Notizblog (7)

Correctiv verursacht erstaunliches „Missverständnis“ über seine Recherchemethode

Screenshot: Youtube/Correctiv

Beim amerikanischen Nachrichtenmagazin „Semafor“ sind sie ganz aus dem Häuschen. „Die größte Enthüllung des Jahres, wenn nicht der Jahrzehnts“ nennen sie die Correctiv-Recherchen über ein Treffen von Rechten und Rechtsextremisten in Potsdam, bei dem ein Plan diskutiert worden sei, „Millionen im Ausland geborene Deutsche zu deportieren“. Und die Enthüllung, wie es zu der Enthüllung kam, sei selbst schon eine filmreife Geschichte.

So erzählt die leitende Redakteurin Gina Chua in einer Meldung im „Semafor“-Newsletter vom vergangenen Montag diese Geschichte:

Tipped off about the meeting, Correctiv deployed more than a dozen staff to stake it out, scrambling to secure a room in the booked-out hotel they were gathering at to sneak an undercover reporter into the building. The reporter they sent in roamed the halls with an empty mug, waving it around as a pretext to wander in and out of closed meeting rooms in search of an elusive cup of coffee. Meanwhile, he was recording sound, video and photos through his Apple watch.

Nachdem sie einen Hinweis auf das Treffen bekommen haben, schickte Correctiv mehr als ein Dutzend Mitarbeiter los, um es zu observieren und bemühte sich, noch einen Raum in dem ausgebuchten Hotel zu bekommen, um einen Undercover-Reporter ins Gebäude zu schmuggeln. Der Reporter, den sie hineingeschickt hatten, stromerte durch die Gänge mit einem leeren Becher, mit dem er herumfuchtelte, den er als Vorwand benutzte, um in geschlossene Konferenzräume zu gehen auf der Suche nach einer Tasse Kaffee. Währenddessen nahm er mit seiner Apple Watch Ton, Video und Fotos auf.

Der letzte Satz wäre, wenn er stimmte, nun wiederum eine ziemlich spektakuläre Enthüllung seitens „Semafor“. Denn Correctiv hatte bislang nicht behauptet, bei seinen Recherchen Tonaufnahmen angefertigt zu haben. Aus gutem Grund: Denn während heimliche Videoaufnahmen unter bestimmten Bedingungen erlaubt sind, ist das heimliche Mitschneiden des Tons von Gesprächen in Deutschland streng und ausnahmslos verboten. Auch die Verwendung solcher Aufnahmen ist illegal, wenn sie nicht der Wahrnehmung „überragender öffentlicher Interessen“ dient.

Und bei „Semafor“ steht das einfach so beiläufig als Tatsache, als wäre das keine große Sache?

Ein „Übersetzungsproblem“

„Semafor“ ist ein ambitioniertes Projekt von Ben Smith, dem früheren Chefredakteur von „Buzzfeed News“ und Justin B. Smith, dem früheren Geschäftsführer von Bloomberg. Es wurde 2022 gestartet, verspricht unter anderem einen „beispiellosen Grad an journalistischer Transparenz“ und nennt sich eine „Nachrichtenquelle, der man trauen kann“.

Gina Chua, die Autorin der Meldung, war früher unter anderem leitende Redakteurin bei Reuters. Sie hat für die Nachricht mit Correctiv-Gründer David Schraven gesprochen, den sie zu der Durchschlagkraft der Potsdam-Recherche mit den selbstbewussten Worten zitiert: „Zehn Jahre lang haben wir trainiert. Jetzt sind wir auf dem Platz.“

Nachfrage bei der stellvertretenden Correctiv-Chefredakteurin Anette Dowideit: Stimmt das, was „Semafor“ da schreibt? Die Antwort:

Ja, David Schraven hat mit Gina Chua gesprochen. Der Inhalt des Gesprächs ist nicht neu, er steht auch im Making Of zur Recherche:

https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/making-of-zur-geheimplan-recherche/

Wir mieteten ein Zimmer über ein Online-Portal, das die Hoteliers offenbar vergessen hatten zu blockieren. Damit konnte einer unserer Reporter ganz offen das Haus betreten und mit den anderen Gästen als einziger externer Teilnehmer übernachten. Unser Reporter unterhielt sich mit Angestellten und sprach sogar kurz mit dem Organisator und den Gastgebern des Hauses.

(…)

Die Apple Watch hat keinen Ton aufgezeichnet, da kam es wohl zu einem Übersetzungsproblem.

