Greta-Abrechnung

Der Artikel, der den Blick der Welt auf den „Spiegel“ veränderte

Spiegel-Cover: Irrweg eines Idols
„Spiegel“-Titelgeschichte

Es ist schwer, einem Text von mehr als 30.000 Zeichen Länge zu trauen, wenn schon der erste Absatz hingebogen wirkt. Die aktuelle „Spiegel“-Titelgeschichte beginnt so:

Sie trug ein schwarz-weißes Palästinensertuch und gegen die Novemberkälte eine graue gesteppte Jacke. Ihre Haare fielen offen über ihre Schultern, am vergangenen Sonntag in Amsterdam. Am Tag, der den Blick der Welt auf Greta Thunberg veränderte.

Es geht um eine Klimademonstration in den Niederlanden, bei der Greta Thunberg vor mehreren zigtausend Menschen einer Afghanin und einer Palästinenserin die Bühne gab und über die Menschen sprach, „die unterdrückt sind und die für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen“. Daraufhin versuchte ein Mann aus dem Publikum, ihr das Mikrofon zu entreißen. „Ich bin für eine Klimademonstration hierhergekommen, nicht für politische Ansichten“, rief er. Animiert von Rufen aus dem Publikum skandierte Thunberg: „No climate justice on occupied land“, keine Klimagerechtigkeit auf besetztem Land.

Der „Spiegel“ behauptet, dass diese Begebenheit „den Blick der Welt auf Greta verändert“ habe, und das liest sich natürlich gut und dramatisch. Journalisten lieben solche Wendepunkte, oder genauer: Sie lieben es, Momente zu solchen Wendepunkten zu erklären. Es spricht allerdings sehr wenig dafür, dass sich an diesem Tag wirklich der Blick der Welt auf Greta verändert hat.

Für die meisten internationalen Medien war die Nachricht eher das unmittelbare Geschehen: Mann stürmt Bühne. Eine große Welle an Entrüstung über Greta gab es weniger in „der Welt“ als in Deutschland. Und auch in Deutschland, und zumindest in den deutschen Medien, hat sich der Blick auf Greta eher nicht an jenem Sonntag verändert, sondern schon in den Wochen zuvor, zum Beispiel als sie in einem Selfie „Free Palestine“ forderte, zunächst vor einem Stofftierkraken.

Die Frage, ob sich wirklich der Blick der Welt auf Greta Thunberg an diesem Tag änderte, ist nicht nur eine Spitzfindigkeit und es geht nicht nur um eine handelsübliche journalistische Zuspitzung. Sie steht für einen erstaunlichen blinden Fleck dieser Titelgeschichte: Sie beschreibt Greta Thunberg als Sonderfall – und merkt nicht, wie sehr die deutsche Öffentlichkeit und die deutsche Debatte bei diesem Thema im internationalen Vergleich einen Sonderfall darstellen.

„One of the craziest things I ever read“

Der „Spiegel“ hat seine Titelgeschichte auch auf Englisch veröffentlicht, und es ist faszinierend, die Reaktionen eines internationalen Publikums auf diesen Text zu lesen. Der amerikanische Journalist Vincent Bevins, der unter anderem für „Financial Times“, „Los Angeles Times“ und „Washington Post“ gearbeitet hat, schien vielen mit seinem kurzen Tweet aus dem Herzen zu sprechen: „One of the craziest things I ever read“ – mit das Verrückteste, das ich je gelesen habe.

Darunter und darüber tragen verschiedene Leute die besten, schlimmsten Stellen zusammen.

Zum Beispiel die verblüffend detaillierte Beschreibung, wie Thunberg auf den Störer reagiert habe:

Greta Thunberg lächelte. Ein merkwürdiges, überlegenes Lächeln.

Sie riss das Mikrofon wieder an sich und rief [dem Störer] hinterher. „Calm down, calm down, calm down“, beruhige Dich. Ein Befehl? Eine Bitte? Wer dem anderen zuruft, sich zu beruhigen, ist überlegen. Es war auch eine Rangelei zwischen Jung und Alt, Frau und Mann.

Völlig irre: Eine Situation auf der Bühne droht zu eskalieren, und die Frau fordert zur Beruhigung auf. Zur Beruhigung! How dare she! Was mag da in ihr vorgegangen sein? Wie überlegen mag sie sich gefühlt haben? Was hätte sie sagen können, wie hätte sie lächeln müssen, um nicht überlegen zu wirken?

„Greta Thunberg hatte gewonnen, zumindest fürs Erste“, schiedsrichtert der „Spiegel“. Kurzer Spannungsmoment. Fürs Erste? Dann die Auflösung:

Ein paar Tage nach dem Vorfall kann keine Rede mehr davon sein, dass Greta Thunberg die Rangelei auf der Bühne klar gewonnen hätte. Ihr schlägt harte, berechtigte Kritik entgegen.“

Das ist echter Servicejournalismus, der den kompletten Artikel durchzieht: Man bekommt vom „Spiegel“ freundlicherweise unmittelbar das Urteil mitgeliefert, ob eine Kritik nicht nur hart, sondern auch berechtigt ist – nicht dass man sich da erst mühsam eine eigene Meinung bilden müsste. Oder gibt es dazu womöglich gar keine andere?

Sagen, wer recht hat

„Es ist nicht das erste Mal, dass Thunberg die Klimabewegung nutzte, um einseitig Partei für die palästinensische Seite zu ergreifen“, schreibt der „Spiegel“ ein paar Absätze weiter, was für all jene Leser, die sich noch an den ersten Absatz dieses Artikels erinnern, überraschend sein könnte. Dann notiert der „Spiegel“, dass Thunberg „nie von sich aus öffentlich Mitleid für die Jüdinnen und Juden, die von der Hamas getötet oder geschändet wurden“ äußerte, keine Solidarität mit Jüdinnen und Juden zeigte, „obwohl israelische Flaggen verbrannt werden, jüdische Kinder Angst haben, in die Schule zu gehen, jüdische Erwachsene vermeiden, sich auf der Straße als Juden zu erkennen zu geben“. Es klingt ein bisschen, als sei all das auch Thunbergs Schuld.

