Vorwürfe gegen Comedian

Ist Luke Mockridge wirklich das Medienopfer, zu dem er sich jetzt macht?

Luke Mockridge beim Deutschen Fernsehpreis
Luke Mockridge beim Deutschen Fernsehpreis Foto: Imago / Panama Pictures

Vielleicht muss man bei diesem Thema nochmal kurz grundsätzlich über #MeToo reden: Man hat die Idee von #MeToo falsch verstanden, wenn man unterstellt, es gehe darum, möglichst viele Männer vor Gericht zu bringen. Denn es geht nicht selten gerade um die Art von Missständen, die nicht justiziabel oder die nur schwer nachzuweisen sind, und genau das öffentlich zu thematisieren, damit sich Dinge ändern.

Es geht darum zu vermitteln, dass auch die Hand auf dem Po, der unangemessene Spruch, der Kuss gegen den Willen einer Frau, das unmoralische Angebot, die „Casting-Couch“, das Rekrutieren von Fans für Sex, dass das alles weder Einzelfälle noch private Verfehlungen sind. Sondern dass ein System dahinter steckt: dass es Personen, meistens Männer, gibt, die es sich aufgrund ihrer Position herausnehmen können, die Grenzen anderer, meistens Frauen, zu überschreiten und die dafür kaum Konsequenzen fürchten müssen. Die Indizien, die das glaubhaft machen, sind sich meist ähnelnde Berichte von mutmaßlich Betroffenen über die mutmaßlich übergriffige Person. Nicht mehr, nicht weniger.

Kurz gesagt: Dürfte man über #MeToo-Fälle nur dann berichten, wenn Anklage erhoben oder ein Schuldspruch gefällt wurde, würde es die meisten #MeToo-Berichte gar nicht geben.

„Schmutzkampagnen“ und „Hetzjagden“?

Sechs Jahre nach Beginn der #MeToo-Bewegung scheint jedoch die folgende Frage immer noch nicht wirklich ausgehandelt zu sein: Wenn für jemanden, der nicht oder noch nicht von einem Gericht verurteilt wurde, doch die Unschuldsvermutung gilt, warum ist sein mutmaßliches Fehlverhalten dann von öffentlichem Interesse? Warum darf dann berichtet werden?

Die öffentliche Debatte um prominente #MeToo-Fälle scheint sich aktuell zu drehen: Die Beschuldigten werden teilweise zu Opfern gemacht – oder machen sich selbst dazu. Es ist die Rede von „Schmutzkampagnen“ und „Hexenjagden“, die gegen sie losgetreten werden, um sie aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Dabei gibt es Unterschiede: ob man sich nicht gleich allen Boykottaufrufen von Konzerten oder Comedyshows anschließen will, ob man nicht mit allem d’accord ist, was Aktivistinnen mit Solidarisierungsaktionen für die mutmaßlichen Opfer im Internet lostreten, oder ob man sagt: darüber sollte gar nicht berichtet werden.

Der aktuelle Diskurs riskiert einen Backlash, der vieles, was die #MeToo-Debatte aufgebaut hat, einzureißen droht. Das betrifft die Diskussionen und Berichte über Rammstein-Sänger Till Lindemann, gegen den Ermittlungen nun eingestellt wurden, unter anderem auch, weil sich möglicherweise betroffene Frauen nicht bei der Staatsanwaltschaft gemeldet haben.

Und das betrifft die Diskussionen und Berichte über Vorwürfe gegen den Comedian Luke Mockridge. Seit einigen Wochen tobt ein erbitterter Kampf um die Deutungshoheit in diesem Fall, und es scheint, als habe sich die öffentliche Wahrnehmung oder Interpretation des Falles deutlich gedreht.

Warum ist der Fall Mockridge nun wieder hochgekocht?

„Spiegel“, 25. September 2021. (Das Zitat in der ursprünglichen Überschrift darf der „Spiegel“ nach einer einstweiligen Verfügung nicht mehr veröffentlichen)

Im September 2021 berichtete der „Spiegel“ über Vorwürfe gegen Mockridge. Es ging darin zentral um seine Ex-Partnerin Ines Anioli, die ihn zwei Jahre zuvor wegen Vergewaltigung angezeigt hatte, aber auch um weitere Frauen, die von angeblichen Übergriffen durch den Comedian berichteten. Der Artikel erschien, nachdem im Internet schon länger Gerüchte und Anschuldigungen kursierten, angetrieben von Aktivistinnen unter dem Hashtag #KonsequenzenFürLuke, und nachdem sich der Comedian in einem Instagram-Video selbst öffentlich zum Vergewaltigungsvorwurf geäußert hatte. Diesen wies er von sich und machte auch darauf aufmerksam, dass das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt worden war.

Mockridge ging mit seinen Anwälten in einem einstweiligen Verfügungsverfahren erfolgreich gegen Teile des „Spiegel“-Textes vor. Auch wenn das Magazin gegen die Entscheidung des Hamburger Oberlandesgerichtes Rechtsmittel eingelegt hat und das Landgericht Köln die Verdachtsberichterstattung zuvor als zulässig bewertet hatte, steht der „Spiegel“ in dieser Sache öffentlich nicht gut da: Mehrere Stellen des Textes wurden einstweilig untersagt oder mussten umgeschrieben werden. Darunter eine lange Passage über den „Hergang der fraglichen Nacht und die im Anschluss daran zwischen Anioli und Mockridge ausgetauschten Textnachrichten“. Das Hamburger Oberlandesgericht sprach in seiner Entscheidung im Juni 2023 von „unzulässiger Verdachtsberichterstattung“.

