Seit zehn Jahren begleitet der „Topf voll Gold“ kritisch das Treiben der Klatschpresse und verfügt inzwischen über ein riesiges Archiv. Mehr über Michael Schumacher gibt es unter anderem hier und hier und hier.
So skrupellos macht „Die Aktuelle“ Geld mit Michael Schumachers Krankheit
Für „Die Aktuelle“ ist Michael Schumachers Krankheit seit seinem Unfall vor zehn Jahren nichts, weshalb man empathisch sein müsste oder rücksichtsvoll, im Gegenteil: „Die Aktuelle” schlachtet Schumachers persönliches Schicksal seit Jahren systematisch zum eigenen Vorteil aus. Sie hat aus Lügen über seinen Gesundheitszustand ein Geschäftsmodell gemacht.
Ende 2013 verunglückte Schumacher, der frühere Rennfahrer, beim Ski-Fahren. Seither ist er nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten, seine Familie gibt auch keine Auskunft darüber, wie es ihm geht. Sie möchte seine Privatsphäre schützen und bittet, das zu respektieren.
Aber, pfff.
Klatschblätter wie „Die Aktuelle“, und gerade „Die Aktuelle“, pfeifen darauf und arbeiten mit Verdrehungen, Erfindungen, Lügen und irreführenden Schlagzeilen, die besonders beim flüchtigen Blick am Kiosk verfangen. Wer näher hinliest, wird feststellen: Von den angeblich so spektakulären Neuigkeiten auf den Titelseiten bleibt innen so gut wie gar nichts übrig. Und selbst wenn es stimmte, was vorne draufsteht: Wen geht Schumachers Intimsphäre etwas an, außer Schumacher und sein engstes Umfeld?
Gerade erst kündigte „Die Aktuelle“ auf ihrer Titelseite „Das erste Interview!“ mit Michael Schumacher an, eine „Welt-Sensation“! Im Heft steckten dann erfundene Antworten einer Künstlichen Intelligenz (KI) und „Die Aktuelle“ spekulierte, ob es wohl Schumacher selbst oder jemand aus seinem Umfeld gewesen sein könnte, der die KI mit privaten Infos gefüttert hat. Seine Familie will gegen die Veröffentlichung nun juristisch vorgehen, wie uns Schumachers Management auf Nachfrage bestätigt hat.
Zufälle, Prophezeiungen
Bereits im Sommer vorigen Jahres hatte „Die Aktuelle“ gemutmaßt, Schumacher könnte sich irgendwann wieder äußern: „Unser Schumi wird zu uns sprechen?“, schrieb das Blatt. „Das hätte keiner mehr zu träumen gewagt!“ Als Kronzeuge der Hoffnung ließ „Die Aktuelle“ unter anderem Formel-1-Funktionär Bernie Ecclestone (91) auftreten, der gesagt haben soll, wenn es Schumacher besser gehe, werde er „alle Fragen beantworten“.
Auf dem Titel der Ausgabe groß zu sehen: Schumacher, lachend, natürlich ein Archiv-Foto; kleiner daneben: seine Frau Corinna, auch lachend. Überschrift: „Familie Schumacher: Im Juli endlich zurück im Leben!“
Also alle, auch Michael? Nein.
Auf der Internetseite ihrer Ranch hatte Corinna Schumacher (nach einer Corona-Pause) zu einem Reitturnier eingeladen, deshalb „zurück im Leben“. Und „Die Aktuelle“ raunte: „Ist es Zufall, dass sich just nun Formel-1-Freunde von Michael Schumacher äußern?“ Das ist so die Art, wie das Klatschblatt aus jedem noch so zufälligen Zufall eine Prophezeiung macht.
Es ist ein schmieriges Geschäft, aber kein schwieriges; es braucht dafür nicht viel. Vor allem braucht es ein erhebliches Maß an Skrupellosigkeit, derart mit der Krankheit eines Menschen Auflage zu machen.
Anfang 2014 etwa, wenige Monate nach Schumachers Unfall, titelte „Die Aktuelle“ unter einem (alten) Foto von Schumacher und seiner Frau Corinna: „Aufgewacht!“ – aber dann ging es laut der (kleineren) Unterzeile gar nicht um Schumacher, sondern um irgendwelche Menschen, die berichteten, „wie es ihnen erging, als sie aus dem Koma aufwachten“.