„Dabei kann Greta Thunberg durchaus Mitleid empfinden“, fügt der „Spiegel“ hinzu: „für die Palästinenserinnen und Palästinenser. Und damit hat sie ja auch recht.“

Ah: Noch so ein praktischer Haltungshinweis.

„Den Palästinensern fehlt es an Selbstbestimmung, seit Jahrzehnten ist das so“, doziert der „Spiegel“. „Im Krieg, den Israel als Reaktion auf den Angriff der Hamas führt, leiden und sterben auch Zivilistinnen und Zivilisten.“ Im Gegensatz zu den Opfern der Hamas scheinen die Palästinenster allerdings einfach irgendwie zu leiden und zu sterben, anstatt konkret von jemandem getötet zu werden. Die Darstellung wirkt fast so einseitig wie das, was der „Spiegel“ Greta Thunberg vorwirft, nur umgekehrt.

Weil dieses ganze Nahost-Thema so ein Minenfeld ist, weist der „Spiegel“ uns (und auf eine Art natürlich auch Greta Thunberg) nun exakt den einzig sicheren Weg und dekliniert exakt durch, was geht und was nicht geht:

Auch die Verbündeten Israels müssen die israelische Regierung immer wieder ermahnen, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten und die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Aber die Existenz des Staates Israel ist nicht verhandelbar. Jüdinnen und Juden werden seit Jahrhunderten verfolgt. Allein im Holocaust wurden sechs Millionen von ihnen umgebracht.

Wer wie Greta Thunberg das Leid der israelischen Frauen unterschlägt, die am 7. Oktober vor den Augen ihrer Kinder von Hamas-Kämpfern vergewaltigt wurden, das Leid der Familien, deren Kinder vor den Augen ihrer Eltern getötet wurden, wer dieses Leid unterschlägt, weil die Opfer Israelis waren, Jüdinnen und Juden, der begibt sich in die geistige Nähe zum Antisemitismus. Mindestens.

Das „weil“ in diesem Satz ist eine Unterstellung. Aber es ist so unauffällig in diese Argumentationskette eingeflochten, dass es sich liest, als wäre es eine Tatsache.

Wer allein steht und wer an der Seite Israels

Viele Kommentatoren in Deutschland sind derselben Meinung wie der „Spiegel“, und das Nachrichtenmagazin zitiert sie. Als Gegenposition kommt nur der frühere Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger zu Wort, der den Umgang mit Greta Thunberg als zu hart kritisiert:

Es ist berechtigt, Israel für den Umgang mit der Zivilbevölkerung in Gaza zu kritisieren. Es handelt sich um eine humanitäre Katastrophe. Das ist kein Antisemitismus und auch keine Relativierung des furchtbaren Terrors der Hamas.

Man könnte denken, das sei ein Statement, das nicht besonders radikal ist, vielleicht nicht einmal besonders kontrovers. Vom deutschen Nachrichtenmagazin wird es dennoch sofort als abwegige Minderheitenmeinung markiert:

Allerdings steht Riexinger damit im demokratischen Teil des deutschen Parteienspektrums ziemlich allein da.

Die politischen Größen der Bundesrepublik stehen an der Seite Israels.

(In der englischen Version hat der „Spiegel“ „politische Größen der Bundesrepublik“ mit „Germany’s political royalty“ übersetzt, was internationale Leser zusätzlich verstörte.)

Schwieriges Kind

Aber auf dem Spiel steht ja nicht nur Israel, sondern auch das Klima. Der „Spiegel“ mutmaßt, dass Gretas angeblicher Antisemitismus sogar „das Ende der Klimabewegung“ bedeuten könnte. Und wenn Sie sich an dieser Stelle fragen, ob das nicht fatal wäre, hat der „Spiegel“ eine Antwort für Sie: „Das wäre fatal.“

(Auf die mindestens ebenso naheliegende Frage, ob das nicht arg gewollt herbeigeschrieben ist, gibt der „Spiegel“ naturgemäß keine Antwort.)

Wie viele „Spiegel“-Titelgeschichten ist auch diese aus einzelnen Zulieferungen mehrerer Autoren zusammengesetzt, sechs insgesamt. Wenn es gut geht, entsteht aus dieser Methode ein hübscher bunter Quilt. Wenn es schlecht geht, ein Artikelzombie mit solchen wilden Reißschwenks:

Es ist ein großes Bild, das sich da auftut. Es geht hier nicht nur um die Klimabewegung, es geht auch nicht nur um die linken Bewegungen. Die politischen Bewegungen insgesamt sortieren sich gerade neu. (…)

In diesem großen Bild ist Greta Thunberg nur eine Akteurin von vielen, allerdings eine prominente. An ihrem Beispiel lassen sich einige der aktuellen Brüche ablesen, lassen sich Fragen der Zeit beantworten: Woher rührt die Israelfeindschaft vieler Linker? Welche Richtung nimmt die Klimabewegung? Mit welchen Folgen für die Politik?

Zunächst aber: Wer ist Greta Thunberg wirklich?

Und, ja, der nächste Satz beginnt dann allen Ernstes:

Die junge Greta war ein unglückliches Kind (…).

Die großen, die riesigen Fragen über die sich neu sortierenden „Bewegungen insgesamt“ müssen warten, bis der „Spiegel“ in größter Detailfreude nochmal nacherzählt hat, wie die Kindheit von Greta war, dass sie „offenbar auch ein stures Kind“ war, dass eine Psychiaterin das „Asperger-Syndrom mit perfektionistischem Anspruch“ bei ihr vermutet habe, dass das Mittagessen an ihrer Schule vegetarisch war, dass zwei ehemalige Mitschüler sie als witzig und am Boden geblieben beschreiben.

Fragen, die sich wie Antworten lesen

Der „Spiegel“ fernküchenpsychologiert:

Hat sie Angst, Freundinnen und Freunde wieder zu verlieren? Sehnt sie sich danach, auch weiterhin anerkannt zu werden? Redet sie womöglich deshalb so, wie große Teile der Bewegung denken, mal abgesehen vom deutschen Ableger? Steht ihr, bei der Bewertung der politischen Situation in Nahost, ihre eigene Geschichte im Weg?

So viele Fragen, die sich alle schon wie Antworten lesen! Und? Und? Und?

