Regenbogenpresse

Geschäftsmodell: Lügen über Michael Schumacher

Über die Klatschpresse wird hierzulande im Grunde nie gesprochen. Außer ihren Lesern, den betroffenen Promis und deren Anwälten schenkt diesen Zeitschriften kaum jemand ernsthaft Beachtung. In seriösen Medien tauchen sie nur in absoluten Ausnahmefällen auf. Sie ist kein Thema in Talkshows, Medienkritiker und Branchendienste umschiffen sie weiträumig, auch von Journalistenverbänden werden sie stillschweigend toleriert. Sind ja bloß die bunten Pillepalle-Blättchen.

So können die Regenbogenredaktionen in aller Regel völlig unbehelligt arbeiten und ihre Geschichten ohne viel Gegenwind verbreiten.

Geschichten wie die über Michael Schumacher.

Seit dessen Ski-Unfall vor drei Jahren erscheinen jede Woche neue Artikel über ihn und seine Familie.

Erst im Innenteil erfährt man: Verschickt hat er sie vor seinem Unfall.

Die Neuigkeiten: Corinna wird ein Reitturnier ausrichten.

Corinna hat eine Ausstellung eröffnet – und Schumi selbst konnte natürlich nicht dabei sein.

… behauptete jemand, der angeblich in Schumachers Nähe wohnt, denn er habe es angeblich von jemandem gehört, der auf dem Schumacher-Anwesen angeblich ein und aus gehe.

Kaku, ein amerikanischer Physiker, schreibt nämlich in einem seiner Bücher, er habe mal einen Wissenschaftler getroffen, der an einem Gerät arbeite, mit dem man Empfindungen von Trauma-Patienten auf einen Bildschirm übermitteln könne.

Weil er beim Spazierengehen gelächelt hat.

So geht das jede Woche. Auch vor Schumachers Kindern machen die Redaktionen keinen Halt. Als vor zwei Jahren Schumachers (zu dieser Zeit noch minderjährige) Tochter und ihr neuer Freund von Paparazzi erwischt wurden, druckte die Klatschpresse die Fotos ohne zu zögern – und schrieb auf ihren Titelseiten Dinge wie: „Das Wunder! Seine Familie im Glück!“

Als die Tochter im vergangenen Jahr ein Reitturnier gewann und kurz darauf mit ihrem Handy telefonierte – zack:

Denn:

Wen hat das junge Mädchen angerufen, wenn nicht den eigenen Vater, der leider nicht anwesend sein konnte?

Vor Kurzem machte diese Geschichte die Runde:

Und zwar hatten die Redakteure das Facebookprofil von Schumachers Tochter durchwühlt und dort dieses Video gefunden:


Also schrieben sie:

Nach außen hin wirkt Gina-Maria Schumacher gefasst. Seit Monaten heimst die 19-Jährige eine Medaille nach der anderen im Reitsport ein, gibt sich zielstrebig und fokussiert. Doch ist all das in Wahrheit nur Fassade? (…) Hat sie mithilfe des vermeintlichen Spaß-Videos vom stürzenden Skifahrer möglicherweise versucht, ihre Gefühle zu kanalisieren?

Und dann ließen sie Psychologen analysieren, was denn wohl in ihrem Kopf vorgehe.

„Unfassbar!“, fand auch „Die Aktuelle“:

Was hat sich Schumis Tochter nur dabei gedacht!? (…) Ob es einfach ihre Art ist, mit dem Erlebten umzugehen? Ob sie sich ganz bewusst das Recht herausnehmen wollte, über lustige Pannen im Schnee lachen zu dürfen – so wie alle anderen eben?

Dieses Recht wird ihr – wie viele andere Rechte – aber kurzerhand abgesprochen. Sie sei damit „zu weit gegangen“, urteilt „Die Aktuelle“, sie müsse „doch ein Gespür dafür haben, dass sie so etwas nicht machen kann. Weil die Familie bei diesem Thema nun mal vorbelastet ist …“

So entscheidet also die Klatschpresse über das, was Schumachers Kinder machen dürfen und was nicht. Sie dringt in ihr Privatleben ein, als wären sie selbst Personen des Zeitgeschehens, als wäre das alles Teil eines Spiels, das sie sich selbst ausgesucht haben.

