Das Wort Transparenz gehört mittlerweile zum Grundwortschatz öffentlicher-rechtlicher Funktionsträger*innen. Sie gilt als Gebot der Stunde und als Schlüssel, um das vermeintlich sinkende Vertrauen der Menschen in die Medien wiederherzustellen. Mehr Transparenz, das soll mit Blick auf den Journalismus vor allem heißen: bessere Fehlerkultur. So eifrig werben Intendant*innen und Chefredakteur*innen auf Podien und in Interviews für dieses Wundermittel Transparenz, dass man sich fragt, warum dann immer wieder die gleichen Fehler passieren. Und warum auch im Umgang damit immer wieder in die gleichen Fallen gestolpert wird.
Nun hat ein Beitrag der „hessenschau“ im Hessischen Rundfunk (hr) diese Probleme erneut aufgezeigt. In dem kurzen Film berichtete der Sender am 20. Januar über Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in Frankfurt und Kassel. Zu Wort kommt dabei auch Hadija Haruna-Oelker. Die Sprecherin des Beitrags stellt sie als „Autorin“ und „Teil der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD) vor, währenddessen wird Haruna-Oelker als Rednerin auf der Bühne der Frankfurter Veranstaltung gezeigt. Anschließend spricht sie am Mikrofon des hr. Die sogenannte Bauchbinde, also die übliche Einblendung unter Gesprächspartner*innen, besteht nur aus ihrem Namen.
Daran hat sich nun lautstarke Kritik entzündet. Denn Haruna-Oelker ist auch Journalistin – und freie Mitarbeiterin des hr. Als Redakteurin und Moderatorin arbeitet sie unter anderem für die Sendung „Der Tag“. Laut einem am 22. Januar veröffentlichten Korrekturhinweis des Senders hätte man „diese Tätigkeit im Beitrag kenntlich machen müssen“. Man bedauere den Fehler. Mittlerweile ist der Beitrag bearbeitet worden, Haruna-Oelker wird jetzt als „Autorin und HR-Mitarbeiterin“ eingeführt, in der Bauchbinde steht nun „hr-Mitarbeiterin.“
Wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht der öffentliche-rechtliche Rundfunk, könnte die Sache damit vielleicht erledigt sein. Fehler passieren. Aber es ist wieder einmal komplexer. Denn zum einen reiht sich die Episode in eine ganze Serie zumindest ähnlicher Pannen ein. Zum anderen sorgt die wieder einmal ungeschickte Fehlerkultur des hr für Fragezeichen. Und nicht zuletzt liefert der Fall Munition für rechtspopulistische Medien und Meinungsmacher, die ihn in übertriebener Weise ausschlachten und dazu beitragen, dass auch Haruna-Oelker sich auf allen Kanälen heftigen Vorwürfen und Anfeindungen ausgesetzt sieht.
Zufällig vorbeikommende Passanten
Zuerst wurde die Kritik am fehlenden Hinweis am 21. Januar auf dem X-Profil des „ÖRR Blog“ veröffentlicht. Dort heißt es: „Die von der Hessenschau interviewte Demonstrantin arbeitet beim Hessischen Rundfunk.“
Der Autor
Alexander Graf ist Chefredakteur von Übermedien. Er war Redakteur der „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und hat anschließend als freier Journalist mit den Schwerpunkten Wissenschaft und Medien gearbeitet. Von 2021 an war er Chefredakteur von „medium magazin“.
Die Macher des Accounts bezeichnen sich selbst als „kritische Beobachter des deutschen Öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Dahinter steht der CSU-Lokalpolitiker Jonas Müller, der seine Motivation einmal so formuliert hat: „Der ÖRR entwickelt sich (…) zunehmend zu einem Programm, welches die Inhalte des linken Parteienspektrums überdurchschnittlich forciert und fördert. Viele Redaktionen und Redakteure des ÖRR verwenden bestimmte Formate und Kanäle als Plattform für ihre private Agenda, bei der man die eigene Haltung über die Programmausgewogenheit und den neutralen Informationsauftrag stellt.“
Müller ist stellvertretender Vorsitzender des CSU-Ortsverbandes Weilersbach, was im Impressum des Blogs nicht erwähnt wird; auf seinem privaten X-Account ist die Parteimitgliedschaft angegeben.
