Der Autor
Sebastian Wilken ist freier Wissenschaftler und Autor. Er liebt Zugfahren, lässt sich aber ungern Blödsinn erzählen, insbesondere von Medien. In seinem Online-Magazin „Zugpost“ schreibt er über Bahnreisen. Wilken lebt in Turku, Finnland.
Die Lokführer-Streiks nehmen kein Ende, und alle, die aufs Bahnfahren angewiesen sind, sind dieser Tage mal wieder so richtig genervt. Da schien das Programm des ZDF am Dienstagabend durchaus passend zur Stimmung im Land: „Deutsche Bahn: Die Insider“ – das ist eines dieser Empörungsformate, die zeigen sollen, wie die großen Konzerne uns, also die Verbraucher:innen, übers Ohr hauen. Rossmann, Lidl, IKEA, Aida und McDonald’s wurde im ZDF-Format „Die Insider“ schon auf den Zahn gefühlt. Und nun also der Deutschen Bahn.
Empörend ist die Doku über die Bahn tatsächlich, allerdings nicht so, wie man das vermutlich geplant hatte. Sie ist nämlich so tendenziös und unfreiwillig komisch, dass man sich fragt, ob die Redaktion gleich zusammen mit der GDL in den Ausstand getreten ist. Im Netz gab es massive Kritik für das ZDF. Fast unisono zeigten die Kommentare Solidarität mit der Deutschen Bahn. Sowas gibt es auch nicht alle Tage.
Die Unternehmenskommunikation der Deutschen Bahn reagierte am Mittwoch in ungewohnt verärgertem Ton. In einer Stellungnahme bezeichnete der Konzern die Doku als „oberflächlich, irreführend und unfair“. Auch Dirk Flege, Vorsitzender des Verkehrsbündnisses „Allianz pro Schiene“, der selbst im Film zu Wort kommt, distanzierte sich mittlerweile.
Ich wünschte, ich hätte keinen O-Ton beigesteuert. Kommt nicht allzu oft vor, aber auf die #ZDFzeit gestern abend um 20.15 Uhr trifft es zu. Peinliches @BILD-Niveau. 45 Minuten jede Menge Halbwahrheiten, Banalitäten und Falschaussagen. Schade @ZDF. @DB_Presse @Schienenallianz
— Dirk Flege (@DirkFlege) March 6, 2024
Vor allem die optische Aufbereitung des Formats ist, nun ja, sagen wir: karnevalesk. Damit die Insider, die mal für das Unternehmen tätig waren, jetzt aus dem Nähkästchen plaudern können, werden sie „aufwendig maskiert“. Das wird in der Sendung stolz betont und gezeigt. Damit auch dem allerletzten Zuschauer klar wird, was für ein Riesenaufwand hier betrieben wurde. Und so sieht das dann aus:
Man muss die Sendung über die Bahn eigentlich zwei Mal anschauen, weil die seltsam modellierten Nasen, die angeklebten Bärte und komischen Perücken einen so irritieren, dass man beinahe davon abgelenkt wird, welche Geschichten die Insider da eigentlich auspacken. Hinzu kommt, dass unter der gesamten 45-minütigen Doku ein fast ununterbrochener Musikteppich liegt, ein wilder Genre-Mix von Vivaldi bis Falco. Wie im Schnitt jemand auf die Idee gekommen ist, den Song „Der Kommissar“ unter das Bild einer gestellten Fahrkartenkontrolle zu legen, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob das ein Stück Teppich ist, was sie Insider „Björn“ da als Fake-Koteletten unters Ohr geklebt haben.
Die vier ehemaligen Bahn-Mitarbeiter, die das ZDF da aufgetrieben hat – allesamt männlich – sollen also „erzählen, was Fahrgäste nie erfahren sollen“, sagt die Kommentarstimme aus dem Off. Es klingt geheimnisvoll, beinahe verschwörerisch. Dabei reicht es eigentlich, ab und an mal Fahrgast der Bahn gewesen zu sein, um all das zu kennen, was die Insider auf den Tisch legen.
Los geht die wilde Fahrt mit dem Thema Fahrkarten. „Björn“ mit den Teppich-Kotletten lässt gleich eine vermeintliche Bombe platzen: Die Sparpreise, mit denen sich auf kürzeren Strecken bereits ab 9,90 Euro im Fernverkehr der Deutschen Bahn fahren lässt, sind gar nicht unbegrenzt verfügbar! Je näher die Abfahrt rückt, desto höher der Preis. Dasselbe Prinzip kennt man von Airlines, Hotels und Autovermietern. Bei der Bahn gibt es dieses Preissystem bereits seit 2003.
Für das ZDF scheint das aber neu zu sein, und so lässt man Insider „Björn“ über „Lockangebote“ und „Tricksereien“ fabulieren. Er behauptet: Mit seiner Preisgestaltung versuche der Staatskonzern Deutsche Bahn die Fahrgäste zu „erziehen“. Gemeint ist wohl der Versuch, mit dynamischen Ticketpreisen die Nachfrage gleichmäßiger über den Tag und die Woche zu verteilen. Über Vor- und Nachteile dieses Preissystems ließe sich trefflich streiten. Dem ZDF scheint an einer Diskussion aber nicht gelegen. Stattdessen wird die singuläre Sicht des Insiders als Faktum dargestellt, ohne Belege und ohne Gegenrede. Die Methode zieht sich durch die gesamte Sendung.
Einen Tipp zum günstigen Bahnfahren hat „Björn“ noch: Wer von A nach B will, solle nicht durchgängig buchen, sondern einen Zwischenstopp in C einlegen und mit zwei separaten Tickets reisen. Das kann zwar in einzelnen Fällen funktionieren, aber bei Weitem nicht immer. Und: Wer mit Fahrkarten aus unabhängigen Buchungsvorgängen fährt, verliert die Fahrgastrechte. Sprich, kommt es wegen einer Verspätung zum Anschlussverlust in C, kann man nicht einfach in den nächsten Zug steigen. Ein Risiko, das ein echter „Insider“ zumindest erwähnen sollte.
Der zweite Insider ist „Arne“, ehemaliger Zugchef bei der Deutschen Bahn. Mit Tom-Selleck-Schnauzer und Pudelmütze verkleidet steht er etwas verloren in einer ICE-Attrappe und lässt die nächste, na ja, Enthüllung raus: Anders als im Kino enthält ein Ticket der Deutschen Bahn in der Regel keine Sitzplatzreservierung.
Ach was, echt?