Man kann nur erahnen, was das alles für Schumachers Familie bedeutet; wenn jede ihrer Bewegungen, jede Äußerung, jedes Lächeln gleich in eine „Tragödie“, einen „Skandal“ oder ein „Wunder“ verwandelt und millionenfach gedruckt wird; wenn sie permanent damit rechnen muss, dass intimste Details ihres Lebens auf den Titelseiten landen; wenn jedes noch so absurde Gerücht sofort verbreitet wird oder sich die Redaktionen einfach irgendwas ausdenken; wenn ihr vorgeworfen wird, sie wolle etwas „vertuschen“, obwohl sie bloß ihr Recht auf Privatsphäre in Anspruch nimmt.

Die Klatschredaktionen schicken auch immer wieder Reporter zum Anwesen der Schumachers, wo sie dann stundenlang rumlungern und versuchen, einen Blick hinein zu erhaschen oder irgendwen abzugreifen, der hinauskommt. Sie veröffentlichen Fotos, die mit Teleobjektiv vom anliegenden See aus aufgenommen wurden, weil am Ufer keine Sichtschutzmauern stehen. Sie drucken sogar detaillierte Luftaufnahmen des Anwesens – offenbar mittels Drohnen oder Helikoptern fotografiert – und verkünden dann stolz: „Private Einblicke – Sein geheimer Therapie-Alltag – So lebt er heute wirklich!“

Inzwischen, so schrieb es im vergangenen Jahr die „Süddeutsche Zeitung“, lägen deshalb Ferngläser im Haus, das Pflegepersonal sei angewiesen, immer wieder mal den See abzusuchen.

Die SZ hatte sich für ihren Artikel lange mit Schumachers Managerin Sabine Kehm unterhalten, auch über die Frage, ob man diesen ganzen Wahnsinn nicht eindämmen könnte, wenn sich Kehm detaillierter zum Gesundheitszustand Schumachers äußern würde.

Gäbe es den Klatschblatt-Irrsinn ohne das Schweigen? Sabine Kehm sagt, sie weiß nicht, ob es nicht doch einen besseren, vielleicht sogar leichteren Weg gäbe, sie hat darüber schon oft und lange nachgedacht und tut das noch immer, aber „momentan sehe ich keine Alternative“. Einmal sagen, wie es ihm geht, und damit Ruhe haben? „Jeder Satz ist doch der Auslöser für neue Nachfragen, jedes Wort ist Fanal für weitere Information. Es wäre nie Ruhe“, da ist sich Sabine Kehm sicher.

So wie vor knapp einem Jahr, als die „Bunte“ auf ihrer Titelseite behauptete, Michael Schumacher könne „wieder gehen“. Kehm dementierte umgehend – und schon gab es die nächsten Schlagzeilen: Tragödie! Er kann nicht laufen!

Mehrere Hundert Klagen hat die Familie seit Schumachers Unfall bereits eingereicht, doch das lässt die Verlage und Redaktionen völlig unbeeindruckt. Sie machen einfach weiter, gnadenlos, obsessiv – in einem Ausmaß, das man sich kaum vorstellen kann. Hier nur mal ein kleiner Ausschnitt aus den letzten drei Jahren:

So wird es weitergehen, Woche für Woche. Und die meisten seriösen Medien und die Journalistenverbände werden es weiterhin schweigend akzeptieren.

Sind ja bloß die bunten Pillepalle-Blättchen.

18 Kommentare

  1. So ist das eben, Einnahmen sind wichtiger als Menschenwürde. Und der Mist wird jede Woche tausendfach gekauft. Das Einzige, was die Erzeuger solcher Machwerke belehren könnte, wäre ein massiver Umsatzeinbruch. Aber der ist nicht zu erwarten, siehe meinen zweiten Satz.

  2. @ 1: Aber warum wird das gekauft? Die ganzen Ankündigen auf den Titelblättern werden im Heftinnern ja nie eingelöst. Wäre schön, wenn es irgendeine „Hermine B. (72)“ gäbe, die gleichzeitig Leserin dieser Hefte und von Übermedien ist. Dann könnte sie hier in den Kommentaren mal einen Hinweis geben, warum sie für die fortwährenden Enttäuschungen auch noch bezahlt.

  3. Man möchte die zuständigen Redakteure am Nacken packen und in ein Hundehäufchen tunken. Damit sie auch mal mit hochwertigerem Content in Berührung kommen.

  4. @2 Tobias:
    Ich habe mich aufgrund Ihrer Frage doch tatsächlich mal auf so ein Onlineangebot für die jüngere Zielgruppe begeben (und hätte jetzt gerne eine längere Dusche)…
    Hier mal ein willkürlicher Beitrag mit der Qualität und Masche der vergleichbaren Printmedien ( https://www.promiflash.de/news/2017/01/31/sebastian-deyle-darum-machte-er-vor-der-kamera-schluss.html)
    Der einzige Unterschied ist hier, dass man nicht dafür bezahlen muss. Wie die vielen „Seite kann nicht angezeigt werden“-Flächen auf meinem Bildschirm aber zeigen, wird dies durch Werbung gelöst.