Es handelt sich dabei um eine vorläufige Niederlage des „Spiegel“. Das Hauptverfahren läuft gerade erst an. Man gehe „notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht“, schrieb Ann-Katrin Müller, eine der beiden Autorinnen des Mockridge-Textes, bereits 2021. Und sie kritisierte auch: „Unserer Meinung nach dürfte es nicht sein, dass man von Gericht zu Gericht ziehen kann, bis man eines findet, das einem mehr zuspricht.“

Wer ist hier das Opfer?

Trotzdem stehen die Fragen im Raum: Hat der „Spiegel“, wenn er so viel streichen musste, falsch berichtet und zur medialen Vorverurteilung Mockridges beigetragen? Hätte es die Geschichte besser gar nicht geben sollen? Ein neues Buch, einige Medienberichte und Personen, die sich mit Mockridge solidarisieren, sind dieser Ansicht.

Für Luke Mockridge jedenfalls ist die Sache klar: Er ist ein Medienopfer, öffentlich vorverurteilt vom „Spiegel“, Social-Media-Aktivistinnen, die ihn „canceln“ wollten, und Comedy-Kolleginnen, die sich gegen ihn positioniert haben, unter anderem mit einer T-Shirt-Aktion beim Deutschen Comedypreis 2021.

Davon erzählte Mockridge im September erstmals ausführlich in einem Podcast mit seiner Comedy-Kollegin und guten Freundin Joyce Ilg, in dem auch die Rede davon war, dass es nun „neue Beweise für die Öffentlichkeit“ gebe. Im Podcast sagt Mockridge, dass er wegen der ganzen Anschuldigungen in eine Klinik gemusst habe und auch suizidgefährdet gewesen sei. Zahlreiche Medien haben das aufgegriffen, verständlicherweise.

JETZT REDET LUKE!
Vorschaubild zum Podcast mit Joyce Ilg und Luke Mockridge Screenshot: Youtube

Mit „neuen Beweisen“ ist das Buch von Alexander Stevens gemeint, einem bekannten Strafverteidiger, der True-Crime-Podcasts moderiert und populärjuristische Schmöker schreibt. In „Falsch verdächtigt“ widmet er dem Fall Mockridge ein ganzes Kapitel. Wobei der Titel „Falsch verdächtigt“, wenn man ihn auf den Fall Mockridge bezieht, mehr als eine mutige Zuspitzung ist. Im Kapitel selbst schreibt Stevens das etwas differenzierter:

„Auch im Fall Mockridge besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die eine oder andere Variante. Nach Aktenlage kann man nicht entscheiden, ob eine Straftat, strafloses Fehlverhalten, ein eigentlich harmloses Missverständnis oder eine Falschanzeige vorlag.“

(Aber der Titel „Ermittlungsverfahren, die aus nachvollziehbaren Gründen eingestellt wurden“ ist halt nicht so knallig, dass sich damit Bücher verkaufen lassen. Im Fall von Stevens’ neuem Werk waren das übrigens schon so viele verkaufte Bücher, dass es jetzt „Spiegel“-Bestseller ist.)

Für Luke Mockridge ist das Buch von Stevens der lang ersehnte mediale Freispruch. Und man kann es als nützlichen Zufall sehen, dass die Veröffentlichung des Buches genau in den Zeitraum fällt, in dem auch das Hauptverfahren zwischen Mockridge und dem „Spiegel“ am Oberlandesgericht Hamburg ansteht.

Was steht Neues in Stevens‘ Buch?

Stevens wurde offensichtlich die Ermittlungsakte zugesteckt – mit dem Zeugenprotokoll Ines Aniolis, der Aussage Mockridges und privaten Nachrichten zwischen den beiden. In seinem Buch zitiert Stevens daraus ausführlich, wobei er eine interessante Gewichtung wählt: Während er das Protokoll der Zeugen-Aussage Aniolis eingangs eher knapp und in indirekter Rede wiedergibt, zitiert er aus der schriftlichen Erklärung, die Mockridge über seinen Anwalt in Ich-Form hat anfertigen lassen, über Seiten hinweg wörtlich. Intimste Details zu sexuellen Handlungen der beiden werden dabei nicht ausgespart. Gegen Passagen mit privaten Nachrichten zwischen beiden ist Aniolis Anwältin bereits erfolgreich vorgegangen.

Die Erkenntnisse, die Stevens in seinem Buch verarbeitet, sind an sich nicht neu. Sie basieren auf der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Köln, die auch dem „Spiegel“ für seine Verdachtsberichterstattung vorlag. Legt man das Stevens-Kapitel und den „Spiegel“-Text nebeneinander, lässt sich sagen: Stevens legt sie anders aus und greift die Aspekte heraus, die für seine These sprechen, die da lautet: Mockridge sei zu unrecht medial vorverurteilt worden, und einiges spreche gegen die Glaubwürdigkeit von Ines Anioli.

Stevens Kapitel ist eine Ein-Quellen-Geschichte. Die Ausgewogenheit, deren Fehlen Stevens dem „Spiegel“ vorwirft, findet sich in seinem Buch erst recht nicht. Er geht mit intimsten Details aus der Beziehung zwischen Mockridge und Anioli wesentlich sorgloser um als der „Spiegel“. Hier Beispiele zu nennen, wäre problematisch, denn es würde sie reproduzieren. Dass gerade er, als Anwalt für Sexualstrafrecht hier nicht behutsamer vorgeht, ist schon bemerkenswert. Und es wäre kein Wunder, wenn mutmaßliche Opfer im Wissen darum, dass solche intimen Details aus Ermittlungsakten durchgestochen werden und von Medien auch veröffentlicht werden, sich dann nicht mehr trauen, zur Polizei zu gehen.