Das lässt sich aus der Ferne nur vermuten. Und Greta Thunberg ist für den SPIEGEL in diesen Tagen nicht zu erreichen.

Ach, Mist.

Aber der „Spiegel“ hat ja Ressourcen und keine Kosten und Mühen gescheut und sich umgehört und zum Beispiel mit deutschen Klimaaktivisten über Thunberg geredet! Und dabei, wie er schreibt, vor allem Sätze gehört wie diese:

Man kenne Thunberg persönlich ja gar nicht oder kaum. Man habe sie ewig nicht gesehen.

Ach, Mist.

Aber die Erklärungen, nach denen die hiesigen Aktivistinnen und Aktivisten suchen, kreisen um Freundschaft und Anerkennung, auch um Gruppendruck.

Ah, na dann. Leute, die sie kaum kennen, haben Erklärungen, nach denen sie suchen, die um etwas kreisen. Nächste Woche nehmen sie in der „Spiegel“-Zentrale Augsteins Worte „Sagen, was ist“ von der Wand und ersetzen sie durch: „Sagen, was Leute, die es auch nicht wissen, vermuten könnten“.

Plötzlich 20

Immerhin, man kann sie sich ja angucken, die Greta, und das hat der „Spiegel“ getan, und das liest sich gleich am Anfang der Geschichte, im Kontext mit der Amsterdam-Szene, so:

Greta Thunberg hat sich verändert seit dem Sommer 2018, in dem sie berühmt wurde. Sie ist kein Mädchen mehr. Und sie wirkt nicht mehr schüchtern, nicht mehr gehemmt. Sie scheint eine selbstbewusste junge Frau von 20 Jahren zu sein.

Es ist natürlich gemein, in diese Formulierungen zu lesen, dass die „Spiegel“-Autoren sich nach dem gehemmt wirkenden Mädchen zurücksehen und mit der selbstbewussten jungen Frau fremdeln, die offenbar nicht das detaillierte Briefing vom „Spiegel“ bekommen hat, was richtig und was falsch ist und wozu sie sich wie genau verhalten muss. Aber es ist auch nicht ganz fernliegend.

Aus der 15-jährigen, die ihre Haare „oft zu zwei Zöpfen geflochten“ trug und dadurch „noch jünger aussah, als sie war“, wurde laut „Spiegel“:

Greta, die Prophetin. Greta, die Predigerin. Greta, die Heilige.

Natürlich ärgerten sich auch viele über sie. (…)

Aber es war ja richtig, was sie sagte.

Womöglich mal mit Margot Friedländer treffen

Das ist eine ganz eigene Form von Haltungsjournalismus. Er ist nicht nur geschrieben auf der Grundlage einer bestimmten Haltung, er fordert sie auch von allen anderen explizit ein und gibt Haltungsanweisungen. Das zieht sich bis zum Schluss durch den Text:

Ja, berechtigt ist die Kritik an der israelischen Siedlungspolitik, an der aktuellen Regierung, an Aspekten der israelischen Kriegsführung.

Nein, unberechtigt ist der Vorwurf, Israel agiere wie ein Kolonialstaat, denn damit negierte man den Holocaust, also die Tatsache, dass es auch und vor allem Opfer waren, die auf dem Gebiet des heutigen Israels eine Heimstatt suchten. Und zwar in einer Region, in der vor vielen Jahrhunderten Juden lebten. Unberechtigt ist auch der Vorwurf, Israel betreibe einen „Genozid“. Israels erklärtes Ziel ist nicht die Auslöschung der Palästinenser. Israel wurde angegriffen. Deshalb ist dieser Gegenschlag, wie es der Philosoph Jürgen Habermas in diesen Tagen formuliert hat, „prinzipiell gerechtfertigt“.

Das alles ist, wohlgemerkt, kein Leitartikel, kein Kommentar, sondern ein Artikel, der vorgeblich von Greta Thunberg und ihrer angeblichen Verirrung handelt. Welche dieser angeblich abwegigen Vorwürfe, die der „Spiegel“ hier mal bündig und auf die Schnelle abräumt, auch von Greta Thunberg formuliert wurden – die Mühe, das durchzudeklinieren, macht sich der „Spiegel“ gar nicht mehr.

Gönnerhaft empfiehlt er ihr am Schluss nur, sich „womöglich mal mit Margot Friedländer“ zusammenzusetzen, der 102 Jahre alten Holocaustüberlebenden, um „aus der Verwirrung noch einmal herauszufinden“.

Der „Spiegel“ zitiert Friedländers Sätze: „Es gibt kein christliches, kein moslemisches, kein jüdisches Blut. Es ist alles menschliches Blut. Wir sind alle gleich.“ Und: „Ich glaube, dass in jedem Menschen irgendetwas Gutes ist. Nehmt das Gute raus und vergesst das Schlechte! Es ist so einfach, Mensch zu sein.“ Und hält diese Sätze Greta Thunberg vorwurfsvoll und ohne weitere Erklärung hin, wie einen Stoff, den sie jetzt gefälligst pauken soll, weil sie es nötig hat.

Doppelt interviewt hält besser

Der amerikanische Fernsehmoderator Mehdi Hasan bezeichnet das „Spiegel“-Stück als „einfach abscheulich“:

Zur Verstörung des internationalen Publikums trägt teilweise auch die Übersetzung bei, in der aus der „Palästinafrage“ in einem Zitat „the Palestinian question“ wird – was manche offenbar an „the Jewish question“ erinnert, die „Judenfrage“, deren „Endlösung“ die Nationalsozialisten propagierten.

Auch dass der „Spiegel“ beiläufig behauptet, der Holocaust sei „nicht mit Imperialismus-Theorien erklärbar“, stößt auf Kritik:

Für zusätzliche Verblüffung sorgt ein Zitat des schwedischen Antisemitismusforschers Christer Mattsson, das der „Spiegel“ in seiner Online-Ausgabe sogar eigens hervorgehoben hat:

»Wir sehen derzeit Antisemitismus, wie wir ihn noch nie erlebt haben.«

Ist das nicht eine ungeheuerliche Aussage? Antisemitismus, wie wir ihn noch nie erlebt haben? Nichtmal im „Dritten Reich“?