Was dem Insider in seiner vierjährigen Laufbahn bei der DB offenbar entgangen ist: Das ist kein Bug, sondern ein Feature. Die Bahn hat ein zumindest in Teilen noch offenes Tarifsystem, in dem man mit Tickets wie dem Flexpreis oder der Bahncard 100 in praktisch jeden Zug einfach einsteigen kann. Eine Reservierungspflicht, wie sie in Frankreich oder Spanien praktiziert wird, lehnen Fahrgastverbände ab. Aus gutem Grund: Wer schon mal versucht hat, kurzfristig ein Ticket für den französischen TGV zu buchen und festgestellt hat, dass Verbindungen über Tage komplett ausgebucht sein können, weiß das deutsche System zu schätzen.
Beim ZDF gibt man der Sache einen ganz anderen Dreh. Den Reisenden die Wahl zu überlassen, ob sie einen Platz reservieren möchten oder nicht, wird als Maßnahme zur Profitmaximierung gelabelt. Insider „Arne“ legt noch einen drauf: Es sei Teil des perfiden Plans der Bahn, die Züge so weit überzubelegen, dass sie immer wieder von der Bundespolizei geräumt werden müssen. Das ist nun wirklich hanebüchener Unsinn. Jede Teilräumung bedeutet eine massive Verspätung, die eine Kaskade weiterer Verspätungen nach sich zieht. Und das verursacht nichts als Kosten. Überhaupt sind solche Fälle die absolute Ausnahme, wie die Bahn in einer Stellungnahme zur Sendung schreibt. Sicher, man kann darüber diskutieren, warum es die Reservierung auf Wunsch nicht kostenlos dazugibt, wie etwa in Großbritannien. Aber die Lizenz zum Gelddrucken, wie hier suggeriert wird, sind die 4,90 Euro eher nicht.
Zugchef „Arne“ darf indes durch das – zugegeben – aufwendige Modell des ICE schreiten und mit seinem Handy nachstellen, wie er Tickets kontrolliert. Für die Dreharbeiten wurde ein Teil-Modell eines ICE-Waggons nachgebaut, schreibt das ZDF auf unsere Nachfrage. Auch andere Requisiten seien nachempfunden oder über einen Fundus beschafft worden. Eines ist klar: Bei dieser Doku ist auf jeden Fall mehr Leidenschaft ins Szenenbild und die Maske geflossen als in die Recherche.
Apropos Verspätungen. „Ein Ärgernis“, stellt die Stimme aus dem Off fest, „tausende Wutposts“ auf Social Media können nicht irren. Als Beispiel wird ein alter Schmunzeltweet aus dem Jahr 2018 hervorgekramt. Und ja, natürlich hat die Deutsche Bahn ein großes Problem mit der Pünktlichkeit. Niemand würde das bestreiten, nicht mal die Bahn.
Auftritt „Niklas“, der Lokomotivführer. Mit zehn Dienstjahren ist er mit Abstand der Erfahrenste der Insider. Wie die Protagonisten überhaupt ausgewählt wurden, lässt der Film offen, ebenso wie die Frage, wie lange ihre Tätigkeit für die Deutsche Bahn zurückliegt und was der Grund für ihr Ausscheiden aus dem Unternehmen war. Wir fragen dazu beim ZDF nach. Die Pressestelle schreibt uns:
„Wie in den vorhergehenden Folgen der ‚Insider‘-Reihe müssen die Protagonisten mehrere Jahre für das Unternehmen gearbeitet haben und dies belegen können. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir keine personenbezogenen Details preisgeben können, um die Protagonisten zu schützen. Wir können jedoch versichern, dass sich keiner der ‚Insider‘ im Rechtsstreit mit der Deutschen Bahn befindet.“
Zurechtgemacht als Prinz Eisenherz mit Ziegenbart – um seine Karriere zu schützen, wie es eingangs heißt – hält Insider „Niklas“ (der Insider „Arne“ verwirrend ähnlich sieht) das Fahrgastrechte-Formular in die Kamera. Mit diesem können Reisende ihre Erstattung im Verspätungsfall beantragen. Ein „Wahnsinnsblatt, supertoll“, erklärt der Lokführer süffisant. Fahrgastrechte-Formular. Auf Papier, hihi. Dass man seinen Anspruch inzwischen längst mit wenigen Klicks online geltend machen kann, wird zwar in einem Schnittbild filmisch angedeutet, aber nicht erwähnt.
So weit, so, äh, lustig. Was nun kommt, ist dagegen gar nicht mehr so komisch, sondern tendenziös. Korrekt wird erwähnt, dass es seit Juni 2023 eine neue Fahrgastrechteverordnung der Europäischen Union gibt. Wichtigste Änderung: Bei Verspätungen durch höhere Gewalt, die nicht im Einflussbereich der Verkehrsunternehmen liegt, müssen diese die Fahrgäste nicht mehr entschädigen. Wohlgemerkt: Das ist EU-Recht und gilt in allen Mitgliedsstaaten. Insider „Niklas“ beschreibt das so: „Die haben das so hingedreht.“ Gemeint ist damit wohl die Deutsche Bahn. Die DB nimmt Einfluss auf Entscheidungen in Brüssel? Ein Vorwurf, der es durchaus wert wäre, nachzugehen. Was natürlich nicht passiert.
Stattdessen: Passanten-Befragung vor dem Berliner Hauptbahnhof. Aus einer Auswahl an Verspätungsursachen sollen diejenigen herausgesucht werden, bei denen die Bahn auch weiterhin zahlen muss. Komisch, betriebliche Gründe wie verspätete Bereitstellung, Fahrzeugstörungen oder Warten auf Anschlussreisende kommen gar nicht vor. Ebenfalls nicht dabei: Streik. Dagegen mehr oder weniger konkrete Bedrohungen von Kabeldiebstahl bis zur „Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit“.
So sind die Passanten einigermaßen verblüfft, dass die Bahn scheinbar nur noch in einem einzigen Grund entschädigen muss: „Kaputte Schienen“, womit wohl baustellenbedingte Verspätungen gemeint sind. Was sie nicht wissen: Durch das Weglassen von Gründen wurde die Auswahl so verengt, dass die Bahn nur schlecht aussehen kann. Der Eindruck, der hier entsteht – Reisende erhalten nur noch in den seltensten Fällen Geld zurück – ist schlicht falsch. Tatsächlich ist die Entschädigungssumme 2023 im Vergleich zum Vorjahr sogar deutlich gestiegen, wie die Deutsche Bahn in ihrem Statement zum Film mitteilt.