Das ist interessant, weil Müller besonders gerne Beispiele für ein Phänomen sammelt, das zu einem Meme der ÖRR-Kritik geworden ist: der „zufällig vorbeikommende Passant“. Es beschreibt die Tatsache, dass besonders bei Straßenumfragen, aber auch bei Berichten zu Streiks und Kundgebungen oder Townhall-Formaten immer wieder Personen befragt werden, die entweder eine Parteizugehörigkeit oder ein Interesse am Gegenstand der Berichterstattung haben. Das ist per se nicht verwerflich – nur leider werden diese Personen dabei viel zu oft ohne die entsprechende Kenntlichmachung interviewt.
Eine lange, kuriose Liste
Auch Übermedien hat darüber schon berichtet. So durfte etwa im ZDF bereits eine Grünen-Politikerin als gewöhnliche Passantin über die für den Autoverkehr gesperrte Friedrichsstraße schwärmen. Ein anderer Grünen-Politiker äußerte sich in der rbb-Abendschau zum Thema Radfahren in Berlin.
Die Liste der Beispiele ist kurios – und ziemlich lang. Nur: Die These, dass eine ideologisch gefärbte Absicht der Redaktionen dahinter stünde – oder gar links-grüne Staatsfunk-Propaganda, wie manche Kommentatoren unter entsprechenden Berichten gerne munkeln – ist dann doch ziemlich abwegig.
Das zeigt allein schon die Tatsache, dass auch schon CDU-Politiker unerkannt ihre Positionen äußern durften. Und selbst ein wegen Volksverhetzung vorbestrafter Rechtsextremer schaffte es so einmal in eine Straßenumfrage des ZDF zur Bundestagswahl. Wahrscheinlicher für die absurde Häufung sind daher folgende Gründe: Normale Menschen drängen sich nicht gerade darum, bei Straßenumfragen mitzumachen – Menschen mit einer politischen Botschaft schon.
Parteizugehörigkeit wird nicht erfragt
Die „Berliner Zeitung“ hat sich diese Woche auch des Themas angenommen. Sie schreibt von 15 Personen, die laut „ÖRR Blog“ im Rahmen der bundesweiten Demos gegen Rechtsextremismus von öffentlich-rechtlichen Sendern ohne Kennzeichnung ihrer Parteizugehörigkeit interviewt wurden, und hat bei rbb und NDR nachgefragt. Beide Sender haben demnach angegeben, dass die Befragten „zufällig ausgewählt werden“.
Zudem würden die Reporter*innen nach rbb-Angaben nur den Namen ihres Gegenübers erfragen. „Die Parteizugehörigkeit wird jedoch nicht erfragt; wer Parteimitglied ist, ist zudem nicht gezwungen, dies gegenüber Journalistinnen und Journalisten öffentlich zu machen.“ Wer jedoch ein „politisches Mandat innehat oder hauptamtlich direkt mit dem gerade verhandelten Thema verbunden ist, sollte nicht in Straßenumfragen auftauchen oder muss entsprechend gekennzeichnet sein“, so der Sender gegenüber der Zeitung.
Das wird anscheinend aber nicht konsequent erfragt. Jedenfalls finden sich beim „ÖRR-Blog“ Beispiele anderer ARD-Sender, in denen auch aktive Funktionsträger als normale Passanten ihre Statements abgeben. Es ist eine fahrlässige Praxis, die ohne Not mit dem Vertrauen von Menschen, auch jenseits populistischer Milieus, spielt. Und es wäre eigentlich so leicht, entweder weitere Pflichtabfragen zu einer möglichen Befangenheit bei solchen Formaten einzuführen. Oder zumindest verpflichtende Gegenchecks der Redaktion bei der Abnahme des Beitrags.
Nicht bloß Teilnehmerin, sondern Rednerin
Der Fall Hadija Haruna-Oelker wird nun oft in diesem Kontext genannt. Doch er passt nicht in die Reihe „zufällig vorbeikommender Passanten“. Denn die hr-Journalistin war sowohl der Autorin des Beitrags als auch der „Hessenschau“-Redaktion bekannt. Entsprechend wurde sie auch nicht zufällig befragt, sondern bewusst aufgrund ihrer Expertise zum Thema ausgewählt. Das bestätigen sowohl Haruna-Oelker als auch der hr.