Vom Glücksbärchi zum bösen Buben
„Welt am Sonntag“, 20. August 2023

Alles in allem liest sich das Kapitel in Stevens‘ Buch wie ein Plädoyer pro Mockridge. Stevens scheint sich sogar so sicher zu sein, dass er den Fall Mockridge in einem Atemzug mit dem Fall Kachelmann nennt. Obwohl der ehemalige ARD-Wettermoderator bereits vor längerem kritisierte, dass sein Schicksal dafür verwendet werde, „Opfer sexualisierter Gewalt zu delegitimieren“. Aber „Kachelmann“ – das klingt nun mal überzeugend und jeder kann sich an den Fall des Moderators, der falsch beschuldigt wurde, erinnern. Auch die „Welt am Sonntag“ berichtete kürzlich, dass „das Bild des vermeintlichen Täters Mockridge“ zu „bröckeln“ beginne und führte das Beispiel Kachelmann in dem Text auf.

Stevens unterstellt dem „Spiegel“, die „Einstellung des Verfahrens“ gegen Luke Mockridge durch die Staatsanwaltschaft für eine Fehleinschätzung zu halten. Er wirft ihm vor, in dem Text anekdotenhafte Schilderungen, „zum Beispiel geschmacklose Anmache in der Disko“, als Beleg dafür zu verwenden, „dass die strafrechtlichen Vorwürfe gegen Mockridge doch begründet waren“.

Was bemerkenswert ist. Denn an keiner Stelle steht das so im „Spiegel“-Text. Und auch das Oberlandesgericht Hamburg stellte in seiner Verfügungsentscheidung im Juni fest, dass es in dem „Spiegel“-Artikel um Deutungshoheit gehe. Für den Leser lasse sich der Berichterstattung damit insgesamt nicht entnehmen, ob die erhobenen Vorwürfe der Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung zutreffen, so das Gericht. Im „Spiegel“-Text steht wörtlich: „Anioli ist entweder Betroffene oder eine Lügnerin, Mockridge ist entweder das Opfer einer wütenden Ex-Partnerin oder Täter.“

Der „Spiegel“ schreibt uns dazu:

„Eine Vorverurteilung Luke Mockridges wurde uns bislang auch von keinem Gericht unterstellt. Alle haben festgehalten, dass das Ganze als Verdacht geschildert wurde. (…) Die weiteren Fälle mutmaßlicher Grenzüberschreitungen durch Luke Mockridge dienten erkennbar nicht dem Beleg der Vergewaltigung Ines Aniolis, sondern führten lediglich zu dem Resümee, dass sich Luke Mockridge offenbar nicht immer im Griff habe und Grenzen überschreite. So steht es ausdrücklich im Text.“

Auch die „Welt am Sonntag“ griff die vermeintlich neuen Erkenntnisse von Alexander Stevens im Fall Mockridge und die vorläufige Entscheidung des Gerichts in Hamburg auf und berichtete unter anderem darüber, dass der „Spiegel“ Mockridge zunächst angeblich nur zwei Stunden Zeit gegeben habe, um auf 22 Fragen zu den Vorwürfen zu antworten. Was, wenn es stimmt, unprofessionell und unfair gegenüber Mockridge gewesen wäre. Aber stimmt es? Zumal im „Spiegel“-Text etwas ganz anderes steht. Dort ist von einer „Frist von Montagabend bis Donnerstagnachmittag für 22 Fragen mit Unterpunkten“ die Rede. Der „Spiegel“ erklärt dazu auf unsere Anfrage, seine Darstellung des Sachverhalts sei korrekt.

„Ursprünglich gesetzt waren rund 40 Stunden (20.9., 18.35 Uhr bis 22.9., 11 Uhr). Diese Frist wurde einmalig verlängert bis 23.9., 15 Uhr. Insgesamt ergibt sich damit eine Frist von 68 Stunden.“

Die angebliche Frist von zwei Stunden gehe auf einen Tippfehler des Gerichts zurück, den die „Welt am Sonntag“ so übernommen hat. Das mag an sich eine Kleinigkeit sein. Ist aber, gerade wenn man einem anderen Medium „Ungenauigkeit“ bei der Recherche vorwirft, dann doch irgendwie peinlich. Und es hätte nicht sein müssen, wenn die „Welt am Sonntag“ den „Spiegel“ mit dem Vorwurf konfrontiert hätte. Bis heute steht der Text ohne Korrektur bei Welt.de.

Aber hat der „Spiegel“ dann alles richtig gemacht?

An der Tatsache, dass das Gericht die Zeit, die der „Spiegel“ Mockridge und seinen Anwälten zum Antworten gab, als nicht angemessen betrachtete, ändert das nichts. Die Rechercheanfrage habe wie eine „bloße ‚Pflichtübung‘“ gewirkt und sei keinesfalls ausreichend gewesen, um die journalistische Sorgfalt zu wahren.

Das OLG Hamburg kritisiert auch, dass der „Spiegel“ in seiner Geschichte eine Tatsache unterschlagen habe, „deren Mitteilung für die Einschätzung der Belastbarkeit des Verdachtes durch den Leser wichtig gewesen wäre“. Es geht dabei um das Detail, dass ein „körperlich ruppiger Umgang“ zwischen Mockridge und Anioli nicht unüblich gewesen sei.

