Höcke, Augstein und das „Denkmal der Schande“
Das Holocaust-Mahnmal soll „in der Mitte der wiedergewonnenen Hauptstadt Berlin an unsere fortwährende Schande erinnern. Anderen Nationen wäre ein solcher Umgang mit ihrer Vergangenheit fremd. Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist.“
Von wem sind diese Worte? Nein, nicht von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Sie sind von Rudolf Augstein, dem Gründer und langjährigen Herausgeber des „Spiegels“. Er schrieb sie in einem Kommentar, der am 30. November 1998 im Nachrichtenmagazin erschien.
Höcke hatte in seiner Dresdner Skandalrede am Dienstag ganz ähnlich formuliert: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“
Auf Twitter machte der Verweis auf Augsteins Artikel schon gestern Vormittag die Runde.
Höcke hat Rudolf Augstein gelesen https://t.co/DpqeHQ6a2R pic.twitter.com/A2aHiEO938
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 18. Januar 2017
Eine wirklich unangenehme Familie.
— Tobias Blanken (@Tobias_B) 18. Januar 2017
Zahlreiche Gesinnungsgenossen Höckes verwiesen seitdem genüsslich darauf, dass das angeblich so skandalöse Zitat des Thüringer AfD-Vorsitzenden bloß einen Gedanken und eine Formulierung des unverdächtigen, honorigen „Spiegel“-Herausgebers aufgriff. Das ließe die ganze Empörung lächerlich und unglaubwürdig erscheinen.
In den etablierten Medien findet sich zu dieser Parallelität bislang: fast nichts. Agenturen, Zeitungen, Online-Medien arbeiten sich an diesen (und anderen) Sätzen Höckes ab. Aber kaum jemand erwähnt den Elefanten, der im Raum steht und von dem ein Teil des Publikums längst raunend Fotos macht.
Augsteins Kommentar ist abstoßend. Er ist anmaßend, er redet die Mitschuld der Deutschen klein, und vor allem ist er antisemitisch. Dem Gedanken, dass das „Schandmal“ gegen das sich neu formierende Deutschland gerichtet sei, fügt er den Satz hinzu:
Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität.
Die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand – es sind Chiffren für die bösen, mächtigen Juden. Die wollen also nach Augsteins Lesart die armen Deutschen, die größtenteils gar nicht gewusst hätten, was zwischen 1933 und 1945 passierte, dauerhaft kleinhalten. Indem sie das tun, würden sie sogar wieder Antisemitismus produzieren: „Man würde untauglichen Boden mit Antisemitismus düngen, wenn den Deutschen ein steinernes Brandmal aufgezwungen wird.“ Wird der Mahnmal-Entwurf des Architekten Peter Eisenman verwirklicht, schrieb Augstein, „so schaffen wir Antisemiten, die vielleicht sonst keine wären, und beziehen Prügel in der Weltpresse jedes Jahr und lebenslang, und das bis ins siebte Glied.“
Auch das ist ein Klassiker des Antisemitismus: die Schuldumkehr. Die Juden sind daran schuld, wenn Menschen antisemitisch werden – hier, indem sie die Deutschen zwingen, sich ein monströses „Schandmal“ in die Mitte ihrer schönen neuen Hauptstadt zu stellen.
Dass die vielzitierte Stelle der Rede Björn Höckes ähnlich klingt wie das, was Rudolf Augstein vor fast 20 Jahren geschrieben hat, macht nichts an ihr besser. Augsteins Sätze waren auch damals schon ein Skandal – und wurden auch als solcher kommentiert. Höcke-Verteidiger tun so, als müsse sich der AfD-Mann für etwas kritisieren lassen, was dem „Spiegel“-Mann einfach so durchgehen gelassen wurde. AfD-Chef Jörg Meuthen behauptet: „Wer im politischen Spektrum links steht, kann genau das Gleiche sagen wie ein Vertreter einer konservativ-patriotischen Partei, man wird es Ersterem durchgehen lassen, während man Letzteren erbarmungslos und inhaltlich völlig undifferenziert als Inkarnation des politisch Bösen niederschreibt und -sendet.“ Er hat Unrecht.
Ignatz Bubis, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Juden, warf Augstein damals wegen seines Kommentars „latenten Antisemitismus“ vor. Der britische Publizist Georg Weidenfeld schrieb über Augstein: „Einige seiner Formulierungen schießen weit über das Ziel hinaus. Sie sollten gar nicht kommentiert werden.“
Und Josef Joffe kritisierte, dass Augstein als „treuester Feuerschutz-Geber“ Martin Walsers „bei solchen Gelegenheiten nachgerade zwanghaft in die Grabbelkiste antisemitischer Kode-Wörter greift. Wenn er von der ‚New Yorker Presse‘ und den ‚Haifischen im Anwaltsgewand‘ schreibt, vom ‚Schandmal‘, das in Berlin gegen das neue ‚Deutschland gerichtet ist‘, dann weiß jedermann sofort, wer gemeint ist. Nein, es ist nicht der Vatikan.“
Dies könnte man all den Höcke-Verteidigern entgegen, die meinen, mit einem schlichten Link ins „Spiegel“-Archiv der Kritik an der Rede des AfD-Mannes jede Grundlage entzogen zu haben. Aber dafür müsste man sich mit diesen Leuten oder jedenfalls der Tatsache, dass es die Parallelen zu Augstein gibt, zumindest auseinandersetzen. Vor allem der „Spiegel“ wäre da natürlich in der Pflicht, hat sich aber offenbar – wie die meisten Kollegen – vorläufig entschieden, dass es einfacher ist, das Thema einfach gar nicht zu erwähnen; als sei es nicht existent oder verschwinde praktischerweise durch Nichtbeachtung wieder.
Dabei hätte ein offener Umgang mit den offenkundigen Parallelen zwischen Höckes Rede und Augsteins Kommentar in keiner Weise eine Relativierung der Ungeheuerlichkeit der Worte des AfD-Funktionärs bedeutet. Höcke gebraucht ja nicht nur die Formulierung vom Mahnmal der Schande – die unter anderem in einer dpa-Überschrift zunächst so interpretiert wurde, als habe Höcke die Existenz des Mahnmals als „Schande“ bezeichnet. Höcke mag die Zweideutigkeit gern in Kauf genommen haben, als nachrichtliche Unterstellung ist die Interpretation aber unzulässig. Die Agentur hat sich später korrigiert.
Höckes Rede ist, wie Sascha Lobo auf „Spiegel Online“ zeigt, voller eindeutig rechtsradikaler Forderungen und Positionen. Wenn er eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordert, wenn er behauptet, die deutsche Geschichte werde durch die Erinnerung an den Holocaust „mies und lächerlich gemacht“; wenn er die Entnazifizierung nach 1945 zur „systematischen Umerziehung“ umdeutet und behauptet: „Man wollte unsere Wurzeln roden“. Und wenn er ruft: „Dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD.“ Einen vollständigen Sieg.
Es wird anlässlich Höckes Dresdner Rede wieder diskutiert, ob es richtig ist, dass Beobachter und Medien sich empören – oder ob man damit schon der Aufmerksamkeitsmaximierungsstrategie der AfD auf den Leim geht, die gerade auch auf solche Empörungsreflexe setzt. Eine so verräterische Rede wie die von Höcke in Dresden darf man nicht ignorieren. Empörung darüber ist nicht nur eine berechtigte, sondern auch eine notwendige Reaktion. Sie darf aber nicht reflexhaft sein; sie muss reflektiert sein. Und dazu gehört auch, sich damit auseinanderzusetzen, welche skandalösen oder skandalös klingenden Sätze Höckes in einer Tradition stehen, die leider nicht auf Rechtsradikale beschränkt ist, sondern auch unsägliche Aussagen von honorigen Leuten wie Rudolf Augstein umfasst.
Nachtrag, 17:45 Uhr. Auf „Spiegel Online“ erwähnt jetzt der bei dem Thema befangenste Mann der Welt die Sache: Jakob Augstein. Mit den Worten „wahrlich keine schönen Formulierungen“ tut er die antisemitisch klingenden Sätze seines Vaters ab.
Volle Zustimmung, Herr Niggemeier!
Höckes Rede ist ekelhaft und R. Augsteins Kommentar (v. a. der Passus mit der „New Yorker Presse“) war und ist es auch.
Wie Sascha Lobo schreibt: Niemand kann sagen, er oder sie wisse nicht, wes Geistes Kind zumindest Teile der AfD sind.
Guter Kommentar. Man könnte noch erwähnen, dass es sich sehr lohnt, sich selbst ein Bild und ein Ohr von der Rede zu machen (wie von anderen Auftritten von Höcke) und entsprechend sich das Video im Netz anzusehen. Da läuft es einem eiskalt den Rücken runter.
Ich stimme zu. Weder sollte man die Rede ignorieren, aber man muss auch nicht 5 Talkshows und 2 Brennpunkte dafür aufwenden – gut, morgen ist der 20. Januar, da wird der Penguin-Awareness-Day Höcke wohl aus den Nachrichten verdrängen, oder Trump.
Die Entnazifizierung nach 1945 „systematischen Umerziehung“ zu nennen finde ich aber nicht völlig daneben. Das war doch schon so gedacht und gegenüber der Zeit bis 45 auch eine Umerziehung, wenn auch von kurzer Dauer und zweifelhafter Wirkung.
