Neuer Springer-Podcast

Ronzwashing auf die Ohren

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Paul Ronzheimer ist längst mehr als nur ein leitender und langjähriger Angestellter bei „Bild“. Informell galt er schon seit ein paar Jahren als journalistisches Aushängeschild mindestens der „Bild“, wenn nicht des gesamten Verlags Axel Springer. Inzwischen hat der stellvertretende Chefredakteur aus Julian Reichelts Boys-Club dessen Stallgeruch genauso abgelegt wie etwa die Kopfbedeckung von Native Americans. Ronzheimer hat das Unseriöse und Laute weitgehend von sich abgleiten lassen. Stattdessen haftet ihm zunehmend der Ruf eines mutigen und ausgezeichneten Kriegsreporters an.

Bei Springer hat man das erkannt und Ronzheimer befördert, ihm eine eigene Position geschaffen: Ronzheimer ist seit ein paar Wochen das „markenübergreifende journalistische Gesicht“ des gesamten Verlags. Man soll den seriösen Journalisten Ronzheimer sehen, in den sozialen Netzwerken, und man soll ihn auch hören, in neuen, eigens konzipierten Formaten.

Eines davon ist jetzt an den Start gegangen: ein Podcast, der breit beworben wird, auch auf der „Bild“-Startseite.

Ronzheimer im Einsatz Screenshot: „Bild“

Der Podcast trägt einen Namen, der die Vermutung stärkt, dass es (nach all den öffentlichen Tiefschlägen der vergangenen Jahre für den Verlag) vor allem markenübergreifendes journalistisches Ronzwashing auf die Ohren geben soll:

Paul Ronzheimer. RONZHEIMER. R O N Z H E I M E R. Okay, kapiert. Erwartbar personalisierend, aber selbst für „Bild“-Verhältnisse überraschend plump ballert auch der Trailer einen mit Ronzheimer, Ronzheimer, Ronzheimer voll. In knapp zwei Minuten holt man alles raus, was man befürchten muss, wenn der Verlag Axel Springer seinem Vorzeigekriegsreporter einen eigenen Podcast widmet.

Begleitet von einem unheimlichen Dröhnen, das Christopher-Nolan-Fans (selbst nach „Dunkirk“, „Tenet“ und „Oppenheimer“ noch) in Scharen in das nächstgelegene Kino eilen ließe, kracht es im Opener: Schüsse oder Explosionen? Explosionen: „Schon extrem unheimlich hier langzulaufen und immer wieder Explosionen“, nimmt ein kurzatmiger Ronzheimer die Hörer:innen mit in den Krieg. Man hört seine Füße, die sich eilig bewegen, das Dröhnen, wieder einen Knall. Und auch wenn Ronzheimer sagt, es sei „überhaupt nicht klar, wo die Front ist“, soll schon durch das Sounddesign in den ersten Sekunden ganz klar gemacht werden: Wo auch immer diese Front ist, RONZHEIMER ist sehr nah dran.

„Ich bin Paul Ronzheimer, Journalist und Kriegsreporter. Ab August hört ihr regelmäßig Folgen aus meinem Reporterleben“, kämpft sich Ronzheimers Stimme erneut zu uns durch, diesmal aber über das konservig-nervige Musikbett hinweg, das inzwischen den Sound des Kriegs überlagert. Und von da an geht es eineinhalb Minuten lang in kurzen Snippets darum, Ronzheimer als Figur zu überhöhen.

Wir erfahren etwa, dass „die Russen“ schreiben, Ronzheimer sei Teil eines westlichen Mordkomplotts gegen Wolodymyr Selenskyj, bei dem er den ukrainischen Präsidenten mit Tee hätte vergiften wollen. Russische Propaganda, über die Ronzheimer „irgendwie nur lachen kann“, die aber hier natürlich zeigen soll: der kriegstreibende Kreml schaut auf Ronzheimer, der ja eigentlich auf den kriegstreibenden Kreml schauen soll.

Außerdem kündigt Ronzheimer an:

„Ich nehme euch mit an die Frontlinie, zu Interviews mit Präsidenten, spannenden Persönlichkeiten oder was auch sonst mich in meinem Alltag beschäftigt.“

Dass Ronzheimer zumindest einen Präsidenten, nämlich Selenskyj, schon mehrfach (gar „weltexklusiv“) interviewt hat, dürfte nur noch wenigen Menschen verborgen geblieben sein.

Als Beleg für sein Versprechen wichtiger Gesprächspartner wird im Trailer vielleicht auch deshalb nochmal daran erinnert, wie nah Ronzheimer auch einer anderen prominenten Person ist: „Paul, bitte pass auf Dich auf“, knarzt „Vitali“ (Klitschko, Bürgermeister von Kiew, aber das weiß dann eh jeder) Ronzheimer zu, als dieser ihm offenbar am Telefon von einer Reise an die Front berichtet.