Gina Chua bestätigt das auf Nachfrage:

I had been chatting with David earlier about the great work that the team at Correctiv was doing, and he mentioned that the reporter had been recording at the event – but he’s since clarified to me that because of language differences, I had misunderstood him to mean sound when he meant pictures.

Ich hatte mit David über die großartige Arbeit gesprochen, die das Correctiv-Team leistet, und er erwähnte, dass der Reporter bei der Veranstaltung Aufnahmen gemacht habe – aber inzwischen hat er mir gegenüber klargestellt, dass ich ihn aufgrund von sprachlichen Unterschieden missverstanden habe: Ich dachte, er meinte Ton, dabei meinte er Bilder.

Gut, ein Missverständnis, okay, dann ist das ja geklärt. Wobei es etwas verblüffend ist, dass offenbar keiner der Beteiligten ein Interesse hat, dieses auch strafrechtlich nicht ganz unwesentliche Detail gegenüber der Öffentlichkeit zu klären und zum Beispiel die Meldung auf der „Semafor“-Seite zu korrigieren.

Fotografieren ohne Kamera

Offen ist nun allerdings noch die Frage: Wie nimmt man mit einer Apple Watch Fotos und Videos auf? Diese Uhr hat zwar ein Mikrofon – das aber ja angeblich nicht eingesetzt wurde – aber keine Kamera.

Nachfrage bei Anette Dowideit:

Mit einer Apple Watch kann man keine Bilder aufnehmen. Können Sie das aufklären?

Antwort Anette Dowideit:

Die Videobilder, die mit der Apple Watch gemacht wurden, sind einfach nur die kurzen Sequenzen aus der Lobby des Hotels, während die Gäste ankamen – die schon in einer Reihe von TV-Beiträgen zu sehen waren.

Huh?

Nochmalige Nachfrage:

Aber die Apple Watch hat keine Kamera, mit der man (Video-)Bilder aufnehmen kann.

Antwort:

Stimmt, wahrscheinlich war es ein anderes Fabrikat und David hat das ungenau ausgedrückt. Aber wie gesagt, das waren nur diese verwackelten Bilder aus der Lobby :-)

„Semafor“ hatte zwar keineswegs nur von Bildern in der Lobby geschrieben, sondern von einem Reporter, der mit einer aufnehmenden Uhr in geschlossene Konferenzräume spaziert, aber vielleicht hatte David Schraven auch das nur ungenau ausgedrückt.

Was das Fabrikat angeht, sagt Schraven selbst auf Nachfrage: Für ihn sei „Apple Watch“ ein Synonym für „Smart Watch“, so genau wisse er das nicht und vermutlich habe er mit seinem schlechten Englisch die „Semafor“-Kollegin verwirrt, jedenfalls habe man tatsächlich Video aufgenommen mit der Uhr und nicht Ton.

Keine vertrauensbildende Maßnahme

Vielleicht ist all das nur eine irrelevante Detailfrage und die fehlerhafte Nachricht bloß eine Kombination mehrerer Missverständnisse, entstanden in einem Gespräch zwischen einem Correctiv-Gründer, der zu einer gewissen Dickhodigkeit neigt, und einer Journalistin, die Fan seiner Arbeit ist. Vielleicht hat auch jemand versehentlich etwas erzählt, das so gar nicht in die Öffentlichkeit sollte.

Die Correctiv-Recherche in Potsdam hatte eine außerordentliche Wirkung. Sie ist Gegenstand mehrerer juristischer Auseinandersetzungen, bei denen es auch um Fragen geht, wie Correctiv an die Informationen gekommen ist. Die AfD, ihre Anhängern und medialen Verbündeten versuchen sie massiv und teilweise mit grotesken Argumenten zu diskreditieren.

Ist es angesichts dessen nicht erstaunlich, wie nonchalant die Journalisten hier mit den Widersprüchen und Fehlern umgehen? Wie wenig es ihnen anscheinend darauf ankommt, bei der nachträglichen Schilderung der Recherche (und beim Prahlen mit dem Erfolg) genau zu sein? Wie wenig sie dafür tun, einem kritischen, unvoreingenommenen Beobachter das Gefühl zu geben, ihnen im Detail vertrauen zu können?

Stattdessen gibt es ein Achselzucken: Da hat halt irgendwer mit irgendwas irgendwo irgendwas aufgenommen.

Nachtrag, 16. Februar. „Semafor“ hat die Meldung geändert. Nun heißt es an der Stelle:

Meanwhile, he was recording video and photos through his wristwatch.

