Wochenschau (148)

Wann hören wir endlich auf, Opfern eine Mitschuld zu geben?

Triggerwarnung: In diesem Text geht es um die Themen sexuelle Gewalt, Nötigung, Körperverletzung und Vergewaltigung.


Youtuberin Kayla Shyx in ihrem Video zu Rammstein
Kayla Shyx erhebt Vorwürfe gegen Till Lindemann. Screenshot: Youtube / Kayla Shyx

Das Frechste und gleichzeitig Frustrierendste am Fall Lindemann sind die Rammstein-Verteidiger. Die betroffenen jungen Frauen hätten doch wissen müssen, was da vor sich geht, spotten sie. Sie hätten sich im Klaren darüber sein müssen, dass der einzige Grund, warum ein junger, weiblicher Fan zu einem alternden Rockstar geladen wird, immer und ausschließlich Sex sein muss. Selbst Schuld, twittern sie. Aber von den Vorgängen will zugleich niemand etwas gewusst haben. Warum sollte ein Weltstar all diesen Aufwand betreiben? Alles kaum vorstellbar und komplett abwegig, kommentieren sie. Aber die jungen Frauen. Die hätten all das wissen müssen – weil sie Frauen sind.

Was den mutmaßlichen Opfern, die von ihren verstörenden Erfahrungen bei Rammstein-Konzerten berichten, vorgeworfen wird, ist in Wahrheit die Projektion von Verteidigern, die sich hier leidenschaftlich ahnungslos geben. Es ist intellektuelle Selbstverleugnung, Gewaltopfern diese Verantwortung überstülpen zu wollen, und eine der bewährtesten Strategien, wenn es um die öffentliche Auseinandersetzung mit #MeToo-Fällen in Medien und sozialen Medien geht.

Nachdem sich die Schilderungen über eine systematische Rekrutierungslogistik von Frauen für mutmaßlichen Backstage- und Aftershow-Sex mit Till Lindemann nun häufen und sich Muster erkennen lassen, erfolgt erwartbarerweise auch das Diskreditieren der Personen, die diesen Missbrauch anprangern. Glühende Fans, Weggefährten, das Clickbait-Boulevard, aber auch und besonders die Kommentatoren in sozialen Netzwerken, die bei jeder Verhandlung von Machtmissbrauchsfällen ihrer Misogynie freien Lauf lassen, suchen die Schuld bei den mutmaßlichen Opfern.

Für die Irin Shelby Lynn, die diese mutmaßliche Sexbeschaffungs-Systematik anhand ihrer eigenen Erfahrungen auf Instagram und Twitter publik machte, riefen Rammstein-Fans ein Kopfgeld aus. Zusätzlich versuchten einige Medien, Lynns Aussagen durch falsches Framing zu entkräften, indem sie behaupteten, sie sei zurückgerudert. Das stimmte allerdings nicht, sie betonte, dass sie kein Opfer einer Vergewaltigung wurde, aber hatte auch zuvor nie etwas anderes behauptet. Den Vorwurf, dass sie mutmaßlich mit Drogen willenlos gemacht wurde und körperliche Schäden davon trug, macht ihren Fall auch nicht weniger schlimm.


Diese Versuche zur Diskreditierung von Aussagen betroffener sexueller, physischer und emotionaler Gewalt, wiederholen sich immer und immer und immer wieder. Ob bei Frauen, die vom Machtmissbrauch beim Springerverlag berichten oder nun bei Frauen, die vom Machtmissbrauch in der Musikszene sprechen.

Verlustschmerz und Selbstschutz

Ihr Zweck ist es, Zweifel über die Betroffenen zu säen und die Beschuldigten zu stärken – auch um die zu schützen, die sich durch Schweigen und unterlassene Hilfe mitschuldig gemacht haben. Es sind traurige Manöver des Selbstschutzes. Das Idol verteidigen bedeutet, den Teil von sich selbst zu verteidigen, der das Idol liebt und braucht. Denn die Vorwürfe anzuerkennen, hieße ja zweimal leiden: einerseits durch die Erkenntnis, dass man jahrelang jemanden verehrt hat, der diese Anerkennung nicht verdient; dass man Ressourcen, Geld, Aufmerksamkeit, Energie in den Falschen investiert hat. Der zweite Verlustschmerz ist, anzuerkennen, dass man nicht behalten können wird, was einem Freude, Zugehörigkeit und Selbstdefinition ermöglicht. Die Reaktion: die Person kaputt machen, die man für diesen Verlust verantwortlich wähnt.

