Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Wenn man der Internetseite „Nius“ glaubt, arbeiten die Grünen daran, eine eigene, der Partei unterstellte Polizei aufzubauen, deren Aufgabe es ist, gegen politische Gegner vorzugehen: mit Einschüchterungen und notfalls vielleicht auch mit Waffengewalt, ganz in der Tradition der Nationalsozialisten im „Dritten Reich“.
Das klingt für die meisten Menschen vermutlich so abwegig, wie es ist, aber nicht unbedingt für das Publikum von „Nius“. Dem vermitteln Julian Reichelt und seine Leute seit Monaten fast täglich das Gefühl, dass es sich bei den Grünen um eine diabolische, wenn nicht faschistische Gruppierung handelt, die mit allen Mitteln das Ziel verfolgt, die Opposition auszuschalten, die Demokratie abzuschaffen, das Denken zu verbieten. Die Behauptung, nun werde auch noch eine Gestapo- oder SA-artige Truppe aufgebaut, erscheint vor diesem Hintergrund für die Leser- und Zuschauerschaft wahrscheinlich weniger überraschend oder absurd, sondern geradezu zwingend.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Die Agitation (das Wort „Berichterstattung“ wäre wirklich irreführend) gegen einen Verein Grünen-naher Polizistinnen und Polizisten ist ein gutes aktuelles Beispiel dafür, wie dieses Medium arbeitet. Und vielleicht ein weiterer Anlass für Politiker, sich zu fragen, ob sie dieser Plattform durch Interviews mehr Gewicht und den Anschein eines journalistischen Mediums geben wollen.
PolizeiGrün ist eine Berufsvereinigung, die nach eigenen Angaben eine kleine dreistellige Zahl von Mitgliedern hat und laut Satzung dazu beitragen will, „die Polizei modern fortzuentwickeln und den Rückfall in alte Strukturen zu vermeiden“. Ähnliche Zusammenschlüsse von parteinahen Polizisten gibt es auch in Form von Arbeitskreisen in CDU und SPD. Auch PolizeiGrün entstand 2013 zunächst als Teil der Landesarbeitsgemeinschaft Demokratie der Grünen in Baden-Württemberg, ist aber inzwischen ein eingetragener Verein. Als Postanschrift war auf der Internetseite ursprünglich eine Privatadresse angegeben; inzwischen steht dort die Adresse der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen, das wird gleich noch wichtig.
Der Verein ist in den sozialen Medien aktiv, und ein missglückter Tweet am 8. Februar löste die aktuelle Kampagne von „Nius“ aus. Alexandra Föderl-Schmid, die stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, wurde damals vermisst. Es gab die Befürchtung, dass sie sich etwas angetan haben könnte. In den sozialen Medien machten Leute für den voreilig angenommenen Suizid „Nius“ verantwortlich: Das Medium hatte im Zusammenhang mit Abschreibe- und Plagiats-Vorwürfen Stimmung gegen Föderl-Schmid gemacht und eine gewaltige Hass-Welle ausgelöst und befeuert.
In dieser Stimmung twitterte Polizei Grün:
Wer jemals eine #Suchaktion zu einem vermissten #Menschen geleitet hat, weiß wie schwer es für die Angehörigen ist, die Ungewissheit auszuhalten. Der #Respekt gebietet es jetzt einfach mal innezuhalten u. an den vermissten Menschen zu denken. Um #Nius kümmern wir uns später.
Als die wie eine Drohung wirkenden Formulierung im letzten Satz Kritik auslöste, antwortete der Account von PolizeiGrün:
Gemeint war natürlich eine sachlich-kritische Auseinandersetzung mit der Rolle, die dieses … „Medium“ … in diesem Fall gespielt hat.
Doch so einfach ließ sich die Sache nicht einfangen. „Nius“ nutzte die Vorlage, um maximales politisches Kapital daraus zu schlagen, und beließ es nicht bei Kritik, sondern setzte eine Desinformationskampagne mit mehreren Videos und Artikeln drauf.
Julian Reichelt behauptet in einem Video seiner Reihe „Achtung Reichelt“, die „Grüne Partei baut in ihrer eigenen Parteizentrale ihre eigene Polizei auf“, mit Polizisten, die „gegen politisch Andersdenkende vorgehen“. Er sagt:
„Das wirklich allerletzte, was wir in diesem Land jemals wieder wollen, ist eine politische Polizei. Eine Polizei, die im Dienste der herrschenden Partei steht, und mit der ganzen Macht der Polizei gegen politische Gegner, gegen die Kritiker der Mächtigen und unbequeme Medien vorgeht, und mit Politkommissaren gemeinsame Sache macht. Unser Land hat zweimal Bekanntschaft gemacht mit einer solchen Polizei, die aus der Parteizentrale gesteuert und befehligt wird. Zweimal war es eine historische Katastrophe. Zweimal ist genug.“
Der Popanz, den Reichelt aufbaut, könnte größer nicht sein. Auf der falschen Behauptung, dass hier eine Partei eine eigene Polizei aufbaut, entwickelt er die größten, irrwitzigsten, furchteinflößendsten Szenarien. Er behauptet vieles, was einfach nicht stimmt, zum Beispiel dass es in anderen Parteien nicht solche Vereinigungen von Polizisten gebe oder dass diese Polizisten in der Bundesgeschäftsstelle der Partei (Reichelt nennt es das „Hauptquartier“) „sitzen“. Es gibt dort nach Angaben des Vereins nicht einmal einen Schreibtisch für die Berufsvereinigung – die Geschäftsstelle dient, wie gesagt, nur als Adresse für Briefpost. Die Polizisten, die sich im Verein organisiert haben, gehen einfach ihrer normalen Polizeiarbeit nach; der Vorsitzende Armin Bohnert zum Beispiel im Polizeipräsidium Freiburg.
