Geheime Leidenschaften (3)

„Süße Magnolien“: Ein wunderbar überzuckertes Gegengift zum trüben Alltag

Nicole Diekmann neben Illustration einer Praline
Foto: David Ausserhofer, Illustration: Christoph Rauscher

Wir schreiben den 17. März 1997. Es ist mein 19. Geburtstag, später Nachmittag. Soeben kehre ich zurück vom Besuch bei meiner Oma. Beim Betreten meines Zimmers ertönt ein zweistimmig triumphierendes „HA!“: Meine Freundinnen Larissa und Indra sind hier, um mich zu überraschen. Anstatt mir aber ein Ständchen zu bringen, halten die beiden mir feixend eine CD unter die Nase: Tic Tac Toes „Warum?“, aktuell auf Chartplatz Nummer 1. Erwischt. Meine Gratulantinnen haben sich die Wartezeit mit dem Durchforsten meines CD-Turms vertrieben und dabei meine jüngste Neuerwerbung entdeckt. Und mein Geheimnis.

Eigentlich finden „wir“ Tic Tac Toe und vor allem dieses pathetische Anti-Drogen-Stück, ich zitiere aus einem anderen Song des Trios, nämlich scheiße. Ich allerdings nur offiziell. Normalerweise verstecke ich solche Fehltritte, bevor Besuch kommt. Das größte Geschenk an diesem Geburtstag wird sein, dass meine Freundinnen Stillschweigen geloben. Coolness-Punkte sind die Leitwährung der Jugend.

Inzwischen bin ich ein paar Jahre älter und an Interesse an Coolness-Punkten ärmer. Deshalb stehe ich nun dazu: Pathos kriegt mich. „Weniger ist mehr“ – da sehe ich mich nicht.

Folgerichtig gucke ich völlig unironisch „Süße Magnolien“. Gerade hat Netflix Staffel drei veröffentlicht. Ich bin also nicht allein mit meiner Begeisterung für die Geschichten rund um die Mittdreißigerinnen-Südstaaten-Freundinnen Helen, Maddie und Dana Sue in der ausgedachten Stadt „Serenity“ (auf Deutsch: Gelassenheit; ich sag ja: subtil ist da nix). Die drei kennen sich seit Schulzeiten und gehen, wie man so schön sagt, durch dick und dünn. Trennungen, Erziehungsprobleme, Kinderwunsch – das übliche Durchschnittsleben, gespickt mit Frömmigkeit und frei von jeglicher von Angst vor Kitsch. Ganz neue Maßstäbe werden da gesetzt, und das schreibe ich als fundierte Kennerin südamerikanischer Telenovelas.

Maddie (JoAnna Garcia Swisher), Dana Sue (Brooke Elliott), Helen (Heather Headley) und Pastor June Wilkes (Tracey Bonner) stehen im Kreis und halten Hände
von links: Maddie (JoAnna Garcia Swisher), Dana Sue (Brooke Elliott), Helen (Heather Headley) und Pastor June Wilkes (Tracey Bonner) Foto: Netflix

Donnernd beseelte Ansprachen

In „Süße Magnolien“ vergehen im Schnitt keine fünf Minuten ohne donnernd beseelte Ansprache. Voraussetzung für die Einbürgerung in Serenity scheint es zu sein, jederzeit aus dem Stand eine staatsmännische Rede halten zu können. Anlass? Egal. Auslöser? Beliebig. Martin Luther King oder Helmut Schmidt stünden staunend von dermaßen ausgeprägter Bereitschaft zum großen Wort daneben, degradiert zu lieblosen Dilettanten-Schwätzern.

Sie glauben, ich übertreibe? Bittesehr, hier ein Beispiel: Helen, Dana Sue und Maddie an einem ihrer Margarita-Abende. Helen steht aktuell zwischen zwei Männern.

Helen: „Wenn ich nicht erkenne, ob das mit Ryan eine Zukunft hat, wird für immer ein Schatten auf mir liegen. Und damit hat dann auch keine andere Beziehung eine Zukunft.“

Maddie: „Was hat Eric gesagt?“

Helen: „Er hat gesagt … er hat gesagt, dass er in meinem Leben keine Rolle spielen möchte. Und ich meine, gar keine.“

Dana Sue: „Eine schwierige Entscheidung. Eine furchtbare Entscheidung, Aber ein Schritt, der leider notwendig war.“

Maddie: „Trauere so viel wie nötig.“

Helen: „Deswegen … deswegen sind echte Freundinnen so wahnsinnig wertvoll. Wenn ich euch brauche, seid ihr da. Egal, wann.“

Gut, nun könnte man natürlich sagen: Wenn’s um die Liebe geht, da wird man schon mal bedeutungsschwanger. Deshalb hier ein weiterer Dialog in einem weniger schweren Kontext.