19 Kommentare

  1. Welche Smartwatch hat überhaupt eine Kamera/Videofunktion? Mir fällt gerade keine ein.
    Kommt dazu dass der Übersetzungsfehler zu Beginn auch keinen Sinn macht. Recording / taking a picture und so.
    Ich persönlich bin relativ sicher, dass da halt mit GoPros oder so Video- und Tonaufnahmen gemacht wurden…

  2. Wenn in Texten die technischen Details so deutlich nicht stimmen, kommen bei mir schnell Zweifel am Text auf: Stimmen die anderen Aussagen?

    Deshalb super Nachfrage und Notiz – Danke!

  3. Wenn andere Details wie die Sache mit der Kaffeetasse auch mitgeschildert werden, kommt einem das doppelt so komisch vor.
    (Dass mit der Remigration hat mich jetzt nicht sooo überrascht, tbh, aber das ist jetzt nicht die Schuld von Correctiv…)

  4. Wenn schon die Details nicht stimmen / rum geeiert wird zu den Aufnahmen, was ich zumindestens teilweise nachvollziehen kann – wegen strafrechtlicher Relevanz – sät es natürlich Zweifel am Ganzen. Ich schätze Präzision. Und gerade bei solchen Enthüllungen ist Präzision und Glaubwürdigkeit A. Und O.

  5. Beifall von der falschen Seite? Bei „Nius“ und „Tichy“ wird auf diesen Beitrag von „Übermedien“ ausführlich verwiesen. Ich würde gern mehr über die Hintergründe der „Correctiv“-Enthüllungen wissen. Wie war es wirklich? Kann und will „Übermedien“ dazu beitragen?

  6. Ob diese Sauerei mit einer AppleWatch, einer GoPro oder einer Dose Pfirsiche mit Bild oder Ton oder Bild und Ton aufgezeichnet wurde, ist mir brause. Hauptsache, sie ist auf dem Tisch.

    Deshalb hege ich auch nach wie vor keinerlei Zweifel daran, dass Faschisten in ihren feuchten Träumen unliebsame Mitmenschen deportieren und im inneren Zirkel das Feuchte laut und schenkelklopfend aussprechen. Auch zweifle ich nicht, dass die AfD Faschisten in ihren Reihen hat, denen heute schon einer abgeht, wenn sie an die Zeit der Machtergreifung denken.

  7. #6 Wenn die Suche nach der Wahrheit Beifall von schlechten Menschen auslöst, kann man wohl nichts machen. Niggi hat mit seinen Nachfragen doch schon eigentlich eine Menge dafür getan, dass die Umstände aufgeklärt werden, nur halt die Gegenseite von Correctiv leider nicht.
    #7 Das ist ja im zweiten Absatz alles richtig, macht den ersten Absatz aber nicht korrekt. Natürlich können wir Correctiv so oder so dankbar sein, insbesondere, wenn sie neben den offensichtlichen auch rechtliche Risiken auf sich genommen hätten. Aber Niggi führt ja explizit in den letzten Absätzen aus, warum es nun eben nicht „Brause“ ist, wie sie ihre Recherchemethoden der Öffentlichkeit erklären.

  8. Bei meinem Smartphone (Google Pixel 8 Pro) habe ich keine Einstellung gefunden, um das Mikrofon bei einer Videoaufnahme abzuschalten. Geht das bei anderen Smartphones oder bei einer GoPro?

  9. Also ich spreche es jetzt einfach mal aus: Ich bin ehrlich gesagt fest davon ausgegangen, dass es öfter vorkommt, dass trotz Verbot eben doch Ton aufgenommen wird. „Gedächtnisprotokoll“, Jaja. Eher nachgesprochen und hinterher Aufnahme löschen… Oder Aufnahme sogar behalten und gut verwahren, die man im äußersten Notfall als Beweis auf den Tisch legen kann.

  10. naja, welche Möglichkeiten gibt es denn?
    1) illegales Abhören – da möchte man sich sicher nicht selbst belasten
    2) legales Abhören mit illegalem Informationsabfluß (aka Leak) – eher unwahrscheinlich, außerdem würde man ganz sicher die Quellen schützen wollen
    3) undercover Einsatz von Journalisten/Agenten (V-Personen) – dann möchte man ganz sicher die Quellen schützen
    4) Teilnehmer. Entweder solche, die eigentlich nicht teilnehmen wollten, aber eine Einladung bekommen haben oder welche, die hinterher „kalte Füße“ bekommen haben wegen der Diskussionen und dann die Infos durchgesteckt haben. In beiden Fällen möchte man ganz sicher die Quellen schützen.

