Italien

Medien schreiben sich das erste Amtsjahr von Giorgia Meloni schön

Deutschlandfunk zum Amtsjubiläum Melonis: "Es hätte schlimmer kommen können."
Screenshot: Deutschlandfunk Kultur

Es hätte schlimmer kommen können“ – so lautete nicht nur der Titel eines Features bei Deutschlandfunk Kultur zum ersten Jahr von Giorgia Meloni als Regierungschefin in Italien. Es hätte schlimmer kommen können – das war auch insgesamt der Tenor vieler Analysen zu diesem Jubiläum. Meloni – die erste Frau und zugleich die erste selbsterklärte „Postfaschistin“ in diesem Amt ist – wurde in den vergangenen Wochen in vielen Medien attestiert, sich im ersten Jahr ihrer Amtszeit weitaus gemäßigter gezeigt zu haben als erwartet. Nach dem Motto: Alles halb so wild mit den Faschisten.

Diese Meinung vertritt im Deutschlandfunk Kultur etwa von Nino Galetti, der in Rom das Büro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung leitet. „Die gefährlichste Frau der Europas“ (wie der „Stern“ vor der Wahl titelte) sei Meloni keinesfalls, so Galetti. Die Bilanz ihres ersten Regierungsjahres sei „erstaunlich positiv“. Sowohl haushalts- als auch außenpolitisch habe sie sich „äußert gemäßigt“ gezeigt und die Erwartungen der EU-Partner voll erfüllt.

So sieht es auch der „Economist“, der in seinem großen Stück über Europas Rechte schreibt, Meloni habe bisher eine „ziemlich konventionelle Regierung“ geführt. Sie sei fiskalpolitisch ohnehin limitiert – und Melonis Partei, die „Brüder Italiens“ (Fratelli d’Italia – FdI) eine „pragmatische Mitte-Rechts-Partei“. Nur ein paar „identitäre Kulturkämpfe“ führe man noch, meint Professor Giovanni Orsina von der römischen Privat-Uni LUISS. Dazu gehörte unter anderem im März die Abschaffung der Möglichkeit von homosexuellen Paaren, sich beide als sorgeberechtigte Eltern ihrer Kinder einzutragen – für den liberalen „Economist“ offenbar ein Vorgang unter ferner liefen.

Der Rückblick der Deutschen Presseagentur dpa (hier in der „Zeit“) fällt ähnlich wohlwollend aus: „Gekommen um zu bleiben“ heißt es im Titel des Artikels, der Meloni als „eine feste Größe“ in Europa bezeichnet, die dabei eine „bella figura“ mache. Die Regierungschefin wird als hart arbeitende Frau porträtiert, die sich manchmal eine Auszeit wünsche, um sich mehr um ihre siebenjährige Tochter zu kümmern. Wie nahbar so eine „Postfaschistin“ doch ist!

Die angebliche Opferbereitschaft thematisiert auch die „Süddeutsche Zeitung“, wobei diese klar als Inszenierung benannt wird. Die Instagram-PR der Premierministerin, die im Flugzeug in die USA wenigstens kurz in ihre Mutterrolle schlüpfen und ihre Tochter im Arm halten kann, wird dennoch in den Artikel eingebunden. Und der „Spiegel“ macht gar das Fazit eines enttäuschten Weggefährten, der Meloni Verrat an ihren Idealen vorwirft zum Titel-Zitat seiner Geschichte: „‚Sie schämt sich, eine Faschistin zu sein.‘“

Im „Ersten“ tourt derweil Ingo Zamperoni durch „Mein Italien unter Meloni“ und man mag dem freundlichen Tagesschau-Menschen die relative Seichtheit dieser 45 Minuten am Ende ebenso wenig übel nehmen wie den Italiener:innen, dass sie eine Post-Neo- oder Ex-Faschistin (man weiß es nicht) an die Macht gewählt haben. Selbst die kritischeren Stimmen des Films verlieren sich in sonnendurchfluteten Bildern, etwa wenn die Mitarbeiterin eines Kinderhilfswerks für unbegleitete Flüchtlinge im sizilianischen Catania sagt, die Abschottungspolitik der neuen Regierung unterscheide sich gar nicht so stark von der alten und das sei ja mittlerweile eh die mehrheitliche Haltung in Europa. Zwischen Boccia-spielenden Rentnern am Strand und unbesorgten Journalisten in Rom denkt man unwillkürlich wieder: Es hätte schlimmer kommen können.