Das kann man aber auch anders sehen, gerade wenn es um mutmaßliche sexualisierte Gewalt geht. Denn auch in einer Beziehung, in der es im Bett mal härter zugeht, bedeutet ein Nein ein Nein. Es bedeutet nicht, dass eine Frau dann eher mit Gewalt rechnen muss.

Der „Spiegel“ schreibt zu dem Vorwurf:

„Unsere Berichterstattung zeichnet ein umfassendes Bild des Umgangs zwischen Luke Mockridge und Ines Anioli. Insofern ist auch der Vorwurf des OLG Hamburg verfehlt, wir hätten unterschlagen, dass es häufiger körperlich ruppigen Umgang gab. Wir haben beispielsweise ausdrücklich berichtet, dass Luke Mockridge und Ines Anioli sogar ein Codewort für ‚Raufereien‘ hatten, was offenkundig bedeutet, dass diese häufiger vorkamen, sonst benötigt man kein Codewort. Allerdings: ‚Raufereien‘ mit derart schweren Verletzungen wie in der betreffenden Nacht waren auch bei Luke Mockridge und Ines Anioli keinesfalls an der Tagesordnung.“

Ein weiterer Aspekt, den sowohl Stevens als auch die „Welt am Sonntag“ groß ausbreiten – und der „Spiegel“ nicht, ist eine SMS, die Ines Anioli nach der Trennung geschrieben hat. Darin textet sie: „Du machst es mir so einfach, meine nächsten Schritte zu planen.“ Das klingt – im Kontext gesehen – nach Rache. Wir haben den „Spiegel“ angefragt, warum dieses Detail nicht in der Geschichte vorkam. Die Antwort:

„Die in Rede stehende Textnachricht von Ines Anioli spielte im Einstellungsbeschluss der Kölner Staatsanwaltschaft, den wir referiert haben, keine Rolle. Es hat auch kein Gericht kritisiert, dass diese Nachricht von uns nicht erwähnt wurde. Zudem haben wir uns – im Sinne des Persönlichkeitsschutzes beider Seiten – bewusst entschieden, nur das zu berichten, was für das Verständnis der sich widersprechenden Darstellung der möglichen Tatnacht, unabdingbar schien.“

Vielleicht hätte der „Spiegel“ sich mit seiner Geschichte weniger angreifbar gemacht, wenn er die Ambivalenz dieser angeblich toxischen Beziehung noch mehr herausgearbeitet hätte. Dass das im Widerspruch zum Persönlichkeitsschutz steht, macht die Sache zugegeben komplexer.

Was ist mit der Unschuldsvermutung für Ines Anioli?

Wie unter anderem die „Welt am Sonntag“ berichtete, erstatteten zwei Anwälte, mit denen Stevens zusammenarbeitet, vor kurzem eine Strafanzeige gegen Ines Anioli – wegen übler Nachrede und Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung. Ein Ereignis, das die „Welt“ und andere wie einen Turning Point im Fall Mockridge verkaufen. Ist also doch alles anders?

Verstärkt wird dieser Eindruck auch von Mockridge selbst. Etwa, wenn er im Podcast mit Joyce Ilg behauptet, er habe die „Situation ein Stück weit selbst kreiert“. Schon, als der Anioli als Partnerin wählte, habe er sich gedacht: „‚Okay, hier ist ’ne Handgranate, let’s go.‘“ Zahlreiche Medien reproduzierten diese Aussage natürlich, weil das gut klickt. Die Erzählung von der bösen Frau, die aus Rache ihre Vergewaltigung erfand, ist perfekt.

Als vor kurzem, am 28. September, die Anwältin von Ines Anioli eine Pressemitteilung auf ihrer Seite veröffentlichte und erklärte, dass das Verfahren gegen Anioli nicht einmal eingeleitet wurde, berichtete niemand darüber. Auch die „Welt am Sonntag“ sah bislang keinen Anlass, das unter ihrem Text zu ergänzen.

Es erweckt den Anschein, als sei der Ruf nach der Unschuldsvermutung in Mockridges Fall viel lauter, als wenn es um die Vermutung geht, dass ein mutmaßliches Opfer unschuldig ist. Also nicht lügt, sondern die Wahrheit sagt.

Das „Team Mockridge“ (ich finde diese Lagerbezeichnungen eigentlich nicht gut, aber sie erscheinen treffend) macht es sich im Übrigen auch leicht, wenn es die eigene Verteidigungsstrategie komplett auf Ines Anioli und ihre angebliche Unglaubwürdigkeit oder ihre angebliche Hinterhältigkeit aufbaut. Dass es noch wesentlich mehr Frauen gab, die Mockridge Übergriffigkeit vorwerfen, wird dabei gern ausgespart.

Wenn Mockridge im Podcast mit Joyce Ilg erzählt, mit welchem Männerbild er sozialisiert worden sei, entbehrt das nicht einer gewissen Ironie: Er nennt die Figur Barney Stinson in der 2000er-Jahre-Serie „How I Met Your Mother“, ein Aufreißer, der ununterbrochen Frauen objektifiziert und flachlegt. Auch Mockridge betont im Podcast, welche Macht er über Frauen hat, wenn er über Anioli sagt: „Wenn du alle haben kannst, dann willst du die, die dich scheiße findet. Und die, die in Sex-Podcasts erzählt, dass kein Mann sie richtig ficken kann.“ Das sei sowas „Sportliches“, sagt er. „Challenge accepted.“

Wenn Medien zur Partei werden

Es entsteht insgesamt der problematische Eindruck, als bleibe Medien, die über den Fall berichten, nichts anderes, als sich zu positionieren: Team Mockridge oder Team Anioli. Als würden sie in dieser Sache selbst zur Partei. Zum Beispiel, wenn der „Spiegel“ das Twitter-Statement von Hazel Brugger zum Buch von Alexander Stevens in einer Nachricht vermeldet, weil es die eigene Geschichte verteidigt. Brugger und ihr Mann haben sich beim Deutschen Comedy-Preis 2021 mit T-Shirts mit der Aufschrift „Konsequenzen Für Comedian XY“ auf der Seite von Ines Anioli positioniert.