Dass es auch mal persönlicher werden soll, dass „ihr hört, was in mir vorgeht, wenn wir zwischen den Fronten unterwegs sind“, rundet das „RONZHEIMER“-Versprechen im Titel des Podcasts ab. Ein Trailer, der mich genauso wenig reizt, den Podcast zu hören, wie es Sie reizen würde, einen Text weiterzulesen, in dem ich abgedroschen schriebe: „Ich habe mir das angehört, damit Sie es nicht tun müssen.“

Das Gegenteil vom Promo-Popanz

Ein Glück, dass die erste Folge des Podcasts mich gar nicht erst in diese Versuchung bringt. Denn zu meiner (und wohl nun auch: Ihrer) Überraschung ist „RONZHEIMER.“ so ziemlich das Gegenteil dessen, was der Promo-Popanz des Trailers befürchten ließ.

Na gut: Die erste Folge beginnt mit der schon im Trailer angerissenen Szene an der Front. Ronzheimers Schritte werden noch schneller, Ronzheimer noch kurzatmiger: „zu nah an der Front!“ – Cliffhanger-Cut, Filipp Piatov.

Ronzheimers „Bild“-Kollege stellt sich als Host vor, vor allem aber Ronzheimer, den Kriegsreporter, Ronzheimer, den Journalisten des Jahres, um den es ja gehen soll. Und nach rund einer Minute schweben schon wieder sämtliche Inhalte, die bereits im Trailer aufgepustet wurden, erneut dick und fett über der Folge:

„Paul hat den ukrainischen Präsidenten Selenskyj getroffen, mit Kiews Bürgermeister Klitschko gesprochen und den am härstesten umkämpften Teil der Front besucht.“

Aber dann wird es besser, viel besser sogar.

Worum es in dieser ersten Folge gehen soll: Die ukrainische Gegenoffensive gegen Russlands Armee, die „wohl größte militärische Operation in Europa seit dem zweiten Weltkrieg“. Piatov und Ronzheimer führen ein erstes von mehreren Kollegengesprächen, in dem Ronzheimer von einem Hotel im Süden der Ukraine aus berichtet, was er erlebt. Piatov stellt kurze, präzise Fragen, Ronzheimer gibt ausführliche, aber präzise Antworten und ordnet ein: Das Geschehen an der Front? „Die Leos rollen“, meint: die deutschen Leopard-Panzer sind dort jetzt im Einsatz. Ein Jahr, nachdem deutsche Panzerlieferungen noch unvorstellbar gewesen seien, für Ronzheimer, für die meisten. Über die drei Verteidigungslinien der Russischen Armee berichtet Ronzheimer: Sie verteidigen sich heftig, kämpfen jetzt ganz anders als im Herbst in Charkiw und Cherson, wohl auch anders, als man es ob der Bilder flüchtender russischer Soldaten von damals hierzulande heute noch vermutet.

Bei allem moralischen Skrupel, den man schon verspürt, wenn man das nur aufschreibt: Die Kriegsmüdigkeit deutscher Medienschaffender und -konsumierender ist weithin spürbar und ja auch nachvollziehbar. Dass man selbst zu diesen beiden Gruppen gehört, merkt man, wenn einen Ronzheimers Berichte und Einordnungen und die vielen O-Töne, die er etwa von ukrainischen Soldaten sammelt, überraschen. Weil man längst nicht mehr so viel mitbekommt und weiß, wie man vielleicht noch vor einem Jahr mitbekommen hat und noch heute zu wissen glaubt. Ronzheimer aber bleibt unermüdlich, ist ständig in der Ukraine, will, das ist offensichtlich, dass dieser Krieg nicht in Vergessenheit gerät.

„Das ist ein ganz anderer Krieg jetzt. Wahrscheinlich der brutalste und heftigste, den Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat“, sagt er, und man hat das Ronzheimer, Ronzheimer, Ronzheimer vergessen. Ich höre solchen Sätzen kein künstliches Aufblasen des Podcast-Inhalts und der eigenen markenübergreifenden Marke an. Sie werden in Ronzheimers und Piatovs Dialogen nicht nur fallen gelassen, sondern erörtert, reihen sich ein neben mitunter erschreckend pragmatischen O-Tönen eines verwundeten Soldaten, und ja: nun machen auch die Explosionsgeräusche und verhuschten Aufnahmen aus Ronzheimers Reportagen Sinn. Diese Elemente sind notwendig für einen Podcast, damit dieser nicht an meinem deutschen Medienmenschen-Panzer abprallt.