Zudem kann nicht davon die Rede sein, dass sie als beliebige Teilnehmerin präsentiert wurde – ihre aktive Mitarbeit als Rednerin und Mitglied der ISD geht auch aus dem ursprünglichen Beitrag klar hervor. Ein hr-Sprecher schreibt dazu auf Anfrage von Übermedien: „Frau Haruna-Oelker war primär nicht als Demonstrantin vor Ort, sondern als Rednerin der Demonstration und Expertin für Rassismus, Diskriminierung und einer kritischen Erinnerungskultur.“
Das ändert natürlich nichts daran, dass ein Hinweis auf ihre hr-Mitarbeit fehlt. Das räumt auch der Sender ein: „Nach unserem journalistischen Verständnis der Sorgfaltspflicht und Transparenz werden hr-Mitarbeiter*innen in unseren Beiträgen und Produkten immer kenntlich gemacht, egal um welches Thema es sich handelt. Dass dies hier nicht geschehen ist, war ein Versehen und ein Fehler und hatte keine anderen Gründe.“
Warum überhaupt eine Kollegin interviewen?
Haruna-Oelker sagt, sie sei ebenfalls davon ausgegangen, dass „meine Rolle bei der Demonstration als Autorin und Journalistin und Teil des ISD klar ist und der Zusatz, dass ich zudem eine Kollegin bin, im Beitrag erwähnt werden wird.“ Ihre Funktion als geladene Rednerin auf der Demonstration und Expertin sieht sie als entscheidende Legitimation für das Interview – auch im Hinblick auf die Frage, ob es nicht grundsätzlich sinnvoll wäre, wenn Medien auf Interviews mit eigenen Mitarbeiter*innen verzichten würden.
Sie schreibt uns dazu:
„Es gibt dazu keine pauschale Antwort, weil es darauf ankommt, warum ich mit einer Person sprechen möchte, die auch eine Kollegin ist und worum es inhaltlich geht. So habe ich bereits Kolleginnengespräche als Expertin zum Fachgebiet Rassismus und intersektionale Fragen im hr geführt – auch mit anderen Medienhäusern, Zeitungen und Magazinen. Ich tue das genauso wie eine Kollegin, die für Umweltthemen oder Bildung als Schwerpunkt angefragt wird. Das bedeutet, wenn man mich deshalb anfragt, ist die Transparenz, wer ich bin, wichtig. Und es geht dann um das Thema und nicht um mich als Person. Ich werbe ja für nichts, sondern spreche inhaltlich und analytisch. Und im Gespräch auf der Demo ging es um Erinnerungskultur und Anti-Schwarzen Rassismus. Und natürlich hätte man bei der Demo auch mit einem anderen Redner oder Rednerin über deren Perspektive und Inhalte sprechen können, aber das ist eine inhaltlich redaktionelle Entscheidung gewesen, die ich nicht getroffen habe.“
hr stiftet beim Korrigieren Verwirrung
Das Problem ist nur: Der hr hat selbst nicht dazu beigetragen, Klarheit in diesen entscheidenden Punkt bringen – er widerspricht sich sogar. Zwar findet sich auf der offiziellen Korrekturseite des Senders laut Veröffentlichungsdatum seit 22. Januar, 10.05 Uhr, eine Meldung, in der die Formulierung verwendet wird, Haruna-Oelker sei als „geladene Rednerin“ auf der Demonstration gewesen und auch in dieser Funktion interviewt worden.
In einem Post des „Hessenschau“-Accounts auf X heißt es am selben Tag aber dann um 11.35 Uhr: „Wir haben Hadija Haruna-Oelker als Teilnehmerin der Demonstration gegen Rechtsextremismus in Frankfurt interviewt [Hervorhebung von uns]. Dabei ist uns ein Fehler unterlaufen. Wir hätten im Beitrag kenntlich machen müssen, dass sie auch als freie Mitarbeiterin für den hr tätig ist.“
Es ist eine Antwort auf den mittlerweile tausendfach geteilten Original-Post des „ÖRR Blog“. Und sie ist immer noch online. Rund 60.000-mal wurde sie bisher angezeigt – ziemlich sicher haben ihn also mehr Menschen gesehen als auf der Korrekturseite des HR nach der Meldung gesucht haben.
So fällt es Kritiker*innen leicht, den Fall Haruna-Oelker in die kollektive rechte Empörungsnachschau des Demonstrationswochenendes einzureihen. Die Leidtragende ist die Frankfurter Journalistin – die selbst nichts für den Fehler kann. Als „TV-Skandal“ präsentiert die AfD-Politikerin Erika Steinbach den Vorfall ihren Follower*innen – inklusive der Falschbehauptung, der HR habe Haruna-Oelker als Demonstrantin ausgegeben. „Mediale Manipulation“ lautet die Dachzeile eines RT-Beitrags, der im Netz kursiert und selbst so manipulativ geschnitten ist, dass ebenfalls der falsche Eindruck entsteht, Haruna-Oelker wäre eine „zufällige Passantin“ gewesen.