Die daraus folgenden Argumentationen offenbaren, was nach wie vor falsch läuft in der Auseinandersetzung mit Machtmissbrauch. Sie zeigen, dass die Gesellschaft noch nicht verstanden hat, wie die Hebel funktionieren. Immer wieder geht der Vorwurf weg von Tätern hin zu den Opfern. Es bleibt immer ihre Schuld, zumindest teilweise, synthetisiert in dem schrecklichsten, borniertesten, arrogantesten Satz der Welt, den ich auch im aktuellen Fall Lindemann wieder etliche Male gelesen und gehört habe:

Warum hat sie nicht einfach nein gesagt?

Es ist unendlich frustrierend. Als würden wir in der Auseinandersetzung bei jedem #MeToo-Fall bei minus vier anfangen. Immer wieder sind es dieselben ekelhaft peinlichen Inspector-Obvious-Fragen, die die Personen, die den Mut aufbringen einen Missstand öffentlich zu machen, einer verborgenen Widersprüchlichkeit überführen sollen: Warum ist sie da überhaupt mitgegangen? Warum hatte sie diese Kleidung an? Was hat sie denn erwartet? Warum war sie so naiv? Warum hat sie sich nicht der Situation entzogen? Warum hat sie das nicht zur Anzeige gebracht? Warum kommt sie denn erst jetzt damit?

Denkt man die Implikationen dieser Fragen zu Ende, läuft es jedes mal darauf hinaus, dass man der Betroffenen unterstellt, es doch gewollt zu haben oder irgendwie einverstanden gewesen zu sein. Diese Fragen offenbaren aber auch die achselzuckende Selbstverständlichkeit, mit der die möglichen Verletzungen von Menschen in diesem System hingenommen werden. Das ist halt so am Set! Das ist halt so im Journalismus! Das ist halt so in der Musikszene! Als sei es das Allernormalste der Welt, sich weibliche Fans für Blowjobs zu casten und sie im Backstage mit Drogen willenlos zu machen. Mit sowas muss man schon rechnen beim Meet and Greet mit einem berühmten Rockstar. Eine Logik, die im Umkehrschluss bedeutet: Frauen müssen aktiv dafür arbeiten und handeln, um keinen Sex haben zu müssen.

Das DARVO-Prinzip

In den Auseinandersetzungen, in sozialen Medien wie auch in der Berichterstattung, wird das reproduziert, was die Psychologie als DARVO-Prinzip bezeichnet. Das von Jennifer Freyd, Professorin für Psychologie an der University of Oregon, geprägte Akronym steht für „deny, attack, and reverse victim and offender“. Auf Deutsch: leugnen, angreifen, Opfer-Täter-Umkehr.

DARVO ist eine Täterstrategie, die typischerweise in Fällen von sexueller Gewalt beobachtet wird, insbesondere wenn Aussage gegen Aussage steht und der Täter versucht, die Situation zu seinen Gunsten zu manipulieren. Es gibt eine Southpark-Folge, in der Präsident Trump dem Vater von Stan das DARVO-Prinzip erklärt, um ihn aus dem Gefängnis zu holen:

Exakt diese Strategien werden auch in der öffentlichen Debatten um Lindemann, medial wie sozialmedial, angewandt.

Die Leugnung

Die erste Reaktion der Band, nachdem Shelby Lynns Tweet Aufmerksamkeit generiert hatte, war ein bemerkenswert hölzernes Statement: „Zu den im Netz kursierenden Vorwürfen zu Vilnius können wir ausschließen, dass sich, was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat.”

