Über Bilder (4)

Superdoğan, ein bisschen weniger überlebensgroß

Fotos schreiben Zeitgeschichte, wir schreiben über Fotos. Welche Nachrichtenbilder hinterlassen Eindruck? Wie wirken sie und warum? Wie viel ist inszeniert und von wem? Hendrik Wieduwilt analysiert für uns regelmäßig seine Auswahl des Monats.


Ein großes Banner des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan hängt an der Fassade eines Wohnhauses in Istanbul
Foto: Imago / Maxim Durnev

Es gehört zur visuellen Signatur von Autokratien, dass ihre Herrscher sich auf Fotos in Szene zu setzen wissen. Das gilt auch für den alten und neuen Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan. Sein Konterfei wurde schon bei der vergangenen Wahl gern groß, im Halbprofil und leicht von unten fotografiert – so weit, so erwartbar.

Doch der Autokrat verhält sich in einem Punkt anders, intelligenter als Diktatoren etwa in Nordkorea oder Turkmenistan: Als die Türkei vom Erdbeben erschüttert wurde, habe Erdoğan angeordnet, weniger großformatige Bilder von sich aufzuhängen, berichtet Nicolas Righetti bei Swissinfo. „Normalerweise ist ein Wahlkampf eine eher fröhliche Angelegenheit, aber seit dem schrecklichen Erdbeben Anfang Februar hat er sich etwas Ruhigeres, Zurückhaltenderes gewünscht.“ Der Genfer Fotograf hat für die „Washington Post“ aus der Türkei berichtet und jetzt einen Bildband über die Bildpropaganda veröffentlicht: „Superdoğan“.

Fotos waren und sind ein wichtiges Werkzeug für Erdogan. Nach dem Erdbeben besuchte der Präsident die Baustelle für ein neues Krankenhaus in Hatay, im Süden der Türkei. Ein lokaler Journalist, Seyfettin Uygun, habe allerdings daraufhin enthüllt, dass diese Baustelle eine Fälschung sei, ein „potemkinsches Dorf“ für ein gutes Foto, wie Emre Kızılkaya vom International Press Institute berichtet. Uygun erhielt daraufhin Morddrohungen.

In sozialen Medien trägt Erdogan seit dem ersten Mai übrigens eine Pilotenuniform, samt Sonnenbrille.

Es ist der letzte Teil der seit dem Putschversuch im Jahr 2016 erstarkten Erzählung, die Türkei befinde sich im Überlebenskampf. Im Jahr 2002 hatte Erdogan noch versprochen, die Rolle des Militärs in der Türkei zu minimieren. Jetzt feiert die staatsnahe Presse Bilder eines gerade geborenen, noch vernabelschnürten Babys, das einen militärischen Gruß zu zeigen scheint.


Der König Midas der Politfotografie

Menschen, die nicht gern fotografiert werden, begründen das meist damit, dass sie „auf jedem Bild schrecklich“ aussähen. Es ist ein Gefühl, dass der Bayerische Ministerpräsident Markus Söder nicht kennen dürfte: Er ist der König Midas der Politfotografie, jedes Foto mit ihm wird zu Gold. Auf die unangenehme Art hat das Tschechiens Ministerpräsidenten Petr Fiala erfahren, als er auf dem roten Teppich Söder die Hand gab: Es sah aus, als gratuliere Söder dem Gewinner einer Tombola.

Das Nussknackerlächeln trägt an diesem Eindruck noch die geringere Schuld. Die Körperhaltung zeigt schon mehr: Fiala muss sich leicht neigen, Söder hat ihn vor seinen Körper gezogen, ein Klassiker des Dominanzverhaltens beim Händegeben.

Doch das Entscheidende ist ein anderes Detail, nämlich Söders Hand: Hände kommunizieren auf Fotos fast so sehr wie Gesichter – und beim Händeschütteln gilt das erst recht. Wohin die Handfläche weist, entscheidet über den Charakter einer Geste. Handfläche nach unten: Dominant, vielleicht sogar herablassend. Handfläche nach oben: Einladend. Söder drückt die Hand von oben – wer so die Hand gibt, behält auch bildlich die Oberhand.


Handschläge, die Geschichte schreiben

Wie es anders aussehen kann, zeigen Handschläge zwischen Wolodymyr Selenskyj und Olaf Scholz. Etwa hier, im vergangenen Jahr. Selenskyj, zu dessen Oberarm-Workout zweifellos das Verbiegen von Panzerrohren gehört, jedenfalls gehören muss, verneigt sich mit Höflichkeitsabstand.