Ingo Zamperoni im Interview mit einer jungen Meloni-Anhängerin
Ingo Zamperoni im Interview mit einer jungen Meloni-Anhängerin Screenshot: ARD Mediathek

Die Gefahr steckt im Detail

Die in Deutschland lebende italienische Journalistin Cristina Giordano, die unter anderem für für den WDR-Sender „Cosmo“ tätig ist, sieht das anders. Im Gespräch mit Übermedien sagt sie, dass Meloni „sehr schlau“ agiere und fraglich sei, ob sich ihre politische Haltung überhaupt geändert habe. „Die ultrarechte Politik Melonis ist im Detail versteckt“, glaubt Giordano. Sie sagt:

„Insbesondere der Angriff auf Menschenrechte in unterschiedlicher Form, sei es auf die Rechte gleichgeschlechtlicher Eltern oder die Rechte von Flüchtlingen oder von Armen oder von Jugendlichen – das Muster taucht immer wieder auf.“

Fairerweise muss man sagen, dass einige der genannten Beispiele natürlich auch in deutschen Medien zur Sprache kommen. Jörg Seisselberg, ARD-Auslandskorrespondent in Rom, der sowohl für das Stück im Deutschlandfunk als auch für einen längeren Text bei tagesschau.de verantwortlich ist, lässt in seinem Feature schwule Eltern zu Wort kommen, denen die Elternschaft eines Partners streitig gemacht wird – und die daher über eine Auswanderung nach Kanada nachdenken. Auch die Drohung mit Gefängnis für Italiener:innen, wenn sie irgendwo auf der Welt ein Kind per Leihmutterschaft bekommen, wird ebenso thematisiert wie die Abschiebehaft von 18 Monaten für Migrant:innen und die Verschärfung des Jugendstrafrechts mit Gefängnisstrafen für Jugendliche ab 14 Jahren bei kleinsten Verstößen.

Vor allem linkere Medien wie die „taz“ berichten kontinuierlich über die einzelnen Aspekte des „Systems Meloni“. So führt Italien-Korrespondent Michael Braun bereits im März ausführlich die zahlreichen kleinen und großen Angriffe der Regierung auf die Pressefreiheit auf. Dazu zählen Verleumdungsklagen aber auch der Versuch, die öffentlich-rechtliche RAI auf Kurs zu bringen, indem man die Führung mit eigenen Leuten besetzt und kritische Programme stutzt. Über die Absetzung der Sendung von Italiens bekanntestem Anti-Mafia-Journalisten und Aktivisten Roberto Saviano berichtete auch die „Zeit“ ausführlich. Und die ehemalige Italien-Korrespondentin Birgit Schönau, warnt im Podcast der „Zeit“ weit eindringlicher als andere davor, Meloni zu unterschätzen.

Das „System Meloni“

Doch der einzige Artikel zum Dienstjubiläum, der alle Puzzleteile der Meloni-Herrschaft zu einem konsistenten Bild formen kann, ist in der linken Wochenzeitung „Jungle World“ erschienen. Hier schafft es Georg Seeßlen die scheinbar disparaten Elemente der FdI-Herrschaft zu synthetisieren. So verweist er gleich zu Beginn darauf, dass der „Krieg gegen die Armen“ und die Parole „runter vom Sofa“ genau die Art von Angst und Ausweglosigkeit verbreiten, die „Melonis Geldgebern von Industrie, Landwirtschaft und Tourismus billige Arbeitskraft zutreibt.“

"Jungle World" zum Amtsjubiläum Melonis: "Gesellschaft als Beute"
Screenshot: Jungle World

Mit der „gleichzeitigen zähen Ablehnung des Mindestlohns von neun Euro pro Stunde, wie ihn die Opposition fordert, soll ein Heer der Arbeitsreserve gebildet werden, eine strukturelle Neosklaverei, auf der die ‚Melonomics‘ ihr Wirtschaftsmodell aufbauen“, schreibt Seeßlen. „Die ‚Fremden‘ werden genauso gehasst wie die ‚unten‘, die Schmutzigen und die Nutzlosen. Nur in der Sklavenarbeit auf den Tomatenfeldern oder in niederen Dienstleistungen im Tourismusgeschäft, mit Löhnen, die zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig abwerfen, sollen sie geduldet werden.“