Hazel Brugger und Thomas Spitzer mit T-Shirts „Konsequenzen für Comedian XY“
Cover zum Podcast von Hazel Brugger und Thomas Spitzer mit Anwalt Marc-Oliver Srocke (nicht im Bild) Screenshot: Youtube

Und es sieht auch nicht gerade nach Unparteilichkeit aus, wenn der Anwalt Marc-Oliver Srocke, der den „Spiegel“ vertritt, im Podcast mit Hazel Brugger und Thomas Spitzer auftaucht und sich alle drei einig sind, dass sie Recht haben. Srocke vertrat Brugger und Spitzer ebenfalls gegen Mockridge. Auch wenn das berufsrechtlich in Ordnung sein mag, verfestigt es das Bild der zwei Lager. Und untergräbt die journalistische Glaubwürdigkeit des „Spiegel“, die auch darauf beruht, ergebnisoffen zu recherchieren und unparteiisch zu berichten.

Für das Publikum ist es manchmal schwer zu erkennen, ob der „Spiegel“ nun Partei für die eigene Berichterstattung ergreift – was legitim ist, solange sich an den Fakten nichts geändert hat – oder für eine Seite der Berichterstattung. Was nicht in Ordnung ist.

Wir haben den „Spiegel“ gefragt, wie er mit dem Dilemma umgeht, dass er aufgrund des Rechtsstreits bei diesem Fall in gewisser Weise ja auch Partei geworden ist. Und inwiefern das die Berichterstattung über den Fall Mockridge komplizierter macht. Die Pressestelle schreibt uns dazu:

„Der SPIEGEL wird selbstverständlich weiterhin zu #Metoo-Fällen berichten – nach klaren Kriterien, die für unsere gesamte Berichterstattung gelten. Daran ändert auch die juristische Auseinandersetzung im Fall Mockridge nichts.“

Man stehe, schreibt der „Spiegel“ außerdem, zur eigenen Berichterstattung und werde diese „durch alle Instanzen verteidigen“. Ob auch Fehler unterlaufen sind? Ob man etwas anders machen würde?

„Wir bemühen uns seither noch stärker zu erklären, weshalb wir – insbesondere auch bei Fällen aus der Vergangenheit oder Vorwürfen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze – ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse für gegeben ansehen.“

Die Diskussionen der vergangenen Wochen, so der „Spiegel“, böten zwar keine neuen Erkenntnisse, „die die ursprünglichen Vorwürfe aus unserer Berichterstattung berühren“. Man beobachte aber sehr wohl, dass offenbar ein großer Aufwand betrieben werde, einen gegenteiligen Eindruck zu vermitteln.

Das stimmt: Nein, es gibt nicht wirklich etwas Neues im Fall Luke Mockridge, außer dessen Versuch, die Deutungshoheit wieder zu erlangen.

Der „Spiegel“ hätte in seinem Artikel besser erklären können, was den Fall Mockridge zu einer #MeToo-Geschichte macht. Und offenbar hat er bei der Recherche auch Fehler gemacht, zum Beispiel was die Konfrontation Mockridges mit den Vorwürfen angeht.

Man kann auch zu unterschiedlichen Bewertungen kommen, ob es nötig und zielführend war, so viele Details aus der Ermittlungsakte zu zitieren. Die Wirkung beim Publikum, dass ein längerer Teil des Textes, der auf der Ermittlungsakte basiert, von einem Gericht vorläufig untersagt wurde, schadet der Glaubwürdigkeit des „Spiegels“ jedenfalls – unabhängig davon, dass ein Gericht in erster Instanz kein Problem damit hatte.

Zu sagen, Medien hätten nicht berichten dürfen, die „Spiegel“-Geschichte hätte nicht erscheinen dürfen, und sie als Schmutzkampagne gegen Mockridge zu labeln, ist allerdings falsch. Zumal die Geschichte, wenn man sie sich mit Abstand noch einmal durchliest, viel differenzierter und unaufgeregter ist als die ganze Debatte über sie.

Korrektur, 16:35 Uhr. Wir hatten Marc-Oliver Srocke zunächst als „externer ‚Spiegel‘-Justitiar“ bezeichnet. Tatsächlich ist er ein unabhängiger, freier Anwalt, der den „Spiegel“ (und andere Medien) regelmäßig vertritt.

15 Kommentare

  1. Da der Vergleich zu Kachelmann fiel: In der Urteilsbegründung machte der Richter damals deutlich, dass er Kachelmann keineswegs für erwiesen unschuldig halte, sondern lediglich, dass die vorgeworfene Tat nicht hinreichend zu beweisen sei. Gleichwohl ist Kachelmann damit rechtskräftig freigesprochen, und hat sich anschließend rechtlich gegen jene gewehrt, die ihn vor- oder nachverurteilt haben. Bei Mockridge ist es gar nicht erst zu einem Prozess gekommen, ontologisch steht Mockridge also besser da als Kachelmann. Nun Kachelmann zum Gegensatz aufzubauen, der, anders als Mockridge, nachweislich unschuldig sei, und damit die Berichterstattung über Mockridge zu rechtfertigen, ist sachlich und juristisch falsch.