Ende 2015 titelte „Die Aktuelle“ über Michael Schumacher: „Traurige Weihnachten – Es ist Zeit loszulassen …“ – als läge er im Sterben. Dabei ging es nur um alte Zitate und Gerüchte, die zum Abgesang verrührt wurden.
Drei Ausgaben später schmierte „Die Aktuelle“ großflächig aufs Cover: „Abschied von der Hoffnung! – Was bleibt ist die Liebe und die Erinnerung“. Es musste immer mehr so aussehen, als ginge es zu Ende mit Schumi, nun aber wirklich. Dabei verstieg sich „Die Aktuelle“ im Innenteil (offenbar, wohl, wie es scheint) in Spekulationen:
„Überall scheint der letzte Funken Hoffnung zu erlöschen. War alles Beten und Hoffen umsonst? Es macht unendlich traurig, dass immer mehr Menschen Schumi offenbar aufgegeben haben. Seine Familie wird das wohl auch schmerzlich spüren. Es wird immer schwerer, an Genesung zu glauben. Die Zeit der Entscheidung rückt näher, sich zu fragen, ob man selbst noch hoffen kann. Wenn die Kraft fehlt, noch an ein Wunder zu glauben, bleibt nur noch die Liebe und die Erinnerung.“
Uäh.
Anfang 2016 konnte man dann beim Blick auf das Cover annehmen, Schumacher sei nun tatsächlich verstorben: „Er ist nicht mehr unter uns!“, stand da groß als Zitat, ein „Insider“ hatte das angeblich gesagt. „Die Aktuelle“ fragte, geradezu unverschämt fordernd: „Wann bricht die Familie endlich ihr Schweigen?“ und heuchelte im Text, es sei „verständlich, dass Corinna und die Kinder mit ihrer Trauer zunächst allein sein wollen“.
Wahrheitsgehalt: null.
Das Zitat auf dem Titel stammte aus einem französischen Magazin, gesagt hatte es ein französischer Rennfahrer und Moderator. Unklar blieb, in welchem Kontext. Sehr wahrscheinlich im Sinne von: nicht mehr beteiligt am aktiven Leben, etwa an Rennen der Formel 1. Aber definitiv nicht im Sinne von: tot. Doch genau mit diesem Gedanken beim Blick auf das Cover spielt „Die Aktuelle“ ihr perfides Spiel.
Mal sind es angebliche Horrornachrichten, die das Klatschblatt verkündet, mal will es irgendwie Hoffnung verbreiten. Meist ist es einfach heiße Luft.
2016 etwa stand auf dem Titel: „Sensationelle Nachrichten! Ist das wirklich wahr?“ – und groß: „Er guckt Fußball … und fiebert für Deutschland mit“. Das behauptete jemand, der es von jemandem gehört haben wollte, der angeblich bei Schumachers ein und aus ging.
Oder, ein paar Monate später: „Er hat eine SMS verschickt!“ (Überraschung auch hier, aber das erfuhr man erst im Innenteil: Er hatte die SMS vor seinem Unfall verschickt.)
Oder, schon 2014: „Was für ein Glück! – Er sitzt in der Sonne!“, das war auch auf dem Titel zu sehen. Kaum zu sehen hingegen: der kleine Hinweis daneben. „St. Moritz 26.1.2013“, also wieder vor Schumachers Unfall, da saß er noch in der Sonne.
Die hochseriöse Funke-Mediengruppe
Seit Jahren geht Schumachers Familie juristisch gegen Medien vor, die falsche und irreführende Geschichten bringen, auch gegen „Die Aktuelle“ – was aber in der Regel nicht dazu führt, dass diese Medien Ruhe geben. Es ist vielmehr eingepreist: Erst mal wird etwas gedruckt, damit es verkauft werden kann, und beschwert sich jemand, werden die Passagen aus dem ePaper gelöscht. Aber wer liest diese Blättchen schon digital? Und wenn die Verlage mal verdonnert werden, eine Entschädigung zu zahlen (wie bei Schumacher etwa „Bunte“), tut ihnen das nicht wirklich weh.
