Notizblog (5)

Ein Schelm, der bei „Nius“ an Recherche denkt

Sie gilt als eine Königsdisziplin des Journalismus: die investigative Recherche. Es geht darum, Informationen an die Öffentlichkeit bringen, die vorher noch nicht bekannt waren. Manchmal steckt dahinter eine monatelange Wühlarbeit, manchmal reicht ein Informant; die Quellen werden streng geschützt und bleiben fast immer geheim.

Dabei wäre es oft gerade interessant, die zu kennen (ganz besonders natürlich für Leute, denen die ursprüngliche Enthüllung nicht wirklich gelegen kam). Die entsprechende journalistische Disziplin könnte man investigative Investigative-Recherche-Recherche nennen, und natürlich ist das nur eine Sache für Spezialisten.

Wie die Leute von Julian Reichelts Wutportal „Nius“. Die haben in der vergangenen Woche scheinbar enthüllt, wie die Information, dass der Verfassungsschutz seinen ehemaligen Präsidenten Hans-Georg Maaßen als Rechtsextremisten beobachtet, in die Medien gelangte. Der Bruder soll’s gewesen sein. Georg Heil, der Bruder von Arbeitsminister Hubertus Heil, seines Zeichens Redaktionsleiter von „Kontraste“.

Der bestreitet die Tat allerdings – und „Nius“ hat nach einer Abmahnung den Artikel jetzt gelöscht.

Wie waren die „Nius“-Leute den beiden Heils zuvor auf die Schliche gekommen? Wie haben sie den angeblichen Weg der geheimen Information aufgedeckt? Fragen von Übermedien hat die „Nius“-Redaktion nicht beantwortet, und so müssen wir versuchen, den Weg dieser Enthüllung auf eigene Faust zu ermitteln. Nennen Sie es, wenn Sie unbedingt müssen, gern eine investigative Investigativ-Investigativ-Recherche-Recherche-Recherche.

Wie haben Sie das gemacht, Herr Nius?

Beginnen wir mit dem Ergebnis, wie es „Nius“ am vergangenen Freitag in der Überschrift zusammenfasste:

Der Fall Maaßen: Überwachung durch den Geheimdienst wurde von Bruder von Hubertus Heil durchgestochen!

Die Nachricht von der Überwachung hatten das ARD-Politmagazin „Kontraste“ und das Nachrichtenportal „T-Online“ veröffentlicht, und „Nius“ erläuterte:

Was viele nicht wissen: Es gibt nicht nur eine Art Blutsbrüderschaft zwischen der Kontraste-Redaktion und der Spitzenpolitik – es gibt WIRKLICH eine Blutsbrüderschaft zwischen dem ARD-Format und der Bundesregierung!

Tags zuvor hatte der AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Braun, auf Twitter/X auf die Verwandtschaft hingewiesen und den Hashtag „Clankriminalität“ hinzugefügt. Hans-Georg Maaßen selbst hat das retweetet.

Und was heißt das? „Nius“:

Heißt also: Die exklusive Meldung, dass einer der prominentesten Ampel-Kritiker des Landes, Hans-Georg Maaßen, vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird, wurde ausgerechnet an die Redaktion vom Minister-Bruder durchgestochen und auch dort exklusiv veröffentlicht.

Ja, vielleicht. Also, so könnte es gewesen sein. Oder ganz anders. Das müsste man recherchieren.

Jetzt geht’s lohos

Hier sind wir nun in unserer „Nius“-Masterclass an dem Punkt, an dem klassischerweise der Journalismus beginnt: Man müsste irgendwie rausfinden, ob es so war. Recherchieren. Man bräuchte Fingerabdrücke, verdächtige Stempel, einen Maulwurf, der aus dem Inneren der Bundesregierung plaudert. Oder aus dem Inneren der „Kontraste“-Redaktion.

Wie geht also die Beweisführung von „Nius“?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz untersteht der Führung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Okay.

Ein Schelm, der da an ganz kurze Wege denkt.

Ah.

Ja. Dieser Satz ist die vollständige Belegkette von „Nius“.

„Monitor“? „Kontraste“? Hauptsache ZDF!

Wobei, immerhin, die Recherche ging noch weiter:

NIUS fragte im Ministerium und bei Kontraste nach: War der Fall Hans-Georg Maaßen vor der Veröffentlichung Gesprächsthema zwischen dem Bundesarbeitsminister, Hubertus Heil, und seinem Bruder, Georg Heil, der gleichzeitig Redaktionsleiter von Monitor ist? Monitor schweigt, aus der Heil-Behörde heißt es knapp, aber eindeutig: „Nein.“

Wie, „Monitor“? Hat „Nius“ etwa beim WDR-Politmagazin „Monitor“ angefragt? Nicht beim rbb-Politmagazin „Kontraste“?

