Urteil gegen „Bild“ und „B.Z.“

80.000 Euro Entschädigung, weil Springer Paparazzo-Fotos von Helene Fischer und ihrem Baby veröffentlichte

Das Landgericht Berlin hat den Axel-Springer-Verlag zu einer Geldentschädigung von 60.000 Euro verurteilt, zu zahlen an die Schlagersängerin Helene Fischer. „Bild“ hatte heimlich angefertigte Paparazzo-Aufnahmen von ihr und ihrem Baby veröffentlicht, worin das Gericht eine erhebliche Verletzung von Fischers Persönlichkeitsrecht sieht. Und weil auch die „Bild“-Schwesterzeitung „B.Z.“ die Aufnahmen publizierte, kommen aus einem separaten Verfahren noch mal 20.000 Euro obendrauf.

Für einen Konzern, der Milliarden umsetzt wie der Axel-Springer-Verlag, in dem „Bild” und „B.Z.” erscheinen, sind 80.000 Euro eher ein Kleckerbetrag. Und doch ist es eine hohe Geldentschädigung, die Fischer hier zugesprochen wird – und die auch als deutliches Signal gedacht ist: Sie solle, heißt es im Urteil, das Übermedien vorliegt, auch der Prävention dienen.

"Bild"-Titelseite vom 25.5.2022 mit der Schlagzeile: So süß ist die kleine Nala – Erste Fotos von Helenes Baby!"
„Bild“-Titelseite vom 25.5.2022 (von uns verpixelt) Ausriss: Bild

Ende Mai vergangenen Jahres, einen Tag vor Christi Himmelfahrt, titelte die „Bild“-Zeitung groß auf Seite 1:

„So süß ist die kleine Nala – Erste Fotos von Helenes Baby!“

Illustriert war der dazugehörige Text, der auch online erschien, mit Bildern von Helene Fischer und ihrem Kind.

Die Sängerin ging noch am selben Tag gegen die Veröffentlichung vor und ließ ihre Anwälte eine Unterlassungsaufforderung an „Bild“ schicken. Doch „Bild“ reagierte nicht, sondern legte nach, wieder mit Fotos: „Helene, Nala und die Oma – Der Style der Fischer-Frauen“. Außerdem veröffentlichte „Bild“ ein Video, in dem Fischer und ihr Baby zu sehen waren.

Am nächsten Tag, dem Feiertag, ging’s weiter: „Die Handtasche, der Kinderwagen, der Baby-Dress – So geht Helenes cooler Mami-Style“. Und: „Helene Fischer – So hat das Baby den Megastar verändert“. Dieser Text, der auch in der nächsten Print-Ausgabe erschien, beschrieb unter anderem, wie Helene Fischer auf einem Parkplatz in der Nähe eines Sees „seelenruhig ihr Baby“ stillte. Aufgenommen wurden die Fotos während eine Ausflugs der Sängerin in die Münchner Innenstadt und in der Nähe ihres Wohnsitzes in Bayern.

„Heimlich aus großer Distanz“

Einen Tag nach Christi Himmelfahrt hatte „Bild“ dann abermals Post von Fischers Anwälten, der Springer-Verlag gab nun die Unterlassungserklärung ab. Etwas später erwirkte Fischer eine Einstweilige Verfügung gegen den Verlag, die der weitgehend anerkannte. So läuft das häufiger bei Springer, auch bei anderen Medienhäusern: Erst mal werden Fotos oder spekulative Texte publiziert. Wehrt sich dann die Person, um die es geht, juristisch dagegen, geben die Verlage eine Unterlassungserklärung ab, entfernen die jeweiligen Artikel – und machen es bei nächster Gelegenheit einfach wieder so.

In diesem Fall aber klagte Helene Fischer auf Zahlung einer Geldentschädigung gegen den Axel-Springer-Verlag. Vor dem Berliner Landgericht erklärten ihre Anwälte, Fischer sei „mindestens einen Tag lang mindestens durch die gesamte Münchener Innenstadt verfolgt“ und „heimlich aus großer Distanz“ fotografiert worden, als sie sich mit ihrem Kind beschäftigte. Auch am nächsten Tag sei sie verfolgt und gefilmt worden, alles ohne Einwilligung. Solche Aufnahmen würden „die ungestörte Eltern-Kind-Beziehung“ gefährden. Man sehe darin eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung.

