Sachverstand (7)

„Selten sehe ich Drag-Künstler in Formaten, die ihrem Niveau entsprechen“

Künstlerin Miss Stephany bei der Europäischen Drag-Meisterschaft, Vorbereitung in der Maske.
Drag-Künstlerin bei der europäischen Drag-Meisterschaft 2023 Foto: IMAGO / ANP

Sie kennen sich aus, weil es ihr Fachgebiet ist. Immer wieder stolpern sie über Ungenauigkeiten und Fehler in journalistischen Berichten, die sie ärgern – und hier erzählen sie davon. In der siebten Folge unserer Reihe „Sachverstand“ spricht Vicky Voyage über Drag-Kunst und in welche Klischee-Fallen Medien dabei immer wieder tappen. Unsere Autorin Kathrin Hollmer hat ihre Aussagen protokolliert. Wenn Sie auch immer wieder Falsches über Ihren Beruf oder Ihr Fachgebiet in den Medien lesen, schreiben Sie uns eine E-Mail.


„Ich höre und lese oft: Künstler:in XY sei ‚eine Drag‘. Dabei ist Drag eine Kunstform, keine Person. Da gibt es große Wissenslücken bei den Leuten. Ein weiteres Missverständnis ist, dass Dragqueens und -kings immer trans Personen seien. Neulich habe ich eine Anfrage bekommen, ob ich in einem Film eine trans Person spiele, das habe ich bewusst abgelehnt. Drag ist Kunst, Transidentität, wie der Name sagt, die Identität einer Person. Die meisten Drag-Künstler:innen sind queer, aber nicht alle; es gibt auch heterosexuelle Dragqueens und -kings. Die werden oft vergessen, was daran liegt, dass Drag in den Medien meistens stereotyp dargestellt wird.

Wenn es um Drag geht, dann überwiegend um Männer, die weiblich gelesene Personen darstellen. Die Leute wissen oft nicht, dass auch Frauen Drag machen, also sowohl weiblich als auch männlich gelesene Menschen, außerdem trans Personen, intersexuelle und nicht-binäre Menschen, die sich weder weiblich noch männlich lesen lassen wollen. Alle können Drag machen. Die Szene ist groß, frei und divers, wird aber medial leider sehr einseitig abgebildet. Dabei wird heute überall auf Diversität gesetzt, in der Werbung wird darauf geachtet, dass auch ältere Menschen auftreten, Menschen mit verschiedenen Hautfarben und mit Behinderungen. Das ist alles richtig und wichtig, aber in der Drag-Kultur fehlt dieser Ansatz größtenteils.

Bei Drag geht es darum, mit Geschlechterrollen zu spielen, das eigene oder andere Geschlecht – oder etwas dazwischen – zu überspitzen oder zu verdrehen. Indem wir klassische Rollenbilder in Frage stellen, wollen wir die Leute zum Reflektieren motivieren. In den Medien werden Draqqueens meistens als ‚schrill‘ bezeichnet. Sie müssen immer bunt und bitchy sein, mit Glitzer und Federn. Voller Klischees sind auch die Settings, in denen Drag-Künstler:innen auftreten. Im Fernsehen sieht man sie meistens in Nachtclubs und im Rotlichtmilieu. Dabei gibt es ganz verschiedene Charaktere: Manche experimentieren mit dem Horror-, Science-Fiction-, Comedy- oder Action-Genre. Es gibt Drag-Figuren, die eher animalisch als menschlich-weiblich oder -männlich aussehen, manche sind düster, manche fröhlich.

Queens, Kings und Quings

Dragqueens im Fernsehen sind meistens ältere, weiße Männer mit Perücken, so schillernde Pailletten-Personen mit frecher Schnauze, was legitim und toll ist, aber nur eine Facette von vielen. Es gibt weiblich gelesene Personen, die Queens darstellen. Es gibt Dragkings, also weiblich oder männlich gelesene Personen, die Kings darstellen. Und es gibt Quings, die sich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen lassen.