Nein, keine Sorge. „Nius“ hat nicht bei „Monitor“ nachgefragt. Aber bei „Kontraste“ auch nicht. Die entsprechende Mail ist im Entwürfe-Ordner von „Nius“-Mitarbeiter Jan A. Karon liegen geblieben – „getippt, aber nicht abgeschickt“, wie er Georg Heil hinterher mitteilte.

So lässt sich erklären, warum „Monitor“ „schweigt“, wie „Nius“ notierte. (Und „Kontraste“ auch.)

Nachdem sich Georg Heil auf Twitter beschwert hatte, entschuldigte sich Karon bei ihm und teilte ihm mit: „Die Geschichte ist depubliziert.“ Karon hat nach eigenen Angaben den Artikel nicht geschrieben. Er trägt keine Autorenzeile, im Quelltext steht allerdings „Jan A. Karon“ als „author“.

Zweiter Anlauf

Als der Artikel nach kurzer Zeit wieder online ging, war zwar die Sache mit dem „Monitor“-Fehler transparent korrigiert, und die Redaktion erklärte auch, dass eine Anfrage nicht unbeantwortet geblieben, sondern nicht verschickt worden war. Aber eine Stellungnahme von Heil oder der Redaktion fehlte immer noch.

Ebenso jeder Beleg für die Behauptung, die Information sei an Georg Heil „durchgestochen“ worden. Eine Behauptung, die von vielen auf Twitter weiterverbreitet wurde, auch von Hans-Georg Maaßen.

Dieser Behauptung widerspricht Georg Heil, wenn man ihn fragt: Er habe von der Verfassungsschutz-Einordnung Maaßens als Rechtsextremist erst durch einen Kollegen erfahren, sagt er zu Übermedien. „Nicht durch einen Verwandten, einen Politiker oder einen Beamten.“

Abmahnung

Georg Heil hat „Nius“ abmahnen lassen: Schon die Überschrift beinhalte eine unwahre Tatsachenbehauptung. Er sei zu keinem Zeitpunkt an Recherchen der Redaktion „Kontraste“ in Bezug auf Maaßen beteiligt gewesen. Der im Artikel erweckte Eindruck, er habe Informationen von einer Behörder über die Beobachtung Maaßens erhalten, sei unwahr.

In der Abmahnung schreibt Heils Anwalt Dominik Höch, „Nius“ habe „eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung“ gegenüber Georg Heil begangen,

„indem Sie ohne jeden Anlass und alleine aufgrund einer familiären Verbindung zwischen einem Vertreter der Bundesregierung und unserem Mandanten sich dazu aufgeschwungen haben, zu behaupten, unser Mandant habe auf rechtswidrige Weise und unter Ausnutzung von Verwandtschaftsverhältnissen geheime Informationen erlangt bzw. diese seien ihm zugespielt worden.“

Heil habe auch Anspruch auf eine Entschädigung für den entstandenen immateriellen Schaden.

„Nius“ hat angekündigt, eine Unterlassungserklärung abgeben zu wollen, und den Artikel heute gelöscht.

Für die Abschlussprüfung der „Nius“-Masterclass aber nehmen wir den Merksatz mit: Frag als Recherche einen Schelm. Was der sich denken könnte, stimmt.

6 Kommentare

  1. Nur ein kleiner Hinweis: Georg Heil hat Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Schadens, also der Rufschädigung. Die Geldentschädigung fällt aber dann schon richtig materiell aus.

  2. Dabei habe ich gedacht, dass gerade die meme-Formulierung „ein Schelm …“ genau dafür da ist. Dinge anzudeuten, die Lesende dann eben denken, die man ihnen aber nicht gesagt hat.
    Auf der anderen Seite fällt mir dann aber auch immer wieder auf, wie schlecht handwerklich ideologisierte Menschen in ihren Jobs sind.

  3. Langsam habe ich den Eindruck, Herr Reichelt hat sich zum Ziel gesetzt, auf Max Goldts „Organ der Niedertracht“-Zuschreibung gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber noch eins draufzusetzen und sein Portal zum „Zentralorgan der Niedertracht“ zu machen. Und er hat gute Chancen, dieses Ziel zu erreichen.

  4. @Daniel (#3):

    Dabei habe ich gedacht, dass gerade die meme-Formulierung „ein Schelm …“ genau dafür da ist.

    Also bitte! „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“ ist keine „Meme-Formulierung“ und wurde nicht von Internet-Trollen erfunden, um raunend Gerüchte zu streuen – auch wenn es sich dafür verwenden lässt. Es ist ein Sprichwort, dessen französische Urform („Honi soit qui mal y pense“) bis ins späte Mittelalter belegt ist. Auf französisch (!) ist es sogar auf dem Wappen des Vereinigten Königreichs verewigt. :-)

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