    Aber auch hier kann man eben selbige Frage stellen: Warum liest man dies, wenn es komplett in eine andere Richtung führt?
    Vielleicht kann Ihnen hier mal eine jüngere Konsumentin die Frage beantworten.
    Sorry, ich bin es nicht, obwohl ich wohl noch gerade so in die Zielgruppe fallen würde. Aber falls Sie eine Antwort haben, es interessiert mich ebenfalls brennend.

    Hermine B. (72) wird sich wohl nicht so großartig mit dem Internet beschäftigen und sich vielleicht denken: „Ja, mei… die paar 79 Zzzent tuan ma ned weh und dann woas i wenigstens ‚etz dann scho was de Helene Fisher, de Caroline von Monacco und de Natasha Romanoff so treibn – schau mer amoa, was de Gitti dazu sagt, wenn ma uns beim Dallmayr auf an Kaffee treffn“ (In meiner Vorstellung ist Hermine halt aus München – falls ne Übersetzung nötig ist, liefere ich diese gerne nach).

  5. …was ich mich immer wieder frage: Wie machen diese „Erfinder“ das Wimperntuschieren oder Rasieren eigentlich morgens im Bad, so ganz ohne Spiegel?

  6. @Ekkehard, #5:
    Spiegel werden überbewertet.

    Ich kann mich erinnern, dass ich kurz nach dem Unfall eine Pressekonferenz mit seinen Unfallärzten gesehen; im Wesentlichen die Infos: Herr Schumacher hatte einen Unfall, ohne seinen Helm wäre er tot, wir haben ihn operiert, wir wissen nicht, wann er sich erholen wird, wir wissen nicht, wann wir es wissen werden. Details werden wir aus Respekt vor seiner Privatsphäre und der seiner Familie nicht sagen.
    Und ob das „wann“ eigentlich ein „ob“ sein muss, kam auch nicht so richtig raus.

    Warum man hart arbeitende Unfallärzte dafür antanzen lassen musste, anstatt einfach eine Pressemitteilung auszugeben, während die Ärzte sinnvolleres machen könnten, wie Menschenleben retten, ausschlafen oder mal mit dem Hund rausgehen, war mir damals schon merkwürdig.

  7. …erinnert mich an eine kurzzeitige Freundin vor einem Vierteljahrhundert, die für ein örtliches Wochenwerbeblatt schrieb und unbedingt nach Hamburg zu Springer wechseln wollte.
    Was aus ihr geworden ist? K.A.

  8. Ich kommentiere solche Artikel normalerweise nicht. Sie zu lesen, fällt mir schon schwer genug. Hier und heute mache ich mal eine Ausnahme, um den Chronisten der medialen Widerwärtigkeit meinen Dank für die Drecksarbeit auszusprechen, die sie hier und anderswo seit langem leisten.

    Sich über solche Blätter lustig zu machen, ist einfach. Etwas ganz anderes ist es, sie regelmäßig zu sichten, zu archivieren und thematisch zusammenzustellen – ich sehe da oben wohl an die 250 Titelblätter -, um zu zeigen, dass daran im Grunde nichts, aber auch wirklich gar nichts Lustiges ist.

    Mats Schönauer hat völlig Recht. Es ist in der Tat bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit wir das auf Verleumdung, Lug und Betrug basierende Geschäftsmodell der sogenannten Klatschpresse akzeptieren.

    Die Zurückhaltung mindestens halbwegs seriöser Medien ist wohl mit der äußerst sensiblen Pressefreiheit zu erklären (und damit, dass sie selbst Leichen im Keller haben). Der Versuch, dem Treiben mit rechtsstaatlichen Mitteln zu begegnen, wäre erst recht problematisch.

    Von daher müssen wir das wohl tatsächlich so hinnehmen. Umso wichtiger ist es aber, wenigstens ab und zu den Finger in die Wunde zu legen, die Verlogenheit in ihrem ganzen Ausmaß zu dokumentieren und damit als systematisch zu entlarven. Schon damit damit in den betreffenden Redaktionen nicht der Eindruck entsteht, es sei ganz normal und legitim, was sie tun.