Mittel zum Zweck des ÖRR-Bashings
Aber auch seriöse Medien übernahmen zu Beginn diese Behauptungen. Die „Frankfurter Rundschau“, für die Haruna-Oelker regelmäßig als Kolumnistin schreibt, übernahm einen Text des Ippen-Netzwerks, der sich fatalerweise direkt auf den Post der „Hessenschau“ bei X bezog. Mittlerweile ist der Beitrag korrigiert und mit Äußerungen der Journalistin ergänzt. Sie spricht gegenüber Übermedien von einem „populistischen und einseitigen Frame“, mit dem sie „Mittel zum Zweck für ein Bashing der Öffentlich-Rechtlichen Sender werden konnte, also Teil eines rechten Diskurses, in dem es das Narrativ einer angeblichen Lügenpresse gibt“.
Zumal es auch der „ÖRR-Blog“ im Anschluss an die Korrektur des hr mit der Wahrheit ebenfalls nicht mehr so genau nahm. (Der Account lässt häufiger entscheidende Details weg, wenn es seiner Erzählung dient.) In einem Post am Abend des 22. Januar behauptet der Account, Haruna-Oelker werde in der aktualisierten Version des Films zwar als hr-Mitarbeiterin bezeichnet, wenn sie „als Demonstratin (sic!) befragt wird. Wenn sie auf der Bühne bei der ‚Demo gegen Rechts‘ in Frankfurt spricht, dagegen nicht.“ Dass dies nicht stimmt, kann jeder im Beitrag nachhören. Und selbst im Ausschnitt, den der Account zeigt, ist zu Beginn noch der abgeschnittene Satz „…beiterin Hadija Haruna-Oelker“ zu hören.
Woran liegt das?
Und dennoch gehört zur Wahrheit dieser Geschichte, dass es sich eben nicht um einen Einzelfall handelt. So fügte in dieser Woche der WDR einem Beitrag vom 22. Januar einen Tag später die Ergänzung an, beim darin erwähnten Pressesprecher der „Kölsche Kippa Köpp“ sei leider vergessen worden zu erwähnen, dass er auch WDR-Redakteur ist.
Lässt man Skandalisierung und populistische Unterstellungen beiseite, bleibt die simple Frage: Woran liegt das?
Ein Aspekt sind die „Rollen“, die Journalist*innen bei sich unterscheiden. Sie nutzen sie, um unsichtbare Trennlinien zu ziehen, die die eigene Integrität gewährleisten soll. Also etwa: Halte ich meine bezahlte Rede bei dieser Tagung der Automobilindustrie als Journalist oder als Experte für Mobilität? Diese Frage suggeriert, man könnte beide Rollen einfach so trennen. In der Branche ist diese Praxis durchaus akzeptiert – wie wackelig ihre Prämisse jedoch ist, zeigte in den Hochzeiten von Twitter der beliebteste Zusatz in Journalist*innen-Bios: „hier privat“. Für das Publikum sind diese Trennlinien oft kaum nachvollziehbar.
Hadija Haruna-Oelker etwa moderiert Publikumsformate, sie ist Autorin eines Sachbuchs zum Thema Rassismus und Mitglied im Expert*innenrat Rassismus von Staatsministerin Reem Alabali-Radovan. Sie schreibt auf Übermedien-Anfrage dazu:
„Ich gehe transparent mit allen diesen Rollen und meinen Fertigkeiten um, die, wenn man sie genau betrachtet, keinen Rollenkonflikt ergeben, sondern sich ergänzen und schlussendlich meine Expertise und Zugänge zu Themen ausmachen, die sehr oft in der medialen Berichterstattung fehlen. Üblicherweise kläre ich mit anderen Medienhäusern, Zeitungen etc. bei Anfragen für Gespräche bspw. immer ab, in welcher Funktion ich angefragt werde, damit kein falsches oder unklares Framing entsteht. Das ist mir auch zu meinem eigenen Schutz wichtig, weil es erfahrungsgemäß nicht einfach ist, mit den Themen, zu denen ich arbeite, nicht in die Ecke der Betroffenen gedrängt zu werden, in der mir meine Expertise abgesprochen wird. ‚Mache Dich nicht gemein mit einer Sache…‘, mit diesem oft gehörten aber falsch gedeuteten journalistischen Leitspruch hatte ich lange zu kämpfen, weil mir oft gesagt wurde, dass ich als Schwarze Journalistin nicht über Rassismus neutral sprechen könnte. Was faktisch nicht stimmt. weil alle Menschen davon betroffen sind, wenn auch unterschiedlich. Und ich bin auch keine politische Aktivistin, aber durchaus eine rassismuskritische Journalistin.“
Die Rollen der anderen
Zum anderen dient das Rollenkriterium auch zur redaktionellen Entscheidung, wie ein Protagonist benannt werden sollte. Die Frage lautet dann: Haben wir den Gesprächspartner als Vertreter des Landesverbands Erneuerbare Energien eingeladen oder als Mitglied der Grünen-Fraktion im Stadtrat? Da es oft um Expert*innengespräche geht, wird die Antwort entsprechend ausfallen: Die politische Rolle habe in diesem Kontext keine Bedeutung. Aber ist das wirklich so?