Die Anwälte warfen „Bild“ auch vor, nach Zugang der ersten Unterlassungsforderung weiter Artikel veröffentlicht zu haben, weil „Bild“ bewusst gewesen sei, dass wegen des Feiertags „kein Gericht zu erreichen sein würde“.

Angeblich eine „Zufallsbegegnung“

„Bild“ klopfte sich im Prozess unter anderem selbst auf die Schulter: „Die Berichterstattung“ über Fischer sei „durchweg positiv“ gewesen, erklärten die Anwälte, und fügten hinzu: „… obwohl das Auftreten der Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit durchaus kritisch hätte kommentiert werden können“. Anscheinend darf Helene Fischer dankbar sein, dass „Bild“ das nicht gemacht hat.

Dass die Sängerin „verfolgt“ worden sei und unter „Dauerbeobachtung“ gestanden habe, treffe nicht zu, verteidigte sich „Bild“. Es habe sich „um eine Zufallsbegegnung mit dem Fotografen gehandelt, wobei die Klägerin ihr Kind offen hergezeigt habe“. In der Münchner Innenstadt sei sie „von zahlreichen Fans erkannt und angesprochen“ worden, am nächsten Tag habe sie „auf einer Bank in einem Park in der Öffentlichkeit ihre Tochter gestillt“. Dass sie nicht bemerkte habe, fotografiert worden zu sein, sei „unglaubhaft“.Es klingt fast so, als hätte Helene Fischer ihr Baby also nicht einfach nur dabei gehabt, bei einem Ausflug, sondern geradezu präsentiert – sogar während sie es stillte.“Bild“ geht gerne davon aus, dass eine prominente Person, die in der Öffentlichkeit unterwegs ist, erkannt werden will. „Mit ihrem Baby im Arm wirkt die Sängerin entspannt“, schrieb das Blatt damals, „und jeder darf, ja soll sehen, wie sehr sie ihre neue Mutterrolle liebt“. In der Unterzeile eines Artikels hieß es: „Die Sängerin zeigt uns erstmals ihr Baby-Glück“.

„Bild“ findet zudem, es gebe ein öffentliches Interesse. Fischer habe sich „zu privaten Belangen ihres Lebens wie der Beziehung zum Vater ihres Kindes und ihrem Muttersein geäußert“, trugen die Anwälte vor. Allerdings redet Fischer öffentlich nur vage über ihr Privatleben, manchmal kann sie auch nur reagieren, zum Beispiel als „Bild“-Privatlebenreporterin Tanja May exklusiv Fischers Schwangerschaft verkündete, gegen deren Willen.

Im Prozess unterstellte „Bild“ Fischer nun, sie habe durch „gezielte und selektiv platzierte Äußerungen, mit denen sie ihre Tourneen ankündige und bewerbe“, ein öffentliches Interesse an „ihrer Rolle als Lebenspartnerin und Mutter generiert und befeuert“. Durch den „offenen Umgang mit ihrer Mutterschaft“ sei sie „ein Rollenvorbild“.

Am erstaunlichsten ist, wie die „Bild“-Anwälte begründen, dass die Fotos keine „höchstpersönliche Zuwendung der Klägerin zu ihrer Tochter“ zeigen würden. Weil – Achtung: Weil Helene Fischer ihr Kind auf den Bildern nicht anschaue! Ja, genau: In den Augenblicken, in denen die Fotos entstanden, sieht Fischer ihr Kind kurz nicht an. Ist also nicht „höchstpersönlich“.

Die Neugierde des Publikums befriedigen

Das Gericht sah das alles anders und gab Fischer Recht. Die Veröffentlichung der Bilder und des Videos stelle eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Die Pressekammer folgte damit bisheriger Rechtsprechung.

Es gebe „kein schrankenloses Informationsinteresse“, heißt es im Urteil:

„Nicht alles, wofür sich Menschen aus Langeweile, Neugierde und Sensationslust interessieren, rechtfertigt dessen visuelle Darstellung in der breiten Medienöffentlichkeit.“

Das Gericht bezieht sich hier auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2020. Damals ging es um Fotos, die eine Prominente vor einem Scheidungstermin auf dem Weg in ein Gericht zeigten, und die nicht hätten gedruckt werden dürfen. Beklagte war auch damals: „Bild“.