Den knackt Ronzheimer auch mit seiner Persönlichkeit. Eingespielt wird eine Schalte vom ersten Kriegstag im Februar 2022, in der Ronzheimer hörbar weinen musste. Er erzählt, dass die Nacht davor aus Angst um das Leben von Freunden und vor dem anrollenden russischen Angriff nur mit mehreren Flaschen Rotwein zu überstehen war. „Ich hatte Tränen in den Augen und dachte, meine Freunde werden umgebracht jetzt, in dem Moment, an dem Tag.“

Der „ganze Horror dieses Krieges“, in einem Raum

An anderer Stelle ordnet Ronzheimer ein, wie auch die Ukraine als Kriegspartei Informationen zurückhält oder das zumindest versucht. Etwa, wenn er davon erzählt, einen jungen Soldaten im Krankenhaus besucht zu haben:

„Von außen sieht es relativ normal aus, aber wenn man reinkommt, sieht man schon extrem viel Militär. Wir mussten uns da auch ein bisschen fast verstecken. Denn das ukrainische Militär versucht Berichterstattung da zu verhindern. Die wollen nicht, dass die Presse über ukrainische Verletzte und Opfer berichtet. Das wurde immer wieder versucht zu verhindern in den vergangenen Monaten.“

Dort habe er „in einem Raum den ganzen Horror dieses Krieges“ gesehen: Schwer verletzte Soldaten mit abgetrennten Gliedmaßen, offenbar traumatisiert, aus der ersten Linie der ukrainischen Gegenoffensive. Der Soldat, den Ronzheimer besucht, erzählt vom Tod dreier Freunde, den er aus wenigen Metern Entfernung miterlebte. Dennoch will er zurück an die Front. Wie er für das deutsche Publikum, das weit weg sei, den Krieg beschreiben würde, fragt Ronzheimer den Soldaten und übersetzt seine Antwort nachfühlend:

„Es muss die Hölle gewesen sein. Man sitzt da, lacht, spielt Karten und nach 20, 30 Minuten: Boom. Und dein Gegenüber ist tot.“

Dass Ronzheimer freilich noch immer auch der Ronzheimer ist, dessen Rolle zwischen „Kriegs-Reporter und Klitschko-Korrespondent“ hin- und herspringt, wird deutlich, wenn er über die großen Namen spricht, die er vor Mikrofon und Kamera bekommt. Piatov liefert auch hier die Stichworte. Als es um die Zerstörung der Kachowka-Stauanlage am 6. Juni 2023 geht, fragt er Ronzheimer zuallererst, das wievielte Mal er inzwischen Selenskyj getroffen habe. Ronzheimer:

„Ich hab Selenskyj, woah, bestimmt schon insgesamt acht, neunmal getroffen, seitdem er Präsident ist, wenn nicht häufiger. Seit Beginn des Krieges war’s jetzt das fünfte Mal.“

Dabei klingt Ronzheimer nicht weniger stolz, als wenn er (später) betont freundschaftlich mit „Vitali“ (wieder müssen wir uns erschließen: Klitschko) spricht. Das alles mag man befremdlich finden. Aber ich würde mir an dieser Stelle nicht anmaßen, es bei dieser Feststellung zu belassen.

Zumal Ronzheimer auch hier nicht nur Namedropping betreibt, sondern vielmehr eine feine Gratwanderung zwischen engen Beziehungen zu wichtigen Akteuren und journalistischer Distanz offenbar meistert. Und sich selbst nicht so wichtig nimmt, wie es der Podcasttitel befürchten ließ. Piatov fragt ihn etwa, was Selenskyj und Ronzheimer nach dem Interview noch so besprochen haben, auch wenn Ronzheimer das vielleicht gar nicht sagen könne. Ronzheimer lässt sich in solchen (mit Sicherheit auch nicht rein spontanen) Momenten aber weder in die Rolle des ultraseriösen Journalisten drängen, der sich eine solche Frage nach vertraulichen, womöglich heiklen Gesprächsinhalten mit viel Ernst in der Stimme verbitten würde. Noch wird er zum prahlenden Schwätzer.

Ronzheimer, den Eindruck bekomme ich beim Hören, weiß um seine Verantwortung. Das ist nicht das Schlechteste, was man über jemanden – ob „markenübergreifendes journalistisches Gesicht“ oder einfach gestandener Kriegsreporter – sagen kann. Ich werde mir das weiter anhören. Aber nicht, damit Sie es nicht müssen.

1 Kommentare

  1. Darf ich diese Ü-berschrift bitte auch für die ÜM-Headline des Jahres nominieren?
    Vielen Dank für den Artikel, ich habe das gestern schon sehr interessiert im Newsletter gelesen. Ich verstehe bis heute nicht, wie Ronzheimer zu diesem Blatt passt bzw. warum er nicht irgendwo hingeht, wo er ernsthaften Journalismus machen kann. Andererseits ist er bei BILD natürlich etwas Besonderes, während er bei der SZ z.B. in der Masse untergehen würde.
    Er war auch mal in dem eher BILD-untypischen Podcast von Hazel Brugger und Thomas Spitzer zu Gast, das war ganz aufschlussreich.
    Bleibt zu hoffen, dass er dabei hilft, das Niveau seines Heimatverlages nicht noch weiter absaufen zu lassen. Aber wahrscheinlich ist es wirklich nur „Ronzwashing“.

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