In einem Interview mit Mattson, das der „Spiegel“ separat veröffentlicht hat, lautet die Formulierung anders. Dort wird der Forscher darauf angesprochen, dass zum Beispiel in einer großen linken schwedischen Facebookgruppe vom Blutdurst der Israelis die Rede sei, für den Zivilisten und Kinder getötet wurden:

„Ein jahrhundertealtes Stereotyp. Ein schrecklicher Antisemitismus wie bei Joseph Goebbels. Das ist wirklich Nazi-Sound. Wir sehen derzeit Antisemitismus, wie wir ihn seit dieser düsteren Epoche in der Weltgeschichte nie wieder erlebt haben.“

Hat der „Spiegel“ das Zitat mal eben um den Holocaust gekürzt?

Auf Nachfrage bestreitet das Nachrichtenmagazin das: Man habe zweimal mit Christer Mattsson gesprochen, „einmal für die Titelgeschichte und ein weiteres Mal für das Wortlautinterview, beide Interviews wurden autorisiert“.

Das wäre erstaunlich, wenn es so war: Der „Spiegel“ hätte dann gleich zweimal mit demselben Experten über dasselbe Thema geredet, der dabei teilweise wörtlich dasselbe sagte, teilweise aber nur fast. Noch erstaunlicher ist nur, dass niemandem beim „Spiegel“ auffiel, wie geschichtsvergessen ein solches Zitat wirken muss:

"We are currently seeing anti-Semitism as we have never seen it before."

(Mattsson sagte auf unsere Anfrage nur, dass er sich mit seinem Vergleich nur auf frühere Gaza-Kriege und nicht auf das Mittelalter oder das „Dritte Reich“ bezogen habe, und entschuldigte sich für die Verwirrung.)

Auch dieses Detail passt zu dem Eindruck, den manche internationale Kommentatoren auf Twitter äußerten: dass diese ganze „Spiegel“-Geschichte weniger über Greta Thunberg aussagt und mehr über Deutschland und sein Nachrichtenmagazin.

34 Kommentare

  1. Auch dass der „Spiegel“ beiläufig behauptet, der Holocaust sei „nicht mit Imperialismus-Theorien erklärbar“, stößt auf Kritik:

    So quatschig der Artikel auch sonst sein mag, hier hat der Spiegel völlig recht. Und die Sache ist zentral in dem Streit um die Singularität von Auschwitz. Der eliminatorische Antisemitismus und die Lebensraum-Ideologie haben Berührungspunkte („jüdischer Bolschewismus“), sind aber keineswegs identisch. Die Vernichtung der deutschen Juden etwa hatte mit „Lebensraum“ und Imperialismus nicht das Geringste zu tun.

    Der Widerspruch trat gegen Ende des Krieges offen zutage, als die Nazis ihre militärischen Ressourcen teilweise der Judenvernichtung unterordneten (siehe etwa „Ungarn-Aktion“ 1944): Die Juden sollten vernichtet werden, selbst wenn das imperialistische Projekt darunter litt.

    Bisschen ärgerlich, dass Übermedien Herrn McDonalds Meinung hier wie eine Widerlegung des Spiegels präsentiert („absolutely insane“), ohne sich um die Sache selbst zu kümmern.

  2. Eigentlich sagt es auch nichts über „Deutschland“ aus.
    Thunberg äußerte sich bis dato solidarisch mit Palästina, nicht mit der Hamas, und nutzt ihre Reichweite dazu, die sie mit einem völlig anderem Thema gewann.
    Es ist nicht ansatzweise die moralische Selbstzerstörung, die der Spiegel wohl gerne hätte, aus Schadenfreude oder was auch immer.

  3. Ich würde dem vorigen Kommentar nicht ganz zustimmen. Der Holocaust hatte auch mit Imperialismus und neuem Lebensraum zu tun. Götz Aly hat das sehr gut heraus gearbeitet. Nachdem der Madagaskarplan durch die Niederlage in Nordafrika gescheitert war und man in Russland stecken blieb begannen die Massenhaften Erschiessungen in den besetzten Gebietem, die als überbevölkert angesehen wurden. Statt zu deportieren begannen sie mit der massenhaften Vernichtung. Zudem wurden Juden in den besetzten Gebieten als Sicherheitsrisiko betrachtet, was jedem Soldaten regelmäßig eingetrichtert wurde. Man kann den Holocaust nicht von der versuchten Expansion im Osten trennen.

    Mein Kommentar ist sicher auch etwas verkürzt, ich kann jedem nur Götz Alys Bücher empfehlen.

  4. Für meinen Geschmack enthält dieser Beitrag selbst vieles, was dem Spiegel vorgeworfen wird: Übertreibungen, Haltungshinweise und Fragen, die sich wie Antworten lesen.

  5. Ist, was die Hamas treibt, eigentlich Philosemitismus?
    Immerhin hat sie gerade in einem Vertrag niedergelegt, dass eine israelische Frau so viel wert ist wie drei palästinensische Männer.

    Übrigens war der Gaza-Streifen eben gerade kein „besetztes Gebiet“ , jedenfalls nicht von Israel. Jochen

    Und vom immer wieder behaupteten Völkermord kann auch keine Rede sein, immerhin hat sich die Zahl der Bewohner in den letzten 20 Jahren fast verdoppelt.

    Ob Frau Thunberg solche Fakten kennt? Oder, um mit dem Spiegel zu urteilen, kennen müsste?

  6. @Peter (#3):

    Die Massenerschießungen von Juden begannen nicht erst nach der Niederlage in Afrika (November 42, wenn man El Alamein als Wendepunkt nimmt), sondern unmittelbar nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 (siehe „Einsatzgruppen“). Auch die Wannseekonferenz fand 11 Monate vor der Niederlage in El Alamein statt. Und die betraf bekanntlich nicht nur Juden aus vermeintlich „überbevölkerten“ Gebieten im besetzten Teil der UdSSR, sondern auch Berlin-Charlottenburg.

