Arte macht Rassismus zur reinen Nebensache
Im Januar hatten wir die Doku „H. P. Lovecraft. Die Ursprünge der Fantasy-Romane“ unter der Überschrift „Kitschige Graphic-Novel-Romantik statt lästiger Rassismus-Sensibilität bei Arte“ kritisiert: Die Macher widmeten sich pittoresker Panoramen und animierter Einspieler, anstatt sich mit den inneren Abgründen des Schriftstellers auseinanderzusetzen. Nun hat ein Produzent der Doku reagiert – und abermals den Rassismus und Antisemitismus des Literaten verharmlost.
Mit Yannis Metzinger hat sich einer der Macher von „H. P. Lovecraft. Die Ursprünge der Fantasy-Romane“ zu Wort gemeldet. In der schwärmenden und gefühligen Arte-Doku erfuhr man allerhand über H. P. Lovecraft, nur nicht, dass der Literat ein leidenschaftlicher Rassist, Antisemit und Verächter der Moderne war und seine Werke nur so von dieser Geisteshaltung triefen. Der Produzent scheint das alles halb so wild zu sehen.
In einem vergangene Woche auf dem Arte-Youtube-Kanal unter der Doku nachgereichten Statement heißt es unter anderem:
„HP Lovecrafts Rassismus ebenso wie sein Antisemitismus und seine Homophobie sind heute bekannte und dokumentierte Elemente. ST Joshi, der Biograph, der in der Episode neben John Howe auftritt, ist auch der Autor von ‚racism in America: a documentary history‘ und ist diese Themen stets frontal angegangen.“
[Nachtrag 22.02.2023: Das „Zitat des Produzenten“ haben wir fälschlicherweise in einer früheren Text-Version dem im Abspann der Doku genannten Stéphan Roelants zugeschrieben.]
Weiter heißt es, die „Problematik“ tauche hauptsächlich in Lovecrafts Briefen und nur in einigen Kurzgeschichten auf. Und:
„Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, eine jüdische Frau, Sonia Greene, zu heiraten und nie eine offen rassistische Handlung oder Äußerung zu begehen.“
Es ist irrelevant, ob rassistische Äußerungen in Briefen oder verbal getätigt werden, Rassismus bleibt Rassismus. Und klingt etwa so:
„Die Bevölkerung von [New York City] ist eine Mischlingsherde mit abstoßenden mongolischen Juden in der sichtbaren Mehrheit, und die groben Gesichter und schlechten Manieren machen sich schließlich so unerträglich, dass man am liebsten jeden gottverdammten Bastard in Sichtweite schlagen möchte.“
Übersetzung von uns
Dieses aus einem Brief Lovecrafts stammende Zitat ist in S.T. Joshis Buch „I Am Providence: The Life and Times of H. P. Lovecraft“ dokumentiert.
Es gibt viele solcher Stellen, die belegen, wie sehr der Produzent und Arte mit ihrer Sicht danebenliegen. Auch, dass Lovecrafts Ehefrau selbst über ihren Mann gesagt haben soll, Lovecraft sei „ständig wütend über Einwanderer“ geworden, wenn er diesen in New York begegnet sei.
Manchmal habe er darauf bestanden, mitten auf der Straße zu laufen, um nicht mit „Mischlingen“ den Bürgersteig teilen zu müssen, soll Greene einem Biografen erzählt haben. Und auch, dass sie Lovecraft immer wieder an ihren eigenen jüdischen Hintergrund erinnert habe, „aber es schien ihn nicht von seiner Angst vor Juden und anderen Einwanderern abzubringen“.
Es ist das Gesamtwerk
Dass es in Sachen Rassismus und Antisemitismus, wenn überhaupt, hauptsächlich um Lovecratfs Briefe und ein paar Kurzgeschichten geht, ist schlicht falsch. Auch in seinen umfangreichen Werken ist die Angst vor Fremden oft das bestimmende Thema, welches die Protagonisten dem dramatischen Höhepunkt zutreibt.
In der Geschichte „Der Flüsterer im Dunkeln“, wird das Fremde als geheime Alien-Invasion abstrahiert. Der Klassiker „Schatten über Innsmouth“ beschreibt den Verfall der menschlichen Zivilisation durch die „Rassenvermischung“ mit sinistren Fischfröschen aus dem Meer. Und „Der Ruf des Cthulhu“, das die Grundlage für Lovecrafts literarisches Universum bildet, strotzt vor explizit ausformuliertem Rassismus.