„Arne“ sitzt inzwischen im nachgebauten Bordrestaurant. Hier wird abgefrühstückt, was zu den absoluten Standards des Genres gehört: der Ekelfaktor. Dass im Speisewagen des ICE nicht „richtig“ gekocht wird, sondern zuvor zubereitetes Essen nur aufgewärmt – man hat bei der Produktion wohl geahnt, dass diese Erkenntnis keinen mehr hinter dem Herd hervorlockt. Also kitzelt man aus dem Insider noch dieses heraus: Hin und wieder würden Teller und Schüsseln so in den Geschirrspüler einsortiert, dass Essensreste verbleiben. Er empfiehlt daher, lieber nichts vom Porzellan essen. Und: Wegen nachlässiger Reinigung funktioniere die Kaffeemaschine „in den meisten Fällen“ nicht. Die DB dementiert in ihrem Statement, spricht von 94 Prozent Verfügbarkeit – und von einem „groben Foul“ an den Kolleg:innen von früher.
Hm, alles irgendwie lauwarm. Gibts da nicht was Größeres, was mit Weltpolitik und so? Kein Problem, vom Chili aus der Mikrowelle (korrekt wäre: Konvektomat, aber egal) machen wir jetzt den Sprung über den großen Teich, nach Mexiko. Thema: Auslandsgeschäfte der Deutschen Bahn.
Es folgt ein länglicher Exkurs zum „Maya-Zug“ im mexikanischen Regenwald. Das Projekt ist höchst umstritten, es gibt großen Protest unter Umweltschützern. Eine Tochter der Deutschen Bahn hat das Milliarden-Projekt beraten und dafür 8,6 Millionen Euro kassiert. Mit Planung und Betrieb der Strecke hat die Bahn zwar nichts zu tun, aber dennoch: Warum sich die DB im Dschungel herumtreibt, statt sich auf ihr Kerngeschäft in Deutschland zu konzentrieren, ist durchaus kritisch zu hinterfragen.
Es ist aber auch alles andere als neu. Medien wie „taz“ und „Wirtschaftswoche“ haben bereits ausführlich darüber berichtet. Und: Die Insider haben zu dieser Sache genau nichts beizutragen. Im Rahmen des Formats wirkt der Trip nach Mexiko genauso wie ein Fremdkörper wie die angeklebten Bärte.
Natürlich geht es auch ums Thema Umweltfreundlichkeit. Ist die Deutsche Bahn gar nicht so grün, wie sie sich gibt? Auch das sollen die Passanten vor dem Berliner Hauptbahnhof herausfinden: Sie sollen abschätzen, wie viel CO2 die DB im Jahr emittiert und wie sie sich damit im Vergleich zu Unternehmen wie Porsche, Bayer und VW schlägt. Nur zwei der Unternehmen stammen aus dem Verkehrssektor, Kreuzfahrt-Anbieter Aida und die Lufthansa.
Wieder wirkt alles so gedeichselt, dass die Bahn schlecht dasteht: Die Emissionen werden nicht auf die Konzerngröße oder Beförderungsleistung normiert, sondern absolut verglichen. Klar, dass dann ein Riesenkonzern wie die DB gegenüber einer vergleichsweise kleinen Reederei schlecht abschneidet. Das kritisierte auch die Bahn in ihrer Stellungnahme: Die 17,9 Millionen Tonnen CO2, mit denen sie im Ranking des ZDF am zweitschlechtesten abschneidet, beziehe sich auf den Gesamtkonzern inklusive aller Auslandsgeschäfte. Im deutschen Personenverkehr würden dagegen nur 2 Millionen Tonnen emittiert. Das ZDF nahm die Doku zwischenzeitlich offline, um unter anderem diese Stelle zu korrigieren. Der Sender schreibt dazu auf seiner Korrekturen-Seite:
„In der Sendung ‚Deutsche Bahn: Die Insider‘ vom 5. März 2024 hieß es, die Deutsche Bahn sei für 2,4 Prozent aller Treibhaus-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Richtig ist: Würde der Konzern seine weltweiten Emissionen hierzulande ausstoßen, wären dies 2,4 Prozent aller CO2-Emissionen Deutschlands.“
Aber egal, ihr Stigma als Dreckschleuder hat die Bahn nun weg. Bei der DB kommen schließlich noch Diesellokomotiven zum Einsatz, weiß Lokführer „Niklas“, und diese führen nunmal mit: Diesel. Ja, es stimmt, die Elektrifizierung des deutschen Schienennetzes beträgt nicht 100, sondern 62 Prozent. Die Verkehrsleistung wird allerdings zur 90 Prozent elektrisch erbracht, im Fernverkehr sogar zu 99 Prozent, da elektrifizierte Strecken weitaus stärker befahren sind. Auch an dieser Stelle hat das ZDF die Doku mittlerweile korrigiert.
Die zwischenzeitliche Verschwinden des Beitrags aus der Mediathek und die öffentlich Kritik hielten zahlreiche Medien nicht davon ab, den Spin der Doku zu übernehmen. Wenn Bahn-„Insider“ auspacken, dann klickt das halt gut. Auf Seiten wie „Focus“, „Watson“ und „Frankfurter Rundschau“ stehen nach wie vor Texte, die die fragwürdigen Narrative der Doku unkritisch verbreiten. Einige ergänzten zwar im Nachhinein, dass es Kritik an der Sendung gab, aber die Headlines blieben.
Die Deutsche Bahn monierte in ihrem Statement am Mittwoch, man habe nicht ausreichend Gelegeneheit gehabt, Stellung zu nehmen. Der Konzern schreibt:
„Wenn die Konzernkommunikation der DB nur zwei Wochen vor einer so aufwendig produzierten Sendung Fragen zur schriftlichen Beantwortung zugeschickt bekommt, ist klar: Die Drehs sind gelaufen, die Story steht – jetzt wird nur noch einer journalistischen Pflicht Genüge getan. Ein paar Sätze unserer Antworten sind dann auch eingeblendet worden. Eine Reaktion auf die Aussagen in der Doku war ebenso wenig möglich wie ein Interview.“
Tatsächlich wurden in den Doku nur die „Insider“ und der Vorsitzende der „Allianz Pro Schiene“ vor der Kamera interviewt. Warum nicht auch ein Sprecher der Deutschen Bahn? Das ZDF schreibt uns dazu:
„Im Vorfeld der Sendung wurde dem Unternehmen Gelegenheit zu einer ausführlichen Stellungnahme gegeben. In zwei Telefonaten wurde über den detaillierten Fragekatalog gesprochen. Es wurde auf den prominenten Sendeplatz und auf andere, bereits gesendete Folgen der Reihe verwiesen, damit die Kollegen der DB-Pressestelle sich einen Eindruck verschaffen konnten. Es wurde erörtert, ob die Zeit für eine Stellungnahme seitens der DB ausreiche, dies wurde bejaht. Zu keinem Zeitpunkt wurde der Deutschen Bahn ein Interview verwehrt. Bedauerlicherweise waren die Antworten auf den Fragekatalog sehr allgemein. Diese Antworten wurden in der Sendung veröffentlicht. Erst nach Ausstrahlung der Doku hat die DB auf der eigenen Intranetseite detailliert reagiert.“
Was haben wir nun aus der „Insider“-Doku gelernt? Die Bahn hat dynamische Preise, kommt oft zu spät, ist ein international tätiger Konzern und das Chili im Bordrestaurant wird nicht frisch zubereitet. Für jemanden, der zur guten, alten Bundesbahnzeit versehentlich nicht in den Zug, sondern eine Zeitmaschine gestiegen ist, dürften das verblüffende Erkenntnisse sein. Für alle, die in den vergangenen zwanzig Jahren dagegen mal in einem ICE der Deutschen Bahn saßen, haben diese Geschichten einen sehr langen Bart. Sie dürften sich eher fragen: Welches Formular muss ich ausfüllen, damit ich diese 45 Minuten Lebenszeit zurück bekomme?