Als Nicht-Zeitzeuge weiß ich jedoch wenig darüber.
Das Holocaustmahnmal, an dem ich vielleicht 10x im Jahr vorbeikomme und einmal mit der Ausstellung unter der Erde besucht habe ist für mich kein Mahnmal meiner/unserer Schande. Es ist für mich ein Mahnmal nicht selbst Schande auf mich zu laden. Die sehr nüchterne, geometrische Struktur erlaubt es jedoch sehr leicht seine Bedeutung zu ignorieren, wenn es einem gerade nicht passt.
Leider finde ich den Text nicht mehr, in dem mehrere andere Hauptstädte aufgeführt waren, die auch Mahnmale haben, die an die Schuld des eigenen Volkes gemahnen, sonst hätte ich ihn hier verlinkt oder zitiert. Jedenfalls ist die Behauptung der Einzigartigkeit auch falsch.
Gerade online gestellt worden: Jakob Augstein zum Thema.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-und-npd-hoecke-zeigt-gefaehrlichkeit-der-afd-kolumne-augstein-a-1130720.html
Klasse! Danke dafür, Herr Niggemeier. Lesenswert auch (außer der ebenfalls sehr guten Lobo-Kolumne): Die Leiden des Björn Höcke http://www.achgut.com/artikel/die_leiden_des_bjoern_hoecke
@Stefan Wagner / #3
Doch, „systematische Umerziehung“ ist völlig daneben, denn es diffamiert die Entnazifizierung als negativ konnotierte Indoktrination, als etwas Schlechtes und Verwerfliches. „Umerziehung“ wird etwa mit den „Umerziehungslagern“ in China, Vietnam etc. assoziiert. Heißt: Der Nazi Höcke findet die Entnazifizierung doof und strebt mit seiner „180°-Wende“ und seinem „vollständigen Sieg [aka „Machtergreifung“] der AfD“ eine Renazifizierung an.
Die Alternative zur Entnazifizierung (die gemessen an der Ausgangslage ja durchaus erfolgreich war) hatte übrigens Henry Morgenthau formuliert. Ob das den Höckisten* lieber gewesen wäre?
*Höcke spricht von verbliebenen „Luckisten“ (Anhängern von Bernd Lucke) in der AfD wie von opportunistischen Elementen, von denen die Partei gesäubert werden muss. Fand ich auch ein bemerkenswertes Detail.
Aus meiner Sicht besteht mitunter schon das Problem, dass Äußerungen, die bei AfD-Politikern bundesweit Aufsehen erregen und zu Recht scharf kritisiert werden, bei etablierteren Politikern eher einmal achselzuckend hingenommen werden. Folgende Äußerung des CSU-Landtagsabgeordneten und ehemaligen bayerischen Wissenschaftsminister Thomas Goppel schaffte es nur in die Regionalpresse: „Es soll nicht die ganze deutsche Geschichte davon abhängen, dass wir zwölf Jahre üblen Unfug gemacht haben.“
@7: Wärs eventuell möglich, in diesem Thema ohne Whataboutism auszukommen?
@8: Whataboutism ist eine Verteidigungsstrategie. Ich habe eingangs geschrieben, dass Höcke zu Recht kritisiert wird. Ich finde nur auch eine Äußerung wie die von Goppel empörend und würde mir auch darüber eine Debatte wünschen.
Abgesehen davon verstehe ich sowieso nicht, wie Höcke oder auch der zitierte Goppel darauf kommen, die deutsche Geschichte sei ohne die Nazi-Zeit besonders vorbildlich verlaufen. Die Verbrechen der Kolonialzeit in Afrika oder die zumindest Mitverantwortung für den ersten Weltkrieg sind auch nicht gerade Ruhmesblätter. Die Kulturgeschichte lasse ich mal außen vor, da haben wir zweifellos einiges zu bieten, die Namen sind bekannt.
Dieses seltsame Volk ist erst nach dem zweiten Weltkrieg vom Größenwahn geheilt worden. Das klingt unverdächtieger als das belastete „Umerziehung“. Einige sind aber leider immer noch oder schon wieder mit diesem Virus infiziert.
Ich begrüße alles Obige, sowie die Afd (auch in ihrer Höckemäßigkeit) und insbesondere Herrn Trump.
Wir politisieren uns.
Und werden lernen müssen, mit der neuen Kulturtechnik (das sog. Internetz) umzugehen (denn es wäre lächerlich zu behaupten, wir wüssten auch nur annähernd, was dies mit uns tut).
Der Eiter, der uns jetzt entgegenquillt, schwärte schon lange unten herum.
Nun liegt er da.
Und sprengt die Party.
Kein Smalltalk mehr.
So schrecklich das alles ist:
Es ist geeignet unsere Lernkurve steiler zu machen.
Augstein findet allerdings gerade klare Worte:
„Björn Höcke ist ein Nazi. Und in Dresden jubelt ihm ein Saal zu. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des von Deutschland begonnenen Zweiten Weltkriegs hält ein Nazi eine Nazirede und andere Nazis jubeln. Was ist die AfD? Sie ist eine Partei, die Nazis eine politische Heimat bietet.“[1]
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-und-npd-hoecke-zeigt-gefaehrlichkeit-der-afd-kolumne-augstein-a-1130720.html
Ich als SPD-Mitglied muss anerkennen, das Goppel sagte „… dass wir […] üblen Unfug gemacht haben“, was einerseits eine jenseits von Anstand und Geschmack liegende Verharmlosung ist, andererseits aber die Übernahme und Anerkenntnis der von uns Deutschen zu tragenden Kollektivschuld auch der Nachgeborenen ausdrückt. Da sind die Aussagen von Augstein und Höcke ein gänzlich anderes Kaliber!
Relativiert man nicht die Gefährlichkeit der Rechten, wenn man Linke und Rechte fröhlich durcheinander wirft aufgrund eines Beißreflexes?
Natürlich hat Höcke auf diese Skandal-Entwicklung von Anfang an spekuliert. Und es funktionierte. Jetzt kann er sagen: Warum regt ihr euch auf, der Rudolf Augstein hat das doch auch gesagt, und dem wurde anschließend sogar noch der Ludwig Börne-Preis verliehen.
Es ist richtig, dass Augsteins Kommentar und die anschließende Verleihung des Börne-Preises damals ebenfalls – von einigen wenigen – heftig kritisiert wurden (goo.gl/EgfwZp), aber niemand, glaube ich, hat Augstein in Leitartikeln einen Nazi genannt oder titelte gar „Er ist wieder da“. Auch die ausgiebigen Forschungen Lutz Hachmeisters zum Einfluss einer ganzen Reihe alter Nazis auf den frühen Spiegel (goo.gl/qBLEjX) haben nie zu einer veränderten Sicht auf den Spiegel-Gründer geführt.
Höcke wollte die AfD wohl erneut ins Gespräch bringen (angesichts wieder steigender Umfrage-Werte für die CDU), und das ist ihm auf perfide Weise gelungen. Die Medien fallen auf diese Strategie immer wieder herein.
Gestern sagte Heribert Prantl, man solle doch die AfD nicht übermäßig beachten, denn darauf lege sie es mit ihren gezielten Provokationen ja gerade an. Er sagte das ausgerechnet in seinem empörten TV-Kommentar über die AfD aus Anlass von Höckes lächerlicher Rede. Es fiel dem klugen Prantl leider nicht auf, dass er es war, der der AfD mit seinem Extra-TV-Kommentar übermäßig viel Aufmerksamkeit zukommen ließ.
Vielen Dank. An diese ekelhaften Aussagen von Rudolf Augstein muss – unabhängig von Höcke – gerade jetzt erinnert werden. Jetzt, wo der Spiegel sich und seinen Stammvater so ausgiebig beweihräuchert. Schön auch, dass Sie Herr Niggemeier, keinen Bogen um einen klaren Antisemitismus-Vorwurf gemacht haben. Und mei, der Augstein-Junior, der steht ja schon seit einiger Zeit in schönster Tradition seines Zieh- sowie des leiblichen Vaters. Wobei man fairerweise sagen muss, dass Martin Walser sich von seiner Paulskirchenrede wohl mittlerweile distanziert hat. Und diese war auch nur ein Bruchteil so abstoßend, wie Rudolf Augsteins Artikel. Walsers Rede konnte man immerhin mit viel Wohlwollen noch als Plädoyer für die Privatheit des Gedenkens interpretieren – bei Rudolf Augstein funktioniert das eindeutig nicht mehr.
Wieder ein rundum lesenswerter Beitrag.
‚Und Josef Joffe kritisierte, dass Augstein als „treuester Feuerschutz-Geber“ Martin Walsers…‘
Gute Erinnerung an die Höhen und Tiefen eines Trio infernale! Walser ist soeben wie Phönix aus der Asche auf Platz 1 der Liste der „500 wichtigsten Intellektuellen“ im Cicero aufgetaucht, ohne dass ich die geringste Idee hätte, was er denn jetzt so Tiefes schreibt, und warum das vergessen oder vergeben ist, was ihn damals so unglaublich umstritten gemacht hat. Heute gehört er jedenfalls wieder unbestritten zu den Gerechten, während Joffe verzweifelt Prozesse verliert und Augstein posthum zum geistigen Paten von Höcke wird.