Zeitgleich hat Alena Makeeva, die sogenannte Casting-Direktorin, die die Frauen organisiert haben soll, versucht, Fans für eine positive Darstellung ihrer Konzerterfahrungen zu mobilisieren. Sie postete Aussagen von Fans, die bestätigen sollten, dass bei den Auftritten alles gut lief. Till Lindemann reagierte mit Sarkasmus. Einem „Welt“-Reporter, den nach seinem Konzert in Helsinki hinter die Bühne holen lässt, sagt er: „Schau dich um, habe Spaß. Wie du siehst, werden hier alle unter Drogen gesetzt und vergewaltigt.”

In der Zwischenzeit hat sich Rammstein nun noch eine andere performative PR-Geste zur Schadenbegrenzung überlegt. Wie das Management bekannt gab, habe sich die Band von ihrer sogenannten Casting-Direktorin Alena Makeeva distanziert. Als habe ihr Handeln rein gar nichts mit Lindemann und seinem mutmaßlichen Missbrauch von Fans zu tun. Auch so wird im Endeffekt einer Frau die Schuld gegeben.

Die Attacke

Insbesondere Shelby Lynn wurde auf verschiedene Arten online attackiert, ihre Aussagen in Zweifel gezogen mit der Unterstellung, es ginge ihr um Fame. Der „Welt“ schrieb Alena Makeeva, dass es Lynn nur um Aufmerksamkeit ginge und darum, ihre Reputation als „Casting-Direktorin“ zu zerstören. Auch Ex-Freundin von Lindemann, Sophia Thomalla, verteidigte den Sänger. Leugnete erst die Vorwürfe und teilte dann gegen Lynn aus: „Das ist frei erfunden von einer Person, die sich auf dem Rücken eines Rockstars für fünf Minuten Fame verschaffen möchte. Einem selbsternannten Opfer gebe ich weder Bühne, noch unterstütze ich das für eine Sekunde.“

Diese Mär der Frau, die durch erheben des Vorwurfs sexueller Nötigung plötzlich Buchverträge, Fernsehbühnen und Gesellschaftsliebe erfährt, wurde bei Bill Cosby, Harvey Weinstein und allen weiteren Fällen nicht nur widerlegt, das Gegenteil wird ersichtlich: Keiner kann einen Namen der Opfer dieser Männer nennen. Nicht ohne Grund trauen sich Frauen meist nur anonym und verfremdet über Übergriffe und Missstände zu sprechen. Sie haben nicht den Wunsch nach Öffentlichkeit, sondern Angst vor ebendieser.

Die Opfer-Täter-Umkehr

In der öffentlichen Verhandlung sexueller Gewalt gibt es immer wiederkehrende Vergewaltigungsmythen. Das sind opferfeindlichen Narrative, die dazu dienen, sexuelle Gewalt von Männern gegen Frauen zu leugnen, zu verharmlosen oder zu rechtfertigen. Die Sozialpsychologin Martha Burt prägte den Begriff Opfer-Täter-Umkehr 1980. Die Wirkmacht dieses Prinzips findet sich bis heute in die entlegensten Winkeln sozialmedialer Echokammern. Die beiden häufigsten Narrative: „Sie wollte das so.” und „Sie hätte es verhindern können.“. Was beides im Kern bedeutet: „Sie ist schuld, an dem, was ihr widerfahren ist.“

Auch auf dem Umgang mit den mutmaßlichen Opfern von Till Lindemann kann man diese beschämende Schablone legen. Ein Beispiel dafür sind auch die Reaktionen und Kommentare auf das Statement von Youtuberin Kayla Shyx, die in einem eindrücklichen Video von den verstörenden Vorgängen auf einer Rammstein-Aftershowparty im Juni 2022 erzählt.

Der Mythos „Sie hat es so gewollt“ basiert auf der Vorstellung, dass die Handlungen von Frauen einen Missbrauch provozieren können. Gerade bei Shelby Lynn wurden ihr Look und ihre Kleidung am Tag des Konzerts in Vilnius von Rammstein-Fans als absurder Beleg dafür herangezogen, dass sie wollen musste, was mit ihr an dem Tag geschah.