Sebastian Wilken ist freier Wissenschaftler und Autor. Er liebt Zugfahren, lässt sich aber ungern Blödsinn erzählen, insbesondere von Medien. In seinem Online-Magazin „Zugpost“ schreibt er über Bahnreisen. Wilken lebt in Turku, Finnland.
Auch wenn ich den Beitrag natuerlich mit Interesse zu Ende gelesen haben, eigentlich war ich nach den „Maskierungen“ raus-die hätten das Bernsteinzimmer finden können, ich wäre trotzdem von dieser unseriösen Makerade abgelenkt worden.
Warum man es ÖRR-Kritikerinnen so leicht machen muss? Es gibt doch niemanden der nach diesem Trainwreck (!) sagt „oh toll, meine Haushaltsabgabe schwer bei der investigativen Arbeit“…
Die eigentlichen skandalösen Zustände und Entwicklungen in der Deutschen Bahn seit ihrer Privatisierung hat die ‚Anstalt‘ mal in einer ganzen Sendung vom 29.01.2029 wesentlich besser, ausführlicher und auch witziger dargelegt.
Endolexis: Ich freue mich darauf, die Sendung in 5 Jahren genießen zu können :)
All: die Insider ist meiner Erinnerung nach die Sendung, die über McDonalds berichtet hat, dass der nicht vegane McPlant Käse enthält. Was man vielleicht gerne anders haben möchte, aber ja von dem Laden nicht anders behauptet wird. Und dass ein Burger nicht gesund ist. Ach was! Danach habe ich diese Sendung ignoriert.
Da wird zwingend „Aufklärung“ gegen große Unternehmen betrieben, aber ohne echte Aufreger. Dadurch ist das eigentlich ganz bequem, weil das Gefühl entsteht: wenn das die größte Kritik ist, dann ist alles in Ordnung.
@Patrick: Ja, 29.01.2019. :) Sorry. Jedenfalls auf YouTube zu finden, weil die ZDF-eigene Mediathek ja unbegreiflicherweise keine vollständige ist.
@Patrick: Ja, daran habe ich auch sofort gedacht. Die ganze Reihe ist so hanebüchen, dass einem nichts mehr dazu einfällt. Ohne jeden wirtschaftlichen Sachverstand zusammengekloppt. Aussagen wie: Die Unternehmen sind böse – die wollen Gewinn machen. Und Vorsicht, die verkaufen Sachen teurer als sie sie selbst einkaufen. Da geht einem wirklich der Hut hoch…
Ich hätte mir Typen mit tiefgezogener, schwarzer Kapuze im Halbdunkel gewünscht, die mit elektronisch verzerrter Stimme Sachen sagen wie: „Was niemand wissen soll – eine Platzreservierung kostet extra!“, oder: „Finger weg! Die Cola, die im Bordbistro serviert wird, enthält große Mengen Zucker.“
Und vielleicht noch eine raunende Andeutung über Schlägertrupps, die der Konzern schicken könnte, sollten diese Verräter dunkelster Geheimisse doch erkannt werden. Wenn schon Drama, dann richtig.
Jedes Mal das Leitmotiv vom Paten spielen, wenn die Bahnpreise erwähnt werden: „Don Ferrovia hat Ihnen ein Angebot zu machen, dass Sie doch ablehnen können…“
Bitte auch mal Ross und Reiter nennen. Wer ist denn “ die Redaktion“ der Serie, wer der Filmemacher?
Habe mir die Doku jetzt angeschaut. Weitere Schönheiten des Empörungs-Journalismus’:
– Die Sprecherin beschwert sich, dass neue Schienen in Deutschland oft mit Steuergeld bezahlt werden. Zwei Minuten später beschwert sie sich, wie wenig Deutschland pro Kopf in die Schiene investiert. Durchdacht argumentiert!
– Einer der Insider enthüllt, dass die Kopfkissenbezüge im ICE nicht jeden Tag gewaschen werden – was die Doku zum Anlass nimmt, sie als eine Art Seuchenherd darzustellen (wie zuvor schon das sicher hochgiftige Porzellan im Speisewagen).
– Ein anderer Insider enthüllt, dass Prämienpunkte gar nicht dazu gedacht sind, den Leuten die Ticketpreise in Sachwerten rückzuerstatten – nein, sie sollen dazu verleiten, öfter mal Bahn zu fahren. Sackzement! Der Insider und die Doku nennen das »Abzocke«; alle anderen wohl »Kundenbindung«.
Bei aller berechtigten Kritik an der DB: Das ist echt unterirdisch. Und erst die Musik…
P.S.: Ich würde mich freuen, wenn Herr Wilken hier öfter mal über die Bahn-Berichterstattung schriebe – wichtiges Thema, das trotz Dauerpräsenz (Streik, Verspätungen, Deutschlandtakt, etc.) nur selten medienkritisch beleuchtet wird.