Das geistige Leben in Deutschland ist schon ein irrer Reigen, ein Reigen der Irren, aber Höcke hat trotzdem keine Chance mehr, zum wichtigsten Intellektuellen aufzusteigen. Und das ist auch gut so!
Wurde der Augstein-Kommentar dazumalen als „Nazi-Kommentar“ bezeichnet? Wurde Anzeige wegen Volksverhetzung gegen ihn erstattet?
Ich vermute nicht.
Vielleicht gibt es ja doch Unterschiede in der Rezeption.
Gratulation an Herrn Höcke, dem es gelungen ist, die Diskussion in die ihm genehme Richtung umzulenken. Nun wird sein Satz gar in einem Atemzug mit Schmutzeleien des alten Augsteins genannt.
Dabei drängt sich einem beim Anhören von Höckes Rede fast der Verdacht auf, „Schande“ meine nur eines: den vollständigen Sieg verfehlt zu haben.
P.S. Wann dann doch eine andere Qualität besäße als Augsteins gestriges Gemaule.
Äh, worum geht’s hier eigentlich? Was genau will mir der Artikel sagen? Dass der Höcke ein Nazi ist? Dass der Augstein auch einer war? Oder dass Höcke kein Nazi sein kann, weil Augstein ja auch keiner war? Dass man Höcke nicht doof finden kann, ohne Augstein doof zu finden? Oder …
Ganz ehrlich: Ich verstehe die Intention des Artikels nicht.
Ist es unreflektiert – also unbedacht, gedankenlos -, wenn man die Äußerungen Höckes allesamt zum Kotzen findet, und es einem dabei völlig schnurz ist, ob irgendwer, und sei es der Augstein, vor zwanzig Jahren vielleicht schon mal was ähnliches gesagt hat?
Anders gefragt: Welches wäre denn eine reflektierte Reaktion? Die betreffende Aussage nicht zu kritisieren, nur weil Rechtsextremisten in ihrer Filterblase spöttisch Augstein zitieren könnten, was dann von Kolumnisten und Medienkritikern ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und dadurch erst in den Stand eines scheinbar ernstzunehmenden Argumentes erhoben würde?
Okay, ich merk’s gerade selbst. Der letzte Punkt ist tatsächlich heikel.
Ein sehr beeindruckender Kommentar. Danke dafür! Auch für die besonnenen Leserkommentare! Auch Sascha Lobos auf SPON!
Ich kann mich all dem geschriebenen ganzen Herzens anschließen. „Mahnmal der Schande“ kann man offensichtlich sehr konträr interpretieren und benutzen. Für mich ist das Denkmal auf jeden Fall eine Mahnung, solches Verbrechen nie mehr zu zulassen. Und für mich ist es auch ein humanistisches Zeichen, darauf hinzuweisen. Umso mehr erfüllt mich Abscheu, wie Höcke und auch „honorige“ Walsers und Augsteins dagegen anstinken.
Ich tat mich schwer, den beiden letztgenannten Respekt für ihre Lebensleistungen zu zollen, nachdem sie sich so geäußert hatten. Man sieht heute, was das für Trittbrettfahrer (Höcke) anzieht. Und das ist die wirkliche Schande für mich.
@8
Finde den Einschub zu Goppel nicht so ganz falsch, da keine Relativierung vorgenommen wird. Dass es (natürlich) einen Unterschied macht wer was in welchem Kontext von sich gibt, ist klar, dennoch kann man den Aufstieg der AfD nicht ohne die CSU betrachten.
Inhaltlich einwandfrei; ein kurzer Einwurf zum abgebildeten Beispiel für Höcke-Relativierer sei aber gegeben: https://twitter.com/Tobias_B/status/821635038009851904
Man hätte bestimmt auch einen richtigen Apologeten finden können.
Hoppla
@“Lügenpresse“:
Vielleicht haben Sie es vor lauter blindem Hass auf die Presse nicht bemerkt, aber es gibt auch Unterschiede in der Aussage und im Kontext. Höcke hat noch sehr viel mehr gesagt als diesen einen Satz.
@agorski: Ich habe den Twitterer nicht als Beispiel für einen Apologeten oder Relativierer genannt oder gemeint. Ich habe den ausgewählt, weil es einer der ersten war, der auf die Parallele hinwies.
„In den etablierten Medien findet sich zu dieser Parallelität bislang: fast nichts. […]
… unter anderem in einer dpa-Überschrift zunächst so interpretiert wurde, als habe Höcke die Existenz des Mahnmals als „Schande“ bezeichnet.“
Mhm. Und wieder mal frage ich mich: Liebe etablierte Medien, müsst ihr den Rechten denn wirklich SO viele Steilvorlagen geben, um sich als ungerecht behandelte Opfer zu gerieren? Einfach doof, sowas.
„Anderen Nationen ist dieser Umgang mit ihrer Vergangenheit fremd.“
Wenn andere Länder in ihren Hauptstädten also keine Denkmäler für ihre Opfer aufstellen, ist das ein Argument, ihnen nachzueifern?
Soll er doch auswandern, wenn’s ihm hier nicht gefällt.
Der Historiker Jäckel, Promoter des Mahnmals und einer der Eröffnungs- ‚Feierredner‘, entblödete (man muß es so sagen) sich sogar nicht der Aussage: „In anderen Ländern beneiden manche die Deutschen um dieses Mahnmal.“ Gute Nacht dann auch, kann ich dazu nur sagen.
@27 Höcke HAT das Denkmal als Schande bezeichnet. Die dpa war da durchaus präzise.
Geschrieben lässt der entsprechende Satz („Wir Deutschen sind das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“) zwei Interpretationen zu. So wie er ihn betont hat, allerdings nicht.
Im Übrigen hätte unser kleiner Hobbyhitler jede Zweideutigkeit von vornherein vermeiden können, hätte er vom „Denkmal einer Schande“ gesprochen. Tat er aber nicht. Dazu liebt er die permanente Holocaustverharmlosung zu sehr.
Bis vorletzte Woche konnte man im Martin Gropius Bau die Ausstellung „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ besuchen – ein Projekt des Direktors des British Museum Neil MacGregor (mittlerweile Humboldt Forum Intendant), der über einige Ausstellungsstücke eine BBC-Hörfunkserie produzierte und ein Buch schrieb, das in Großbritannien wie in Deutschland zum Bestseller wurde. Höcke hat das Buch gelesen und daraus die Vorlage zum inkriminierten Satz entnommen: „Jedenfalls kenne ich kein anderes Land, das in der Mitte seiner Hauptstadt ein Mahnmal der eigenen Schande errichtet hätte.“
Durch weglassen von „eigenen“ hat er seine Chance gesehen. Dieses Beispiel offenbart den modus operandi des völkischen Hetzers bei der Erstellung seiner zusammenkopierten Reden. Übrigens stehen in Wien gleich 2 solche Mahnmale.
http://www.chbeck.de/fachbuch/zusatzinfos/INH_MacGregorDeutschland_978-3-406-67920-9_1A_Leseprobe_klein.pdf
@13: Wenn „Unfug“ (Duden: „störendes Benehmen“) das Anerkennen von Schuld (es geht u.a. um sechs Millionen Ermordete) bedeutet, dann kann man das auch von Gedeons „gewissen Schandtaten“ sagen.
Dass der Bayerische Rundfunk nicht über die Äußerung von Goppel berichtet hat, hat dessen Informationsdirektor Thomas Hinrichs mir gegenüber übrigens unter anderem mit Goppels „untadeligem Ruf“ begründet. Ähnlich habe ich die Verteidigung von Oettingers „Schlitzaugenrede“ durch Poschardt in der Welt empfunden: Ein „Mann der Mitte“ dürfe so etwas schon mal sagen. Auch andere Medien haben damals eher über „Political Correctness“ als über Rassismus geklagt.
Meiner Meinung nach müssen sich alle Menschen gleichermaßen an ihrem konkreten Handeln (einschließlich Sprechakten) messen lassen – ob AfD oder „Mitte“.
@ Martin Huber, 13:
„…der von uns Deutschen zu tragenden Kollektivschuld…“
Die Idee einer „Kollektivschuld“ – gar noch von einer, die generationenübergreifend Unschuldige allein durch eine (zumeist nicht einmal frei gewählte) Gruppenzugehörigkeit schuldig macht – ist so archaisch und irrational wie diejenige eines nationalen moralischen „Kollektiv-Verdienstes“. Eine solche Redeweise legt nahe, dass ein Volk so etwas wie eine Art „kollektives Wesen“ („wir Deutsche“) sei, das besondere und überzeitliche Eigenschaften habe, die sich dann auf magische Weise auch noch auf alle seine „Teile“ übertrügen. Hier wird eine Einheit zwischen Volk und Volksangehörigen und zwischen den Volksangehörigen untereinander impliziert, gar noch über Generationen hinweg, die sich in einer nüchternen Analyse schlichtweg nicht aufweisen lässt.