Maddie (JoAnna Garcia Swisher), Dana Sue (Brooke Elliott) und Helen (Heather Headley) stoßen an
von links: Maddie, Dana Sue und Helen Foto: Netflix

Dana Sue hat überraschend etwas Geld geerbt. Eine alte Dame aus Serenity hatte in ihrem Herzen stets eine ganz besondere Verbindung zu ihr gespürt. Nun will die ihrer Tochter Annie zum 16. eine Geburtstagsfeier schmeißen. Eine Party mit ein paar Spielchen, bei denen es kleine Preise zu gewinnen geben soll. Der Teenie ist jedoch nicht überzeugt und wendet sich in seiner Not an Patentante Helen.

Annie: „Ich kann für so vieles dankbar sein: Menschen, die mich lieben, ein wunderschönes Haus in einer wunderschönen Stadt …“

Helen: „Seid dankbar, alle Zeit für alles.“

Annie: „Ich will jetzt echt nicht verwöhnt klingen, aber weißt du von dem Geld von Miss Francis? Meine Eltern wollen etwas davon für meine Party an meinem 16. Geburtstag ausgeben. Und ihre Pläne sind so dermaßen übertrieben, dass es sich nicht gut anfühlt oder ihnen ähnlich sieht.“

Helen: „Hast du denn mit ihnen geredet?“

Sue: „Ich wusste nicht, wie. Die beiden waren so begeistert, und ich hab mich so unwohl gefühlt und das haben sie nicht erkannt. Sei ehrlich: Werden sich die beiden durch das Geld ändern? Gerade schien’s mir noch, als ob alles wieder normal läuft. Papa ist zurück, und die beiden wirken auf mich wie ein glückliches Paar. Ich will das nicht kaputtmachen.“

Helen: „Geld verändert nur die Menschen, in deren Leben es nichts Wichtigeres gibt. Weißt du, was das Wichtigste im Leben deiner Eltern ist? Liebe, Gottvertrauen und du. Eine außergewöhnliche junge Frau. Sie möchten das mit dir zusammen feiern. Aber wenn dir das, was sie planen, unangenehm ist, muss ihnen das klar sein. Also sag es ihnen laut und deutlich. Denn, junge Dame, ich weiß, du kannst das gut. Ziemlich gut.“

Sue: „Ich will ihre Gefühle nicht verletzen.“

Helen: „Ich weiß, sie werden stolz sein.“

Sue: „Ich danke dir. Du hast immer die richtige Antwort.“

Habe ich zu viel wenig versprochen? Beide und eigentlich alle Szenen sind übrigens, eigentlich unnötig, dies zu erwähnen, mit Musik untermalt, die auf der Hans-Zimmer-Skala weit oben rangiert.

Selbst Maria Schell würde wie das Denver-Beast wirken

Und trotzdem: Ich gucke „Süße Magnolien“ gerne. Warum? Ganz einfach: Cocooning. Sie ist meine Zuflucht vor all der Unbill da draußen. Russlands Krieg in der Ukraine, der Dauerstreit in der Ampel, meine kaputte Waschmaschine – die Serie ist mein Gegengift. Für ein, zwei Stunden pro Woche will ich einfach glauben, dass es eine völlig arglose kleine Ecke da draußen gibt, in der selbst Maria Schell wirken würde wie das Denver-Biest. In der die größte Gesundheitsgefahr in Gefühls-Diabetes durch Zuviel emotionalen Puderzucker besteht.

Ich wünsche mir eine Ecke auf diesem Erdball, in der Menschen selbst für Umgangssprache zu anständig sind. Wo Social Media keine Rolle spielt und Themen wie Flüchtlingsfragen, Clankriminalität und wilde Wahlkampfmanöver schlicht nicht stattfinden. Für mich sind die „Süßen Magnolien“ ein Gegengift. (An Wochenenden, die ich auf AfD-Parteitagen verbringe wie kürzlich in Magdeburg, erhöhe ich die Dosis.)

Eine solche Ecke gibt es nicht. Es gibt jedoch zumindest Lichtblicke: Denn eine Welt, in der selbst auch bis in ihre letzte Faser talentfreie Darstellerinnen wir Britney Spears‘ Schwester Jamie Lynn eine Rolle in einer solchen Serie ergattern können, kann nicht in Gänze schlecht sein. Da wird das Prinzip der Nächstenliebe und Solidarität mit den Schwächsten authentisch praktiziert.

Sie finden mich fies? Stimmt. Aber zum Glück will ich „Serenity“ nur gucken. Wohnen will ich dort nicht. Das wäre selbst mir zu krass.

Nicole Diekmann hat als Kriegs- und Krisen-Reporterin für das ZDF unter anderem aus Israel, der Ukraine und Paris berichtet. Seit 2015 ist sie Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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