Es ist wichtig, dem einseitigen und vereinfachenden Framing des „ÖRR-Blog“ dabei nicht auf den Leim zu gehen. Nur, weil jemand in einer Partei ist, muss das nicht offengelegt werden – Parteimitgliedschaften sind Privatsache. Und daraus entsteht auch nicht zwangsläufig ein Interessenkonflikt, der Medien angelastet werden könnte.
Denn wo wollte man dann die Grenze ziehen? Müsste dann auch angegeben werden, dass der Passant, der sich in einer Straßenumfrage für den Ausbau des Sportplatzes ausspricht, in der 3. Mannschaft des lokalen Sportvereins kickt? Anders verhält es sich zweifellos bei aktiven politischen Funktionen, Mandaten oder Posten in Lobbyverbänden – oder der Mitarbeit im eigenen Medium.
Zumal es scheint, als gebe es einen zunehmenden Wunsch im Publikum, solche Informationen transparenter zu erhalten. Wie sehr hier eine kleine Gruppe mit einheitlicher ideologischer Prägung zum Zweck der Diskreditierung sehr laut ist, mag eine berechtigte Frage sein. Aber eigentlich könnte das schon Argument genug für die Sender sein, das Ganze endlich ernster zu nehmen: populistischen ÖRR-Kritikern nicht immer wieder das gleiche billige Futter anzubieten.
Interne Prozesse mit Leerstellen
Womit wir wieder beim Thema Transparenz, Fehlerkultur und dem Fall Hadija Haruna-Oelker wären. Denn das Bemühen um schnelle Korrektur kann man dem hr sicher nicht absprechen – wie spärlich aber offenbar die internen Prozesse dazu ausgestaltet sind, verblüfft dann doch.
So fand sich nach den ersten inhaltlichen Anpassungen am Montag auf der Korrekturenseite der Senders kein Link zum Beitrag, dieser wurde allein namentlich erwähnt. Und auf der Beitragsseite wiederum gab es keinen einzigen Hinweis darauf, dass dieser überhaupt korrigiert worden war. Heißt also konkret: Wer nachvollziehen wollte, dass und wie der Film korrigiert worden war, hätte bewusst die Korrekturenseite des hr ansteuern und danach den Beitragstitel in eine Suchmaschine eingeben müssen. Ein zufälliger Zuschauer hätte davon nichts erfahren.
Sieht so transparente Fehlerkultur aus? Diese Frage stellte Übermedien am Mittwochnachmittag dem hr. Die Antwort am folgenden Tag: Verlinkung und eindeutige Hinweis seien „mittlerweile erfolgt“, eine Hinweistafel am Ende des Films eingefügt. Zudem heißt es aus der Pressestelle: „Uns hilft jedes Feedback zu unserer Arbeit. Wir arbeiten stetig an einer Verbesserung unserer Vorgehensweise und lernen auch aus diesem Fall, wie wir noch transparenter werden können.“
Hatte also erst Übermedien den hr darauf gebracht, dass diese Selbstverständlichkeit vielleicht geboten sein könnte? Auf erneute Nachfrage, warum diese Ergänzungen erst zwei Tage später erfolgten, heißt es: Alle anderen Änderungen seien später erfolgt, „da sie nicht unseren Standardprozessen entsprachen und daher abgestimmt werden mussten“.