Die Begriffe „Volk“ und „Nation“ werden durch das Kollektivschuld-Konzept also nicht etwa dekonstruiert (was aufs Dringendste notwendig wäre); vielmehr wird ihre Mystifizierung und „Aufladung mit Bedeutung“ weitergeführt. Zwar nicht im Sinne eines kruden Nationalismus, zugegeben; aber das ist auch nur ein halber Trost. Die Alternative zu „Wir Deutsche sind so toll“ lautet nämlich nicht: „Wir Deutsche sind alle kollektiv schuldig“. Die einzige vernünftige Alternative besteht vielmehr darin, den kollektivbildenden Term „wir Deutsche“ in solchen Sätzen zu hinterfragen.
Nur damit es nicht missverstanden wird:
Mein Kommentar (32) soll selbstredend nicht in Abrede stellen, dass ein Volk die Vergangenheit kritisch und ohne jede interessengeleitete Verzerrung aufarbeiten, die Opfer ehren und die Verbrechen anklagen soll. Deshalb ist auch nichts gegen Gedenkstätten zu sagen, im Gegenteil. Dies setzt aber nicht voraus, dass man Völker und Nationen (gewissermaßen) hypostasiert und sie wie Personen betrachtet, die als identische die Zeit überdauern und Verdienst und/oder Schuld beibehalten.
Selbstverständlich kann es eine generationsübergreifende Kollektivschuld nicht geben.
Und genau dort liegt Höckes Trick: Er impliziert seinen Anhängern, daß sie tatsächlich büßen würden.
Offensichtlich sind die Leute so frustriert, daß sie gar nicht merken, wie billig Höckes Manipulation ist (aber wann merken die Leute überhaupt was?)
Trotzdem, auf längere Sicht hat er bestimmt weder sich noch seiner Partei einen Gefallen getan.
Gute Gelegenheit für die Überlegung, Höckes Schäfchen in den richtigen Stall zurücktreiben zu können.
@ LLL #33
„Die Begriffe „Volk“ und „Nation“ werden durch das Kollektivschuld-Konzept also nicht etwa dekonstruiert…“
Das ist korrekt, eine sehr kluge Überlegung!
Es ist die negative Aufladung / Überladung des Konzepts Nation, die in Deutschland immer wieder Versuche nährt, sie in eine positive Überladung zurück zu wenden. Diesen durchsichtigen Versuch Höckes abzuwehren, kann nicht bedeuten, das Negativproblem zu leugnen.
“ (was aufs Dringendste notwendig wäre)“
Darüber gehen die Ansichten stark auseinander. Wer die Nation dekonstruiert (statt sie beispielsweise einfach zu entmystifizieren, von völkischer Primitivität zu befreien und tiefer zu hängen), riskiert auch die Demontage der Demokratie. Denn historisch betrachtet sind Nation und Demokratie als zwei Seiten derselben Medaille entstanden:
https://hintermbusch.wordpress.com/2016/06/27/demokratie-und-nation/
Auch die Praxis (z.B. der EU in den letzten 20 Jahren) zeigt, dass die Schwächung der Nationen leicht mit einem Verlust an Demokratie einhergeht. Genau das war mit dem Brexit eine der wichtigsten Debatten von 2016. Es handelt sich also keineswegs um eine deutsche Idee, die sich mit dem Verweis auf die deutsche Geschichte einfach demontieren ließe.
@EARENDIL:
Ich finde es albern, eine Maßnahme, je nach dem ob sie der politisch Verbündete oder der politische Gegner durchführt mal so, mal so zu nennen. Das ist antiintellektuell.
Es stigmatisiert statt aufzuklären.
Wenn es Gemeinsamkeiten gibt muss man sie benennen können. Wenn man, je nach dem ob es ein Freund ist oder nicht, mal von Essen, mal von Fressen redet, betreibt nicht Reflektion sondern Agitation.
Welchen Begriff statt Umerziehung schlagen Sie denn vor? Müssen wir auch Erziehungswissenschaften umbenennen, weil das Wort kontaminiert ist?
Wenn man dann auch noch wg. solcher Petitessen pädagogisch wird, und die Synchronisierung des Wortschatzes je nach politischem Lager einfordert verspricht sich m.E. auch ein wenig viel von einem gereinigten Wortschatz und unterschätzt die abstoßende Wirkung pädagogischer Haltungen (pc) generell.
Denkmäler, wenn sie gut sind, sollten zum Denken und Gedenken führen. Gerade deshalb ist das Holocaustdenkmal gut und gut da, wo es ist. Es stört die Höckes, weil dieses Denken das zu verhindern hilft, was die Höckes wollen.
Ich kann mich nicht mehr an das Augstein-Zitat erinnern. Es erfolgte wohl in der Debatte um die Entstehung des Holokaust-Mahnmals. Es ist nur 20 Jahre her. Es zeigt, auf welch fruchtbaren Boden die Höckescheiße fällt, nicht nur am rechten Rand, wo man aus den Quadern eine neue Reichskanzlei bauen will, sondern gar bis zum zweifelhaft linken Augstein.
Und genau das zeigt, wie notwendig dieses Mahnmal ist.
@ Andreas Müller:
„Wer die Nation dekonstruiert (statt sie beispielsweise einfach zu entmystifizieren, von völkischer Primitivität zu befreien und tiefer zu hängen), riskiert auch die Demontage der Demokratie.“
Ich stimme Ihnen – auch was den Rest angeht – durchaus zu! Vielleicht war meine Wortwahl etwas problematisch; die „Dekonstruktion“ sollte sich tatsächlich nur auf das „mythische“ Drumherum beziehen, nicht auf den sachlichen Kern.
Zwar könnte es natürlich auch Alternativen zum Nationalstaat geben; aber diese sind ihm nur dann vorzuziehen, wenn sie auch tatsächlich besser (und nicht etwa schlechter) funktionieren. Hierher gehört unter anderem auch, dass eine effektive demokratische Kontrolle der Herrschenden gewährleistet ist und die Regierten sich mitgenommen und „zu Hause“ fühlen. Dass die EU diesbezüglich nicht gerade glänzt und wohl auf absehbare Zeit auch nicht glänzen wird, ist in der Tat kaum bestreitbar.
Ich würde gerne noch etwas dazu sagen:
Ich glaube nämlich, dass Höcke bei „Denkmal der Schande“ die Schande durchaus nicht auf das Denkmal als Schandfleck bezogen hat, sondern als Denkmal als Ausdruck einer Schande.
Das macht es aber nicht besser, denn er kritisiert ja die Errichtung dieses Denkmals als Manifestation eines verlorengegangenen „Selbstbehauptungswillens“ eines (angeblich existierenden) „deutschen Volkes“. Er hält es also für ein Zeichen übertriebener Demut, der „Schande“ auch noch mit einem solchen Denkmal baulich dauerhaft Ausdruck zu verleihen.
Er sagt somit im Ergebnis. Es mag eine gewisse Schande gegeben haben, aber die war doch nicht groß genug, um nun derart demütig zu werden.
Ich finde das ist doch Problem genug, das man mit der Rede haben kann. Insofern findet er es eben ohnehin schändlich, dass dieses Denkmal existiert. Er hätte statt „Denkmal der Schande“ auch einfach „Denkmal“ sagen können. Die Aussage wäre die gleiche.
Jakob Austern hat das auch auf Twitter gemacht.
Es muss Augstein heißen, sorry!
@WOLFGANG MICHAL #15
Ich vermute, dass die Redaktion, hätte Prantl nicht zugesagt, jemand anderen gefragt hätte, insofern ist es kein performativer Selbstwiderspruch zu fordern, man solle Höcke und seine Provokationen nicht so stark beachten.
@LLL, #33+
Große Zustimmung, und eine Ergänzung: Die Rede von der deutschen Kollektivschuld schließt auch die Opfer ein weiteres Mal aus dem deutschen Volk aus, oder sollen Juden, Zigeuner, Kommunisten usw., soweit sie Deutsche sind, sich auch ihrer Kollektivschuld stellen?
@30 Michael Frey Dodillet:
„Geschrieben lässt der entsprechende Satz („Wir Deutschen sind das einzige Volk, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“) zwei Interpretationen zu. So wie er ihn betont hat, allerdings nicht.“
1. Dass das Zitat im gesprochenen Zusammenhang nur die „schlimmere“ Interpretation zulässt, sehe ich anders – S.N. offenbar auch, und der Großteil der berichtenden Medien (soweit ich die überblicke) auch.
2. Auch in Schriftform halte ich die „weniger schlimme“ Interpretation zumindest für naheliegender. Spielt Höcke mit der Zweideutigkeit? Wie so oft sicherlich ja. Aber ich halte es für unklug und vor allem unnötig, sich diesem „abstreitbaren“ Detail zu widmen, wenn schon die „weniger schlimme“ Lesart genug Anlass zu Kritik gibt und daneben die Rede noch (siehe Lobos Artikel dazu) so viele andere, unzweideutige Hässlichkeiten aufweist.
3. Angenommen Sie haben recht, und das gesprochene(!) Wort, wie Höcke es verwendet und gemeint hat, lässt wirklich nur Ihren Schluss zu – dann ist es im Zusammenhang einer primär schriftlich(!) geführten Diskussion immer noch zumindest unglücklich, weil der Wort-für-Wort-Abgleich durch den Wechsel auf die schriftliche Ebene (und eben nicht zuletzt durch den Verweis auf Augstein) Ausflüchte à la „jaja, wenn’s um die AfD geht, wird wieder alles schlimmstmöglich interpretiert und das Wort im Munde herumgedreht!“ ermöglicht. Längst nicht alle werden sich ja die Passage im Wortlaut anhören.