    Kurzum – „übliches“ journalistisches Verhalten: Verschleierung der genauen Quelle, zwecks Quellenschutz oder Verschleierung illegalen eigenen Verhaltens.

  11. Das ein Herr Sellner von Remigration faselst, konnte einen nicht wirklich überraschen. Dennoch war es eine infestigative Meisterleistung, vor Ort zu sein. Dafür feiert sich nun correctiv, und vergisst die saubere Nachbearbeitung.
    Frei nach dem Motto, hier habt ihr die Schweine. Das ist viel zu einfach.

  12. @#9 Carsten: Die „hauseigenen“ Apps lassen Video ohne Tonaufnahme i.d.R. nicht zu. Man könnte man Drittanbieter-Apps zur Aufzeichnung nutzen und ihnen den Zugriff auf‘s Mikro verweigern. Oder das Mikro akustisch wirksam abdecken/abkleben.

  13. Man kann mit dem iPhone (oder einem beliebigen anderen Smartphone oder einer Smartwatch) ein externes (Funk-) Mikrofon konfigurieren, und das dann in der Tasche lassen, stromlos machen, abkleben oder sonst wie am Aufnehmen hindern.
    Oder man steckt einfach ein Headset mit Kopfhörer und Mikrofon in die Klinke-, Lightning, USB-C-Buchse oder verbindet per Bluetooth und macht dann das Mikrofon unbrauchbar.
    Das geht alles, aber dann könnte man es auch sagen.
    Ich denke, dass Tonaufnahmen in diesem speziellen Fall zulässig wären, da das Informationsinteresse der Allgemeinheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Aufgenommenen überwiegt. Auch das könnte man sagen. Man bräuchte also – frei nach Oliver Kahn – Eier. Würde zur unterstellten Dickhodigkeit (warum mag ich diese Wort?) passen.

  14. @Michael Frey-Dodillet:
    Rein abstrakt gesagt gebe ich Ihnen Recht – ich „muss“ nicht wissen, wie die das gemacht haben.
    Und ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Geschichte so gar nicht stimmt, weil es auffallen würde, wenn jemand dauernd nach Kaffee sucht oder dauernd die Hand auf Kopfhöhe hält, und außerdem, weil es taktisch dämlich wäre, wenn man seine Methoden verrät.

    Aber im Umkehrschluss halte ich es auch für dämlich, eine (falsche) Geschichte zu verbreiten, die den Reporter bzw. das Correctiv juristisch angreifbar macht. Und wenn sie tatsächlich falsch ist, verbreitet das Correctiv eine falsche Geschichte, was es journalistisch angreifbar macht.

  15. #14, #15: Darauf wollte ich hinaus: dass Correctiv dokumentiert, welche Technik zur Aufnahme verwendet wurde. Das Programm „MediaInfo“ zeigt z.B. an, welches Gerät für die Aufnahme eines Videos verwendet worden ist. Antworten im Sinne von „sehen alle gleich aus“, wenn von einer Apple Watch die Rede ist, die nun mal keine Videos aufzeichnen kann, finde ich – wie Stefan – wenig vertrauenserweckend.

  16. „Für Übermedien reicht das Problem tiefer. Das Portal führt die Versuche der AfD, ihrer „Anhänger“ und „medialen Verbündeten“ an, die Berichterstattung von Correctiv zu diskreditieren, und stellt die naheliegende Frage: „Ist es angesichts dessen nicht erstaunlich, wie nonchalant die Journalisten hier mit den Widersprüchen und Fehlern umgehen?“ „
    Zitat der Berliner Zeitung vom 26.02.2024.
    Habe den Abschnitt dreimal gelesen, es wird nicht ansatzweise dargestellt, dass es sich hierum eine Meinungwiedergabe anderer handelt. Ihr führt also die Versuche der AfD an! Schämt Euch! Überlege zum ersten Mal ob ich mein Abo bei Euch kündige!
    Spaß beiseite. Wahrscheinlich hat es die Berlinerzeitung mit Eurer Führerrolle nicht so gemeint, denn der gesamte Artikel ist kritisch gegenüber Correctiv und widerspricht auch Euren Ausführungen nicht. Dennoch finde ich deren o.g. Formulierung befremdend.

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