7 Kommentare
Diese „Spaltung“ in verschiedene Rollen („Expert*in“, „Journalist*in“, „Privatperson“) finde ich als Konsument nicht wirklich überzeugend. Das empfinde ich bei Politiker*innen auch immer als heuchlerisch bzw. positiv formuliert als „diplomatisch“ : der Dalai Lama ist privat in Washington, Nancy Pelosi ist nicht dienstlich in Taiwan.
Diese „Spaltung“ wird Politiker*innen übrigens auch von Medien eher nicht zugebilligt und je nach Position auch zu Recht als die Ausrede gebrandmarkt, die es ist. Wenn hochrangige AFDler sich bei den Identitären tummeln, dann ist da in meinen Augen nichts „privat“ sondern hochkritisch und hochpolitisch. Dann muss das aber fairerweise auch für Journalist*innen gelten.
Mein moralisches und linguistisches Empfinden in solchen Fällen wie dem hier geschilderten scheint wohl nicht up-to-date zu sein. Zunächst einmal ist für mich eine Sprecherin auf einer Demo zugleich eine Teilnehmerin der Demo, das ist für mich ganz einfache Mengenlehre. (Vermutlich sieht Alexander Graf das ähnlich, denn er ergänzt das Wort „Teilnehmerin“ in seinen eigenen Paraphrasen ja mit Wörtchen wie „bloß“ und „beliebige“. Da gehe ich natürlich mit: eine Sprecherin auf einer Demo ist eine besonders herausgehobene Teilnehmerin… Aber dass laut hr-Antwort eine Rednerin „nicht primär als Demonstrantin, sondern als Rednerin“ vor Ort gewesen sei, stört mich irgendwie.)
Darüber hinaus halte ich es für völlig normal, dass wir modernen Menschen uns alle in vielen unterschiedlichen Facetten parallel nebeneinander bewegen und arbeiten. Kontextswitching sollte meines Erachtens als völlig normal erachtet sein und nicht besonders problematisiert werden. Wenn Frau Haruna-Oelker auf einer Demo redet, ist sie eine Person von öffentlichem Interesse und kann in dieser Funktion egal von wem interviewt werden. Ob sie zufällig auch noch Mitarbeiterin der interviewenden Station ist, ist doch wumpe. Im Kontext geht es darum, dass sich ein:e Journalist:in ein Originalstatement von einer Demo-Rednerin einholt; in diesem Kontext wird doch üblicherweise sowieso nicht kritisch nachgefragt oder eine vertiefte Diskussion geführt. Ich glaube deshalb nicht, dass das Interview irgendwie anders gelaufen wäre, wenn jemand vom ZDF der Frau Haruna-Oelker ihr Mikro vors Gesicht gehalten hätte. Und auch die Auswahl der Interviewten ist erst einmal keine Begünstigung einer Kollegin, denn wie gesagt: Im Kontext dieser Demo ist Frau Haruna-Oelker eine Person von öffentlichem Interesse und eben keine hr-Kollegin.
@2
Im vorliegenden Fall stimme ich zu, aber so einfach ist das im Allgemeinen mit der Sprecher/Teilnehmer-Mengenlehre nun auch nicht. Christian Lindner beispielsweise war Redner auf der Bauerndemo in Berlin, aber kein Teilnehmer im eigentlichen Sinne, sondern eher ein Gast.
@2
Ich stimme Ihrer Einschätzung insofern nicht zu, dass die Tatsache, dass eine bestimmte Gruppe mediale Aufmerksamkeit erhält durchaus dadurch gesteuert werden kann, dass bestimmte Personen bereits Zugang zu diesem Medium haben. Immer wenn dann offensichtlich wird, dass eine Person, die medial tätig ist, bei einer anderen Rolle medial begleitet wird, drängt sich der Verdacht auf, dass die Themenwahl intern forciert worden ist, weil die Person verfügbar war und ggfs. bereits innerhalb des Mediums Einfluss ausgeübt hat (sowas muss ja auch nicht immer offen geschehen). Das hat aus meiner Sicht leider gleich zwei Auswirkungen: Es erweckt den Eindruck, dass sich Journalist*innen bei der Wahl von Interviewpartner*innen und Themen keine große Mühe geben (und lieber im nahen Bekanntenkreis suchen) und es deligimiert die Themen über die dann berichtet wird, selbst wenn diese eigentlich berichtenswert und die geäußerten Meinungen relevant wären. Mein Vorschlag an den hr wäre hier gewesen evtl. zu schauen, ob es innerhalb des ISD nicht auch einen anderen Interviewpartner gegeben hätte oder auch ob man zum Thema „marginalisierte Gruppen, die den Hass der AfD und Rechtsextremer schon seit Jahren abbekommen“ nicht auch eine*n andere*n Interviewpartner*in vors Mikro bekommt als die eigene Mitarbeiterin. Damit tut man einiges gegen Vertrauensverlust und die Empfindung, dass mediale Berichterstattung nur von „Wenigen“ beeinflusst ist.