Klar ist es schön griffig und knackig, eine Meldung wie „Höcke bezeichnet Holocaust-Denkmal als Schande“ zu produzieren. Aber man tut sich damit für die Debatte mE keinen Gefallen und macht es sich unnötig schwer.
Besonders schlecht finde ich das vor dem Hintergrund, wie sowas von denen aufgefasst wird, die bislang nur so halb mit der AfD sympathisieren. Die „plausible deniability“ von vorgebrachten Nazi-Vorwürfen (im weitesten Sinn) ist ein immens wichtiger Baustein für die AfD, um solche Leute zu gewinnen. Da ist es nicht hilfreich, gerade solche Punkte, die relativ großes „Abstreit-Potenzial“ haben, so hoch zu hängen (und dabei die zweite Abstreit-Seite – Augstein – totzuschweigen).
@Maximillion: Danke.
Mein Gott, wäre das schön, wenn diejenigen, die Höcke so eifrig dadurch entlasten wollen, dass sie auf den zweideutigen Bezug des Wörtchens „Schande“ hinweisen, einfach zur Kenntnis nehmen würden, dass das an der tiefbraunen Aussagekraft seiner Rede nichts ändert. Aber diese Hoffnung wurde ja bereits enttäuscht. Es war vermutlich eine bewusste Zweideutigkeit Höckes, aber auch das ist nicht entscheidend. Worauf Maximillion völlig zu Recht und formvollendet hinweist. Trotzdem an alle Wohlmeinenden: Lest Euch einfach Maximillions Kommentar in #40 durch!
Ups, das Wort „trotzdem“ kann man getrost streichen
Hat hier eigentlich irgendjemand mal den ganzen Artikel von Rudolf Augstein gelesen? (Im Artikel von Jakob Augstein ist ein entsprechender Link)
Mag sein, dass der eine oder andere an der intellektuellen Anforderung gescheitert sein könnte, oder sich zumindest keine Zeit zum Verstehen gegeben hat.
Jedenfalls redet R. Augstein da über völlig andere Dinge und mit einer völlig anderen Zielrichtung als Höcke in seiner Rede.
Kontext ist wichtig! Gerade bei Zitaten.
AfD Logik:
Wenn Augstein auch was Antisemitisches gesagt hat, darf man Bernd Höcke nicht kritisieren.
Aber selbst Frau Kepetry hat ja gesagt: „Bernd Höcke ist mit seinen Alleingängen und ständigen Querschüssen zu einer Belastung für die Partei geworden“.
Selbstzerstörung eingeleitet?
@Dude: Oder Sie nehmen einfach den Link am Anfang dieses Artikels hier.
In dubio pro reo ist die weniger schlimme Interpretation immer noch schlimm genug.
Wenn Höcke kein Kollektivdenken verträte, könnte ihm ein Denkmal an Verbrechen, die vor seiner Geburt stattfanden, doch reichlich egal sein.
Schade, dass seine eigene Partei ihm teilweise schon kollektivfeindliches Verhalten vorwirft. (Wobei mir nicht klar ist, weil er sagt, was er denkt, oder weil er sagt, was die anderen auch denken?)
Ansonsten, nur weil ich vor zwanzig Jahren etwas ähnliches nicht kritisierte, darf ich Höcke heute auch nicht kritisieren? Ja sorry, Augstein war auch doof.
Es ist absolut richtig auf diese Punkte hinzuweisen und mal wieder ein weiteres Beispiel des Versagens unserer „Lückenpresse“. Also danke hierfür. Ich komme trotzdem nicht umhin auch hier Kritik zu üben. Sie sprechen Augsteins Kommentar an, doch eine weitere, m.E. wichtige Stimme zu Denkmal übergehen Sie, das von Peter Eisenmann, dem Architekten.
Dieser sagte: „Ich hoffe, dass dieses Mahnmal, mit seiner Abwesenheit von Schuldzuweisung, dazu beiträgt, über diese Schuld hinweg zu kommen. Man kann nicht mit Schuld leben. Wenn Deutschland das täte, müsste das ganze Volk zum Therapeuten gehen.“ (Quelle: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/interview-mit-mahnmal-architekt-peter-eisenman-es-ist-kein-heiliger-ort-a-355383.html)
Dies soll keine Rechtfertigung für die Augsteins Antisemitismus sein noch für Höckes (beunruhigendes) Spiel mit rechtsextremer Rethorik!
Doch es zeigt eine wichtige Sache auf, die meiner Meinung nach endlich in die öffentliche Debatte gehört. Wie soll eine Gesellschaft gesunden, die auf immer die Schuld vorgehalten bekommt?
Ich selbst, Jahrgang 1989, kann mich jeglicher Schuld am Holocaust freisprechen, bin mir der Gräuel des NS-Regimes und der Deutschen jener Zeit bewusst und dementsprechend sensibilisiert. Nicht zuletzt deshalb macht mir der wachsende Antisemitismus in Deutschland (besonders im links- und islamlischen Sprektrum) zunehmend Sorgen.
Ich behaupte nicht ich würde die Lösung kennen wie man dieses Problem auf angemessene Weise (weder vergessen noch übertreiben) löst. Doch ich denke ein es besteht ein Missverhältnis in der Beziehung der Deutschen zu ihrer Geschichte, das gelöst werden muss. Die Frage ist, ob es im öffentlichen und mit bedacht geschieht oder durch „steigenden Druck im Kessel“ plötzlich und unkontrolliert in die eine oder andere Richtung schlagen kann. Ich kann mich nur den Worten Eisenmanns anschließen und hoffe, dass wir irgendwann über diese Schuld hinwegkommen.
Ich halte es für eine schlechte Idee, die AfD und die verbalen Ergüsse ihrer Funktionäre nicht zu beachten. Wer würde sonst auf die vielen Widersprüche, geklauten verkrüppelten Zitate, Umdeutungen und den Sinn von Kontext aufmerksam machen?
@Dude
Ich fühle mich mit dem Augstein-Text überfordert, kann er nicht so einfach schreiben wie Höcke? Ich verstehe nur, er hat was dagegen, dass die Schande, die er und seine Zeitgenossen 1933-45 verursacht haben, jetzt als Mahnmal den zukünftigen Generationen aufgebürdet wird, und zwar als „steinernes Brandmal“. Weil das Mahnmal von außen, von ausländischen Juden, den deutschen aufgezwungen wird, befürchtet er dass deswegen Leute zu Antisemiten werden, womit die Juden an ihren Feinden selbst schuld wären. Irgendwie beklagt er auch allgemein, dass die Juden zu viel Einfluss hätten. Also ich kann verstehen, dass das als antisemitisch ausgelegt wird.
Wie kann das im Kontext anders gemeint sein?
@51
<>
Bitte nicht so dramatisch. Diese Gesellschaft gesundet ganz ausgezeichnet und bekommt seit Jahrzehnten keine „Schuld“ mehr zugewiesen. Es geht einzig und allein um die Frage, wie sie sich ihrer Vergangenheit bewusst ist und bleibt. Ein Mahnmal ist das Mindeste. Ich kann nur hoffen, dass das Gedenken nie aufhört.
Heute ist der 75. Jahrestag der Wahnsee-Konferenz. In nur anderthalb Stunden haben Heydrich, Eichmann, Freisler und 12 weitere Funktionäre die administrative Basis für die Vernichtung von (geplant) 11 Millionen Juden in Europa gelegt. Dann gab es ein leckeres Frühstück. Hinterher hat Eichmann mit Heydrich am Kaminfeuer Kognak getrunken und berichtet, dass er seinen Chef noch nie so gelöst und glücklich gesehen hat.
Wer 15 Minuten Zeit hat, mag sich den WDR 5 Beitrag dazu anhören. Er lässt einem das Blut in den Adern gefrieren: http://www1.wdr.de/mediathek/audio/zeitzeichen/audio-wannsee-konferenz-in-berlin-am–100.html
Ich habe keine Ahnung, wer dem Höcke bald mal eine aufs Maul haut. Aber lange kann es nicht mehr dauern.
@ Stefan Wagner:
„Die Rede von der deutschen Kollektivschuld schließt auch die Opfer ein weiteres Mal aus dem deutschen Volk aus, oder sollen Juden, Zigeuner, Kommunisten usw., soweit sie Deutsche sind, sich auch ihrer Kollektivschuld stellen?“
Ja, das ist auch so eine weitere kritischer Unstimmigkeit beim Denken in solchen kollektiven Kategorien. Aber alternative, aufgeklärtere und rationalere Konzepte, die der Wahrheit und der Gerechtigkeit die Ehre geben, fehlen irgendwie in der öffentlichen Diskussion (nach meinem Eindruck jedenfalls).