@Kritischer Kritiker: Zu dieser haarsträubenden Doku gab es so viel zu sagen, dass wir den Text im Sinne der Lesbarkeit ein bisschen mit dem Barthaarschneider stutzen mussten. Zum Thema Kopfkissen hatte ich ursprünglich noch dieses geschrieben:
„Heimlich werden Proben in einem echten ICE genommen. Im Labor finden sich ‚aerobe mesophile Keime‘. Klingt erst mal schlimm und irgendwie eklig. Doch eine schnelle Anfrage bei Dr. Google zeigt: Diese Keime finden sich praktisch überall. Entscheidend ist, in welcher Konzentration sie vorkommen. Dazu sagt die Doku aber nichts, so bleibt es bei einer Nullaussage. Trotzdem, für ‚Arne‘ steht fest: Zugfahren am besten nur mit Mütze. Immerhin scheint er seinen eigenen Tipp zu beherzigen.“
Und zum Thema Prämien:
„Zugegeben: Das ist mit seinen zwei Linien, den Prämien- und den Statuspunkte, unnötig kompliziert. Es deswegen als ‚Verarschung‘, ‚Abzocke‘ und ‚Manipulation‘ dazustellen, ist aber schon weit hergeholt. Worum es geht: Die Bahn macht Vielfahrenden, die am Programm teilnehmen, kleinere oder größere Geschenke, etwa Bahnprämien wie Freifahrten oder Sachgeschenke. Kundenbindung nennt man das. Beim ZDF klingt das so: Man kauft für 36.000 Euro einen Roller, der 600 Euro wert ist. Das ist natürlich komplett konstruiert. Was man für 36.000 Euro kauft, sind natürlich Fahrkarten. Und on top gibt es dann eben als Prämie noch einen Roller dazu. Ob man den jetzt gut findet oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Man kann sich ja auch eine andere Prämie aus dem Katalog aussuchen.“
Vielen Dank für das Lob! Ich werde gerne weiter über Bahnthemen berichten, wenn es sich anbietet. Sollte Ihnen etwas auffallen, geben Sie gerne Bescheid!
Viele Grüße,
Sebastian Wilken
Zitat des Zitats:
„In der Sendung ‚Deutsche Bahn: Die Insider‘ vom 5. März 2024 hieß es, die Deutsche Bahn sei für 2,4 Prozent aller Treibhaus-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Richtig ist: Würde der Konzern seine weltweiten Emissionen hierzulande ausstoßen, wären dies 2,4 Prozent aller CO2-Emissionen Deutschlands.“
Es gibt ja die „Nonpology“. Könnte man das hier vielleicht „Nonrection“ nennen?
Der Text regt sich über Nebensächlichkeiten auf. Es ist doch völlig egal, wie die Insider verkleidet sind. Das spielt doch für den Beitrag keine Rolle. Es ist nur auch völlig egal, warum die nicht mehr bei der Bahn sind, wenn das stimmt, was sie sagen. Der Text bedient sich dieser Empörungsmittel, die er dem Beitrag vorwirft.
Dann macht er auch noch ähnliche Fehler wie die Doku.
Der Bahnmitarbeiter behauptet keineswegs, dass das Geschirr im Bistro ein Seuchenherd ist, wie im Text behauptet. Er sagt, das Geschirr sei oft nicht sauber, wenn es aus der Spülmaschine kommt und werde so dem nächsten Kunden weitergereicht. Blöd, wenn der Kritiker jemand anderem Oberflächlichkeit vorwirft, dann aber selber oferflächlig arbeitet.
Die nächste Kritik ist unterirdisch. Natürlich nimmt die Bahn über ihre Lobbyisten Einfluss auf relevante Entscheidungen der EU. Das ist doch keine Frage, sondern politischer Alltag und normal. Selbstverständlichkeiten muss der ZDF Beitrag nicht belegen.
Insgesamt ist der Text kaum besser als die Doku. Der empörte Tonfall des Textes hier entwertet ihn. Das Rumreiten auf Nebensächlichkeiten nervt. Dann stimmen nicht mal alle Fakten. Arbeitet der Autor vielleicht auch für ZDF-Insider :-).
@Martin Busche: Ich kann Sie beruhigen: Der Autor arbeitet nicht für „ZDF Insider“. Nun, dieser Autor, also ich, würde ja gerne über Hauptsächlichkeiten schreiben (etwa: Wer ist eigentlich dieser ominöse Besitzer der Bahn und warum ließ er sie über Jahrzehnte verfallen? Warum muss die Bahn profitorientiert sein? Vielleicht erinnern Sie sich noch an einen gescheiterten Börsengang …), nur kamen diese Punkte in der Doku eben nicht vor. Sie sind hier auf einer medienkritischen Seite gelandet. Wir kritisieren, wie Medien über ein Thema berichten. Im Falle der „ZDF Insider“ hat man sich eben für karnevalesken Kleinkram entschieden, anstatt zu thematisieren, was bei der Bahn wirklich schief läuft.
Abgesehen davon möchte ich Sie bitten, fair zu bleiben. Im Text negiere ich nicht, dass es EU-Lobbyismus gibt (natürlich gibt es ihn), sondern kritisiere, dass die Doku dem Vorwurf im konkreten Fall nicht nachgeht. So bleibt es bloße Behauptung, dass die DB die neuen Fahrgastrechte so „hingedreht“ hat.
@12 Martin Busche: „Es ist doch völlig egal, wie die Insider verkleidet sind. Das spielt doch für den Beitrag keine Rolle.“ In diesem speziellen Fall sehe ich das anders und als relevant an. Wenn nur über Bekanntes und Banalitäten in der dargebotenen alarmistischen Form berichtet wird, dann entsteht halt ein gewisses Gesamtbild. Und da ist die Verkleidung halt Teil davon. (Haben die eigentlich an Gesichtserkennungssoftware gedacht?…aber das ist eine andere Geschichte…) Vielleicht sollte man die Serie „Die Insider“ vom ZDF eher als Satire interpretieren :-? Seriösen Journalismus kann ich da jedenfalls nicht entdecken. Im übrigen hat das ZDF ja noch mehr solcher Formate im Angebot. Bei „Lege packt aus“ bin ich schon auf ähnliche Click-Baits „hereingefallen“.
Dieser Artikel ist ein Genuss zu lesen.
Darüber hinaus, bin ich nun seit drei Monaten Abonnement. Übermedien stellt für mich eine gewaltige Menge an Informationen bereit, um Informationen richtig einordnen zu können. Sensationell gut. Vielen Dank.
#13, Sorry Herr Wilken, Sie müssen sich schon an dem messen lassen, was Sie schreiben. Da ziehen Sie sich unnötigerweise an dieser Maskerade auf. Sie finden es sogar witzig, zu spekulieren, ob der angeklebte Bart ein Teppich ist. Das ist einfach völlig nebensächlich und lenkt ab.
Zum Inhalt: Ich vermute, ich fahre ähnlich oft wie sie Bahn. Da hätte ich mir einfach weniger Empörungsjournalismus über den mäßigen ZDF-Beitrag gewünscht. Stattdessen zitieren Sie länglich die Bahn-Pressestelle, obwohl auch die nur Nebel wirft.