Reichelt aber beschwört wieder und wieder die von ihm selbst an die Wand gemalten Zeichen des Faschismus. Dass die Bundesgeschäftsstelle der Grünen im Impressum steht, nennt er „natürlich furchterregend“. Es verstoße „natürlich“ gegen das Neutralitätsgebot der Polizei: „Die Polizei darf für keine Partei arbeiten.“
Das tut sie auch nicht. Aber Polizisten dürfen natürlich Parteimitglieder sein und sich in Vereinen organisieren, um für die eigenen Interessen zu kämpfen und Lobbyarbeit zu machen – gegenüber einer Partei oder anderen Institutionen sowie in der Öffentlichkeit.
Reichelt aber behauptet:
„Ganz offenkundig baut sich die Grüne Partei in ihrem Hauptquartier eine Einschüchterungstruppe aus treu ergebenen Polizeibeamten auf, die auch noch unter dem Namen ‚Polizei‘ auftreten.
Er behauptet:
„Sie wollen, dass die Leute Angst vor dieser Polizei bekommen.“
Er behauptet:
„PolizeiGrün ist nichts anders als ein digitaler Schlägertrupp, wo echte Polizisten unter dem Namen ‚Polizei‘ als Vollstrecker grüner Ideologie auftreten. Parteipolizisten, die Zugriff auf Computer, auf Ihre Daten haben. Polizisten, die im Schutze der Grünen Partei gegen Presse und Meinungsfreiheit vorgehen.“
Er behauptet, dass die – zweifellos unglückliche – Formulierung in einem Tweet, sich später um Nius zu „kümmern“, „nichts anderes“ sei „als eine Gewaltandrohung von Polizisten in der Grünen Parteizentrale gegen uns freie Medien.“
Zur Einordnung und als Stimme der Vernunft dient ihm passenderweise die durch schrille Auftritte und Ausfälle bekannt gewordene Vermögensverwalterin Gloria von Thurn und Taxis. In ihrem wöchentlichen gemeinsamen Videocall erzählt Reichelt ihr, dass „Polizisten in der Grünen Parteizentrale sitzen und von da aus sich offenbar unliebsame Medien vorknöpfen“. Thurn und Taxis antwortet:
„Erinnert an die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte und macht natürlich Angst. Was wollen Sie denn tun, wenn pötzlich Schlägertruppe vor Ihrer Tür stehen. Dann haben sie gar keinen Möglichkeit, sich zu wehren.“
Sie hätte sich gewünscht, dass die (von „Nius“ erfundene) Parteipolizei „eine Schlagzeile ist auf der ersten Seite der ‚Süddeutschen Zeitung‘ oder der ‚Frankfurter‘, weil: Da gehört das eigentlich hin.“ Aber die Grünen hätten „dafür gesorgt, dass die Medienlandschaft mit ihren Sympathisanten durchsetzt ist und insofern sie den höchsten Schutz für sich beanspruchen können.“ Man gehe „ganz zufrieden in den nächsten Totalitarismus rein“.
Thurn und Taxis spricht von einer „Form der Erpressung“ durch den PolizeiGrün-Tweet. Reichelt sagt, für sein Empfinden sei das eine „Nötigung“:
„Menschen, die in Uniform auftreten, die in Uniform quasi für eine Partei auftreten, die Waffen tragen dürfen, sagen: Wir kümmern uns später um Euch.“
Es geht immer so weiter. Die Redundanz und Eindringlichkeit von Reichelts Vortrag, die groteske Übertreibung der Behauptungen, die irrwitzigen Unterstellungen, die er als unmissverständliche Tatsachen darstellt: Es ist reine Demagogie.