Für Seeßlen handelt es sich um einen „sehr einfachen Fahrplan, den jeder kritische Beobachter ohne weiteres durchschauen könnte“. Es benennt fünf „Kriege“, die Meloni und ihre Partei führten. Erstens: der Krieg gegen die Kultur, bei dem überall die Posten, auf die die Regierung direkt durchgreifen kann, getauscht und durch FdI-Leute ersetzt werden: Intendant:innen, Kurator:innen, Museumsleiter:innen oder Aufsichtsräte und andere Gremien. Zweitens: der Krieg gegen die Flüchtlinge und Ausländer. Drittens: der Krieg gegen die Linken, die Liberalen und die Kritiker, die als Lügner und Hetzer diffamiert würden. Dazu gehören auch die Angriffe auf Pressefreiheit und kritische Journalist:innen. Viertens, der Krieg gegen Frauen und LGBQT, indem die staatliche Unterstützung für Beratungsstellen gestrichen wird, die Rhetorik gegen Abtreibung verschärft und wie beschrieben die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare geschliffen. Und fünftens der bereits beschriebene Krieg gegen die Armen.

Minutiös beschreibt Seeßlen, wie die FdI mit ihren Jugendorganisationen, die in Zamperonis Film harmlose Sommerfeste mit Hüpfburgen veranstalten, an Schulen und Universitäten Jugendliche und junge Erwachsene rekrutieren und Einschüchterungen und Terror gegen Andersdenkende ausüben. Vorfälle bei denen junge FdI-Aktivisten Angehörige linker Gruppierungen angreifen, häufen sich.

Für Seeßlen kulminiert „das rechte Jugendnetzwerk“ in der „Gioventù Nazionale“, der offiziellen FdI-Jugendorganisation. Diese nehme „immer mehr Züge faschistischer Erziehungskader“ an: „Die jungen Schülerinnen und Schüler finden bei den ‚Sommerlagern‘ der Gioventù Nazionale sportliche Ertüchtigung, paramilitärische ‚Kameradschaft‘ und politische Unterweisung. Gerade die weniger begüterten Eltern sind froh, ihre Kids während der langen Ferien für wenig Geld versorgt und beschäftigt zu sehen.“ Nichts davon kommt in Zamperonis Film in dieser Deutlichkeit zur Sprache. Auch über die Querverbindung zum rechtsextremen Terrorismus in Melonis Biographie erfährt man aus der „Jungle World“ Dinge, die in keinem der Porträts der „Qualitätszeitungen“ zu finden sind.

Ähnlicher Effekt in Deutschland

Offenbar sind bürgerliche Medien nicht in der Lage, faschistische Strukturen und die langsame Ausbreitung ihrer Macht zu erkennen. Entweder, weil sie sich damit nicht ausführlich genug befassen (wollen) – oder weil ihnen das politisch-analytische Handwerkszeug fehlt, um zu erkennen, was passiert. Dieser Effekt lässt sich auch in Deutschland beobachten: Der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah kann in seinem Buch minutiös aufschreiben, wie er sich die Transformation zu einer autoritären, völkischen „Demokratie“ vorstellt – aber kaum ein:e deutscher Spitzenjournalist:in liest und versteht dieses Programm – und konfrontiert ihn (oder seine Partei) auf Augenhöhe damit. Stattdessen liest man immer wieder, an der Macht würden sich die Rechten schon „entzaubern“, zum Beispiel weil sie ja keine Antworten auf „Sachzwänge“ hätten.

Dasselbe „Argument“ wird auch bei Meloni reichlich vorgetragen: Ihr Wahlversprechen, die Immigration zu begrenzen, habe sie nicht erfüllen können, im Gegenteil, die Zahl illegal über das Mittelmeer Eingewanderter habe sich mehr als verdoppelt. Doch, oh Wunder: Melonis Popularität tut das gar keinen Abbruch. Erfolgreich kann die Schuld auf die EU oder deutsche Flüchtlings-NGOs geschoben werden, die FdI liegen derweil landesweit bei knapp 30 Prozent.

