erfunden! Echt. Die gibt es längst, sieht verblüffend ähnlich aus, heißt nur anders. Darauf einen Schnaps.)

Der Absender des Tweets sagt offen, dass er dieses und andere Fotos bei Reddit geklaut habe. So steht es sogar in seinem Profil. Er freut sich diebisch über die „Kreise, die das [Foto] gezogen hat“, aber auch das hat die neue Ippen-Redaktionsleiterin nicht gelesen. An ihrem neuen Job findet sie übrigens besonders spannend, „die Waage zwischen Online-Journalismus und Vermarktung, zwischen Kreativität und Strategie zu halten.“

Angesichts dieser irren Pizza-Geschichte kann man festhalten: Vermarktung und Strategie funktionieren in vielen Redaktionen offensichtlich prima. Irgendwer müsste mal den Gegenwert der Werbung ausrechnen, die Dr. Oetker hier frei Haus geliefert wurde – von Journalisten. Der Konzern, übrigens, will auch noch mal ganz regulär werben, mit einer Digitalkampagne und TV-Spots. Die kommen dann aber von einer Werbeagentur.

24 Kommentare

  1. Da steckt die Hacker-Armee von Putin hinter…
    Garantiert ein gesteuertes Ablenkungsmanöver!
    Als nächstes kommen die noch mit Spaghetti-Eis,jawohl.

  2. Hmm, und die MedienjournalistInnen, die den Hype auf der Metaebene thematisieren, mindern die den Werbeeffekt oder steigern Sie ihn noch?

  3. @2 Theo: Ich schreibe es immer wieder gerne in die Kommentare: Es ist ein Grunddilemma des Medienjournalismus, dass man Dinge benennen und im Zweifel zeigen muss, um sie zu kritisieren. Auch wenn man es so zwangsläufig reproduziert. Da kommt man leider nicht raus.

  4. Nun, ohne diesen Artikel und gefühlt 30x Nennung des Firmennamens, hätte ich bis jetzt noch nichts von diesem überflüssigen Produkt mitbekommen. Von daher kann sich die Bielefelder Puddingmafia auch bei Übermedien bedanken.
    @4.Boris Rosenkranz
    Das ist klar, aber muß man denn zwingend über Schokopizzen-PR berichten? Ich denke es gibt wirklich relevantere Themen im Medienbereich.

  5. Wäre die Ekelpizza hier nicht erwähnt worden, hätte ich garnischt davon mitbekommen. Gut so, völlig uninteressant. Da schmier‘ ich mir lieber Nudossi auf’s warme Toast, als solchen Dreck zu kaufen.

    Wenn’s nach mir ginge, hätte ein 3-Zeiler auch völlig genügt in der Art

    „Journalie bekloppt, lobpreist im Kollektiv und werbewirksam 1000 kcal Fertigpizza mit Schoko drauf. Insulin- und Antazidaproduzenten dürften sich erwartungsvoll die Händchen reiben.“

  6. Dass es kostenlose Werbung ist, finde ich weitgehend egal: Dies trifft auf quasi jeden (insbesondere lobenden) Bericht über Produkte zu.

    Kritisch finde ich „nur“, dass über etwas so belangloses so viel berichtet wird, aber auf der anderen Seite finde ich es auch verständlich, dass es Schenkelklopfbefriedigung erfüllt.

    Hilfreicher finde ich es, wenn ÜM nicht berichtet, welchen Belanglosigkeiten zu viel Platz eingeräumt wird, sondern welchen wichtigen Dingen zu wenig.

  7. Ich liebe die Themenvielfalt hier… Für meinen Geschmack genau die richtige Mischung aus süß, zartbitter bis feurig-pfeffrig.
    Danke für den Schoko-Exkurs, habe mich köstlich amüsiert.
    Darauf einen Schnaps!

  8. An dem Produkt ist wirklich nichts innovativ oder besonders. In Italien ist es gängig, sich zum Dessert eine Pizza alla Nutella zu bestellen (wird in der Gruppe geteilt). Dass das hier so einen Wirbel auslöst?!

  9. Interessant daran ist, das solcher Unsinn im Blätterwald raus und runter gebetet wird, während die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung keine Randnotiz wert wert ist.

  10. Es gibt ja auch Spagetti-Eis, Tofu-Wurst und Leberkäse.

    Was soll’s?