Die Tatsache, dass im Fall Lindemann mutmaßlich Alkohol, Kokain und angeblich auch K.O.-Tropfen im Spiel waren, macht diesen Take noch verstörender und ekelerregender, weil die Frauen offenbar in einen Zustand von Wehrlosigkeit gebracht wurden. Bitter runtergebrochen funktioniert dieser Mythos nur mit der Überzeugung, dass Frauen es verdienen, missbraucht, belästigt oder vergewaltigt zu werden, weil sie etwas falsch gemacht haben. Eine Überzeugung, die eng verbunden ist mit der ewigen Frage, warum sie sich nicht besser gewehrt oder deutlicher nein gesagt haben, was ja – vor allem, wenn Drogen im Spiel waren, noch absurder ist.

Vor diesem Hintergrund wirkt das, was „Freitag“-Autorin Marlen Hobrack kommentiert, besonders zynisch:

„Wenn die Rammstein-Entourage die Frauen etwa bat, sich sexy zu kleiden und im Vorfeld Fotos und Videos machte, dann dürften die Frauen immerhin geahnt haben, dass es nicht nur um ein Meet and Greet mit ihrem Star ging. Das rechtfertigt keinen sexuellen Übergriff oder Körperverletzung in Form einer Intoxikation! Aber es ist zu einfach, Lindemann als bösartiges Monstrum darzustellen – immerhin besteht sein lyrisches Repertoire seit einigen Jahren nur mehr aus Ballermann-Bunga-Bunga-Rhetorik. Dicke Titten, Sie wissen schon. Sich mit so einem Mann auf ein Zimmer zu begeben, ist ein Spiel mit dem Feuer. Keine kleine Kerze, eher ein Riesenflammenwerfer, wie er bei Rammstein-Shows zum Einsatz kommt.”

Ja, wenn man denn noch mitbekommt, dass man sich mit so einem Mann auf ein Hotelzimmer begibt.

Bei einer Untersuchung von Gesprächen in der „Manosphere“ (alle frauenfeindlichen Plattformen im Internet) für ihr Sachbuch „Men Who Hate Women: From incels to pickup artists, the truth about extreme misogyny and how it affects us all“ entdeckte die Publizistin Laura Bates eine breite Unterstützung für die Überzeugung, dass Männer ein Anrecht auf den Körper von Frauen haben und Vergewaltigung eine natürliche Folge der männlichen Sexualität ist. Sie beschrieb, wie dieses Verständnis die Überzeugung untermauert, dass es in der Verantwortung der Frauen liegt, Vergewaltigungen zu vermeiden.

Auch beim Fall Lindemann zeigt sich der gesellschaftliche Nullpunkt: Männer, und vor allem Rockstars, wollen halt Sex, deal with it. Anders kann man diese gruselig verwunderte Maßregelung nicht verstehen. Eine Frau muss also immer und überall damit rechnen, dass ein Mann versuchen wird, ihre Grenzen zu überschreiten. Irgendwo zwischen Naturalisierung männlicher Gewalt in Form unkontrollierbarer sexueller Triebe und der Akzeptanz, dass patriarchale Strukturen halt schon immer der Standard waren, an den sich der Teil der Menschheit, der nicht die ganze Zeit fürchten möchte, bedrängt, belästigt und bestiegen zu werden, eben anpassen muss. Ob mit Tränengas oder notorischem Fernbleiben von Orten, wo es dunkel ist oder wo halt Männer sind.

Wenn es in der Verantwortung der Frauen liegt, nicht vergewaltigt zu werden, bedeutet das zu Ende erzählt aber auch: jedes Vergewaltigungsopfer ist eine Versagerin, die sich nicht nur nicht öffentlich beklagen darf über die Gewalt, die ihr angetan wurde, sondern auch online durch Häme bestraft werden muss für ihre Unfähigkeit, sich nicht besser vor Übergriffen geschützt zu haben.