    Aly, der sonst viel Kluges geschrieben hat, dichtet der Judenvernichtung eine Art ökonomischer oder strategischer Rationalität an, die es nie gegeben hat. Die erwähnte „Ungarn-Aktion“ etwa band Ressourcen, die eigentlich dringend die Wehrmacht benötigt hätte. Und die „Vernichtung durch Arbeit“ – zum Beispiel in Auschwitz-Monowitz – war ökonomisch nie effektiv. Es war Wahn, nicht Kalkül.

    Der leider verstorbene Jochen Bruhn hat Aly mal sinngemäß entgegnet: „Es gab eine Ökonomie des Holocausts, aber der Grund für den Holocaust war nicht die Ökonomie.“ Selbiges ließe sich über den Imperialismus der Nazis sagen: Die Vernichtung hing mit ihm zusammen, ging aber nicht in ihm auf.

  7. @#7
    Selten besser gehört.

    Es ist ein womöglich marxistischer Irrtum, den Profit mit dem Motiv gleich zu setzen.

  8. Der SPIEGEL Text reiht sich ein in das Dogma einer deutschen Staatsräson:
    „Die Deutschen sehen sich nun stolz als Erinnerungsweltmeister. Deshalb ist die Zustimmung, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf twitter zur Aussage eines bekannten britischen Rechten gab, der sagte, dass die SS-Täter sich im Gegensatz zur Hamas wenigsten geschämt hätten für ihre Untaten, kein Versehen, sondern echtes deutsches Empfinden. Wir brauchen keine Schlussstrich-Debatte mehr, wir haben es längst geschafft, die Vergangenheit zu unseren Gunsten umzudeuten. Ein neues Überlegenheitsgefühl macht sich nach der erfolgreichen Aufarbeitung breit. Es stören dabei nur ein paar linke Jüd:innen, Israelis und die Angehörigen der Getöteten, wenn sie nicht bereit sind, ihre Opfer einfach so der deutschen Erinnerungskultur zur Verfügung zu stellen. Und natürlich alle die, die andere Geschichten und Traumata haben, die sie nicht mit der erklärten Singularität von Auschwitz abtun wollen.„
    https://www.medico.de/blog/schuld-ohne-suehne-19312

  9. @Jochen:
    „Es ist ein womöglich marxistischer Irrtum, den Profit mit dem Motiv gleich zu setzen.“

    Schwierige Aussage. Der historische Materialismus hat, wenn er als Erklärung der Geschichte absolut gesetzt wird, eigentlich exakt dieselben Defizite, wie jede andere, auf Ökonomie basierende, Theorie auch.
    Dass ausgerechnet Götz Aly dem Marxismus erlegen sein sollte, ist jetzt nicht sehr plausibel.
    Zweifellos hat aber Aly die Ökonomie als Motiv für die Judenvernichtung bei uns ins Spiel gebracht.

    Die Schwächen des historischen Materialismus hat schon die Frankfurter Schule und die kritische Theorie benannt und zu beseitigen versucht. Wenn wir heutzutage alles ökonomisieren und bestenfalls noch einen angeborenen Egoismus unterstellen, dann dürfte diese Denkweise wohl eher dem entspringen, was so gemeinhin „Neoliberalismus“ genannt wird.

  10. Übermedien weist hier – ich finde: zu recht- darauf hin, dass der Spiegel dem Journalismus keinen Gefallen tut mit dieser Art News-Lyrik. Als Meinungsbeitrag gekennzeichnet hätte man das dem Spiegel noch knapp durchgehen lassen können (was mir auch erst nach der Übermedienkritik bewusst wird). Eine Titelgeschichte aber sollte all ihre Aussagen belegen können. Schillernde Begriffe wie ‚Die Welt‘ (wer soll das sein?) sind Feuilleton. Aber mit der notwendigen Trennschärfe wäre die Geschichte keine mehr. Dabei wäre es einfach, Gretas Antisemitismus korrekt zu belegen, wenn man die der eigenen Sicht zugrunde liegenden Kriterien dafür auflistet; etwa den BDS-Beschluss des Bundestages oder die Leitlinien der Recherche und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS). Über beides darf man dann gern streiten, aber so wäre zumindest ein Definitionsrahmen abgesteckt und Meinung wieder getrennt von Fakten.

  11. Herrlicher Einstieg in den Artikel. Denn dieser passt genauso in einen Kommentar über das hervorragende Stück von Stefan Niggemeier. Hervorragend? Weil es einen Text analysiert, der ein typischer Spiegel ist und die ewig gleiche Mäkelei an der Aufmachung dieser Titelgeschichte und anderer („Tut dem Journalismus keinen Gefallen“), Jesus, dann lest den Spiegel eben nicht. Es gibt Wichtigeres darüber zu diskutieren. Zum Haupt- Kritikpunkt Niggemeiers: „die Deutschen sehen Anti-Semitismus anders als die Welt (wegen der Shoah) und der Spiegel hält diese Position für die Meinung der Welt“. Selbst wenn man dem folgt: Was folgt daraus? Der Auftritt Thunbergs reiht sich ein in eine Reihe von Auftritten, Posts u.a. von ihr. Kann es an ihrem Anti-Semitismus deshalb Zweifel geben, nur weil andere Gesellschaften eine andere – ja was eigentlich – Sensibilität haben?
    Es ist erschreckend zu sehen, wie die, die höchste Sprachsensibilität von anderen verlangen „from the River to the sea“ brüllen (und damit die Existenz Israels negieren). Und übrigens die ersten sind, die die Hamas abschlachten würde…

  12. @Alexander Möller:
    Unter all dem, was ich in Ihrem Kommentar kritikwürdig finde, sticht doch dies eine hervor:
    „Jesus, dann lest den Spiegel eben nicht. “

    Das ist Ihre Handlungsempfehlung an ein Format, welches sich der Medienkritik verschrieben hat?

    Der Spiegel hat leider über die letzten Jahr(z)e(hnte) enorm an Qualität eingebüßt. Kritiken wie diese sind geradezu ein Muß, auch wenn ich KK und anderen zustimmen muss, dass der Part über den Holocaust und die Imperialismus Theorie im Spiegel weitestgehend korrekt ist.
    Ansonsten finde ich die übersimplifizierende Dichotomie ( bist du Team A oder Team B ? ) keiner Seite gerecht wird.

    Man kann Greta Thunbergs Haltung zu dem Konflikt ablehnen, ohne die Realität außerhalb Deutschlands zu ignorieren.