Das fängt schon an mit einer Frage wie der, ob die (alle?) heute lebenden Deutschen sich für die Verbrechen des dritten Reiches verantwortlich fühlen sollten; eine Frage, die zumindest in der veröffentlichten Meinung gerne bejaht wird (wurde?), während sie von der Mehrheit der Leute sie in Umfragen verneint wird. Nun, nach dem ansonsten eigentlich stets üblichen Sprachgebrauch kann man nur für ein Ereignis verantwortlich sein, auf das man irgendeinen Einfluss hat(te), und zu dem man so durch Tun oder unterlassen in irgendeiner Form (!) mit beigetragen hat. Daraus ergibt sich sofort folgende Konsequenz: Heute lebende Deutsche haben keine Verantwortung für die Verbrechen von damals, aber dafür, wie man heute mit den Verbrechen umgeht; ob man beispielsweise der Opfer würdig gedenkt, sie entschädigt, die Verbrechen verurteilt, lebende Täter der Gerechtigkeit zuführt usw. Doch selbst eine solch einfache Differenzierung scheint in der öffentlichen Diskussion kaum stattzufinden (zumindest nicht, soweit ich mich erinnere).
Allem Anschein nach hat man aber (auch) in der BRD lange Zeit so manche Nazi-Täter nicht angeklagt, und beispielsweise den Opfern von Massakern (etwa in Griechenland) selbst bescheidene Entschädigungen verweigert. Das ist nun auch nicht die Verantwortung aller (damals) lebenden Deutschen, aber schon die des deutschen Staates als (Rechts)subjekts. Und was Verbrechen vor der Nazi-Ära angeht – etwa in der Kolonialgeschichte – war und ist die offizielle deutsche Haltung wohl auch nicht gerade rühmlich. All dies wird aber auch nicht groß diskutiert in den Medien.
Ich frage mich manchmal, ob das Insistieren auf eine Verantwortung für Dinge, die man nie hat beeinflussen können (weil sie lange vergangen sind), nicht auch von der Verantwortung für Dinge ablenken soll, die man sehr wohl beeinflussen könnte oder hätte beeinflussen können…und ob hier nicht die Emotionalisierung einmal mehr eine vernünftige und redliche Haltung und Politik ersetzt.
Bei den ganzen Diskussionen muss ich an den Text eines österreichischen Satirikers denken, der eine ähnliche Diskussion um ein Mahnmal in Wien* so kommentierte:
„Sie ham ein Denkmal b’stellt.
Doch scheint der Platz verfehlt.
Denn die Vergangenhei(l)t
Die stört so manche Leut.
Der Krieg ist längst passé
Und tut keinem Mensch mehr weh.
Doch wer stellt schon seinen Schmutz
Gern unter Denkmalschutz?“
Zu Frage, wie Höcke seine Aussage gemeint haben könnte, gibt es einen interessanten Artikel im Sprachlos-Blog:
http://sprachlos-blog.de/denkmal-der-schande-hoecke-und-der-trick-mit-dem-genitiv/
* so viel auch zum Thema, die Deutschen seien die einzigen…
Oblomow begrüßt alles Obige.
@LLL, #55
Das kann man sich in der Tat fragen, aber mein Eindruck ist summa summarum der, dass Menschen, die auf unsere Verantwortung heute aufmerksam machen auch die sind, die sich für das Wachhalten der Erinnerung einsetzen während die, die die Vergangenheit gerne zudecken würden auch heutige Probleme nicht sehen wollen.
Ich selbst hatte aber auch eine Zeit zu knabbern. Als Jugendlicher neugierig und verärgert über die Tabuisierung, eine kurze, intensive Auseinandersetzung, schließlich Übersättigung und Genervtsein während ich heute gelassen feststellen kann, dass es mir ganz allein überlassen ist, wie sehr ich mich mit der Vergangenheit beschäftige.
Ich will nicht jeden undiplomatischen, ungeschliffenen Unmut verurteilen. Die Reaktion auf unangenehme Nachrichten, den Boten schlagen zu wollen, scheint ja eine anthropologische Konstante zu sein, kein bösartiger Sonderfall des deutschen Nationalcharakters. Von Amtsträgern erwarte ich allerdings einen reflektierten Umgang mit den eigenen Reflexen und denen möglicher Wähler.
Ich schätze Höcke hat hier ganz bewusst die Zweideutigkeit gewählt und sich in die Rolle des Anwalt der Abwehraffekte begeben. Schon das „gepflanzt“ und der Tonfall machen klar, was er vom Mahnmal der Schande hält.
Ich weiß ehrlich gesagt schon nicht, warum ich mich von einem Denkmal zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus beschämt fühlen sollte. Es ist schlicht und einfach eine Notwendigkeit, zu gedenken und eine Frage des Anstands. Ich fühle mich da in keinster Weise angegriffen. Ich freue mich über die Werke von Beethoven und Goethe, ganz ohne mir das zuschreiben zu müssen. Genausowenig schreibe ich mir die Taten der Nazis zu. Ich war einmal beim Schüleraustausch in Frankreich in einem Kinofilm, in dem es (sehr verkürzt) darum ging, dass die Jugend nie wirklich ihre Jugend genießen kann, weil früher waren die Nazis da, die die Party verdorben haben und jetzt (Ende der Achziger) Aids. Meine französischen Mitschüler haben mich ganz betreten angesehen und gemeint, dass das ja sehr unangenehm für mich sein müsse, das Gerede über die Nazis. Ich wusste überhaupt nicht, was die wollen, ehrlich gesagt. Wie soll ich mich da angegriffen fühlen? Ich habe gesagt, dass ich die Nazis genauso scheiße finde wie sie und den Film zwar doof fand, aber die Aussage nachvollziehen könne. Als wir in Geschichte zu diesem Thema kamen, ist mir allerdings aufgefallen, dass es zwar sehr viel um die Résistance ging, aber kein einziges Wort über Vichy verloren wurde. Ich fand das merkwürdig, hatten wir doch in Deutschland ein ganzes Jahr den Aufstieg der Nazis und die Folgen durchgekaut und auch den Widerstand dagegen. Für mich war es unverständlich, dass man einen wichtigen Teil der Geschichte ausklammert und damit versäumt, daraus zu lernen. Ich war und bin froh, dass wir das hier anders handhaben. Ich kann schlicht und einfach nicht verstehen, warum Leute sich offenbar angegriffen fühlen oder empfinden, es solle ihnen eine Schuld aufgehalst werden. Mir ging das nie so.
@Stefan Wagner, #58:
Die Leute, die „uns“ an die Vergangenheit erinnern wollen, sind auch „wir“. Meine Verantwortung ist, aus der Geschichte zu lernen, und ich lerne aus ihr, dass Gruppendrang und Kollektivismus das Problem sind, nicht die Lösung.
Ohne diese Dinge braucht man gar keinen Abwehrmechanismus.
Wie ich schon weiter oben schrieb, soll Höcke doch auswandern, in der Türkei z.B. gilt Vergangenheitsbewältigung fast als Verbrechen.
@Mycroft
Das kommt mir aber einerseits sehr grob vereinfacht vor, andererseits würde ich den Nationalsozialismus nicht als Kollektivismus bezeichnen.
Einen Kollektivismus ohne Minderheitenschutz halte ich auch für nicht erstrebenswert, aber als Kollektivismus würde ich nur eine Struktur bezeichnen, in der das Kollektiv bestimmt, was in der Nazizeit ja überhaupt nicht gegeben war.
Ich trage noch nach, den Link zu einem Posting mit anderen Städten, die Mahnmale ihrer Schuld aufgestellt haben: Fefes Blog .
Wolfgang Herles:
„Just am Tag des NPD-Verbots-Verbots lässt ein gewisser Höcke die Hosen herunter. Es ist nicht zu übersehen, was da lupenrein zum Vorschein kommt. Wenn der selbstermächtigte Geschichtslehrer der Nation jetzt zur NPD wechselte, würde sich niemand wundern. Ein Verbotsantrag gegen eine Höcke-NPD wäre aussichtsreicher gewesen, die Neo-Nazi-Truppe in diesem Fall wohl kaum als ungefährlich beurteilt worden. Solange die AfD Figuren wie Höcke nicht los ist, kann sie das Ziel vergessen, politisch heimatlosen Konservativen eine anständige Alternative zu sein. Dummheit? Wohl eher ein systemisches Problem. Deshalb wird sie Höcke vor dem Endsieg, äh, „absoluten Sieg“ auch nicht los.“
@59, Inga
„Ich weiß ehrlich gesagt schon nicht, warum ich mich von einem Denkmal zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus beschämt fühlen sollte. Es ist schlicht und einfach eine Notwendigkeit, zu gedenken und eine Frage des Anstands.“
Mir aus dem Herzen gesprochen. Danke!
In Augsteins Artikel geht es um ganz andere Sachen als bei Höcke.
Es geht um die Art des Gedenkens und um die Ausgestaltung des Mahnmals, um falsche routinierte Reue und nicht um die Überwindung derartiger Erinnerungskultur. Es gab damals eine hitzige Debatte um das Mahnmal und um die Künstler aus USA. Ich halte übrigens diese Begrifflichkeiten von Schandmal auch bei Augstein für völlig deplaziert bis teilweise antisemitisch. Aber die Darstellung in Stefan Niggemeiers Artikel halte ich für schwer verzerrt. Man sollte beide Augstein Artikel ganz lesen.
Hier Ausschnitte aus Augsteins damaligem Artikel rund um das Zitat – da meinen zwei nicht das Gleiche.