Das Kollektiv

Diese DARVO-Taktik als Reaktion auf das Publikmachen von Gewalt will die Perspektive der Opfer entwerten und die Systematik dieser Vorgänge verschleiern. Erst durch das Kollektiv von Frauen, die über Weinstein und Cosby ihr Schweigen gebrochen haben, erst mit der Menge der Frauen, die über die Vorgänge im Hause Springer im Podcast „Boys Club“ und bei Anja Reschke berichteten, erst durch die etlichen Erfahrungsberichte über Frauen beim Rammstein-Konzerten konnten die Muster sichtbar gemacht werden.

Jede Online-Misogynie, die Betroffene zum Schweigen bringen und sie für ihr öffentliches Raumeinnehmen sanktionieren will, verhindert das Aufdecken der Strukturen und trägt dazu bei, dass es neue Opfer geben wird. Es war eine einzige Frau, die den ersten Dominostein umwarf und es damit anderen Frauen leichter machte, über ihr Erlebtes zu sprechen. Naiv waren nicht die jungen Frauen, naiv ist der Sänger, der glaubte, er kann ewig so weitermachen.

 

25 Kommentare

  1. Das sind hier mal ausnahmsweise zwei Dinge – natürlich kann eine Frau wissen, dass es bei diesen Partys um Sex gehen soll, und trotzdem hingehen. Aber die hätte eher _weniger_ Grund, mit KO-Tropfen zu rechnen als im Club, was die Heimtücke der mutmaßlichen KO-Tropfen tatsächlich verschlimmert.
    Andererseits hat natürlich auch eine Frau, die unwissentlich auf der Party landet, keine „Mitschuld“, wenn man sie dort vergiftete.

    Zum Glück werden solche Vorwürfe nicht von Twitter geklärt.

  2. #1
    Ich werde nur diesen einen Kommentar dazu schreiben, weil ein Diskussion mit Mycroft für mich eh unmöglich ist:
    „Die Phrase „Me too“ (deutsch „ich auch“) geht auf die Aktivistin Tarana Burke zurück und wurde als Hashtag durch die Schauspielerin Alyssa Milano populär, die betroffene Frauen ermutigte, mit Tweets auf das Ausmaß sexueller Belästigung und sexueller Übergriffe aufmerksam zu machen. Seitdem wurde das Hashtag millionenfach genutzt und weltweit eine breite gesellschaftliche Debatte angestoßen.“ [ wiki ]

    Solche Vorwürfe werden häufig gar nicht geklärt.

    Dass es seit #MeeToo es etwas weniger häufig geworden ist, begann auf Twitter. Die Beweislast ist hoch und das hat sicher auch gute Gründe. Es bedeutet aber auch, dass Vorwürfe, die diese Schwelle nicht schaffen, immer unbegründet waren.

    Es scheint also so, als müssten die Opfer noch lernen, sich zu beklagen und sei ein niedrig schwelliges Medium da eine Hilfe.
    Ganz anders die Täter. Bei den seitdem überführten war noch keiner dabei, der Probleme damit hatte, sich zu beklagen und zu jammern.
    https://www.freitag.de/autoren/oezge-inan/rammstein-vorwuerfe-lindemann-und-die-druebersteher

  3. oh damned:
    „Es bedeutet aber auch, dass Vorwürfe, die diese Schwelle nicht schaffen, immer unbegründet waren.“

    „Es bedeutet aber auch NICHT …“ sollte es natürlich heissen.

    Ärgerliche Schlamperei meinerseits.

  4. “Die Tatsache, dass im Fall Lindemann mutmaßlich Alkohol, Kokain und angeblich auch K.O.-Tropfen im Spiel waren, …”
    Tatsache ist Tatsache und mutmaßlich ist mutmaßlich. Beides zusammen passt schlecht in eine Argumentationskette.

  5. Wieder was gelernt: DARVO Prinzip!
    In der FAZ hat sich Reinhard Müller auf seine Art dem Thema angenommen.
    Auch da braucht man man eine extra Portion Blutdrucksenker wenn solche Journalisten sich ex cathedra über Lebenswirklichkeiten auslassen, die sie nicht im Ansatz kennen. Das spiegelt die gemeinhin gesellschaftliche verbreitete Einstellung wider, wie sie Samira El Ouassil hier beschreibt.