  13. „Kann es an ihrem Anti-Semitismus deshalb Zweifel geben, nur weil andere Gesellschaften eine andere – ja was eigentlich – Sensibilität haben?“ Egal.
    Ich bin nicht der Ansicht, dass _eine_ fragwürdige Formulierung, _ein_ missverständlicher Satz oder einfach Mitgefühl für _Palästinenser_, deren Situation ja wirklich nicht zu beneiden ist, schon als Antisemitismus gelten sollte. Etwas mehr „Beweise“ sollten es schon sein.
    Wenn der Spiegel will, dass ich ihm Thunbergs Antisemitismus glaube, wird er ihm sicher zuzumuten sein, mir mehr solche Beweise zu liefern. Wenn jetzt einer sagt, dass sie bei Twix, Insta oder sonstwo recht eindeutig antisemitisch sei, ok, aber das hieße dann ja, dass ich den Spiegel nicht brauche, weil ich selber recherchieren kann. Oder muss.
    Die Frage, ob „die Welt“ diesen einen Auftritt, der der „Wendepunkt“ sein soll, als „antisemitisch“ wahrnimmt, wäre dann ja höchstens die zweite Frage. Insbesondere die Antisemiten in der Welt werden das eher nicht als „antisemitisch“ wahrnehmen, sondern als „normal“.

    Insofern, kleinere Details unbeachtet, hat Niggemeier doch recht: Entweder ist Thunberg Antisemitin, dann ist das an mehr als dem einen Auftritt festzumachen und dann ist das kein „Wendepunkt“, so dass der Spiegel auf Recherche verzichtete, um die Story nicht zu verwässern, oder sie ist keine Antisemitin, dann stimmt die Story komplett nicht.
    Beides wäre ein Fehler des Spiegels, nicht der Welt und deren Antisemitimus‘.

  14. Großartiger Artikel.

    Und auch vielen Dank für die Hinweise, wie derartige Spiegel-Machwerke im Ausland ankommen. Die heimischen Medien kreieren immer öfter Blasen, die uns glauben machen sollen, dass die veröffentlichte Meinung die einzig denkbare sei. Die angewandten Doppelstandards sind bedenklich.

  15. @#10
    Vielen Dank, Frank, für Ihren Input.
    Die „Ökonomisierung aller Motive“ trifft exakt, was ich meinte.

    Man kann sich über eine Erbschaft freuen und den Tod des Erblassers dennoch tief betrauern.

  16. @Frank Gemein (#10):

    Selten habe ich einem Beitrag von Ihnen so zugestimmt wie diesem. Danke. Ergänzt sei noch, dass man manchmal Marx gegen den Marxismus (bzw. den „Histomat“) in Schutz neben muss – seine materialistische Kritik war sehr viel ausgefeilter als der Ökonomismus, den spätere Marxisten präsentiert haben. Marx hat nicht umsonst den Begriff der Ideologiekritik geprägt…

  17. Vielleicht das erste Mal, dass ich mit einem Niggemeier-Text so gar nichts anfangen kann. Na gut, die üblichen unangenehmen Eigenschaften von Spiegel-Storys – das Anekdotenhafte, die Küchenpsychologie, der dozierende Ton usw. – das kann und soll man immer mal wieder aufs Korn nehmen, und vielleicht kommt das in diesem unguten Mix von Story und Leitartikel auch besonders gut raus.

    Aber die internationale Kritik – und seltsamerweise auch die Niggemeiersche – entzündet sich ja nicht in erster Linie an solchen stilistischen Fragen, sondern daran, dass der Spiegel Thunbergs Israelfeindlichkeit thematisiert. Exemplarisch Mehdi Hasan: „It literally accuses her of aligning with antisemitism because she stands for Palestinian rights and against the occupation.“ Wie gemein, how vile! Mal abgesehen davon, dass auch „against the occupation“ immer schon bewusst zweideutig gehandhabt wurde und je nachdem die Westbank oder ganz Israel als „besetztes Gebiet“ angesehen wurde – es geht grade nicht um besetzte Gebiete im ersteren Sinne; Gaza ist schon seit 18 Jahren nicht mehr besetzt. Dieses Unschuldsgeheuchel „for Palestinian rights and against the occupation“ kann man sich sparen. Wer wie Thunberg zu den schlimmsten antisemitischen Pogromen nach 1945 schweigt, aber bei der militärischen Reaktion darauf sofort wieder „Free Palestine!“ kräht, „is aligning with antisemitism“, tut mir leid. Nach dem 7. Oktober steht ein undifferenziertes, distanzierungsfreies „free Palestine“ halt für das Abschlachten israelischer Zivilisten und den Vernichtungswillen gegenüber Israel, also für eliminatorischen Antizionismus. Das nicht zu erkennen zeugt entweder von politischer Unzurechnungsfähigkeit oder halt von Judenhass. Palästinenern, die selbst unter dem Krieg oder/und israelischer Besatzung leiden, mag man da mildernde Umstände zugestehen, einer gebildeten, gut informierten schwedischen Klimaaktivistin aber nicht.

  18. @#18
    100%ige Zustimmung.

    Earendil,
    würde der Spiegel aber weniger versuchen, sich schwurbelnd im Greta-Glanz zu sonnen, sondern Frau Thunberg nur als ein Beispiel einer durch alle „progressiven“ Schichten schwappenden antijüdischen Welle zu benennen, wäre der Diskussion mehr geholfen.

    Von der Tagesschau, die von „Geisel-Austausch“ spricht, bis zum irischen Ministerpräsidenten muss man ja sagen: Die Hamas hat alles richtig gemacht. Kaum bringt man 1.200 Kinder & Frauen um, bekommt man Sympathien auf der ganzen Welt.

    Da ist Frau Thunberg nur ein kleines Licht im hell lodernden Feuer des Judenhasses.

  19. Rein der Klarheit des eigenen Denkens würde ich trotzdem zwischen Palästinensern und Hamas trennen, auch wenn die Schnittmenge groß ist.