Von Bedeutung sei, ob die Presse „ernsthaft und sachbezogen“ eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse erörtere und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitrage – oder lediglich die Neugierde der Leser befriedige. Und zu diesem Fazit kommt das Gericht in diesem Fall:

„Alleiniger Zweck dieser Berichterstattung ist es, die Neugierde des Publikums auf den Umgang der Klägerin mit ihrem Kind zu befriedigen.“

Auch wenn Fischer eine Vorbildfunktion zukomme, bedeute das nicht, dass „unterschiedslos sämtliche privaten Aktivitäten einem Millionenpublikum preisgegeben werden dürfen“.

Bei den veröffentlichten Fotos handle es sich nicht um Bilder der Zeitgeschichte. Zwar möge es ein öffentliches Interesse am Umgang Fischers mit ihrer Tochter geben, die Berichterstattung betreffe aber die „geschützte Privatsphäre“. Sowohl in der Münchner Innenstadt als auch in einem Park, wo sie ihre Tochter stillte, habe Fischer die „berechtigte Erwartung“ haben dürfen, dabei „ungestört zu sein und nicht beobachtet zu werden“. Auch Promis verlieren durch ihre Prominenz nicht das Recht auf Privatheit. Und das gilt nicht nur in Abgeschiedenheit, etwa daheim, sondern auch außerhalb.

„Bild“ hatte im Prozess behauptet, die Berichte enthielten „zahlreiche meinungsbildende Informationen zu die Öffentlichkeit interessierenden Themen“:

„Ausgestaltung der Mutterrolle durch erfolgreiche Frauen, Vereinbarkeit von Kindern und Beruf, Kosten für die Ausstattung eines Kleinkinds, geschlechterstereotype Einkleidung von Kindern, keine Abschirmung des Kindes von der Öffentlichkeit durch die Klägerin und Stillen im öffentlichen Raum“.

Bemerkenswert, wie „Bild“ hier unterstellt, Helene Fischer schirme ihr Kind nicht vor der Öffentlichkeit ab. Bis zu den Fotos im vergangenen Jahr hatten ihr insbesondere Klatschblätter immer wieder genau das Gegenteil vorgehalten: Dass sie ihr Kind nicht allen zeige, sondern sich zurückgezogen habe.

Das Gericht jedenfalls konnte nicht erkennen, dass irgendeines der von „Bild“ angeführten Themen – „abgesehen von einer detaillierten Beschreibung des Verhaltens der Klägerin“ – irgendwie „erörtert“ worden wäre.

Die vorliegende Persönlichkeitsverletzung, heißt es im Urteil, sei besonders schwerwiegend. Das liege vor allem daran, dass Fischer „über einen langen Zeitraum“ (zwei Tage) „mit Kameras ausgespäht wurde“. Nach Auffassung des Gerichts widerspricht das der „Bild“-Darstellung, der Fotograf sei Fischer bloß zufällig begegnet und habe sie eine Weile lang begleitet. Und da die Fotos offensichtlich aus großer Entfernung gemacht worden seien, habe sie auch nicht wissen können, dass sie fotografiert wurde.

Private Momente der Entspannung

Das Gericht erklärt „Bild“ außerdem, wie das so läuft zwischen einer Mutter und ihrem Kind. Dass die Bilder Fischer „in privaten Momenten der Entspannung“ zeigten, wie sie ihr Baby im Arm und auf dem Schoß halte. Und, vor allem, dass „eine Zuwendung der Mutter zum Kind“ auch in jenen Momenten vorliege, „in denen sie es nicht direkt anschaut“.

„Auch der Klägerin muss es möglich sein, mit ihrem Kind einen Spaziergang zu machen oder ein Eis zu essen, ohne dass dies einem Millionenpublikum ausführlich beschrieben wird. Ebenso muss eine Mutter auch im öffentlichen Raum nicht ständig damit rechnen, dass ihr Umgang mit ihrem Kind fotografiert und gefilmt und die Bilder anschließend veröffentlicht werden. Denn das Bewusstsein von derartigen Dokumentationen verhindert einen unbefangenen Umgang und stört die natürliche Interaktion zwischen Mutter und Kind.“

Das Gericht nennt das Verschulden von „Bild“ „erheblich“. Der Zeitung sei „aufgrund zahlreicher Verfahren bekannt, dass die Klägerin mit der Veröffentlichung von Fotos, die sie in ihrem privaten Umfeld zeigen, nicht einverstanden ist“. Trotzdem habe „Bild“ nach der ersten Unterlassungsaufforderung weiter Bilder und ein Video publiziert. Offenbar hatte „Bild“ vor Gericht vorgetragen, die Abmahnfrist sei damals zu kurz gewesen. Das Gericht hält dagegen, „Bild“ hätte die Veröffentlichung weiterer Aufnahmen bis zu „einer abschließenden rechtlichen Prüfung“ zurückstellen können.