  6. Danke für den guten Artikel!

    ich möchte hier einfach nur nochmal betonen, wie absurd und unreflektiert die Einstellung ist, das erwählte Idol wäre in allen Belangen ein super toller Übermensch. Bei solchen Ausnahmetalenten wie Till Lindemann ist das häufig sehr extrem ausgeprägt.
    Nur weil diese Person eine oder mehrere bewundernswerte Fähigkeiten besitzt, ist sie gleich über jegliche Zweifel erhaben.

    Ich habe selbst Situationen erlebt, in denen sich erst angedeutet und dann bewahrheitet hat, dass ein geliebtes Vorbild/Künstler sich als asoziales Arschloch herausgestellt hat.
    Kinski als bestes Beispiel.
    Aber solche Infos haben sofort jeglichen Sympathiebonus der Person zunichte gemacht.

    Aber die meisten Fans von großen Künstlern leben doch in einer Traumwelt was das Idol betrifft. Jegliche Kritik und Vorwürfe werden als Angriffe auf das Idol angesehen und dann muss er/sie natürlich verteidigt werden.

    Aber das Hauptproblem bei dem Thema ist einfach immer noch der Frauenhass, egal in welcher Form und wie stark ausgeprägt.
    Ich habe erst neulich einen Artikel gelesen welcher aufzeigt, dass Gewalt gegen Frauen seit einigen Jahren wieder deutlich steigt. Anscheinend gibt es sogar Zusammenhänge zwischen mehr Sichtbarkeit und Rechte für Frauen, und die steigende Gewalt gegen Frauen. Was ja auch erstmal widersprüchlich erscheint.

    Aber ich sehe auch hier ein anderes Problem welches, mindestens ein Großteil des oben genannten Problems bedingt wenn nicht eine der Wurzeln ist: Die fehlende Empathie in unserer Gesellschaft.

  7. Ach? Im Rock`n Roll geht um Sex? Man frage mal alte Herren wie Keith oder Mick, wie lang die Schlange der Interessentinnen ist, die Sex mit ihnen wollten. Da geht es nicht um Schuld, oder Opfer, sondern um JA oder Nein. Bei einem Ja von beiden Seiten ist doch wohl alles okay, inkl. blauer Flecken. Soll beim Sex vorkommen. Bei einem nicht gehörten Nein ist ungewollte Gewalt im Spiel und dann ist es eine Straftat. Dumm nur, das gerade in dieser Szene Drogen die Sinne und Verstand auf allen Seiten vernebeln. Dann entstehen Graubereiche, die auch mit struktureller Gewalt nur bedingt erklärt werden können. Wer mal betrunken oder mit anderen Drogen Sex hatte, dürfte wissen, wovon ich schreibe.

  8. Zu 8

    Vielen Dank für das direkte Beispiel für die fehlende Empathie.
    Und weiter ist es Metal und kein Rock’n’Roll. Und um Sex geht es in einigen Liedern aber in allen Genres.

  9. Ich finde, in einer einigermaßen funktionierenden Welt würden solche Dinge zuallererst und ausgiebig von Polizisten, Medizinern und vielleicht Anwälten und Psychologen behandelt. Und zwar so lange, bis einigermaßen Klarheit herrscht und dem Opfer die nötigste Hilfe zukam.
    Erst dann sollten Presse bzw. Medien ins Spiel kommen.
    Im vorliegenden Fall hat offenbar die litauische Polizei versagt, das macht es weniger eindeutig.
    Für mich hat es sonst immer einen eigenartigen Geschmack, wenn so etwas zuerst durch die mediale Öffentlichkeit gescheucht wird. Geht es hier nicht auch um Macht? Oder funktionieren die Behörden in Europa so schlecht, dass man sie gleich überspringt?