    Üble Nachrede beschränkt sich keineswegs auf den Vorwurf, eine betroffene Person habe eine Straftat begangen (wenn sie wegen dieser nicht rechtskräftig verurteils wurde). Es reicht schon, wenn die Behauptung nicht bewiesen ist und geeignet die betroffene Person, „verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“ (§186 StGB). Daher hat Luke Mockridge jedes Recht, gegen einzelne oder mediale Äußerungen vorzugehen. Wenn er der Überzeugung ist, unschuldig zu sein, ist es auch nachvollziehbar, dass er sich für ein Opfer der medialen Berichterstattung und einzelner Akteure hält. Dieses Recht ist essentiell in einer zivilisierten Gesellschaft, andersfalls könnte man nach Belieben andere Personen verleumnden, solange man darauf achtet, zu vermeiden, betroffenen Person eine Straftat vorzuwerfen.

    Womit wir bei Hazel Brugger wären: Dass sie nun nachträglich behauptet, ihre Aktion „Konsequenzen für Comedian XY“ (die wohlgemerkt auf den Hashtag #KonsequenzenFürLuke Bezug genommen hatte) sei „weniger […] eine Aktion ‚Contra Luke‘ [gewesen], sondern mehr […] eine Aktion ‚Pro Frauen'“, ist ungefähr so glaubwürdig, wie wenn ich mich vors ZDF stellen würde mit einem Plakat „Schmeißt die Schweizer Satire-Schranze raus!“ und hinterher behaupten würde, meine Aktion sei gar nicht auf Hazel Brugger bezogen gewesen, sondern eher eine allgemeine Forderung nach mehr Aufrichtigkeit in der ZDF-Berichterstattung. (Ich habe keine Ahnung, ob Brugger noch für das ZDF tätig ist, es ging mir nur um den Vergleich und ihre Unaufrichtigkeit.)

    Was Lindemann betrifft: Den muss man nicht sympatisch finden. Aber wenn ihm in den Medien Personen strafrechtliche Vorwürfe machen, sich aber dann weigern, ihre medial verbreiteten Aussagen auch bei den zuständigen Ermittlungsbehörden zu wiederholen, ist es nur rechtsstaatlich, dass a) die Ermittlungen gegen ihn mangels Ermittlungsansatzes eingestellt werden und b) er gegen diese Berichterstattung vorgehen darf. Wenn die Vorwürfe wahr sein sollten, bitte ich darum, sie bei der Polizei festzuhalten, damit Lindemann rechtsstaatlich und rechtskräftig verurteilt werden kann.

    Lisa Kräher schreibt: „Dürfte man über #MeToo-Fälle nur dann berichten, wenn Anklage erhoben oder ein Schuldspruch gefällt wurde, würde es die meisten #MeToo-Berichte gar nicht geben.“ Das ist pro forma richtig, hat aber mit der Rechtslage oder dem Fall Mockridge wenig zu tun. Selbstverständlich darf man auch über nichtjustiziables Fehlverhalten berichten. Nur muss es eben entweder beweisbar sein, oder hinreichend als nicht-bewiesener Verdacht beschrieben werden. Ob der Spiegel dies getan hat, muss demnächst (wieder) ein Gericht entscheiden.

  2. @1: Hier haben wir wohl einen dieser Spezialisten, die die Unschuldsvermutung für essentiell halten… solange es um die eigene Seite geht. In die andere Richtung? Nich so!

  3. Der Fall Jerome Boateng hätte hier jetzt auch ganz gut reingepasst. Das Spiegelforum geflutet mit Kommentaren a là „es gilt die Unschuldsvermutung, also lasst ihn doch spielen“.
    Dass Fußballstar sein ein großes Privileg und die Vorbildfunktion für Millionen Jugendliche eine große Verantwortung ist, wo man als Verein durchaus sich entscheiden kann, wegen arg berechtigter Zweifel an der Integrität nicht diesen Spieler zu verpflichten, sondern einen anderen, ist anscheinend zu viel verlangt.

  4. Nachtrag:
    Bayern München hätte sich ja durchaus dazu verhalten können, z.B.: „Wir glauben und vertrauen Jerome und gehen zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass er unschuldig ist.“
    Wenn das die ehrliche Einschätzung wäre, dann okay, verpflichtet ihn. Aber stattdessen wurde ja dieses feige:
    „Es gilt die Unschuldsvermutung und derzeit ist kein Verfahren am Laufen. Das ist der Stand jetzt. Was in drei oder vier Monaten ist, das wissen wir nicht. Ich bin auch kein Jurist und will auch keinem Gericht vorgreifen.“
    Was nichts anderes heißt, dass man sich hier völlig der Verantwortung einer eigenen Bewertung entzieht, die der Verein als große öffentliche Instanz hat bzw. es kommt eher so herum wie:
    Wir wissen schon, dass der Typ seine Partnerin geschlagen hat, aber das ist gerade nicht rechtskräftig und wir brauchen noch einen Innenverteidiger, also who cares?

  5. @2 Daarin
    wo genau habe ich geschrieben, dass die Unschuldsvermutung „auf der anderen Seite“ (was auch immer das sein soll) nicht gelten solle?