Zwei Beispiele: Kaffee im Restaurant. Da ist angeblich in 84 Prozent aller Fälle alles Tutti, tragen Sie die Propaganda der Bahn weiter. Wer auch nur ansatzweise regelmäßig Bahn fährt, weiss, dass das nicht stimmt. Die Kritik des Insiders am Verpflegungsservice der Bahn stimmt. Irgendwas ist dort immer. Die Kaffeemaschine ist mehr kaputt, als das sie läuft. Wenn das Restaraunt überhaupt auf hat. Oft hat es zu. Wir Bahnprofis wissen, dass das Essen in Tüten heißgemacht wird, Otto Normalnutzer nicht. Die Kritik in der Doku daran ist berechtigt. Auch verschmutzte Geschirr gehört kritisiert. Wo ist das Ihr Problem?
Das größte ist aber tatsächlich die Störanfälligkeit des Bistros, dass auch bei Fernreisen oft das Personal fehlt, deshalb keine Verpflegung stattfindet. Die Speisekarte ist Makulatur, quasi nie ist sie komplett da. Das wissen Sie alles, schreiben es aber nicht. Dafür erfahren wir, was die Bahnpressestelle sagt. Wofür ist das gut? Für nichts. Es ist in Ihrem Text einfach nicht gut.
Zweiter Punkt: Natürlich will die Bahn den Zug nicht bewusst räumen lassen, diese Info aus der Doku ist nicht richtig.
Richtig ist aber, dass die Bahn zu Spitzenzeiten eine Überbelegung von 230 Prozent einkalkuliert und somit bewusst in Kauf nimmt, dass ein Zug zu voll ist. Die Überbelegung soll die mangelnde Auslastung zu Nebenzeiten ausgleichen. Und weil die Rechnung nicht immer aufgeht, ist ein Zug auch mal überfüllt.
Übrigens auch, weil Zuggäste aus gestrandeten Zügen in bereits volle gequetscht werden. Aber voll ist eben oft voll.
Ja, diese Info hätte ich in der Doku gerne gehört. Aber kritisieren Sie das? Nein. Auch da tragen Sie stattdessen wieder die Propaganda der Bahnpressestelle weiter. Sorry. Das ist nicht viel besser, als die Doku.
Das waren nur zwei Beispiele von etlichen in Ihrem Text. Ich bleib dabei: Vor lauter Empörung über eine mäßige Doku, erledigen Sie in diesem Text den Job der Bahn. Deren Propaganda will ich so bei Übermedien aber nicht lesen.
@Martin Busche: So so, „Propaganda“. Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie so Lust machen, mit Ihnen zu diskutieren, haben Sie sich in diesem Fall überschätzt. Einen schönen Samstag noch!
#17, es geht nicht um Lust. Es geht um guten Journalismus, es geht um gute Kritik an einer Doku mit Schwächen.Es geht um Sensibilität. Die ausführlichst zitierte PM der Bahn kam, nachdem sie dem ZDF nur Allgemeinplätze zugeschickt hatten. Durch Sie bekommt sie eine Reichweite, die es nicht braucht.
Ich habe Ihnen an zwei wahllos ausgesuchten Beispielen nachgewiesen, dass Ihre Kritik an der Doku ebenfalls oberflächlich ist. Dazu verbreiten Sie überflüssigeweise die Halbwahheiten der Bahn..Anstatt sich zu hinterfragen, sind Sie jetzt beleidigt. Sie schreiben Ihren Text im Empörungsmodus. Ich bin nur empört, dass dem so ist. Statt beleidigt zu sein, sollten Sie sich der Kritik stellen. Bei der Bewertung der Doku liegen wir gar nicht so weit auseinander. Uns trennt nur der Ton.
@Martin Busche: Naja, beleidigt. Ich laboriere seit Tagen an einer Erkältung herum und habe für mich entschieden, dass es meiner Genesung nicht zuträglich ist, mich im Internet anpöbeln zu lassen. Darüber hinaus stellte ich fest, dass sie weder auf meine Erwiederung (#13) noch auf den Kommentar von Jürgen (#14) eingegangen sind, woraus ich schloss, dass Ihnen an einer konstruktiven Diskussion vielleicht gar nicht gelegen ist. Das ist alles.
Aber ich will mal nicht so sein: Wenn Ihnen der Stil des Textes nicht gefällt – fair enough, damit kann ich leben. Andere fanden es gerade gut so. Man kann es nie allen recht machen. Dass Sie mir „nachgewiesen“ hätten, unsauber zu arbeiten, halte ich dagegen für ein übertrieben. Es stimmt: An zwei, drei Punkten beziehe ich mich auf die Stellungsnahme der DB. Dass Sie diese pauschal in Zweifel ziehen, ist Ihr gutes Recht (von „Propaganda“ zu sprechen, finde ich dagegen nach wie vor nicht angebracht und auch nicht konstruktiv), auch wenn ich dafür keinen Grund sehe. Aber selbst wenn wir diese Punkte aus meiner Kritik streichen, bleiben immer noch viele übrig, die Sie unter den Tisch fallen lassen. Etwa: Fehlende Normierung der Emissionen auf Betriebsgröße/Verkehrsleistung. Falsche Darstellung des Elektrifizierungsgrades des deutschen Schienennetzes (siehe: https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/infrastruktur/elektrifizierung-bahn/). Rosinenpicken bei der Auswahl von Verspätungsgründen in der Straßenumfrage, so dass ein Bias entsteht. Fehlende Konzentrationsangabe zu den aeroben mesophilen Keimem (das bloße Vorhandensein dieser Keime ist eine Nullaussage und belegt kein Gesundsheitsrisiko; das ist in der finalen Version des Textes nicht enthalten, hatte ich aber in einem Kommentar ergänzt). Und so weiter. Das sind handwerkliche Fehler des ZDF, die m.E. zu kritisieren sind.
Was mich aber mal interessieren würde: Wie kommen Sie auf eine Überbelegung von 230 Prozent? Woher stammt diese Zahl?
@Martin Busche (#12):
Doch, sehr wohl. Die Verkleidung und das Bohei, das die Sendung darum veranstaltet, bauen Fallhöhe auf. Behauptung: Hier müssen Leute aufwendig getarnt werden, weil sie gleich Ungeheures preisgeben werden (sonst müsste man sie ja nicht aufwendig tarnen).
Was dann kommt, sind aber nur altbekannte Probleme (kaputte Kaffeemaschinen, kaputte Schienen, Verspätungen), Scheinprobleme (nicht täglich gewaschene Kopfkissen, kein frischgekochtes Essen), Belangloses (nicht jedes ICE-Ticket ist für 9,90 Euro verfügbar), Halbwahrheiten (Bahn muss bei manchen Verspätungen nicht mehr zahlen) und grober Unfug (Abzocke-Vorwurf, weil die Prämienpunkte bei Einlösung nicht den Fahrpreis erstatten).