  9. Was sollen die Journalistenverbände denn machen? Bei den Zeitschriften, die die erfundenen Stories über Schumacher veröffentlichen, sind ja wohl keine Journalisten tätig sondern nur übelste Schmierlappen!

  10. Ich finde es auch etwas einfach, seriöse Medien und die Leser für die Existenz, den Erfolg und die weitgehende Kritiklosigkeit an diesen Blätter mitverantwortlich zu machen.

    Es gibt Gesetze und es gibt den Presserat. So, nun muss man einerseits schauen, ob diese Blätter Gesetze brechen. Dann bestraft man sie, im härtesten Fall verbietet man sie. Gibt es solche Gesetze abseits der üblichen Vorgehen, dass in Einzelfällen Schadenersatz gezahlt werden muss? Keine Ahnung. Wenn ich sehe, dass ein Klattschblatt für den ganz, ganz rechten Rand (Compact) verkauft werden darf oder bis vor einiger Zeit der Landser verkauft wurde, vermutlich nicht. Zumindest scheinen Hürden für massivere Strafen sehr, sehr hoch zu sein. Wenn man solche Gesetze verschärft haben will, muss man sich an die Politik wenden. Und dann wünsche ich viel Spaß mit den „Pressefreiheit/Meinungsfreiheit um jeden Preis“-Vertretern.

    Aber dann gibt es ja auch noch den Presserat. Äh… Lassen wir das.

  11. Nun ja, die Familie Schumacher inkl. der „Managerin“ – was macht die eigentlich ? vermarktet Michael clever bei Facebook. Werbeklicks erwünscht. Deswegen ist die keinen Deut besser, als die Presse für Dummies. Was die Frau Kehm betrifft – es gibt genügend Beispiele auch aus der Promiwelt, wo clever und vernünftig mit Infos zum Gesundheitszustand umgegangen wurde. Siegfried und Roy zum Beispiel. Aber es gibt noch mehr davon.

  12. „Sie machen einfach weiter, gnadenlos, obsessiv – in einem Ausmaß, das man sich kaum vorstellen kann.“

    Watt dem een sien Trump, is dem annern sien Schumi …

    …oder ist das jetzt zu quer gedacht?

  13. @JOHN SNOW

    Hm, auf der Facebook-Seite sehe ich nur alte Fotos oder Fotos mit Verlinkung zu seiner Stiftung. Was für Werbeklicks werden da generiert? Selbst auf seiner Homepage gibt es nicht mal einen Merchandising-Shop o.ä. .

  14. So oft war er auf den Titelblättern der Zeitschriften in den letzten 3 Jahren. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.

  15. @11: Ernsthaft? Eigen-Vermarktung und jahrelanges Lügen und Erfinden auf dem Rücken eines Verunglückten sind für Sie gleich schlimm???

  16. dieser ganze Irrsinn wird erst dann aufhören, wenn die Verantwortlichen endlich richtig zur Verantwortung gezogen würden. Bei den derzeitigen Bußgeldern wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten und Privatsphäre, oder den zahnlosen Sanktionen für Falschmeldungen lachen sich die Verantwortlichen in den Redaktionen der Knallblätter doch einen ab.
    Gegendarstellungen sind mit der nächsten Ausgabe vergessen.
    60.000 Euro Bußgeld werden aus der Portokasse bezahlt. Danach machen diese Schreibtischgangster einfach weiter.
    Gerade die Knallblätter legen beeindruckendes Zeugnis darüber ab, dass die aktuellen Sanktionsmöglichkeiten einfach lächerlich sind und dringender Änderungen bedürfen.

  17. Vielen Dank für die Mühe der Arbeit. Ebenso der Beitrag zu Helene Fischer. Ich finde zwar, dass mittlerweile das Boulevard hier etwas übergewichtig ist, :)
    aber dennoch sind diese ausgesuchten Beispiele immer wieder interessant und informativ. Das Ausmaß von Schumacher war mir so nicht bewusst. Zwischendurch fände ich Verkaufszahlen und Profite interessant.

    Wenn man davon ausgeht, dass Neugier ein Trieb ist, und solche Blätter eine Fehlsteuerung bewusst beabsichtigen, ist die Grenze zur Körperverletzung des Lesers für mich schon überschritten.

  18. Wer es nicht weiß und nicht glauben mag: Um für diese Konzerne (Bauer, Burda) arbeiten zu dürfen, brauchen die Redakteure nach wie vor ein abgeschlossenes Volontariat bzw. müssen eine Journalistenschule besucht haben. Viele dieser Redakteure haben studiert, zum Teil sogar Germanistik.

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