Der „Stern“ fragt auf seinem aktuellen Titelblatt den Vizekanzler Robert Habeck, ob er „Angst vor einem Attentat“ hat, und unter anderen die Schriftstellerin Anne Rabe fragt implizit, ob nicht das laute Aussprechen dieser Frage die Wahrscheinlichkeit eines Attentats auf Robert Habeck erhöht. Ihre Referenz ist das folgenschwere Attentat auf den „Studentenführer“ Rudi Dutschke. Dutschke war 1968 in einer medial aufgeheizten Stimmung von einem Rechtsextremen mit drei Schüssen so schwer verletzt worden, dass er an den Spätfolgen starb.
Auch heute sind die Zeiten einigermaßen aufgeheizt. Robert Habeck wurde gerade im Nordsee-Urlaub von einem Mob bedrängt, unter den sich offenbar auch Rechtsradikale gemischt hatten, und überall im Land hantieren Ultra-Rechte mit Umsturz- und „Remigrations“-Fantasien. Bei den Landtagswahlen im Herbst in drei ostdeutschen Bundesländern drohen Mehrheiten für eine AfD, deren Übergänge in den Rechtsextremismus an vielen Stellen so fließend sind, dass sich ein Attentäter vorstellen könnte, er hätte Rückhalt bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Darf man in dieser Situation Habeck, Attentat, Angst und Hass in einen Kontext bringen und auf einen Zeitschriftentitel drucken?
Der Autor
Michalis Pantelouris ist Journalist und Buchautor. Er hat u.a. die Redaktion des Joko-Winterscheidt-Magazins „JWD“ geleitet, war stellvertretender Kreativdirektor von „GQ“ und Creative Consultant bei der ProSieben-Sendung „Zervakis und Opdenhövel live“. Seit 2023 ist er Chefredakteur von „Max“. Für Übermedien annotiert er unregelmäßig die Medienwelt.
Die einfache Antwort ist: Natürlich darf man. Der „Stern“ betreibt ja keine Hetze, wie sie Medien zu Dutschkes Zeiten betrieben. Die Verbindung, die Rabe in ihrem Tweet aufmacht, ist nur behauptet.
Aber es ist ein schmieriges Cover. Attentat, Angst, Hass und eine Aufmachung, die an einen Netflix-Thriller erinnert – das spricht ausschließlich Emotionen an. Es ist sicher nicht intellektuell. Es ist Boulevard. Oder, wie ich es nennen würde: endlich mal wieder „Stern“!
Denn die Verbindung eines Lesers zu einem Medium ist emotional. Auch wenn der Claim „Spiegel-Leser wissen mehr“ längst abgeschafft ist, bleibt „Spiegel“-Lesern das Überlegenheits-Gefühl des Besserwissers, und „Zeit“-Leser fühlen sich dank der klugen Wahl ihrer Zeitung lebenslang immer ein bisschen auf der Uni. Der „Stern“ ist eine unfassbar starke Medienmarke1) Ich kenne keine andere Medienmarke auf der Welt, die es sich leistet, ihren Namen, wenn überhaupt, nur noch ganz fein transparent auf ihr Produkt zu schreiben. , die seit fast 30 Jahren nach ihrem emotionalen Kern sucht. Die Auflagen des Printheftes sinken rasant, und die Leserschaft wird immer älter; gleichzeitig fährt der „Stern“ im Digitalen seit Jahrzehnten keinen klaren Kurs und hat entsprechenden Rückstand. Und gerade als Außenseiter ist es wichtig, ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. Kunden müssen bei ihm erst recht wissen und fühlen: Wofür steht eigentlich der „Stern“?
Es kann nur etwas sein, was die Konkurrenten nicht können. Das ist mit Emotionalität nicht besonders genau beschrieben, denn wie gesagt, auch die anderen haben emotionale Marken. Meine liebste Definition des „Stern“-Konzeptes aus der Zeit, als der „Stern“ noch gigantischen Erfolg hatte, kommt von einem der Redakteure aus jener Zeit, der mir mit einer Mischung aus Stolz und Selbstekel erklärt hat, sie machten „die ,Bild‘-Zeitung für Alphabeten“.
In heutige Zeiten übersetzt bedeutet das eben auch: Ein Medium, dass die Fragen stellt, bei denen ich mich schäme, sie zu stellen. Und welche stärkere emotionale Verbindung gibt es als zu denen, mit denen ich die Dinge verhandeln kann, für die ich mich schäme?
Es ist also folgerichtig, dass das Habeck-Cover des „Stern“ ziemlich mittig in die „Bild“-Analyse der besten Band der Welt, der Ärzte, passt. „Die besteht nun mal, wer wüsste das nicht, aus Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht“, nur dass der „Stern“ Angst und Hass nicht selbst befeuert2)Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Ärzten nicht Unrecht tue, wenn ich ihren Text so verstehe., sondern nur das wohlige Schaudern nutzt.
Man muss das nicht mögen, und man muss natürlich den „Stern“ nicht kaufen. Für mich ist es ein Zeichen dafür, dass da noch ein Feuer brennt.
Ich kenne keine andere Medienmarke auf der Welt, die es sich leistet, ihren Namen, wenn überhaupt, nur noch ganz fein transparent auf ihr Produkt zu schreiben.
widerliches Cover
Bewertet man die Kolumne nach ihrem titelgebenden Versprechen, den Fußnoten, dann sind 2 Fn etwas happig – meine Meinung
Wobei die Kolumne selbst ja schon eine Fußnote zu einer Diskussion ist.
Das Cover ist nicht nur unglücklich, es ist völlig daneben.