    @Peter Sievert
    jemanden für die Dauer einer Untersuchung bspw. freizustellen ist kein Widerspruch zur Unschuldsvermutung. Und als privates Unternehmen steht es dem FC Bayern (im Gegensatz zum Staat) selbstverständlich frei, auch aus nicht justiziablen Vorgängen oder schon vor einem rechtskräftigen Urteil Konsequenzen zu ziehen. Herr Kachelmann hat seinen ARD-Job auch trotz Freispruch nicht wiederbekommen.

  6. #5
    Das klingt nach einem Missverständnis. Bayern zieht ja gerade keine Konsequenzen aus den Vorwürfen, sondern lässt Jerome Boateng (momentan vereins- bzw. vertragslos) zur Zeit ein Probetraining absolvieren, um ihn dann möglicherweise unter Vertrag zu nehmen.
    Und ich finde halt, der Verein macht es sich zu leicht, indem er sich zu den Vorwürfen nicht verhält und zur reinen Privatsache erklärt.

  7. Klar darf man auch über #MeToo-Vorgänge berichten, die auch bei eindeutiger Beweisbarkeit unter der Strafbarkeitsgrenze liegen, allerdings macht es sich der Spiegel hier etwas einfach, wenn er schreibt:

    „Die weiteren Fälle mutmaßlicher Grenzüberschreitungen durch Luke Mockridge dienten erkennbar nicht dem Beleg der Vergewaltigung Ines Aniolis, sondern führten lediglich zu dem Resümee, dass sich Luke Mockridge offenbar nicht immer im Griff habe und Grenzen überschreite.“

    Erstens, „mutmaßlich“ ist nicht bewiesen, ergo können sie selbst nichts beweisen, widerlegen oder zu einem „Resümee“ führen, und weiterhin stellt sich dann zweitens die Frage, ob der Spiegel über die Grenzen, die Mockridge möglicherweise überschreitet, überhaupt recherchiert hätte, wenn keine Vergewaltigungsvorwürfe im Raum gestanden hätten? Man mag der Ansicht sein, dass der Spiegel das so oder so sollte, wegen #MeToo unter der Strafbarkeit, aber die Frage interessiert mich trotzdem.
    Wenn dem Spiegel die kleineren Übergriffe nämlich nur im Kontext eines mutmaßlichen Vergewaltigers berichtenswert fände, wäre es etwas unaufrichtig so zu tun, als würde die Leserschaft nicht gewisse Schlussfolgerungen ziehen.

  8. Weil Boateng hier angesprochen wurde: Der FC Bayern hat heute mitgeteilt, dass Boateng nicht verpflichtet wird. Ich begrüße das.

    @Peter Sievert: Es gab kein „Probetraining“. Er ist momentan vereinslos, durfte mittrainieren, um sich fit zu halten, und darf das weiterhin. Ein durchaus normaler Vorgang im Profifussball.

    Wenn er nirgends mittrainieren dürfte, dann wäre das faktisch wirklich ein permanentes Berufsverbot. _Dafür_ sollte man ein rechtskräftiges Urteil abwarten. (Auch wenn er es sich finanziell locker leisten könnte.)

  9. In meinem Leben habe ich gelernt, halte Dich bei zwei Themen raus:

    a) den Palästina – Israel Konflikt
    b) aus Beziehungskonflikten inklusive aller Vorwürfe und Behauptungen
    Sobald man da auch nur ein Wort sagt, ist man der Feind einer Seite.

    Warum ich trotzdem schreibe?
    Nun:
    „Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung.“
    Ich war schon mal betroffen von einer eidesstattlichen Versicherung mit der Folge eines sechsmonatigen(!) Kontaktverbotes.
    Ich schrieb dagegen – und lernte dann von meiner Anwältin, wie eine eidesstattliche Versicherung überhaupt formal aus zu sehen hat. Also nochmal schreiben… ;-)
    Aber, das ist nicht der Kern, vielmehr: die eidesstattliche Versichrung („gegen“ mich) war so offensichtlich nicht selbst geschrieben, sondern durch die „gegnerische“ Anwältin formuliert. Das war nicht nur am Sprachstil erkennbar, sondern auch an den Inhalten. Da standen zwar keine Lügen – aber zentrale Punkte wurden halt einfach weg gelassen.
    Insofern kann man nur sagen: das ist nix Wert.
    Der Fortgang war dann folgender:
    Ich lernte, wie man sich überhaupt gegen solche sogenannte Gewaltschutzanordnung wehrt. Ist ziemlich krass wenig rechtstaatlich, in meinen Augen. Wehrte mich dagegen – und die Anordnung wurde tatsächlich aufgehoben. Wichtig: ging dabei gar nicht um die Annäherung an das vermeintliche Opfer, sondern, wie so oft: um das gemeinsame Kind.
    Erwähnenswert: Kind, Mutter, Vater – seit Jahren alles gut. Polizei, Gerichte, Jugendamt – kaum Hilfe, eher ein Aufschauckeln der Probleme.

    Und während des Schreibens fällt mir ein: es ist zumindest in D wirklich easy, mit einer eidesstattlichen Versicherung den Gefährder fern zu halten (formal! ob das dann durchgezogen und verfolgt wird, steht auf einem anderen Blatt!). Jedenfalls: ein (potentielles) Gewaltopfer, welches diesen Weg beschreitet, hat es mit der Glaubwürdigkeit auch einfacher.
    Ich schreibe absichtlich so geschlechtsneutral, denn dieser Weg steht jedem Menschen offen – nicht nur den weiblichen.