  10. #10
    Was wäre der Aufstand der Frauen im Iran ohne Twitter?
    Was wäre aus dem arabischen Frühling geworden, ohne Twitter?
    Und das Ergebnis von bspw. der #MeToo Bewegung zeigt, auch in der westlichen Welt funktionieren die Behörden nicht in einem Maße, dass sich durch diese allein etwas ändern würde.
    Die Opfer, die sich jetzt melden, hätten nichts von einander erfahren, die Strukturen wären nicht transparent geworden.
    Für einen alten, übergewichtigen Sänger werden sehr sehr junge Frauen systematisch gecastet und diesem zugeführt.
    Schon allein das kann man als widerlich werten und skandalisieren und es gibt nach den Recherchen und der Entlassung der „Castingdirectrice“ wohl wenig Zweifel daran.
    Erstmal nicht justiziabel, aber ekelhaft.

    https://www.iheartradio.ca/news/quebec-festival-claims-rammstein-asked-for-help-to-recruit-female-fans-1.19755976

    Ja, es gibt ungerechtfertigte Missbrauchsvorwürfe. Sie sind aber Untersuchungen nach sehr selten.
    Es gibt auch Frauen die missbrauchen. Aber zu 99% sind es Männer und von dem restlichen Prozent sind ein Teil der Frauen auch Helferinnen von Männern, die vergewaltigen.
    Vergewaltigungsopfer trauen sich weit überwiegend nicht, die Tat anzuzeigen, auch weil sie keine Hilfe von den Behörden erwarten.

    Es braucht also diese mediale Empörung, weil wir nicht in einer idealen Welt leben.
    Bei weitem nicht.

    Ambiguitätstoleranz. Mal wieder. Neben all dem Schutt in den „sozialen Medien“ liefern sie auch Chancen, die es anscheinend dringend braucht.

  11. Okeee, jetzt bin ich neugierig.
    „Für einen alten, übergewichtigen Sänger werden sehr sehr junge Frauen systematisch gecastet und diesem zugeführt.
    Schon allein das kann man als widerlich werten…
    Erstmal nicht justiziabel, aber ekelhaft.“
    Bis zu welchem Alter und BMI wäre das denn nicht widerlich und ekelhaft? Oder wie alt müssten die Frauen mindestens sein, um das zu kompensieren? Ich frage nicht nur aus Interesse, sondern auch für die Kaulitz-Brüder.

    „Es gibt auch Frauen die missbrauchen. Aber zu 99% sind es Männer…“ Jaa, ist das jetzt ein Narrativ, oder gibt es dazu Quellen?

  12. Es gibt da so eine Erfindung namens Google.

    PKS 2019:
    Tatverdächtige nach Alter und Geschlecht
    Kinder unter 14 männlich 86, weiblich 4
    Jugendliche 1423 männlich 1077, weiblich 6
    Erwachsene ab 23 männlich 6087, weiblich 73

    Bekommen Sie das alleine hin?

    „Bis zu welchem Alter und BMI wäre das denn nicht widerlich und ekelhaft?“

    Sie müssen das gar nicht ekelhaft finden. Ich erwarte von Ihnen da rein gar nichts. Im wahrsten Sinne.
    Es mag ja auch junge Frauen geben, die ein Faible für das leicht angeranzte haben. Da hätte aber auch niemand solche Rekrutierungsmethoden nötig.
    Weltkulturerbe Rock’n Roll Backstage-Orgien, it’s Boomer Heaven.

  13. Zahlen aus einer pdf Tabelle kopieren kann ich also auch nicht.

    Kinder unter 14. m = 86 w = 2
    Jugendliche 14 bis 18 m = 845 w = 13
    Heranwachsende 18 bis 23 m =1077 w = 6
    Erwachsene ab 23 m = 6087 w = 73

  14. #11 (Kommentar auf meinen Kommentar):
    Natürlich kenne ich diese Argumentation, es geht mir gar nicht darum, die Bedeutung der Medien herunterzuspielen.
    Nur: Wenn Behörden wirklich so schlecht arbeiten, dass sie solche Dinge nicht ordentlich untersuchen/bestrafen, wäre das der eigentliche Skandal, über den viel mehr zu berichten wäre.
    Es geht ja hier nicht nur darum, ob sich ein alternder Rocker noch schlechter benimmt, als man dies von einem solchen erwarten darf. Sondern um handfeste Vorwürfe wie K.O.-Tropfen und besagte Rekrutierungsmethoden, die m.E. sicher justiziabel wären, wenn die Aussagen so stimmen.