Die Journalistin Cristina Giordano macht zudem darauf aufmerksam, dass die Regierung zahlreiche weitere „Reformen“ der Justiz und anderer Institutionen angekündigt habe, ohne dabei bislang konkret geworden zu sein. Auch Melonis Vorbild Viktor Orbán konnte die Demokratie in Ungarn nicht in einer Amtszeit schleifen, deswegen nützt es auch wenig, nach gerade mal einem Jahr positive Fazits über eine angeblich „gemäßigte“ Politik zu ziehen. Im Gegenteil: Es ist geradezu fahrlässig.

7 Kommentare

  1. Pardon, aber ist Übermedien tatsächlich der Ort, wo Autoren politische Analysen einteilen in „gefiel mir gut“ (Seeßlen) und „gefiel mir nicht so“ (Dlf Kultur und Economist)?

    Das medienkritische Deckmäntelchen des Beitrags ist dann: Manche Medien erkennen nicht, was Seeßlen erkennt.

  2. @Chateaudur:
    Das ist eine Fehlinterpretation. Mit „gefallen“ hat das, so wie ich den Artikel lese, nicht das geringste zu tun.
    Es bleibt uns die Wahl dazwischen, ob die anderen Autoren nur zu dumm sind, die geradezu archetypischen Merkmale des Faschismus in der Politik Melonis zu erkennen, oder ob diese ihnen vielleicht sogar gar nicht so unsympathisch sind.
    Nach allem, was Hannah Arendt, Adorno, Eco und andere an Arbeit geleistet haben, damit sich die Mitte nicht noch einmal mit einem „wir haben es ja nicht gewußt …“ aus der Affäre ziehen kann, sollten Medienarbeiter Antennen entwickelt haben, diese Muster zu erkennen.
    Leider ist das aber, wie ich an anderer Stelle bereits bemerkte, ein Trugschluss.
    Der „Kulturkampf“, die Umschreibung der Geschichte, die Erschaffung des Feindbildes „Die Anderen“, um das „Wir“ zu vereinnahmen …
    Alles läuft ab, wie aus dem Lehrbuch. Das „Normale“ wird exzessiv beschworen, um die Gegner als abnorm zu brandmarken.

    Nichts davon ist neu.

  3. Mir egal, ob dieser Artikel noch in die Sparte Medienkritik fällt oder nicht. Er ist auf jeden Fall eine hervorragende Analyse. Danke dafür! (Auch an den quartalsgenialen Georg Seeßlen.)

  4. @Bernhard:
    Sau komisch.

    An diejenigen, die meinen, es müsse einen klaren Medienbezug geben, sonst sei der Beitrag hier fehl am Platz:
    https://www.tagesspiegel.de/internationales/giorgia-melonis-angriffe-auf-die-medienfreiheit-kein-fuss-breit-dem-autoritarismus-9543563.html
    Eine Methode, unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen, ist bspw. das Überziehen der Autoren und Publikationen mit Klagen. Und dabei spielt es keine Rolle, dass diese idR scheitern. Freiberufler, aber auch kleinere Publikationen können die Kosten dieser Klagen nicht lange tragen.
    Schon Berlusconi hat die italienische Medienlandschaft sturmreif geschossen. Meloni ist nun dabei, auf Jahrzehnte kritische Stimmen auszuschalten.

  5. Die Diagnose finde ich sehr richtig. Es fehlt das politisch-analytische Handwerkszeug. Aber nicht nur in Sachen Faschismus. Es wirkt so, als ob es per se unter Ideologieverdacht steht, mit so einem Handwerkszeug die Realität zu sezieren. Ein Zamperonie ist ein Paradebeispiel für einen Journalismus, der vermeintlich integer und ausgewogen sagt, was ist, aber in einer bürgerlich naiven Attitüde gar nicht so genau wissen will, was das eigentlich bedeutet.

  6. Zuerst ein kleiner Hinweis auf einen Fehler: „Die gefährlichste Frau der Europas“, steht im zweiten Absatz.
    Ansonsten danke für den Überblick.
    Meiner Meinung nach drücken, sich die aufgezählten Kommentatoren der deutschen Medien genau so aus, wie man es von ihnen erwarten kann. Das kann viele Gründe haben, die aber sicherlich auch mit der Einkommenssituation und der damit einhergehenden politischen Verortung zu tun haben. Das klingt vielleicht vereinfacht, aber so sehe ich das schon über Jahre. Glücklicherweise gibt es Alternativen dazu.

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