Notizblog (20)

Warum die Geschichte von Cora Schumacher nicht nur etwas für den Boulevard ist

„Spiegel“-Artikel über Cora Schumacher: Das Covergirl
Ausriss: „Spiegel“

Im aktuellen „Spiegel“ steht die Geschichte einer „toxischen Abhängigkeit“, und das ist fast schon ein Grund, sie nicht zu lesen. Seit einigen Jahren wird das Wort „toxisch“ inflationär gebraucht, es geht nicht mehr um giftige Chemikalien, sondern um toxische Menschen, toxische Narrative, toxische Beziehungen; alles wird für toxisch erklärt, oft ohne die jeweilige Situation wirklich zu erklären oder wenigstens den Begriff.

Die „Spiegel“-Geschichte, in der von einer „toxischen Abhängigkeit“ erzählt wird, handelt von Cora Schumacher und ihrem Ex-Mann Ralf, aber das ist nicht die zentrale toxische Beziehung darin. Die eigentliche toxische Beziehung, von der die Geschichte handelt, das ist die von Cora Schumacher zur Öffentlichkeit.

Das eine lässt sich natürlich vom anderen schwer trennen; man kann die Geschichte darüber, wie jemand sein Privatleben öffentlich verhandelt, nicht erzählen, ohne sein Privatleben öffentlich zu verhandeln. Und so hat die „Spiegel“-Geschichte viel Kritik, Wut und Spott ausgelöst, weil das Nachrichtenmagazin sich mit ihr scheinbar auf das Niveau der Boulevardpresse begibt und sich klick- und aufmerksamkeitsträchtig in den Mittelpunkt einer Schlammschlacht befördert.

Sollten Fragen wie die, wann in der Beziehung zwischen dem früheren Rennfahrer und seiner früheren Ehefrau wer wem was vorgemacht und welche Verletzungen ausgelöst hat, wirklich die „Spiegel“-Leserschaft interessieren? Gibt es dafür nicht genug darauf spezialisierte Fachorgane von „Bild“ bis „Bunte“, die die Äußerungen, die Cora Schumacher gegenüber dem „Spiegel“ gemacht hat, auch gleich begierig weitergetragen und weitergedreht haben?

Ja, natürlich. Und doch ist die Tatsache, dass der „Spiegel“ diese Beziehung auch auf einer Meta-Ebene verhandelt, auf der Suche nach der Rolle der Öffentlichkeit darin, nicht bloß eine Behauptung und ein Trick, um den Abstieg in die Niederungen des Boulevards vor sich und den Leserinnen und Lesern rechtfertigen zu können. Die toxische Abhängigkeit Cora Schumachers von der Öffentlichkeit ist ein faszinierendes Thema auch für Leute (wie mich), die sich ungefähr gar nicht für die Beziehung zwischen diesen beiden Menschen interessieren – gerade weil es eine Abhängigkeit ist, an der nicht nur Cora Schumacher leidet und die im Social-Media-Zeitalter das öffentliche Leben vieler mehr oder weniger prominenter Personen zu prägen scheint.

Der Wunsch und die Notwendigkeit, vorzukommen

Der „Spiegel“ schreibt:

Die Geschichte von Cora Schumacher ist auch die einer toxischen Abhängigkeit. Sie zeigt, wie schwer es ist, sich einfach zurückzuziehen, wenn man einmal im öffentlichen Leben gestanden hat. Wie groß einerseits der Wunsch ist vorzukommen, stattzufinden, gehört zu werden, wie er zur Gewohnheit werden kann. Wie groß andererseits aber auch die Notwendigkeit ist, sich immer wieder zu Wort zu melden, wenn man nicht die Kontrolle über das eigene Bild ganz verlieren möchte.

Das ist, vermeintlich, ein Luxusproblem. Es lässt sich leicht abtun: Niemand hat Cora Schumacher gezwungen, ihr Leben öffentlich auszustellen, sie hat das so gewollt, sie sagt es selbst, es hat ihr viele Vorteile gebracht.

Aber das ist das Wesen einer toxischen Beziehung, dass man sich selbst freiwillig immer wieder auf sie einlässt, dass man sie braucht, obwohl sie einem nicht guttut. Und deshalb ist das Bild von der „toxischen Abhängigkeit“ von der Öffentlichkeit kein weiterer Über-Gebrauch dieses Begriffs, sondern eine erstaunlich treffende und erhellende Beschreibung, nicht nur für Cora Schumacher. Wenn man versuchsweise eine Liste von „Merkmalen für eine toxische Beziehung“ durchgeht, findet man erstaunlich viele Punkte, die sich übertragen lassen auf dieses Verhältnis zwischen dieser Art sich ausstellender Prominenten und der Öffentlichkeit, insbesondere auch in den Sozialen Medien: die anfängliche Überschüttung mit Zuneigung, die extremen Höhen und Tiefen, das Ständig-kritisiert-Werden, die Grenzüberschreitungen, das Gefühl von Isolation. Cora Schumacher spricht gegenüber dem „Spiegel“ vieles davon an.