Die „Bild“-Anwälte hatten in ihrer Verteidigung noch einen weiteren interessanten Vorwurf untergebracht. Dass Helene Fischer es eigentlich darauf anlegt, fotografiert zu werden – um sich dadurch zu bereichern:

„Die Klägerin erwecke den Eindruck, sich durch künftige Ausflüge mit Kind und Kegel aufgrund einer anschließenden Berichterstattung eine Einnahmequelle erschließen zu wollen. Davon wären etliche Medienhäuser betroffen, so dass die Klägerin einen sechsstelligen Betrag erzielen könne.“

Wie ist das zu verstehen? Dass Fischer gemeinsame Sache mit Paparazzi macht, um von dem Geld, das die mit Fischer-Fotos einnehmen, etwas abzubekommen? Das Gericht versteht es anders, nämlich dass damit gemeint sei, Fischer wolle sich durch ihre Klagen und etwaige Geldentschädigungen eine zusätzliche Einkommensquelle verschaffen. Auch das klingt absurd, es überzeugte das Gericht auch nicht: Niemand sei genötigt, heißt es im Urteil, „die Klägerin bei solchen Spaziergängen ohne ihre Einwilligung zu fotografieren und die Fotos anschließend zu veröffentlichen“.

Von wem „Bild“ die Fotos hatte, gab die Zeitung vor Gericht nicht preis, die Person wolle „anonym“ bleiben. Fischers Anwälten gelang es aber offenbar, herauszufinden, welcher Paparazzo die Bilder gemacht hat. Auch gegen ihn klagte die Sängerin. Und auch er wurde verurteilt: zu einer Geldentschädigung von 10.000 Euro. Alle Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Und möglicherweise wird es noch weitere Geldentschädigungen geben. Verfahren gegen diverse andere Blätter aus anderen Verlagen, die die Paparazzo-Fotos auch gedruckt hatten, sind noch nicht abgeschlossen.

Nachtrag, 9.11.2023. Auf Anfrage der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) erklärt ein „Bild“-Sprecher, dass man die Einschätzung des Gerichts nicht teile. Springer prüfe, Rechtsmittel einzulegen. „Die Berliner Pressekammer missachtet seit Jahren systematisch Verfahrensgrundrechte von Medienunternehmen. Die Haltung der Kammer findet nach unserer Wahrnehmung auch in ihren materiellen Entscheidungen Niederschlag.“

Die SZ hatte auch gefragt, ob es sich bei der Entstehung der Bilder um ein übliches Vorgehen von „Bild“ handle und ob man darin heute einen Fehler erkenne. Dazu der Sprecher: „Falsch ist, dass ein Fotograf von ,Bild‘ für diese Fotos beauftragt worden ist oder für ,Bild‘ gearbeitet hat. Der Fotograf ist von sich aus an uns herangetreten, nachdem er diese angefertigt hatte.“

3 Kommentare

  1. Ich bin der letzte Mensch auf diesem Planeten, der Helene Fischer gut findet. Sie hat aber meine vollste Unterstützung und Sympathie und ich freue mich aus tiefstem Herzen für diesen Sieg vor Gericht.

  2. 80.000 € von Springer… Das dürfte nicht mal den wirtschaftlichen Gewinn abschöpfen, den dieser Fischeinwickelpapierverlag aus der ganzen Angelegenheit gezogen hat. So bleibt es eher eine Investition als eine Strafe.

    Wie wärs mal mit 8 Millionen für den Verlag, und 1000 Sozialstunden für jeden einzelnen der beteiligten Bildschreiberlinge.

    Wie oft muss sich denn dieses Muster mit Vorsatz wiederholen bis mal tatsächlich was passiert?

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