Ein echter „Schaden“ scheint ja nicht entstanden zu sein, aber gemessen daran, wie leicht dieser Patzer vermeidbar gewesen wäre, ist der Patzer schon schlimm.
Also mal zum Vergleich: Grünenmitglied #359 äußert sich positiv zur Stadtbegrünung, aber der Reporter erkennt es nicht. Natürlich ist die Meinung der Grünen zum Thema relevant, aber dass die als „Bürgermeinung“ vermittelt wird, stört natürlich einige. Man kann nicht alle Grünenmitglieder auswendig kennen, aber Googel ist Dein Freund, und man kann fragen, aber nunja.
Eine Kollegin nicht zu erkennen, ist da schon dämlicher. Und es ist nur die eigene Glaubwürdigkeit, die man erodiert.
Die eigene Kollegin wurde ja erkannt. Siehe oben.
Ich vermute mal, der Mensch, der die Fragen vor Ort stellt, ist nicht identisch mit dem, der die Bauchbinde macht.
Irgendwo unterwegs ist die Info verloren gegangen oder wurde weggelassen.
Und das ist dann der vermeidbare Fehler – entweder, man interviewt die Kollegin und gibt an, dass sie eine Kollegin ist – und ich als Zuschauer ordne das ein oder auch nicht – oder, man interviewt sie nicht, bzw., nimmt ein Interview mit einer der vielen anderen Personen für die Sendung.
Nicht zu wissen, wer sie ist, ist ein ziemlich vermeidbarer Fehler.
Und der „Mittelweg“ – bewusst nicht zu sagen, wer sie ist – erzeugt doch genau DAS Misstrauen, das jetzt mühsam wieder zerstreut werden muss.
Diese „Spaltung“ in verschiedene Rollen („Expert*in“, „Journalist*in“, „Privatperson“) finde ich als Konsument nicht wirklich überzeugend. Das empfinde ich bei Politiker*innen auch immer als heuchlerisch bzw. positiv formuliert als „diplomatisch“ : der Dalai Lama ist privat in Washington, Nancy Pelosi ist nicht dienstlich in Taiwan.
Diese „Spaltung“ wird Politiker*innen übrigens auch von Medien eher nicht zugebilligt und je nach Position auch zu Recht als die Ausrede gebrandmarkt, die es ist. Wenn hochrangige AFDler sich bei den Identitären tummeln, dann ist da in meinen Augen nichts „privat“ sondern hochkritisch und hochpolitisch. Dann muss das aber fairerweise auch für Journalist*innen gelten.
Mein moralisches und linguistisches Empfinden in solchen Fällen wie dem hier geschilderten scheint wohl nicht up-to-date zu sein. Zunächst einmal ist für mich eine Sprecherin auf einer Demo zugleich eine Teilnehmerin der Demo, das ist für mich ganz einfache Mengenlehre. (Vermutlich sieht Alexander Graf das ähnlich, denn er ergänzt das Wort „Teilnehmerin“ in seinen eigenen Paraphrasen ja mit Wörtchen wie „bloß“ und „beliebige“. Da gehe ich natürlich mit: eine Sprecherin auf einer Demo ist eine besonders herausgehobene Teilnehmerin… Aber dass laut hr-Antwort eine Rednerin „nicht primär als Demonstrantin, sondern als Rednerin“ vor Ort gewesen sei, stört mich irgendwie.)