    Aber die Schlüsselwörter im obigen Text sind die sich zurücklehnenden Leute der PR-Abteilung von Oetker und der Orgasmus im Mund.

  11. Ich habe das mit der Pizza mitbekommen. Ich fand’s penetrant und hab mich in der Tat gefragt, warum man sich da als Journalist*in so vor den Karren spannen lässt.

  12. Mir würde es ja schon reichen, wenn man diese YT Videos nicht mehr „Reviews“ betiteln dürfte, sondern ganz klar als Werbung kennzeichnen müsste.
    Interessant in diesem Zusammenhang: Der Channel „Unbox Therapy“.
    Der Typ packt Artikel aus und macht davon Videos.
    Er hat es in ca. 2-3 Jahren geschafft, bei völliger Abwesenheit einer Wirbelsäule so unkritische Videos zu machen, dass man ihn mittlerweile als Testemoial bei HP einsetzt.
    Diese HP Werbung sieht dann aus wie eines seiner Videos, er führt darin einen Fake „Vergleich“ zwischen dem neuesten besten geilsten HP Teil und einem anderen Ding durch.
    Solche „Review“-Channels sind in erster Linie Karrieresprungbretter für Leute ohne Haltung.

  13. Dieser „Reissack“ Beitrag wäre mal ein Thema bei Übermedien wert … upps … sorry, mein Fehler. Dachte wäre auf Focus oder BILD. Deshalb auch keine „Klickhure“ im Beitrag. Mal gespannt wann es hier soweit ist. Sorry, aber Übermedien war eine gute Idee. Mittlerweile nur noch eine erzieherische, arrogante, künstlich vom BILDblog am leben gehaltene Plattform mit Blockwart Charakter.
    PS: Ich werde die Schokopizza auf jedenfall mal probieren.

  14. ..verblüffend, dass sich viele an den 1000 kcal aufhängen. Ne normale Pizza hat auch um die 900 +

  15. In Brasilien, oder zumindest in Sao Paulo, ist Schoko-Pizza als Dessert ziemlich bekannt, in verschiedenen Varianten. Hab das da mal bei einem Italiener gegessen, normaler Pizzateig ohne Tomatensauce und Käse, warm, mit Schokosauce und Schokostreuseln, nur ein Achtelstück mit einer Kugel Vanilleeis drauf. Andere Rezepte findet man im Internet, neu ist allenfalls, dass man die Pizza jetzt auch in deutschen Tiefkühlfächern findet. Ich denke als Mahlzeit für eine Person wird sich das (hoffentlich) nicht durchsetzen.

  16. #6 «Nudossi auf’s warme Toast» – Ich bin erschüttert und schlage ohnmächtig mit dem Kopf in meine selbstgemachte Mousse.

  17. Es geht doch nicht um die Schokopizza als solche. Es geht darum, daß unsere kurz vorm Aussterben stehende Mendienlandschaft sich um die allerwichtigsten Dinge des Lebens kümmert.
    Aber wenn ich die Menschemassen bei der Eröffnung des „neuen“ Apple-Stores in Köln sehe, wundert mich diese Entscheidung der Zeitungsmacher nicht.

  18. @17: Dann bleiben Sie doch einfach weg, wenn Sie es hier so scheiße finden.
    Oder tragen konstruktiv zum Thema bei, dann können Sie diesen „erzieherischen, arroganten“ Artikel immerhin noch durch Ihren sachlich fundierten und hilfreichen Kommentar aufwerten!
    Und guten Appetit.

  19. ich frage mich, was Journalisten, die sich in den vergangenen Jahren kritisch mit ihrem Berufsstand auseinandergesetzt haben und sich nun nach Kräften bemühen, wieder richtigen Journalismus zu machen, tun, wenn sie fast jeden Tag auf den Schwachsinn von Kollegen treffen, die sich völlig unbekümmert und scheinbar auch merkbefreit weiter im Boulevard-Dreck suhlen und/oder sich freiwillig vor die Werbekarren von Unternehmen spannen lassen um mit viel Getöse und Posaune Banalitäten in die Welt zu plärren.

    Ich glaube, ich würde entweder meinen meinen Kopf völlig resigniert gegen eine Wand schlagen, oder den dieser merkwürdigen Kollegen.
    Gegen deren Blödheit anzuschreiben erscheint mir inzwischen aussichtslos.

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