  15. „Es gibt da so eine Erfindung namens Google.

    PKS 2019“
    Mein lieber Herr Gemein! Wir diskutieren doch gerade das Problem, dass viele (möglicherweise sogar: die meisten oder fast alle) Opfer nicht zur Polizei gehen, weil sie befürchten, dass die sie nicht ernst nimmt. Bzw., dass Opfer zur Polizei gehen und tatsächlich nicht ernst genommen werden.
    Die Polizeistatistik bildet demnach nur ab, was der Polizei trotzdem zur Kenntnis gebracht UND von dieser ernst genommen wurde, und ist daher äußert bias-belastet und nicht repräsentativ. Aka: das Narrativ der Polizei.

    „Sie müssen das gar nicht ekelhaft finden.“ Ich weiß, aber da sie ihr eigenes Ekelempfinden in die Diskussion eingebracht haben, scheinen Sie es ja für relevant zu halten, und dann ist die Frage gestattet, wie dieses definiert sei.
    Es gibt übrigens auch Leute, die Tequila ekelhaft finden, und trotzdem kein moralisches Argument daraus machen.

  16. Vor allem dann das häufig und auch hier von #8 behauptete (sinngemäß) „ist doch gang und gäbe“. Nein. Siehe folgend aus Frank Gemeins Link #11:

    „Gélinas said during the Rammstein concert, the band’s team showed up at the festival’s corporate box near the stage “to see if there were any girls” but were told to leave. “We had never seen that. It never happened for other artists,” Gélinas recalled. “Employees were outraged.”

  17. „Vor allem dann das häufig und auch hier von #8 behauptete (sinngemäß) „ist doch gang und gäbe“.“
    Das ist ja nicht das Argument, oder höchstens das halbe.
    Das ganze Argument wäre: „Es kommt derartig häufig vor, dass man das Wissen um Groupiepartys voraussetzen kann.“, in Bezug auf die Frage, ob bereits die _Einladung_ unter Irreführung erfolgte.

    Das weiterführende Argument ist, ob solche Partys auch ohne KO-Tropfen o.ä. illegal wären, und das sind sie halt nicht, egal, wie häufig sie sind. (Wobei man natürlich auch nur mit Tequila so betrunken werden kann, dass Sex den Tatbestand der sexuellen Nötigung erfüllt.)

  18. Boomer-Incels feuchte Träume von jungen Dingern die auf dicke Opas stehen.
    Kannste dir nicht ausdenken. Zumindest muss da wohl extrem nachgeholfen werden.
    In welcher Form wird hoffentlich aufgedeckt.

    Und dann heisst es Till Weinstein Lindemann muss sein Disneyland mit Böllern runterfahren. Wäre auch Zeit, dass die Band mal eine 2. Platte hinbekäme, einen 2. Song.

  19. Ja, ich denke, das Thema ist durch. Man kann eigentlich ausschließen, dass Frauen freiwillig Sex mit einem Mann haben, der älter und dicker als Frank Gemein ist, und außerdem einen schlechteren Musikgeschmack hat, also ist Lindemann schuldig, weil er hässlich ist.

  20. Deutschlandfunk-Redakteur Jürgen Zurheide wäre auch ein gutes Beispiel für diesen Artikel. Im Interview mit Familienministerin Lisa Paus stellte er zunächst klar, dass diejenigen, die zu so einem Konzert gehen, den Korridor der bürgerlichen Ästhetik verlassen haben: „Eine Band, ja, da möchte ich sagen, die nach den Kriterien des guten Geschmacks weit über die Kante sind. Da geht es viel um Gewalt, Sex, Pornographie.“ Dann verpackt er die Schuldumkehr geschickt in diese Frage: „Was müssen wir jungen Frauen mitgeben, damit sie selbstbewusster damit umgehen, sich nicht einfangen lassen?“ Dieses Framing hat Lisa Paus dann übrigens sofort zurückgewiesen.

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