Größere Teile der Öffentlichkeit, der Nutzer sozialer Medien und der klassischen Medien, leben von dieser toxischen Beziehung und schlachten sie aus. All die und wir sind in einer ungleich mächtigeren Position: Es geht nicht um uns, unser Leben, unsere Persönlichkeit, unser Selbst. Wir können urteilen und beobachten, wir können mit Empathie oder Häme reagieren, und wenn es uns zu viel wird oder zu öde, können wir unsere Aufmerksamkeit einfach auf andere Themen oder Menschen richten. Es lohnt sich, das bewusst zu machen. Deshalb ist der Versuch des „Spiegel“ wertvoll, solche toxischen Beziehungen zu beschreiben, die ganzen Mechanismen und Verletzungen, auch wenn er spätestens mit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung notgedrungen kein distanzierter, unbeteiligter Beobachter mehr ist, sondern Teil des Problems.

Dem „Spiegel“ ist es auch nicht gut gelungen (falls er es versucht hat), aus dem Thema kein Rührstück zu machen, mit Passagen, in denen die Autoren Marc Hujer und Juliane Löffler schildern, wie Cora Schumacher ihren Hund mit „hypoallergenen Leckerlis“ von einem „Esstisch aus Holz, den sie mit silbernem Autolack überziehen ließ“, füttert und irgendwann vor einem Berg vollgeweinter Taschentücher sitzt.

Seine Sexualität ist nicht das Problem

Das ist auch deshalb problematisch, weil der Grund, weshalb sich Cora Schumacher beim „Spiegel“ ausheult und der den Anlass für das ganze Gespräch bildet, das Coming-Out von Schumacher ist: Vor drei Wochen hat er sich in der Öffentlichkeit mit seinem Lebensgefährten gezeigt. Auch dafür bekamen Cora Schumacher und der „Spiegel“ in den Sozialen Medien Prügel: Dass sie es, vermeintlich, so darstellten, als sei die Homosexualität eines Menschen ein Elend und etwas, das ihr Umfeld in Unglück stößt.

Dieser Eindruck ist tatsächlich ein Problem, aber man muss den Text schon sehr oberflächlich lesen (oder gar nicht), um den Eindruck zu bekommen, dass Ralf Schumachers Sexualität hier das Problem ist. Die Probleme, die Cora Schumacher schildert, sind: dass er sie angeblich nicht vorgewarnt hat, bevor er seine Partnerschaft öffentlich gemacht hat, dass er nicht offen mit ihr darüber geredet hat, dass er nicht verhindert hat, dass ihre Ehe jetzt als eine Art Scheinehe dasteht, selbst wenn sie das womöglich nicht war. Und natürlich ist es ein Problem für sie, dass sie jahrelang öffentlich dafür gebürgt hat, dass er nicht schwul ist, was er selbst auch immer wieder beteuerte.

Es sind ernsthafte, nachvollziehbare Verletzungen, die da passiert sind, und Probleme, die nichts damit zu tun haben müssen, dass irgendwer Homosexualität an sich als Problem sieht. Und alles wird unerträglicher dadurch, dass es öffentlich ausgetragen wird, auch wenn das fast unvermeidlich scheint.

Er soll ihr Bild klarstellen

Die Beziehung zwischen Cora und Ralf Schumacher war von Anfang an eine öffentliche Beziehung: Einerseits wurde sie als Vorzeigefrau gefeiert, andererseits gab es offenbar immer schon üble Gerüchte darüber, dass sie von Schumachers Manager nur als Prostituierte engagiert worden sei, um den heterosexuellen Schein aufrechtzuerhalten – so schildert es der „Spiegel“. Sie dementiert das unmissverständlich (in der „Spiegel“-Erzählung allerdings aber erst nach vielen Absätzen), aber sie macht Ralf Schumacher auch Vorwürfe, dass er bis heute nichts unternommen habe, „um mein Bild in der Öffentlichkeit klarzustellen“, „bei all diesem Hohn, diesem Spott, diesen bösartigen Gerüchten über mich“.