  20. @#20
    Wer macht das, Mycroft?
    Aber die vielen Demonstrationen von Palästinensern gegen die Hamas muss ich in den letzten Jahren, Monaten und Tagen irgendwie übersehen haben.
    Während in Israel 100.000e gegen Netanjahu demonstriert haben. Bis zum Angriff.

  21. @#21:
    Ich kann mich an _eine_ Demo erinnern mit dem Spruch:
    „Hey Regierung, hey Hamas, wo ist Strom und wo ist Gas?“, via Twitter, iirc.
    Insofern scheinen Demos grundsätzlich möglich zu sein, aber ob man eine Partei, die seit 16 Jahren den Gazastreifen regiert, ohne je Neuwahlen zu veranlassen, dadurch als „demokratisch“ sehen kann, würde ich trotzdem verneinen, und in der Konsequenz kann ich nicht sagen, wie breit die Unterstützung durch die Bevölkerung ist.

  22. @Earendil (#18):

    Gaza ist schon seit 18 Jahren nicht mehr besetzt.

    So ist das. Ich finde es schlimm, was die Siedlerbewegung in der Westbank abzieht. Aber auf Gaza trifft es schlicht nicht zu. Das Gerede von der „Occupation“ ist darauf bezogen einfach Quatsch. Ariel Scharon, der harte Hund, hat damals Bulldozer anrücken lassen, um die israelische Siedlungen im Gaza-Streifen plattzumachen. Und dann sind die Israelis gegangen, und die Hamas hat die Macht ergriffen. Mit den bekannten Folgen.

  23. @19 „Die Hamas hat alles richtig gemacht. Kaum bringt man 1.200 Kinder & Frauen um, bekommt man Sympathien auf der ganzen Welt.“

    Die IDF hat alles richtig gemacht. Einfach mal über 10.000 Kinder und Frauen per Bombe zerfetzen lassen und der Jochen schreit blutgeifernd nach noch mehr Tod und Vernichtung für Zivilisten.

    Natürlich alles gerechtfertigt, denn die Militär-KI hat ja grünes Licht gegeben. Immerhin hatte ein Hamasfunktionär seine Privatwohnung in dem Wohnblock, den wir gerade mit Mann und Maus eingeebnet haben. Die moralische Frage ist damit gelöst. Und als nächstes salzen wir den Palästinensern die Felder, nachdem wir sie zum Verrecken in die Wüste getrieben haben. Zum Abschluss jammern wir dann über die Kritik an unserem Vorgehen.

    Aber hey, wer die israelische Militärgewalt kritisiert, muss ja ein bösartiger Antisemit und ein Hamasanhänger und vermutlich sogar selber Terrorist und Nazi sein. Damit wäre dann auch diese Frage geklärt.

  24. @#25
    Und wieder kommt es zur Opfer-Täter -Umkehr.
    Wer hat am 7.10. wen überfallen?
    Wer tötet und vergewaltigt gezielt Frauen und Kinder?
    Wer hat den Waffenstillstand gebrochen?
    Wer nimmt Kinder als Geiseln?

  25. @#26
    Und wieder kommt es zur allumfassenden Geschichtsverleugnung.

    Wer hat denn die Entstehung der Hamas überhaupt erst gefördert und gepäppelt, um die PLO zu spalten und einen unabhängigen, palästinensischen Staat dauerhaft unmöglich zu machen?

    Wer vertreibt, unterdrückt und schikaniert denn seit Jahrzehnten Millionen Menschen?

    Wer fördert und unterstützt mit Militärgewalt den Ausbau völkerrechtswidriger Siedlungen im Westjordanland?

    Wer verhindert denn die Erfüllung selbst elementarster Grundbedürfnisse wie etwa den Zugang zu Wasserquellen für die Landwirtschaft?

    Wer zerstört denn unter fadenscheinigsten Begründungen regelmäßig ganze Wohnblöcke, weil ein vermeintlicher Terrorist darin wohnen könnte?

    Wer jagt denn Menschen ohne Zugang zu Wasser, Nahrung, Medikamenten und Treibstoff zum Verrecken in die Wüste?

    Und am Ende wundert man sich dann, dass die Menschen, die man über Jahrzehnte wie Ungeziefer behandelt hat, einen nicht hochleben lassen.

    Die Geschichte dieses Konflikts beginnt nicht am 07.10.2023.

  26. @#27
    Toll, jetzt ist Israel schuld, dass es die Hamas gibt.

    Ich ziehe aus ihrem Post den einen wahren Satz: Die Hamas macht einen unabhängigen, palästinensischen Staat dauerhaft unmöglich.

    Heißt das nicht, dass die Hamas eleminiert werden muss?

    Wie passt es übrigens in Ihr Weltbild, dass es den Palästinensern im einzigen Gebiet, das nicht von Israel „besetzt“ war, am dreckigsten ging?

    Und wie würden Sie sich fühlen, wenn Ihre Nachbarn nur ein einziges Ziel haben: Sie ins Meer zu treiben.

    Können Sie überhaupt nicht verstehen, warum sich die jüdischen Israelis rabiat gegen die nächste Endlösung wehren? Und dabei übrigens auch von vielen nicht-jüdischen Mitbürgern unterstützt werden.

    Völkermörder wie Assad, Putin oder die Ajatollahs haben eine sehr begrenzte Anziehungskraft.

  27. „Wer hat denn die Entstehung der Hamas überhaupt erst gefördert und gepäppelt, …“ Der Iran.
    „…um die PLO zu spalten und einen unabhängigen, palästinensischen Staat dauerhaft unmöglich zu machen?“ Wenn die Existenz eines palästinensischen Staates von der Hamas verhindert wird, muss die Hamas weg, egal, wer sie gefördert hat. Aber ja, der Iran und andere haben kein Interesse daran, dass Israelis und Palästinenser eine Einigung erzielen, insbesondere keine Zweistaatenlösung.

    „Wer vertreibt, unterdrückt und schikaniert denn seit Jahrzehnten Millionen Menschen?“ Das iranische Regime. Unter anderem.

    „Wer fördert und unterstützt mit Militärgewalt den Ausbau völkerrechtswidriger Siedlungen im Westjordanland?“ Dass es da keine Einigung gibt, liegt nicht nur an des Israelis, aber insofern haben Sie Recht. Inwiefern verhindern Vergewaltigungen in Israel Siedlungen im Westjordanland? Und warum ist die Hamas aus Gaza (ohne illegale Siedlungen) so viel aggressiver als die Fatah im Westjordanland? Vllt. wegen ausländischer Mächte vllt.?