Herausgegeben wird „Die Aktuelle“ von der Funke-Mediengruppe in Essen, die unter anderem auch die Regionalzeitung WAZ, die „Berliner Morgenpost“ und das „Hamburger Abendblatt“ vertreibt und sich als seriöses Medienhaus versteht. Oder wie es in der Eigenwerbung heißt:
„Die FUNKE MEDIENGRUPPE ist auf dem Weg, das beste Medienhaus in Deutschland zu werden.“
(Es ist allerdings ein langer Weg, und da, wo „Die Aktuelle“ am Wegesrand rumlungert, ist es sehr, sehr schmutzig. Man muss aufpassen, da nicht in irgendeinen Haufen zu treten.)
Funke-Verlegerin Julia Becker lässt dennoch keine Gelegenheit aus, öffentlich für qualitativ hochwertigen Journalismus einzutreten, dabei verantwortet sie ja auch, was „Die Aktuelle“ verbricht. Vor drei Jahren sagte Becker auf die Frage, was Medien tun können, „um Rücksichtnahme füreinander und Solidarität in der Gesellschaft zu fördern“:
„Ganz wichtig ist natürlich unsere […] erste Priorität: Dass wir den Menschen wirklich die Wahrheit nach Hause liefern. Also Fakten statt Fake News.“
Mit seiner angeblichen „Sorgfaltspflicht“ und „Faktentreue“ wirbt der Verlag auch, und angeblich gibt es in der Funke-Mediengruppe „klare Richtlinien“, die den Regenbogenblättern des Hauses helfen sollen, keine „echten Falschmeldungen“ zu produzieren. Aber vielleicht liest die einfach niemand.
Die Yellow Press, sagte Funke-Pressesprecher Tobias Korenke neulich dem „PR-Report“, erfülle „eine wichtige gesellschaftliche Funktion“, es gebe „ein Recht auf Gegenwelt“, gerade in Krisenzeiten wie diesen. Kritik an diesen Blättern und ihrer Arbeitsweise kann Korenke nicht so richtig nachvollziehen, im Gegenteil: Er halte, sagte er noch, „die in Deutschlands Bildungselite verbreitete Abwertung von Klatschblättern für überheblich“.
Nachtrag, 22.4.2023. Die Funke-Mediengruppe entlässt Anne Hoffmann, die Chefredakteurin von „Die Aktuelle“, mit sofortiger Wirkung, wie der Verlag in einer Pressemitteilung erklärt. Man bitte bei der Familie Schumacher um Entschuldigung für die Berichterstattung in der jüngsten Ausgabe: „Dieser geschmacklose und irreführende Artikel hätte nie erscheinen dürfen. Er entspricht in keiner Weise den Standards von Journalismus, wie wir – und unsere Leserinnen und Leser – ihn bei einem Verlag wie FUNKE erwarten.”
Anne Hoffmann war seit 2009 journalistisch verantwortlich für das Klatschblatt.
Der Autor
Boris Rosenkranz ist Gründer von Übermedien. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert, war „taz“-Redakteur und Volontär beim Norddeutschen Rundfunk. Anschließend arbeitete er dort für verschiedene Redaktionen, insbesondere für das Medienmagazin „Zapp“. Seit einigen Jahren ist er freier Autor des NDR-Satiremagazins „Extra 3“.
Was würden die machen, wenn Schumi mal wirklich stirbt?
„Dieser geschmacklose und irreführende Artikel hätte nie erscheinen dürfen. Er entspricht in keiner Weise den Standards von Journalismus, wie wir – und unsere Leserinnen und Leser – ihn bei einem Verlag wie FUNKE erwarten.”
doch
zu 1#
Die Beerdigung kapern oder darüber „berichten“, wie schlimm es ist, dass die Familie sich gegen das Kapern der Beerdigung wehren muss, Sonderhefte mit den Highlights aus 30 Jahren „Berichterstattung“, Sammelbildalben seiner schönsten Erfolge, Sonderhefte mit rührenden Abschiedbriefs der Fans, Artikel über Schumi-Erscheinungen bei Hellsehern, Artikelserien über Blumenpflanzenstraßenwhatever, das Posthum nach Schumi benannt wird…
Diese Kuh wäre noch Jahrzehnte zu melken, sogar ohne Verleumdungsklage