“
Auszüge:
Inzwischen werden, wie der ungarische Schriftsteller und ehemalige KZ-Häftling Imre Kertész vor kurzem in der „Zeit“ schrieb, „Holocaust-Produkte“ für den „Holocaust-Konsumenten“ entwickelt. In Ungarn, so lesen wir, ginge man mit dem „heiklen“ Thema anders um, dort würde „anders über den Holocaust geschwiegen“. Zu Recht fürchtet Kertész den „Chor von Holocaust-Puritanern, Holocaust-Dogmatikern und Holocaust-Usurpatoren“ und eine „Stilisierung des Holocaust“, die heute fast unerträgliche Formen angenommen habe. Sein Fazit: „Die Überlebenden müssen sich damit abfinden: Auschwitz entgleitet ihren mit dem Alter immer schwächer werdenden Händen.“
Und hier fordert Michel Friedman, 42, ehedem Mitglied des Bundesvorstands der CDU, etwas überheblich, man solle die deutsche Jugend in die Verantwortung für Auschwitz mit hinein nehmen. Das geht objektiv nicht, und dies zu fordern, ist er auch nicht der Mann. Möglich gemacht werden kann, daß an unseren Schulen und Universitäten Auschwitz nicht ausgeblendet, sondern eher herausgehoben wird. Auf Jahrzehnte hin läßt sich das aber nicht garantieren.
Wer Authentisches zu sagen hatte, hat es längst gesagt. Alle Versuche, Authentisches nachzubilden, und seien sie künstlerisch noch so wertvoll, sind reine Hilflosigkeit der Geschichte gegenüber, vielleicht sogar kitschig. Der Zeitzeuge Imre Kertész beispielsweise empfindet Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ als Kitsch und stellt fest, der Holocaust würde „auf jede mögliche und unmögliche Weise den Menschen entfremdet“. „Der Überlebende“, so Kertész, „wird belehrt, wie er über das denken muß, was er erlebt hat, völlig unabhängig davon, ob und wie sehr dieses Denken mit seinen wirklichen Erfahrungen übereinstimmt; der authentische Zeuge ist schon bald nur im Weg, man muß ihn beiseite schieben wie ein Hindernis.“
Wie man die deutschen Parteien kennt, wird das sogenannte Mahnmal vom Bundestag trotzdem beschlossen werden, obwohl es genügend Alternativen dazu gäbe. Michael Naumann, designierter Staatsminister für Kultur, hat sie aufgezeigt. Eine Denkpause, wie man sie sich bei den damals heftig diskutierten Ladenschlußzeiten gegönnt hat, wird sich der Bundestag in diesem weltweit kommentierten Fall aber nicht erlauben.
Nun gut, dann nur zu. Schafft einen Sammelpunkt für Hooligans aller Art in Berlin. Baut ein monumentales, künstlerisch ohnehin umstrittenes Steinfeld, „das bepinkelt und besprüht werden wird“, wie uns der keiner Nazi-Ideologie verdächtige Schriftsteller Johannes Mario Simmel voraussagt.“
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7085973.html
Passt ganz gut zu dem Augstein-Artikel. Dessen Schlusssequenz mit bepissen und besprühen findet sich Jahre später aktuell auf der ARD-Seite mit einem Bericht über Yolocaust.
„Die mehr als 2.000 Stelen als Massengrab? Das findet offensichtlich auch der Satiriker Shahak Shapira. Er ist es leid, dass Touristen dem Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas nicht den nötigen Respekt zollen und stattdessen über die Stelen hüpfen, auf ihnen picknicken oder sich auf der glatten Betonfläche in Yoga üben. Besonders geschmacklos kann es werden, wenn die Besucher dann noch ihre Smartphones für ein Mahnmal-Selfie auspacken, in die Kameras grinsen und das Foto beim Online-Dienst Instagram stolz mit der Bildunterschrift „Jumping on dead Jews @ Holocaust Memorial“ versehen.“
http://www.dw.com/de/yolocaust-greift-respektlose-mahnmal-besucher-an/a-37186335
Deutschland der einzige Staat, der seinen eigenen Schandtaten Denkmäler aufstellt, Höckes dreckige Lüge (Ergänzung zu Stefan Wagner @62
In ganz Kambodscha gibt es rund 80 Gedenkstätten, die an die Opfer der traumatischen Geschichte erinnern. Sie stehen an Plätzen, die historisch so stark belastet sind, dass sie nur mehr für eine Gedenkstätte in Frage kommen.
Mit einem kraftvollen „Nunca Más! – Nie wieder!“ hat Präsidentin Michelle Bachelet am Montag das neue „Museo de la Memoria“ in der Hauptstadt Santiago de Chile eröffnet. Das „Museum der Erinnerung“ ist den Opfern und dem Widerstand in der Zeit der Pinochet-Diktatur von 1973 bis 1990 gewidmet. 3.000 Menschen wurden damals ermordet und Zehntausende gefoltert.
„Gedenkstätte in früherem Folterzentrum in Argentinien eingeweiht“
https://amerika21.de/2015/05/122627/gedenkstaette-esma-buenos-aires
Auch in Washington D.C. steht ein Denkmal das als „black gash of shame“(„ein schwarzer Einschnitt der Schande“) diskutiert wurde und an die Gefallenen des Vietnamkriegs erinnert.
https://de.wikipedia.org/wiki/Vietnam_Veterans_Memorial
Vor der japanischen Botschaft in Seoul steht eine Statue zum Gedenken an die „Trostfrauen“ (Zwangsprostituierte)
1988 wurde ein Denkmal für Aborigines und Torres Strait Insulaner in der National Gallery of Australia in Canberra enthüllt.
Sklavendenkmal in Sansibar:
http://www.afrika-travel.de/galerie/tansania/tansania-sansibar-sklavendenkmal-in-stone-town-65.html
Kein Ereignis hat größere Auswirkungen auf die Geschichte Ruandas gehabt als der Bürgerkrieg von 1994. In einer Periode von 100 Tagen und unter dem wachsamen Auge einer Friedenstruppe der Vereinten Nationen ermordeten die Hutus systematisch über eine Million Tutsis. Die Völkermord-Gedenkstätte in Kigali ist ein Denkmal an einen der blutigsten Völkermorde der Weltgeschichte.
Das Hector-Pieterson-Memorial in Soweto, Südafrika, ist ein Mahnmal, das an die Opfer der Schülerproteste in Soweto des Jahres 1976 erinnert. Es steht in einer kleinen Parkanlage beim Hector-Pieterson-Museum.
Am 16. Juni 1976 demonstrierten etwa 15.000 Schüler friedlich gegen die Einführung von Afrikaans als Unterrichtssprache. Nachdem Polizeikräfte das Feuer auf die Menge eröffnet hatten, kamen zahlreiche Jugendliche ums Leben. Unter ihnen war auch der 12-jährige Hector Pieterson, der zur Symbolfigur der sich anschließenden Aufstände gegen das Apartheidsregime wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hector-Pieterson-Mahnmal
ERWINZK @ 53
„Weil das Mahnmal von außen, von ausländischen Juden, den deutschen aufgezwungen wird, befürchtet er dass deswegen Leute zu Antisemiten werden, womit die Juden an ihren Feinden selbst schuld wären. Irgendwie beklagt er auch allgemein, dass die Juden zu viel Einfluss hätten. Also ich kann verstehen, dass das als antisemitisch ausgelegt wird.
Wie kann das im Kontext anders gemeint sein?“
Mich hat das Augsteinzitat entsetzt, aber auch verwirrt. Ich habe seinen Artikel gelesen und noch mal nachgeforscht, weil mir das Mahnmal nicht gefällt und ich den Rest nicht mehr wusste. Jetzt erinnere ich mich:
Ich habe mich damals mit Grausen von dem Entstehungsprozess abgewendet, nicht wegen der Ästhetik sondern wegen der Cliquenwirtschaft, die sich mir über die Medien bot.
Damals tauchte das Wort „Opfergruppen“ massiv auf. Dieses Mahnmal sollten nur für Juden sein. Als wichtigste „Hauptopfergruppe“. Das widerte mich an und ich meine, dass dann viel später bei der Einweihung des Mahnmals für Roma deren Schmerz darüber auch gesprochen wurde. Ich finde diesen Denkmaltourismus wirklich unappetitlich.
Dann war da die Initiatorin des Mahnmals Lea Rosh, von Kohl getragen, keine Jüdin, die vehement die Sache in die Hand nahm und das Denkmal als deutsches Denkmal deklarierte. Den Einwänden deutscher Juden antwortete sie, dass es ein Denkmal für Deutsche sein sollte.
„Mit Kritikern ihres Vorhabens hatte Rosh eine Reihe von weiteren Kontroversen, so auch mit verschiedenen jüdischen Vertretern, wie Julius H. Schoeps, Rafael Seligmann und anderen. Unter anderem Eike Geisel sah bei den Vorgängen um das Denkmal eine Renationalisierung der Erinnerungskultur und beschuldigte Rosh, eine Vormundschaft über die toten Juden in Anspruch genommen zu haben.