    „Wer verhindert denn die Erfüllung selbst elementarster Grundbedürfnisse wie etwa den Zugang zu Wasserquellen für die Landwirtschaft?“ Soweit ich weiß, war das die Hamas, die Wasserleitungen für Raketen umgebaut hat. Dass es nicht genug Süßwasser im Gazastreifen gibt, spricht gegen den Gazastreifen als eigenen Staat, wenn Sie mich fragen, aber nunja.

    „Wer zerstört denn unter fadenscheinigsten Begründungen regelmäßig ganze Wohnblöcke, weil ein vermeintlicher Terrorist darin wohnen könnte?“ Bessere Ausrede als Bomben auf Städte zu werfen, weil da ein Jude drin wohnt, würde ich sagen.

    „Wer jagt denn Menschen ohne Zugang zu Wasser, Nahrung, Medikamenten und Treibstoff zum Verrecken in die Wüste?“ Das waren die Deutschen in Namibia 1904.

    „Und am Ende wundert man sich dann, dass die Menschen, die man über Jahrzehnte wie Ungeziefer behandelt hat, einen nicht hochleben lassen.“ Ungeziefer lässt man nicht die eigene Verwaltung wählen. Aber _niemand_ wundert sich, dass Palästinenser keine Juden „hochleben“ lassen. Alle arabischen Länder begannen nach ihrer Unabhängigkeit ihre jüdischen Mitbürger, ohne jede Provokation oder sonstigem Anlass, zu vertreiben – warum sollten die palästinensischen Araber da jemals anders gewesen sein?

    „Die Geschichte dieses Konflikts beginnt nicht am 07.10.2023.“ Jau. 1948 Angriff arabischer Staaten, weil die – im Unterschied zu Israel – mit dem UN-Teilungs-Plan nicht einverstanden waren (Völkerrecht interessierte sie nicht, als es auf Seiten Israels war, na sowas), Angriff 1967 von arabischen Staaten, die mit ihrer Niederlage ’48 nicht einverstanden waren, Angriff zu Jom-Kippur ’73, 1. Intifada, 2. Intifada, Ereignissen, dem der Libanonkrieg von ’82 als israelischer Angriffskrieg gegenübersteht.

  28. @Thomas: Ich habe mich bloß an die Struktur der Vorlage gehalten. Wenn das dann wirr wird, liegt das nur teilweise an mir.

  29. Danke für den Artikel und die Kommentare. Sehr erhellend.

    Was ich anmerken möchte: keiner hat erwähnt, das Thunberg fragwürdige Twitter Profile empfohlen hat. Darunter soll mindestens auch einer sein, wo sich über die Hamas Massaker gefreut worden wäre. Alle empfohlen Accounts waren wohl aber einseitig Pro Palästinensisch.

    Da sie nichts explizit zur wirklich schockierenden brutalen Gewalt der Hamas gesagt hat, ist hier doch ein eindeutiges Parteiergreifen manifest und ein Ignorieren jüdischen Leids, verstärkt durch fragwürdige Vorwürfe von Okkupation und Genozid.

    Das ist nicht zwangsläufig anti-semitisch. Aber durchaus der Kritik wert. Und, ja, sie missbraucht die Klimabewegung, um hier parteiisch Politik zu machen. Der Anti-Semitisnus Nachweis wurde allerdings bisher nicht erbracht soweit ich sehe.

    Vielleicht denkt sie doch – eigentlich völlig normal – doch nur in schwarz-weißen Mustern. Und das Ganze „Hört auf die Wissenschaft!“ war nur ein Argument, weil es zum eigenen Standpunkt gepasst hat . nicht, weil man wirklich mit Ambiguität und Komplexität umgehen kann.

  30. Nachtrag zu den Kommentaren: es sind ein paar neue erschienen, die ich vorher nicht gelesen hatte.

    Natürlich ist Israel mit verantwortlich an der Situation und, Netanyahu hat die Hamas gepäppelt – in einem Spiegelartikel findet man die Information, dass er 2020 (glaube) Qatar angebettelt hat, die Hamas weiter zu finanzieren – nachdem Qatar des aufgegeben hatte(!). Er hat die Übergabe der Geldkoffer von Qatar an die Hamas erbettelt und genehmigt.

    Das ist ein Fakt, der Regierungspräsident der Israelis hat die Hamas genutzt, um sie gegen die PLO auszuspielen und die Palästinenser zu spalten, damit es eben kein unabhängiges Palästina gibt. Er dachte, das würde der Sicherheit Israels nutzen. (Ein völliger Fehlschluss!)

    Die ganze Siedlerbewegung im Westjordanland verstößt gegen das Völkerrecht. Es gibt hier allerhand zu kritisieren auf der Seite Israels. Von daher stimme ich teilweise dieser Kritik zu, aber eben nur teilweise, denn es ist ja nur ein Teil der komplexen Lage. Der andere Teil ist, dass dort sich Kräfte wünschen und es auch wieder und wieder geäußert haben, Israel zu vernichten, Israel zu zerstören. Hamas Führer haben von „annihilation“ gesprochen und sie würden die Massaker wieder und wider tun. Es wird völlig ignoriert, dass die Hamas permanent Israel bombardiert, dass zuvor so viel Hass gegen Juden präsent war, die ja dort letztendlich seit 3000 Jahren leben.

    Hier hilft also eine einseitige Krieg Israel Kritik – wie vorgetragen – nicht weiter, wie auch eine einseitige Parteinahme für die Palästinenser (Thunberg) nicht weiterhilft. Man muss die Komplexität sehen und eine Lösung finden, beziehungsweise anstreben, die fair und gerecht – und im Einklang mit dem Völkerrecht – für beide Seiten ist.

    Und gerade wir, als Außenstehende, könnten das eigentlich tun. Ein kluges Verständnis der Situation und unparteiliche Empathie und Mitgefühl für beide Seiten und gleichzeitig klare Kante gegen völkerrechtswidrige beziehungsweise menschenverachtende Gewalt.

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