Über die zwischenzeitliche Sorge um Alexandra Föderl-Schmid sagt er in einem der Videos übrigens:
„Nach unserer Berichterstattung bei ‚Nius‘ war die Vizechefin der ‚Süddeutschen Zeitung‘ für rund 24 Stunden verschwunden und wurde von der Polizei gesucht. Manche befürchteten, sie könnte sich etwas angetan haben, was sich später zum Glück als falsch herausstellte, wie so vieles so oft bei der ‚Süddeutschen Zeitung‘.“
Dass sie lebend von der Polizei gefunden und in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, bedeutet natürlich keineswegs, dass sie sich nichts angetan hat; die Umstände sind nicht bekannt und im Zweifel privat. Aber aus der Tatsache, dass sie sich nicht wie befürchtet das Leben genommen hat, eine Pointe über die angeblich chronisch die Unwahrheit sagende SZ zu machen – das sagt viel aus über die Unanständigkeit des Julian Reichelt.
„Nius“ ist kein seriöses journalistisches Medium, das lässt sich an vielen einzelnen Beispielen zeigen: „Nius“ denkt sich Dinge aus, „Nius“ schreibt ab, „Nius“ stellt Menschen bloß. Tatsachen werden verdreht, bis sie ins eigene Weltbild passen und sich als Empörungmacher einsetzen lassen.
Man kann fragen, in welchem Maß „Nius“ überhaupt ein journalistisches Medium ist: Vor allem bei Formaten wie „Achtung, Reichelt“ ist das Geschäft von „Nius“ offenkundig nicht die Produktion von Journalismus, sondern von Wut. Es wird Stimmung gemacht gegen die Regierung, gegen die Grünen, gegen Flüchtlinge, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, gegen Trans-Menschen.
Hinter „Nius“ steckt eine eindeutige politische Agenda, aber das ist nicht das eigentliche Problem. Das eigentliche Problem ist, dass „Nius“ – vor allem in der Person des Verantwortlichen Julian Reichelt – seinen politischen Kampf nicht im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern führt, sondern als Vernichtungsmission. Vor allem die Grünen werden nicht als Leute angegriffen, die womöglich das Falsche tun, sondern als Idioten und Möchtegerndiktatoren, die das Land absichtlich zerstören wollen. Es gibt keine Auseinandersetzung über Ziele und Mittel, sondern Diffamierung und Dämonisierung ohne jedes Maß. „Hass und Hetze“, Julian Reichelt nutzt das Begriffspaar bezogen auf die eigene Arbeit ironisch stolz, aber tatsächlich ist es genau das: Hass und Hetze. So, wie er seine politischen Gegner darstellt, wirkt Hass wie eine natürliche, angemessene, fast notwendige Reaktion.
Reichelt befördert nicht die politische Auseinandersetzung. Er zerstört sie. Er macht einen Meinungsstreit unmöglich, weil auf der anderen Seite niemand mit anderen Meinungen steht, sondern ein von ihm selbst aufgeblasenes verbrecherisches Monster.
Man kann sich als politischer Gegner der Grünen natürlich reflexhaft freuen, wenn man sieht, dass hier jemand diese Partei und ihre Vertreter ins Visier nimmt. Aber man müsste schon auch zur Kenntnis nehmen, mit welchen Mitteln dieser Kampf geführt wird und wie hoch sein Preis ist. Ist einem wirklich jedes Mittel, jede Diffamierung recht, jedes Zertrümmern einer Debatte, die auf Tatsachen und Argumenten beruht?
Diese Frage müssen sich auch Politiker stellen, die mit „Nius“ sprechen. Als wir uns erkundigt haben, warum sie das machen, fand einer schon die Frage unanständig – als wäre es ein Anschlag auf die Pressefreiheit. Natürlich ist es zunächst mal eine gute Idee, wenn Politiker mit ganz unterschiedlichen Medien reden, und es gibt umgekehrt auch keine Kontaktschuld, mit der ein Politiker, der mit „Nius“ spricht, jede journalistische Verfehlung von „Nius“ auf sich lädt. Es gibt aber auch keine Pflicht, im Namen der Pressefreiheit mit jedem Medium zu reden, egal wie radikal und destruktiv und unseriös es ist.
Was es gibt: Verantwortung. Für das eigene Tun und dessen Wirkung. Für den gesellschaftlichen Diskurs.
Wer mit „Nius“ redet, trägt dazu bei, diese Form der Propaganda zu normalisieren. Wer mit „Nius“ redet, demonstriert damit, dass ihn Hass und Hetze nicht stören, wenn es nur den politischen Gegner trifft. Wer mit „Nius“ redet, verschafft diesem Medium Aufmerksamkeit und den Anschein von Satisfaktionsfähigkeit.
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Auf Facebook schaltet NIUS Werbung, jeder Post wird bis zu 9x beworben. Auch der mit dem Artikel von Lionello über „Polizei Grün“, der für um die 600 € zwischen 53.000 und 65.000 Impressions erhielt.
Wie nach der Lektüre eines der letzten eurer Analysen zu NIUS bleibt mir auch hier wieder nur der (gar nicht lustige) Kalauer:
Nachdem „Organ der Niedertracht“ dank Max Goldt ja schon für die BILD reserviert ist, ist Reichelt gut dabei, seinen Nachfolge-Gig zum Zentralorgan der Niedertracht zu machen.