„Natürlich ist es wichtig, dass die Juden zustimmen können, aber die Auslober sind der Bund, das Land und wir. Ich habe dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats, Heinz Galinski, gesagt: ‚Halten Sie sich da raus, die Nachkommen der Täter bauen das Mahnmal, nicht die Juden. Aber es wäre schön, wenn Sie nicken könnten.‘ Galinski sagte, er werde nicken.“
– Lea Rosh“
https://de.wikipedia.org/wiki/Lea_Rosh
Der Comedian Oliver Polak sprach 2008 mit FOCUS Online über sein erstes Buch und die schwärzeste Seite jüdischen Humors.
„Polak: Offizielle TV-Juden wie Lea Rosh haben es wohl noch nicht gelesen.
FOCUS Online: „TV-Juden“?
Polak: Ich finde es schon sehr fragwürdig, wenn Amelie Fried plötzlich entdeckt, dass Ihr
Großvater Jude war und damit durch alle Talkshows tourt. Und wenn Iris Berben sich nach dem ersten Glas Wein für die Wiedergeburt von Oskar Schindler hält. Wir Juden können für uns selber sprechen, da brauchen wir keine Iris Berben oder Lea Rosh …
FOCUS Online: …. die Mitinitiatorin des Holocaust-Mahnmals in Berlin …
Polak: … die ist echt ein schräger Vogel.
FOCUS Online: Wieso das?
Polak: Die wollte doch die Zähne eines jüdischen KZ-Häftlings in einer der Stelen am Holocaust-Mahnmal einmauern lassen. Außerdem ist sie keine Jüdin. Ich weiß nicht, was ihr Auftrag ist, aber es ist ein sehr fragwürdiger.“
http://www.focus.de/kultur/buecher/tid-12163/literatur-lea-rosh-ist-echt-ein-schraeger-vogel_aid_341423.html
Was nun der alte Augstein in diesem Kontext alles mit seinen Andeutungen gemeint hat, wo er genau stand und was dann antisemitisch war, bleibt mir bei all diesem widersprüchlichen Tohuwabohu im Angedeuteten. Das Zitat stößt mich ab. Aber der oben geschilderte Sachverhalt mit seinen chauvinistischen Elementen, der noch viel weitere Kreise zog, stößt mich noch mehr ab.
Und deshalb habe ich heute Nacht mit dem weiteren Recherchieren wieder aufgehört.
Jakob Augsteins lapidaren Harmlos-Sätze finde ich inhaltlich grob richtig, aber peinlich. Er hätte differenzierter antworten müssen.
@Stefan Wagner, #61+62:
Hitler hat massiv an Nationalstolz und Wir-Gefühl appelliert, und war sehr erfolgreich bei Wahlen damit; dass er damit sich und sich meinte, macht die Sache nicht besser.
Was Fefes Denkmalliste betrifft: Jaaa, ein Denkmal für Vietnam-Veteranen ist ja ganz nett, aber gibt’s in Washington auch eines für die vietnamesische Opfer? Das Ding hieß ja Vietnamkrieg, nicht USA-Krieg.
Die Briten stiften Gandhi ein Denkmal, hurra. Als gute Sportsmänner und -frauen widmen sie dem ein Denkmal, der sie besiegt hat. Und nicht denen, die sie besiegten. Was machen eigentlich die tasmanischen Ureinwohner gerade so?
Und die Russen haben „sogar“ ein Stalin-Opfer-Denkmal. Denkt dran, liebe Russen, egal, wie schlimm ihr andere Eurer Staatsoberhäupter haltet, Stalin war schlimmer.
Ganz ohne Sarkasmus, das Holocaustdenkmal muss sein, wenn Höcke damit ein Problem hat, ist er selber Schuld, wenn andere Leute keinerlei dergleichen Denkmäler haben, spricht das gegen die anderen Leute, und wenn andere Leute doch solche Denkmäler haben, ist das eher ein Argument, es besser zu machen, anstatt es bleiben zu lassen.
In diesem Zusammenhang eine beunruhigende Frage am Rande: Ist Björn Höcke Studienrat für GESCHICHTE und Sport und übt er diese Tätigkeit aus?
@Döhmann-Rohwold, #69:
Ja und nein –
„Bis zu seinem Einzug in den Landtag war er als Oberstudienrat (Besoldungsgruppe A 14) an einer kooperativen Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe, der Rhenanus-Schule im hessischen Bad Sooden-Allendorf, tätig.[3]“
Quelle:
https://de.wikipedia.org/wiki/Bj%C3%B6rn_H%C3%B6cke#Herkunft.2C_Studium.2C_berufliche_T.C3.A4tigkeit_und_Familie
Puuuhhh… bei dem wollte ich nicht Sport haben.
@ 69:
Wenn die Information in dem folgenden Link stimmen, dann können Sie da viel erfahren über B. Höckes Lehrerlaufbahn und seine möglicher Weise parallel begonnen politischen Aktivitäten bzw. sein „Umstieg“ in die Politik. Das was A. Kemper da gesammelt hat, klingt jedenfalls sehr schlüssig und ist vielleicht auch für andere interessant, die mehr gern über den Höcke und seine Gedankenwelt erfahren wollen (da gibt es auch noch mehr Artikel zu den Einzelheiten). Mich würde übrigens wundern, wenn man all das im AfD-Vorstand noch nie gehört haben sollte, aber manchmal passiert ja auch wundersames:
https://andreaskemper.org/2016/01/09/landolf-ladig-ns-verherrlicher/
@ Maximillon
Danke für den Hinweis, dem – wenn er es ernst meint(e) – der Verfassungsschutz Hessen nachgehen müsste, so deutlich wie hier Nazi-jargon und -ideologie greifbar sind.
…der Verfassungsschutz Hessen nachgehen müsste, guter Witz. Sagt Ihnen der Name Temme etwas?
Herr Niggemeier ist also „empört“ über die „Ungeheuerlichkeit“ Björn Höckes Worte.
Zu viel mehr als den übrigen Aufgeregtheits-Floskeln reicht es im Text leider nicht.
Zudem erschließt sich mir nicht „vollständig“, warum Sascha Lobo – bei SPIEGEL.DE zuständig für „Internet und Markenkommunikation“ – plötzlich Holocaust- und AfD-Experte ist.
Link:
http://truthhhhhh.blogspot.de/2017/01/schmierfink-des-tages-stefan-niggemeier.html
@74, „Ben Truth“:
Mein Vorschlag: Sie sollten besser einen Blog mit Audio-Kommentaren machen. Ihre Schreibstil reicht bestenfalls für eine Schülerzeitung (damit meine ich noch nicht einmal „Stefan Niggemeier findet dem Holocaust schlimm“), allerdings sollten Sie deswegen nicht länger im Geschichtsunterricht fehlen.
Nichts gegen eine ordentliche rechte Gesinnung, falls Sie das so sehr erfüllt – aber dann bitte mit etwas mehr Niveau.
@Schnellinger #73
„Sagt Ihnen der Name Temme etwas?“
Das war doch dieser VS-Mitarbeiter, der auf dem Kirschbaum stehend von Panorama einen so wunderbaren Persilschein erhalten hat? Dieses feine Stück Weißwaschung kann man sich hier noch geben:
http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2012/Nazi-Morde-Hessischer-Verfassungschuetzer-beteuert-Unschuld,panorama4077.html
Wenn Anja Reschke das so überzeugt vorträgt, dass Temme nicht im braunen Sumpf steckt, dann wird das schon stimmen. Oder etwa nicht?
DER SPIEGEL hat immerhin in seiner aktuellen Ausgabe diesen Text in seiner Rubrik „Rückspiegel“ zitiert (https://magazin.spiegel.de/SP/2017/4/149131169/index.html?utm_source=spon&utm_campaign=centerpage).
Müller, das Sie nichts von dem verstehen was Reschke sagt wundert hier niemanden.
Sie sind ein Toll.
@ Schnellinger
„das Sie nichts von dem verstehen was Reschke sagt“
Alles reiner Zufall….Höchst private Gründe. Jeder kann in dem schlichten Beitrag sehen, dass die forsche Frau Reschke einen Staatsdiener mit Hintergrund und den Staat entlastet. Staatsschutz auf links-kritisch.
„Sie sind ein Toll.“
Toll, dass Sie das erkannt haben.
Es gelingt Ihnen nicht, den vermeintlichen Unterscheid zwischen dem „Schandmal“ von Augstein und Höcke herauszuarbeiten. Es gibt keinen, wie auch.
Hm? Ich hab gar nicht versucht, den vermeintlichen Unterschied herauszuarbeiten. Im Gegenteil, ich schreibe von „offenkundigen Parallelen zwischen Höckes Rede und Augsteins Kommentar“ und schreibe über Augsteins Kommentar: „er ist anmaßend, er redet die Mitschuld der Deutschen klein, und vor allem ist er antisemitisch“.
(Ts. Leute, die den Text lesen, den sie erwarten und nicht den, der da steht)
Schon ca.1948 sprach ein Richter davon das KZs als DENKMÄLER DER SCHANDE erhalten bleiben sollen.
Im Jahre 2000 hies es von verschiedenen Politikern unterschrieben:,Denkmäler der Schande und der Trauer, des Stolzes und der Freude sind notwendige Grundsteine des neuen Deutschland und der neuen Bundeshauptstadt.‘
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/031/1403126.pdf