Die „Spiegel“-Geschichte handelt davon, wie es überhaupt möglich ist, erst eine Beziehung unter diesem extremen Blick der Öffentlichkeit zu führen und dann eine Ex-Beziehung. Dieses Thema seriös in der Öffentlichkeit zu verhandeln, ist wahnsinnig schwer. Das liegt zum einen daran, dass wir alle – und womöglich auch die „Spiegel“-Journalisten – vermutlich nicht die ganze Geschichte kennen, was wirklich alles zwischen diesen Personen vorgefallen ist und was sie juristisch öffentlich überhaupt sagen dürfen.

Zum anderen liegt es daran, dass es im Kern eben doch um zutiefst Privates geht: Ob Ralf Schumacher schwul ist oder bisexuell, ob er sich verändert hat im Laufe der Zeit oder ob sich vor allem die Umstände geändert haben, das geht uns als Publikum nichts an, wenn er es selbst nicht öffentlich machen will. Aber dadurch, dass es diese extrem öffentliche Ehe gab und nun das Coming-Out, entsteht plötzlich eine Leere, die mit Fragen gefüllt ist. Und mit Cora Schumacher, die anscheinend das Gefühl hat, darin verloren gegangen zu sein, die Kontrolle verloren zu haben, machtlos zu sein. Schon wieder.

Und die sich mit dieser Botschaft an die Öffentlichkeit wendet. Schon wieder.

Der „Spiegel“ schildert, wie sie anfangs, noch in der Beziehung mit Ralf Schumacher, ein Image als „sexy Cora“ bediente, zu dem sie sich habe „verführen lassen“, und wie gut es ihr getan habe, „weil von mir Notiz genommen wurde. Ich habe stattgefunden, es wurden teilweise schöne Sachen gesagt.“ Was für traurige Sätze.

Sie habe damals ihre alten Kontakte verloren und das Gefühl gehabt, am „echten Leben“ wegen ihrer Prominenz nicht teilhaben zu können. Später ging sie immer wieder ins Reality-TV, zeigte sich nackt auf OnlyFans, erzählte von ihrem Privatleben und offenbar auch von seinem.

Sie ist ganz sicher nicht unschuldig an ihrer Situation, aber das sind wir als Publikum auch nicht.

Man möchte ihnen zurufen: Lasst es!

Man muss diese Karriere nicht im Detail verfolgt haben, um in ihr viele ähnliche Karrieren erahnen zu können. So viele Leute, die man in irgendwelchen Fernsehformaten sieht wie sie um Aufmerksamkeit betteln, weil es eine Währung ist, bildlich gesprochen und tatsächlich, und wie sie immer wieder zeigen wollen, wie sie „wirklich“ sind, und denen man durch den Bildschirm zurufen will: Lass es, geh raus aus der Öffentlichkeit, es wird nichts helfen und macht alles nur noch schlimmer! Hör auf, Instagram-Kommentare zu lesen, und vor allem: Versuch, dich nicht davon abhängig zu machen, was Leute von dir denken!

Und man hätte ihr auch gern zugerufen: Sprich nicht mit dem „Spiegel“, selbst wenn es eine bewusste Entscheidung war, nicht alles in einem typischen Boulevardmedium zu erzählen, wo es vermutlich sogar Geld dafür gegeben hätte. Und selbst wenn es eine bessere Entscheidung war, als die – um nur eine zu nennen – sich im vergangenen Jahr noch mal öffentlich mit jemandem wie dem bösen Liebesclown Oliver Pocher einzulassen.

Auch der „Spiegel“ als Medium der Wahl ändert nicht viel; das Gespräch hat, wie zu erwarten war, nur eine neue Runde eingeleitet in der Schlammschlacht mit ihrem Ex-Mann, einem öffentlichen Kampf um die Deutungshoheit. Es wird noch mehr Aufmerksamkeit produzieren, und vielleicht zwar auch ein bisschen Anteilnahme und Verständnis, aber doch nur eine weitere Öffnung gegenüber der Öffentlichkeit, die schon viel mehr weiß, als ihr guttut.

Das „Spiegel“-Gespräch als weitere Imagearbeit

Cora Schumacher hat offenbar beschlossen, dass sie auch in Zukunft in und von der Öffentlichkeit leben will. Das Bild von ihr ist darin nicht nur ein stetiges und gerade besonders akutes Problem, sondern auch ein Erfolg. „Also Cora Schumacher habe ich erschaffen“, sagt sie im „Spiegel“.

Sie schraubt und feilt offenbar gerade wieder sehr an dieser öffentlichen Persönlichkeit und sucht die richtige Form für die Zukunft. Das Gespräch mit dem „Spiegel“ ist natürlich auch Teil dieser Imagearbeit, und der „Spiegel“ muss sich fragen lassen, inwieweit er sich dafür von ihr hat instrumentalisieren lassen. Aber das ist eine Frage, die man sich häufiger stellen muss, wenn sich Leute mit einer Geschichte an ein Medium wenden.