  10. @#1 „nach Belieben andere Personen verleumnden“
    Verleumdung ist, bewusst eine Unwahrheit über einen anderen zu erzählen. Das ist zumindest was die professionelle Medienberichterstattung betrifft, weitgehend nicht passiert – also trägt nicht zur Sache bei (Straw Man Argument).

    Bei #metoo geht es um Muster von sexuell übergriffigem Verhalten durch meist männliche Person mit hoher Macht. Muster und Schaden, die durch mehrere Opferberichte, ihre eidesstattlichen Versicherungen (!!!) und so weiter, bestätigt werden. Das ist natürlich berichtenswert und es ist auch Recht darüber zu berichten.

    Ich finde den Beitrag hier sehr differenziert und hilfreich und vor allen Dingen dieser Satz bringt es doch ganz gut auf den Punkt:

    „Es erweckt den Anschein, als sei der Ruf nach der Unschuldsvermutung in Mockridges Fall viel lauter, als wenn es um die Vermutung geht, dass ein mutmaßliches Opfer unschuldig ist. Also nicht lügt, sondern die Wahrheit sagt.“

    Das Problem scheint tatsächlich zu sein, dass es ein Team für beide Seiten gibt und die ausgewogene Berichterstattung abhanden kommt, indem man unliebsame Informationen, die die eigenen Narrativ nicht bestätigen, einfach auslässt. Damit ist niemandem geholfen.

  11. @Bernhard #8
    Ich fand „Probetraining“ als Begriff angemessen, wenn er mittrainiert und die Vereinsführung simultan über eine Verpflichtung nachdenkt, aber meinetwegen…

    Um das aber nochmal zu verdeutlichen: Meine Kritik am Verein lag nicht im Training oder der eventuellen Verpflichtung an sich, sondern vor allem darin begründet, sich gar nicht zu der Sache verhalten zu wollen. Man hätte von „zweiter Chance“, „aufrichtigem Bereuen“, „ernsthaften Gesprächen“, usw. usf. sprechen können. Kann man dann immer noch richtig, falsch, verlogen, aufrichtig oder sonstwas finden.
    Ein Sportverein ist nun mal kein normaler Arbeitgeber wie alle anderen. Er reklamiert auf vielerlei Art und Weise gegenüber der Öffentlichkeit für eine höhere moralische Integrität zu stehen.

    ps
    Thomas Fischer machte sich in seiner letzten Kolumne darüber lustig, dass Sportler in einer moralischen Vorbildrolle sein sollen und findet es völlig abwegig, wie Profisportler sich in verschiedenen Sportarten verhalten, um „angemessene Abbitte“ zu leisten. Bei fehlender Wahrhaftigkeit kann ich das auch nachvollziehen, aber an sich ist es ein sehr zynischer Gedanke, wenn man solchen Entschuldigungen vor der Öffentlichkeit völlig den Wert abspricht. Naiv (im positiven Wortsinne) ist erst einmal anzunehmen, dass da jemand etwas ehrlich bereut und in seiner (letztlich vom Sport und den handelnden Personen so proklamierten) Vorbildrolle dies glaubhaft ausstrahlt.

  12. @Mickey, #10:
    das mit der Unschuldsvermutung wird in beide Richtungen sehr übertrieben dargestellt, finde ich.
    Einerseits kann Unschuldsvermutung ja nicht bedeuten, dass man über solche Vorwürfe nicht reden oder berichten darf, weil man dann ja nie über Strafprozesse beichten dürfte, die mit Freispruch enden, andererseits heißt „Unschuldsvermutung gegen Mockridge“ ja auch nicht „Schuldvermutung gegen Anioli“, das ist eine völlig falsche Symmetrie.
    Unschuldsvermutung heißt, dass man jemanden nicht bestrafen darf für ein Verbrechen, dass nicht bewiesen ist. Bzw., der Staat darf es nicht ohne Urteil, und ohne Beweise gibt es kein Urteil, und alle anderen dürfen es grundsätzlich nicht. „Symmetrisch“ wäre es, wenn Anioli automatisch bestraft würde, wenn Mockridge nicht bestraft wird.
    Bzw., irgendwer fordert bestimmt auch „Konsequenzen“ für Anioli, was nur ein anderes Wort für „Strafe“ ist, aber das darf es eben auch nicht geben.

    @Peter Sievert, #12
    Bei bewiesenen Straftaten – im Unterschied zu „nur unmoralischem“ Fehlverhalten – halte ich solche Entschuldigungen eher für sinnlos, was das Behalten oder Verlieren von Spitzenjobs betrifft. Klar können die ehrlich gemeint sein, aber kriegt man kein anderes Talent, das nicht straffällig wurde, für evt. den gleichen Preis?
    Oder, die Straftaten wurden nicht bewiesen, dann soll sich jemand für etwas entschuldigen, was er nicht getan hat?

  13. @10 Mickey

    welch Ironie, dass Sie dadurch, dass Sie mir – zu unrecht – einen Strohmann vorwerfen, selbst einen Strohmann produzieren.

    Ich habe nicht behauptet, dass in den Medien bewusst die Unwahrheit behauptet wurde, sondern habe, sehr klar beschrieben, dass es grundsätzlich möglich sein muss, sich gegen Falschbehauptungen zu wehren, auch wenn diese keine Bezichtigung einer Straftat implizieren. Dies bezog sich auf den Satz in der Einleitung des Artikels „Denn es geht nicht selten gerade um die Art von Missständen, die nicht justiziabel oder die nur schwer nachzuweisen sind, und genau das öffentlich zu thematisieren, damit sich Dinge ändern.“

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