Darüber hinaus halte ich es für völlig normal, dass wir modernen Menschen uns alle in vielen unterschiedlichen Facetten parallel nebeneinander bewegen und arbeiten. Kontextswitching sollte meines Erachtens als völlig normal erachtet sein und nicht besonders problematisiert werden. Wenn Frau Haruna-Oelker auf einer Demo redet, ist sie eine Person von öffentlichem Interesse und kann in dieser Funktion egal von wem interviewt werden. Ob sie zufällig auch noch Mitarbeiterin der interviewenden Station ist, ist doch wumpe. Im Kontext geht es darum, dass sich ein:e Journalist:in ein Originalstatement von einer Demo-Rednerin einholt; in diesem Kontext wird doch üblicherweise sowieso nicht kritisch nachgefragt oder eine vertiefte Diskussion geführt. Ich glaube deshalb nicht, dass das Interview irgendwie anders gelaufen wäre, wenn jemand vom ZDF der Frau Haruna-Oelker ihr Mikro vors Gesicht gehalten hätte. Und auch die Auswahl der Interviewten ist erst einmal keine Begünstigung einer Kollegin, denn wie gesagt: Im Kontext dieser Demo ist Frau Haruna-Oelker eine Person von öffentlichem Interesse und eben keine hr-Kollegin.
@2
Im vorliegenden Fall stimme ich zu, aber so einfach ist das im Allgemeinen mit der Sprecher/Teilnehmer-Mengenlehre nun auch nicht. Christian Lindner beispielsweise war Redner auf der Bauerndemo in Berlin, aber kein Teilnehmer im eigentlichen Sinne, sondern eher ein Gast.
@2
Ich stimme Ihrer Einschätzung insofern nicht zu, dass die Tatsache, dass eine bestimmte Gruppe mediale Aufmerksamkeit erhält durchaus dadurch gesteuert werden kann, dass bestimmte Personen bereits Zugang zu diesem Medium haben. Immer wenn dann offensichtlich wird, dass eine Person, die medial tätig ist, bei einer anderen Rolle medial begleitet wird, drängt sich der Verdacht auf, dass die Themenwahl intern forciert worden ist, weil die Person verfügbar war und ggfs. bereits innerhalb des Mediums Einfluss ausgeübt hat (sowas muss ja auch nicht immer offen geschehen). Das hat aus meiner Sicht leider gleich zwei Auswirkungen: Es erweckt den Eindruck, dass sich Journalist*innen bei der Wahl von Interviewpartner*innen und Themen keine große Mühe geben (und lieber im nahen Bekanntenkreis suchen) und es deligimiert die Themen über die dann berichtet wird, selbst wenn diese eigentlich berichtenswert und die geäußerten Meinungen relevant wären. Mein Vorschlag an den hr wäre hier gewesen evtl. zu schauen, ob es innerhalb des ISD nicht auch einen anderen Interviewpartner gegeben hätte oder auch ob man zum Thema „marginalisierte Gruppen, die den Hass der AfD und Rechtsextremer schon seit Jahren abbekommen“ nicht auch eine*n andere*n Interviewpartner*in vors Mikro bekommt als die eigene Mitarbeiterin. Damit tut man einiges gegen Vertrauensverlust und die Empfindung, dass mediale Berichterstattung nur von „Wenigen“ beeinflusst ist.
Ein echter „Schaden“ scheint ja nicht entstanden zu sein, aber gemessen daran, wie leicht dieser Patzer vermeidbar gewesen wäre, ist der Patzer schon schlimm.
Also mal zum Vergleich: Grünenmitglied #359 äußert sich positiv zur Stadtbegrünung, aber der Reporter erkennt es nicht. Natürlich ist die Meinung der Grünen zum Thema relevant, aber dass die als „Bürgermeinung“ vermittelt wird, stört natürlich einige. Man kann nicht alle Grünenmitglieder auswendig kennen, aber Googel ist Dein Freund, und man kann fragen, aber nunja.
Eine Kollegin nicht zu erkennen, ist da schon dämlicher. Und es ist nur die eigene Glaubwürdigkeit, die man erodiert.
Die eigene Kollegin wurde ja erkannt. Siehe oben.
Ich vermute mal, der Mensch, der die Fragen vor Ort stellt, ist nicht identisch mit dem, der die Bauchbinde macht.
Irgendwo unterwegs ist die Info verloren gegangen oder wurde weggelassen.
Und das ist dann der vermeidbare Fehler – entweder, man interviewt die Kollegin und gibt an, dass sie eine Kollegin ist – und ich als Zuschauer ordne das ein oder auch nicht – oder, man interviewt sie nicht, bzw., nimmt ein Interview mit einer der vielen anderen Personen für die Sendung.
Nicht zu wissen, wer sie ist, ist ein ziemlich vermeidbarer Fehler.
Und der „Mittelweg“ – bewusst nicht zu sagen, wer sie ist – erzeugt doch genau DAS Misstrauen, das jetzt mühsam wieder zerstreut werden muss.