Man muss diese viele Tausend Zeichen Text im „Spiegel“ nicht gelesen haben – wenn man all die Jahre nicht das Privatleben von Cora und Ralf Schumacher verfolgt hat, und erst recht, wenn man all die vermeintlich journalistischen oder unterhaltenden Formate nicht verfolgt, die davon profitieren, die Beziehungen solcher Menschen mit der Öffentlichkeit maximal toxisch zu gestalten.

Aber ich finde es nicht verwerflich, wenn gelegentlich öffentlich sichtbar wird, dass und wie dabei Menschen unter die Räder kommen.

8 Kommentare

  1. Was Anja Rützel für das Dschungelcamp (und co) ist, darf hier Stefan Niggemeier sein: Über Dinge schreiben, bei denen mich der Meta-Kontext interessiert, über die ich im Detail aber nichts wissen möchte.
    (Der könntet ihr doch auch mal eine Kolumne anbieten)

  2. Ist es nicht auch EIN Problem, dass ein Coming-Out eines Prominenten immer von allen egalweg abgefeiert werden muss, und sich viele zweimal überlegen, ob sie der Anerkennung für die Offenheit ein Andererseits hinzufügen, das auf frühere Äußerungen und mögliche Verletzung von Mitmenschen hinweist?

  3. Beim Lesen von Kommentar #1 fällt mir ein. Ich bilde mir ein, dass ich auf den Namen von Stefan Niggemeier erstmals genau aus diesem Grund aufmerksam wurde. In meiner Erinnerung hat er auch in den den ersten Staffeln amüsante Dschungelcamp Kritiken und süffisante Vorstellungen von ESC Acts geschrieben.
    Quasi der Ur-Rützel.
    Seinetwegen habe ich mir erst die FAS und Brötchen beim Bäcker geholt und ihm das auf seinem eigenen Blog, dem Fernsehlexikon und dann hier gefolgt.
    Spielt mir da mein Gedächtnis einen Streich?

  4. Manchmal glaube ich, dass wir Prominente zu hart behandeln. Wer sich in die Öffentlichkeit begibt, gibt quasi all seine Persönlichkeitsrechte ab. Das ist zum einen okay, weil Promis mit der Öffentlichkeit ihr Geld verdienen. Aber es lässt ihnen auch keinen Ausweg zurück ins Private.

    Wer Glück hat, wird irgendwann vergessen. Aber das wird Schuhmacher eher nicht passieren, nicht kurzfristig. Was soll sie sonst machen, außer mehr Öffentlichkeit?

  5. @#5:
    Sie könnte auch irgendwas anderes tun. Es soll ja Leute geben, die z.B. mal „was mit Fernsehen“ gemacht haben und dann was anderes (Tobias Schlegel fällt mir ein).
    Oder die beiden Exeheleute Schumacher reden miteinander statt übereinander und dann gibbet n Statement auf X und jut is.
    Und wieviel Verantwortung hat ein Mensch für sein eigenes Leben bzw. für die Gestaltung desselben?

  6. @6
    Ich will sie auch nicht komplett aus der Verantwortung nehmen. Sie wurde bekannt, weil ihr Ex-Mann bekannt ist. Da ist es zum Teil nur fair, dass sie in der Öffentlichkeit steht, wenn er etwas tut.

    Aber irgendwann wird es auch zu viel. Wo ist da die Grenze? Aktuell ist es so: Wenn du einmal in der Öffentlichkeit stehst, bist du quasi Freiwild. Einen einfachen medialen Exit gibt es nicht. Du kannst selbstbestimmt in die Öffentlichkeit gehen, aber nicht selbstbestimmt wieder raus.

    Und nichts zu tun ist meist keine Option. Die Klatschblätter füllen mit Nichts ganze Hefte.

  7. Es gibt für mich eine allgemeingültige Lösung.
    Journalist fragt im Interview: „Was sagen Sie zum Coming Out ihres Expartners? Und waren Sie nur ein Feigenblatt?“

    Antwort: „Es ist seine/ihre Sache und ich wünsche ihm alles Gute. Nein, wir hatten unsere gemeinsame Zeit und die gehörte nur uns.“

    Journalist: „Warum haben Sie dann vorher seine Homosexualität vehement verneint?“

    Antwort: „Weil es nur ihn/sie was angeht und es damals eine andere Zeit war.“

    Fertig.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.