Ich finde es gut, dass Formate wie die Reality-Show ‚RuPaul’s Drag Race‘ die Kunstform in den Mainstream bringen und Menschen eine Plattform geben, viele sind dadurch bekannt geworden. In den USA läuft die Show seit 15 Jahren, doch auch hier sehe ich wenig Diversität: Bisher haben in den USA keine Dragkings teilgenommen, und das Format hat sich erst spät für trans Personen geöffnet. Vergangenes Jahr gab es einen deutschen Ableger, da hat eine Cis-Frau gewonnen. Leider lief die Sendung in Deutschland bei Paramount+, was keine so große Reichweite hat.

In Trash-TV-Formaten, in denen es darum geht, sich gegenseitig fertig zu machen, ist Drag häufig Thema. Die Sender hoffen, eine – dem Klischee nach zickige – Dragqueen könnte zusätzliche Einschaltquoten bringen. Selten sehe ich Drag-Künstler:innen im Fernsehen in Formaten, die ihrem Niveau entsprechen. Olivia Jones ist eine Ausnahme, aber gerade neue oder unbekannte Drag-Künstler:innen werden verheizt und ausgenutzt. 2019 brachte Heidi Klum die Castingshow ‚Queen of Drags‘ in die Primetime bei ProSieben, die Verlierer:innen mussten sich in die Mitte stellen und und wurden kritisiert, das fand ich demütigend. Vor drei Jahren lief die deutsche Sitcom ‚The Drag and Us‘ im ZDF. Dafür wurde ein Schauspieler als Dragqueen verkleidet, es wurden keine Drag-Künstler:innen beschäftigt, die das auch in ihrem Lebensalltag machen und die entsprechende Erfahrung mitbringen.

Weil die Darstellung oft so einseitig und klischeehaft ist, kommt zu kurz, was wir eigentlich zu sagen haben. Die US-amerikanische Dragqueen Pattie Gonia zum Beispiel setzt sich für Umweltschutz ein und erklärt unter anderem auf Instagram, unterhaltsam und mit Witz, wissenschaftliche Zusammenhänge. Warum trägt nicht mal ein:e Drag-Künstler:in den Wettbericht vor? Warum gibt es nicht mal eine Drag-Tagesschau zum CSD? Ernsthafte Formate, Reportagen und Dokumentationen zum Thema Drag sind selten. Eine Ausnahme war die sehr informative ZDF-Doku ‚Drag Kings – Auf der Bühne Mann‘, die Anfang des Jahres lief. Darin ging es um zwei unterschiedliche Künstlerinnen, die auf der Bühne als Männer auftreten. In dem Film bekommen sie den Raum, um ausführlich über die Kunstform zu sprechen.

Aufregerthema Drag

In den Nachrichten ist Drag meist nur Thema, wenn es einen Aufreger gibt. Vergangenes Jahr zum Beispiel, als ich zusammen mit dem Dragking Eric BigClit eine Drag-Lesung für Kinder in der Münchner Stadtbibliothek organisiert habe und die AfD eine Demo gegen uns veranstaltet hat. Einzelne rechtskonservative oder rechte Medien sind aufgesprungen und haben Schlagzeilen daraus gemacht. In einigen Texten stand ‚die Dragqueens Vicky Voyage und Eric BigClit‘, obwohl Eric ein Dragking ist. Für diese Info hätte man nur kurz googlen müssen. In manchen Texten über mich werde ich als ‚sie‘, in anderen als ‚er‘ genannt. Wenn ich in Drag bin und mich jemand falsch gendert, also ‚er‘ sagt oder schreibt, mache ich die Leute aufmerksam: Bitte passt das Pronomen an.

Den Großteil der Artikel über unsere Lesung fand ich aber in Ordnung. Die meisten Journalist:innen haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt, abgewogen, was für die Lesung spricht und was dagegen, und das neutral aufgeschrieben. Gefreut habe ich mich über die Kolumne von Samira El Ouassil im „Spiegel“ mit dem Titel ‚Wer hat Angst vor Dragqueens?‘. Es ging darum, dass sich die Konservativen gar nicht wirklich ums Kindeswohl sorgen. Sie wollen nur Ängste gegen uns schüren. Die Autorin hat verstanden, was wir wollen: dass junge Menschen von fantastischen Welten erfahren, ‚in denen man einfach vollkommen in Ordnung ist, so wie man ist‘. Beim Lesen sind mir echt die Tränen gekommen.“

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