Geheime Leidenschaften
In dieser Serie stellen bekannte Leute Mediendinge vor, die sie mögen – obwohl man das vielleicht von ihnen nicht erwartet hätte.
- Folge 1: Armin Wolf
- Folge 2: El Hotzo
- Folge 3: Nicole Diekmann
- Folge 4: Friedrich Küppersbusch
Reality-TV ist vor allem eins: schnell, laut, voller Dramen – und meine ganz offen zelebrierte Leidenschaft. Und so sehr diese Welt mein berufliches Zuhause ist, umso mehr zieht es mich doch zum genauen Gegenteil dessen. Ich gucke liebend gerne Menschen beim Putzen und Aufräumen auf Youtube zu. Das ist meine Meditation.
Wenn Honeyjubu und Hamimommy aus Südkorea in aufwändigen Einstellungen ihren Alltag filmen, komme ich so richtig zur Ruhe. Ihre Routinen, Aufräum- und Rezept-Empfehlungen sind ein ästhetischer Genuss. Wie einige Content-Creatorinnen dieses Genres schaffen sie es, eine unfassbar harmonische Stimmung zu kreieren – und sei es nur, wenn man ihnen dabei zusieht, wie sie ein Regal sortieren und die Küche reinigen. Ich dachte immer, dass ASMR bei mir nicht funktioniert. Aber wenn ich es mir so recht überlege, dann lösen diese Cleaning-Videos so etwas bei mir aus. Nur nicht auf der Haut, sondern eben für die Augen.
Während ich das perfekt organisierte und stilisierte Leben von Frauen, deren Gesichter ich nicht einmal kenne, beobachte, melden sich allerdings auch die Selbstzweifel in mir. Denn obwohl ich fest davon überzeugt bin, dass Care-Arbeit zu gleichen Teilen ausgeführt werden sollte und ich es liebe, berufstätig zu sein, kann ich nicht von der Hand weisen, dass diese Videos bei aller Entspannung auch eine große Portion Druck ausüben. Da wird jeden Tag frisch und ideenreich gekocht und während meine Putz-Routine in guten Phasen eine wöchentliche ist, gehört es bei Hamimommy zum täglichen Wiedererlangen ihrer Vitalität, wie sie selbst sagt.
In dieser Serie stellen bekannte Leute Mediendinge vor, die sie mögen – obwohl man das vielleicht von ihnen nicht erwartet hätte.
Wohlwissend, dass Hamimommy und ich uns für vollkommen andere Lebenswege entschieden haben, hinterlässt es dennoch Spuren, immer wieder zu hören, dass diese Frauen das alles nunmal machen, weil es für sie das Wichtigste sei, ihre Familien glücklich und gesund zu sehen. Macht es mich zu einer weniger guten Frau, einer weniger guten Partnerin, einer weniger guten Mutter, dass mir nur ein Bruchteil dessen gelingt? Und schon sind wir wieder bei unserem verinnerlichten Credo angekommen: nämlich, als Frauen niemals gut genug zu sein, genug zu leisten.
In gewisser Hinsicht finde ich es gut, dass der ganze Aufwand, der in Hausarbeit liegt, hier sichtbar gemacht wird – und diese Youtuberinnen die in der Regel unbezahlte Arbeit dadurch für sich monetarisieren. Aber man darf dabei eben nicht vergessen, dass dies aus einer bereits privilegierten Position heraus geschieht. Die Realität vieler Familien ist es hingegen, dass beide Elternteile erwerbstätig sein müssen, weil es sich finanziell sonst schlicht und ergreifend nicht ausgeht. Mal unabhängig davon, dass es ein hohes und schwer erkämpftes Gut ist, dass Frauen berufstätig sein können.
Dabei erfülle ich viele der Vorstellungen aus diesen Videos schon ganz automatisch nicht. Ich werde in diesem Leben niemals, wirklich absolut niemals, freiwillig um 5 Uhr morgens aufstehen. Und obwohl es mich begeistert, einen Einblick in vollkommen andere kulinarische Welten zu bekommen, ist die Food-Inspo für mich auch nicht so richtig erfüllend. Denn zum einen kann ich viele der Zutaten hier gar nicht ohne Weiteres kaufen, zum anderen sind viele der Rezepte sehr unvegan. Und meinem Hund Clarissa könnte ich niemals noch nebenbei am Nachmittag einen neuen Haarschnitt verpassen, denn sie ist ein Kurzhaar-Mischling.
Obwohl mich die Videos also ständig zu Reflexion und Einordnung antreiben, bleiben sie für mich einfach eine Quelle der Entspannung und Inspiration. Denn manchmal reicht es auch völlig, sich an der formvollendeten Ästhetik anderer zu begeistern – und vielleicht doch den ein oder anderen Lifehack ins eigene Leben zu übertragen.
Mirella Precek ist Reality-TV-Expertin und kommentiert auf ihrem YouTube-Kanal „mirellativegal“ Formate wie „Der Bachelor“, „Temptation Island“ oder „Are you the One“. Im Herbst startet ihre erste Live Show „Trash Paradise“. Darin widmet sie sich den Highlights aus dem Reality-TV-Universum.
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