Nichts, wirklich gar nichts davon ist irgendwie neu – zumindest was den Teil betrifft, der wahr ist. Der ganze Tarn-Aufwand hat allein den Zweck, große Enthüllungen zu suggerieren, die dann nicht stattfinden. Das macht die Tarnung zum Kern einer Inszenierung. Und zum notwendigen Ziel vonMedienkritik.
@#16 Martin Busche: „ Richtig ist aber, dass die Bahn zu Spitzenzeiten eine Überbelegung von 230 Prozent einkalkuliert und somit bewusst in Kauf nimmt, dass ein Zug zu voll ist.“ Da würde mich tatsächlich auch deine Quelle interessieren. Ein Zug gilt mit 200% Belegung als überfüllt. Und wenn viel Gepäck dabei ist, wird auch schon früher zum Aussteigen animiert. Warum sollte die Bahn also mit 230% Überbelegung kalkulieren? Jedem Fahrgast, den sie wieder auslädt, muss sie eine Entschädigung zahlen. Ganz zu Schweigen von der Unzufriedenheit und Folgeverspätungen und somit noch mehr zu zahlenden Entschädigsprämien. Fragen über Fragen.
@16, @19, die Zahl stammt von Bahnmitarbeitern, die mir sehr nahe sind und seit Jahrzehnten dort beschäftigt sind. In unterschiedlichen Funktionen.
Natürlich wird die Zahl selten erreicht. Die Bahn strebt sie auch nicht an. Aber an Spitzentagen wie Weihnachten, Wochenenden etc oder auch bei stapeln sich die Fahrgäste bekanntlich im Zug. Da wird die Überbelegung bewusst in Kauf genommen. Aber nochmal: Es ist ein Spitzenwert. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die massive Überfüllung seltener geworden ist. Das ändert aber nichts daran, dass sie bewusst in Kauf genommen wird. Auch in dieser Höhe.
@16,@19, ich finde nicht, dass die Passantenbefragung zur Fahrpreiserstattung mißglückt ist. Das die Bahn jährlich mehr Regreß zahlt, ist auch kein Argument.
Streiche ich mal die Verspätungen wegen Personen im Gleis, Suizid etc, sind die allermeisten Gründe für die Verspätung hausgemacht. Marode Infrastruktur, warten auf freie Gleise, Bummeln auf der Strecke, weil die Bahn vorher Verspätung hat, etc. Oberleitungsschaden. Kaum etwas davon wird mittlerweile erstattet. Wir sind an einem Punkt angelangt, den es schon mal gab. Vor der Verschärfung der Regresszahlung. Da wurde als Grund für die Verspätung immer „Verzögerung im Betriebsablauf“ angegeben. Damit Kunden nicht wussten, ob die Bahn für die Verspätung verantwortlich war oder nicht.
@20, ich halte die Verkleidungsdiskussion weiter für nebensächlich. Informanten müssen geschützt werden. Wie das optisch geschieht, ist für mich Geschmacksache. Von hinten, abgedunkelt, in einer großen Kapuze? Mit verstellte Stimme, verpixelt? Wie wäre es denn recht?
@Martin Busche, 22
„Wie wäre es denn recht?“
Der Aufwand, der für Verkleidung und Requisite betrieben wird, sollte in einem für den Zuschauer (und Gebührenzahler) nachvollziehbaren Verhältnis zum Interformationsgewinn stehen. Der Meinung vieler nach (mich eingeschlossen) war das bei den ZDF Insidern nicht gegeben.
„Marode Infrastruktur, warten auf freie Gleise, Bummeln auf der Strecke, weil die Bahn vorher Verspätung hat, etc. Oberleitungsschaden. Kaum etwas davon wird mittlerweile erstattet.“
In diesen Gründen wird natürlich erstattet. Das sind betriebliche Gründe, die klar im Einflussbereich des Eisenbahnverkehrsunternehmens liegen.
@Martin Busche #13 „Richtig ist aber, dass die Bahn zu Spitzenzeiten eine Überbelegung von 230 Prozent einkalkuliert[…]“ vs. #22 „Die Bahn strebt sie auch nicht an.“ Wie jetzt? Vorsatz, oder doch nicht? Es soll also also an Spitzentagen Belegungen von 230% gegeben haben (ich interpretiere ihre „Überbelegung von 230%“ mal dahin, weil eine Überbelegung von 230% wären ja 330% Belegung, was völlig illusorisch wäre). Das mag ja vielleicht sein, aber ihre permanenten Unterstellungen eines Vorsatzes kann ich nicht nachvollziehen. Seit ca. 2017 kann man einen Zug nicht mehr buchen, wenn er ausreserviert ist. Natürlich können dann Menschen immer noch Flextickets kaufen und bewußt in einen ausgebuchten Zug einsteigen. Von daher bliebe der Bahn nur noch Reservierungszwang, wie bspw. im französischen Fernverkehr. Wer möchte denn so etwas haben?
@Martin Busche (#22):
Joa. Wenn sie denn relevante Informationen lieferten, die bislang nicht öffentlich waren, stimmte das. Nennt man dann Whistleblowing. Aber war das hier der Fall? Nö. 90 Prozent von dem, was die Insider „enthüllen“, kennt jeder Bahnkunde zur Genüge. Und den Rest kann man viel fundierter von Experten erfahren, die kein Problem haben, mit vollem Namen und echter Nase im Fernsehen aufzutauchen (siehe Dirk Flege).
War hier aber nicht gewünscht, es ging um den Schein des vermeintlich aufgedeckten Skandals – deshalb die ganze Verkleiderei. Den Inhalt hätte man sich ohne Mummenschanz fundierter besorgen können. Ein ehemaliger Lokführer „enthüllt“, dass die Bahn Dieselloks einsetzt. Ernsthaft? Warum holt man sich nicht lieber eine Verkehrsökonomin vor die Kamera, die en detail vorrechnen kann, wieso es mit der Klimaneutralität bis 2040 schwierig wird? Wäre informativer gewesen, aber natürlich weniger „clickable“ als irreführende Schautafeln vor dem Berliner Hauptbahnhof.
Was die Erstattung bei Verspätungen betrifft: Hatte ich letztes drei Mal, und in keinem der Fälle hat die Bahn sich geweigert, zu entschädigen. Sie ist halt in den meisten Fällen selbst schuld, und das weiß sie auch. Die Behauptung aus der Doku, dass es eine Rückerstattung nur noch in ganz speziellen Fällen gäbe, deckt sich nicht mit der Realität.
@Kritischer Kritiker (#25):
„Die Behauptung aus der Doku, dass es eine Rückerstattung nur noch in ganz speziellen Fällen gäbe, deckt sich nicht mit der Realität.“
Genau. Die Bahn würde nämlich gegen EU-Recht verstoßen, wenn sie in diesen Fällen nicht erstattet. Fahrgastrechte werden auf europäischer Ebene verhandelt, die Bahn kann da keine Sonderwege gehen.