Bild des Tages: Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj treffen sich.

Ebenso war es im Mai, als Scholz Selenskyj mit militärischen Ehren empfing: Selenskyj dreht sich ein wenig ein.

Insgesamt bleibt Scholz auf Abstand …

… zumal, wenn man die Begegnung Selenskyjs mit dem britischen Premier Rishi Sunak vergleicht.

Die Geschichte ist voll von Beispielen, in denen Journalisten die großen machttektonischen Verschiebungen durch Begrüßungen, Begegnungen und besonders die Hände illustrieren. Donald Trump etwa war berüchtigt für eine vermeintlich zum freundlichen Handschlag einladende, nach oben zeigende Handfläche – er zog sie dann stets wüst an sich. Dem kanadischen Premier Justin Trudeau gelang ein Achtungserfolg, weil er sich diesem Trick gezielt entzog.


Die Finger der Macht

Manchmal braucht es nicht einmal die ganze Hand – es reicht sogar ein mächtiger Finger. Die FAZ-Fotografin Barbara Klemm sprach in diesem Monat über eine von ihr eingefangene Szene zwischen Leonid Breschnew und Willy Brandt: Der Generalsekretär der KPdSU berührte mit dem Finger den deutschen Bundeskanzler – es sieht nach einer ernsten, angespannten Situation aus, aber es ging nur ums Mittagessen.

Doch das Private ist das Politische, vor allem im Kalten Krieg, das gilt auch für Gespräche übers Essen. Als Richard Nixon in einer leicht absurd wirkenden Küchenumgebung mit dem Finger in die Brust von Nikita Chrustschow piekste …

… wurde das Bild der Küchen Debatte zum Symbol für seine Standhaftigkeit gegenüber den Sowjets.

Später jedoch erzählte der Fotograf Elliot Erwitt, dass es bei dem Gespräch angeblich nur um Kohlsuppe und rotes Fleisch ging. Da das Foto dennoch eine gewaltige erzählerische Wucht entwickelte, war später von einem durch Nixon „gestohlenen“ Foto die Rede.

Doch war die Geschichte vom standhaften Nixon das Resultat geschickter Schnappschuss-PR? Wer Erwitts Arbeit kennt, weiß, dass er ein humorvoller Mensch ist. Es ging in dem Moment vielleicht wirklich um Kohlsuppe und Fleisch, aber manchmal zeigen sich die großen Konflikte ja in den ganz kleinen Scharmützeln.


Kleine Foto-Nachrichten

AfD, Amnesty und die Versuchungen der KI-„Fotografie“: Amnesty International hat KI-generierte Fotos für die eigene Kommunikation verwendet – und sich damit ohne Not unlauterer Methoden bedient, die man bislang vor allem von der AfD kannte.

Obama und Osama: Zu den historischen Fotos dieses Jahrhunderts gehört das Bild aus dem Situation Room, als Osama Bin Laden getötet wurde. Nun hat die „Washington Post“ 900 Fotos dieses Tages herausgeklagt und 23 der Bilder präsentiert – und notiert zudem, dass der Präsident durchaus zu Scherzen im Angesichts einer Leiche in der Lage ist.

Als Hendrik Wüst einmal Friedrich Merz södern wollte: In der CDU brach vor einigen Wochen ein kleiner Fotomachtkampf aus: Hendrik Wüst, einer der Männer, die sich in der Partei für Kanzlermaterial halten, wollte den Vorsitzenden per Foto kleinmachen. Auf einem Werbebildchen für eine Regionalkonferenz war Merz zunächst nur klein am Rand zu sehen, erst nach einem Anruf aus Berlin, so berichtete es der „Spiegel“, sei er in die erste Reihe gerückt.

Die Technik kennt man von Markus Söder: Der Bayer hat durch geschickte Bildauswahl mehrfach seinen damaligen Konkurrenten Armin Laschet gedemütigt.

Obwohl – womöglich überschätzen wir König Midas auch. Laschet scheint auf nahezu jedem Bild die Pointe zu sein. Der Mann, über den wir schrieben, er sei „ein Bild von einem Kandidaten“, wurde im Mai Kommandeur der französischen Ehrenlegion. Es entstand dieses Bild:

Er kann es also noch – wir gratulieren recht herzlich!

1 Kommentare

  1. Armer Armin, er hat wirklich ein Talent für missratene Fotos. Selbst mit einem Orden der Ehrenlegion sieht er aus wie ein sehr nervöser Karnevalsprinz.

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