„Informanten müssen geschützt werden.“ Vor wem oder was genau?
Don Ferrovia und tragische „Zugunglücke“? Wenn die Zeugen anonym bleiben wollten, was ja ok ist, hätte man deren Aussagen einfach vorlesen können. Wie das auch bei brisanteren Äußerungen praktiziert wird.
Es ist nicht so, dass da Betriebsgeheimnisse ausgeplaudert wurden, oder sonstwas gesagt wurde, was juristisch in einer Grauzone läge.
Die Bahn könnte an ganz vielen Stellen besser funktionieren, und da kann man gerne viele kritische Reportagen drüber drehen, aber diese Inszenierung ist in erster Linie selbstverliebt.
#24, ich verstehe deine Rechnung nicht. 230 Prozent bedeuten 230 Prozent, nicht 330. Das ist doch auch nicht so schwer. Bei 100 Prozent sind alle Sitzplätze belegt. Bei 200 Prozent sind nochmal soviel Leute drin, wie Sitzplätze vorhanden sind. Das passiert doch oft genug.
Die 200 Prozent sind von der Bahn ja auch offiziell bestätigt. Dann will sie ja offiziell räumen lassen. Jetzt pack die 30 Prozent noch dazu. Von 330 Prozent ist keine Rede.
Die 200 Prozent haben wir wahrscheinlich alle schon mal erlebt.
Oder rechnest du mit 230 Prozent Überbelegung, also 100 plus 230. Das war nicht gemeint.
@Martin Busche (#28):
„Die 200 Prozent haben wir wahrscheinlich alle schon mal erlebt.“
Also ich für meinen Teil habe das tatsächlich noch nicht erlebt. Ein 2.-Klasse-Wagen im ICE 4 (Baureihe 412) hat 88 Sitzplätze. 200 Prozent Belegung heißt, dass da noch einmal 88 Leute stehen müssen – pro Wagen! Ich kann mir schwer vorstellen, wie das überhaupt funktionieren soll.
Ich habe es in D. einmal erlebt, dass die erste Klasse freigegeben wurde, was bedeutete, dass man auf weichen Teppichböden saß, weil die Sitzplätze voll waren.
Mit Eingangsbereichen und dergleichen waren vllt wirklich mehr als doppelt so viel Passagiere wie Sitze im Zug.
Dass die Bahn das „Risiko“ von Überbelegung einkalkuliert, mag ja sein, die 230% kommen mir aber trotzdem weltfremd vor. Vor allem, wie soll das die mangelnde Auslastung zu anderen Zeiten „ausgleichen“?
Ich hab mich noch mal ein bisschen umgehört. Eine feste „Überbelegungsquote“ von 200 %, ab der eine Teilräumung erfolgt, existiert so nicht. Stattdessen gibt es feste Zahlen, ab wie vielen stehenden Personen pro Wagen bei 100 % Sitzplatzbelegung der Zug nicht mehr weiterfahren darf. Die Zahlen sind aufgrund verschiedener baulicher Voraussetzungen von Baureihe zu Baureihe verschieden und variieren recht stark. Für die gebräuchlichsten Fahrzeugtypen im Fernverkehr der Deutschen Bahn (ICE 3, ICE 4 und Intercity 2) liegen sie zwischen 30 und 100 Personen pro Wagen. Prozentual sind das zwischen 45 und 100 % der in diesen Zügen pro Wagen zur Verfügung stehenden Sitzplätze.
#29, die 200 Prozent Belegung sind doch selbst von der Bahn bestätigt. Daa ist Belegung, bei der die Bahn manchmal räumen lässt. Dann stehen die Menschen im Abteil, zwischen den Zügen, ballen sich im Speisewagen etc.
Gezählt wird nicht pro Abteil, sondern pro Zug. Das ist ja ein Unterschied. Vor allem wenn man die erste Klasse dazu nimmt. Die Fahrgäste sind ja selten gleich im Zug verteilt.
@Martin Busche (#32): Bitte einmal meinen Beitrag #31 lesen, da habe ich das ausgeführt. Wie dort geschrieben, eine feste 200-Prozent-Regel gibt es ausdrücklich nicht. Es ist im Übrigen auch nicht von Abteilen die Rede, sondern von Wagen. (Ein Zug besteht in der Regel aus mehreren Wagen. In den Wagen kann es wiederum Abteile geben, das ist aber heutzutage eher die Ausnahme, da fast alle modernen Züge nur noch Großraumwagen haben.)
Wir sollten aber nicht vergessen, dass es hier ursprünglich mal um Medienkritik ging. Vielleicht kommen wir einfach langsam wieder zum eigentlichen Thema zurück.
@ Martin Busche
Sie schreiben:
„Wir Bahnprofis wissen, dass das Essen in Tüten heißgemacht wird, Otto Normalnutzer nicht.“
Sowohl Otto N. wie auch „Bahnprofis“ wie Sie haben den gleichen, sehr freien Blick in die Arbeitsräume eines Restaurant-Wagens. Jedes Kind, das einmal Bahn gefahren ist, wird wissen, dass dort niemand am Herd steht und bruzzelt.
Abgesehen davon finde ich ihre Kritik hier komplett überzogen. Sebastian Wilken hat Punkt für Punkt aufgelistet, warum ihm was nicht gefallen hat. Er sagt auch, dass es selbstverständlich Dinge gibt, die bei der DB nicht gut laufen und wo sich eine Recherche gelohnt hätte. Nur hat genau das im ZDF gefehlt.
Diese ZDF-Sendung kramt längst bekannte Dinge hervor, verkürzt und verbiegt in einer teils perfiden Art, veranstaltet mit großem Bohei einen lächerlichen Mummenschanz. Und genau das wird unisono überall kritisiert, nicht nur bei Übermedien.
In einer Szene hatte ich den Eindruck, dass der Scherz-Insider eigentlich etwas anderes gesagt hatte als durch den Schnitt in der Sendung suggeriert wird, beziehungsweise auf eine leicht andere Frage geantwortet hatte. Nämlich, dass er im Kaffeemaschinen-Beispiel eigentlich gefragt worden ist oder erläutert hat, was die Ursache für die Defekte der Maschinen ist. Wie er sinngemäß sagt: meist unterlassene Reinigung. Woraus dann für die Zuschauer wurde: Kaffeemaschinen sind meist kaputt, wegen unterlassener Reinigung.
Ich habe dem ZDF auch über den Zuschauerservice, nicht über die Pressestelle, die Frage gestellt, was die Frage zu der Antwort war, aber noch keine Antwort dazu bekommen.