Das erkannten auch viele User*innen auf Youtube. In einer ersten Reaktion auf die Kritik unter dem Beitrag hieß es von Arte vor ein paar Wochen noch, man teile die Meinung der Kritiker*innen und leite dies an die Redaktion weiter.
Dort allerdings scheint man die Aufregung nicht nur nicht zu verstehen, es wird sogar um Verständnis für Lovecrafts Ressentiments geworben, die selbst für den damaligen Zeitgeist extrem waren. Klar, Lovecraft sei „ein von seinen Dämonen heimgesuchter Mann“ gewesen, lässt der Doku-Produzent wissen, aber:
„Feingefühl, Sensibilität und die Sorge um den anderen sind Eigenschaften, die genauso gut, wenn nicht sogar besser zu ihm passen als die dunklen problematischen Ideen, die er anderweitig zum Ausdruck gebracht hat.“
Ein wenig Feingefühl und Sensibilität hätten allerdings auch den Macher*innen der Doku gutgetan. Denn um eine Nebensächlichkeit, wie es die Stellungnahme suggeriert, handelt es sich bei den Themen Antisemitismus und Rassismus in der Betrachtung von Lovecraft keineswegs. Der Journalist Andreas Busche schrieb 2020 im „Tagesspiegel“:
„Man muss Lovecraft dafür nicht ‚canceln‘, man sollte ihn allerdings richtig – und kritisch – lesen. Denn Lovecrafts ureigener Horror, Rassismus, ist zeitlos.“
Strukturelles Problem
Dass sich Arte auch nach Wochen nicht zu einem derartigen Minimalkonsens bekennen kann, deutet auf ein weit verbreitetes Problem in der deutschen Medienlandschaft hin: Nicht-weiße Perspektiven sind selten.
Eine Studie der „Neuen Deutschen Medienmacher“ von 2020 kommt zu dem Ergebnis, unter 126 deutschen Chefredakteur*innen sei „keine einzige Person … die eine außer-europäische Familienherkunft hätte oder eine Person of Color wäre“. Das spiegele sich auch in den Redaktionsteams selbst wider, trotz anderslautender Bekenntnisse. Die Verfasser*innen kommen zu dem Schluss:
„Viele deutsche Medien werden damit den Anschluss an die Zukunft der deutschen Einwanderungsgesellschaft verlieren.“
In der Stellungnahme zur Lovecraft-Doku findet sich der kurze Hinweis darauf, man habe den Lovecraft-Experten David Camus über den Text lesen lassen. Auf die naheliegende Idee, auch die Meinung von People of Colour einfließen zu lassen, kam man bei Arte offenbar nicht.
Alles bloß Zeitgeist?
Was nicht unterschlagen werden soll: Neben der Kritik an dem Beitrag gibt es auch zahlreiche lobende Kommentare von User*innen, auch auf Youtube. Und der in der Doku zu Wort kommende Lovecraft-Biograf Sunand Tryambak stimmt der These zu, der Autor habe mit seinen Vorurteilen bloß dem damals herrschenden, rassistischen Zeitgeist entsprochen. Allerdings gilt das in Fachkreisen als umstritten.
Lovecrafts Rassismus hingegen war Inspiration einer für den Golden Globe nominierten, zehnteiligen HBO-Serie: „Lovecraft Country“. Die „New York Times“ schreibt in ihrer Kritik:
„H.P. Lovecraft war sowohl ein Gründungsvater des modernen Horrors als auch ein zutiefst engagierter Rassist, ein symbolisches Zeichen für die allgemeine Missachtung, die das Genre für den größten Teil seiner Geschichte gegenüber dunkelhäutigen Schöpfern und Darstellern haben werden wird.“
Übersetzung von uns
Und auch andere geben sich mit der „Zeitgeist“-Ausrede nicht mehr zufriden. Die Veranstalter*innen der „World Fantasy Convention“ haben 2015 beschlossen, dass sie nach vierzig Jahren keine Lovecraft-Skulpturen mehr als Siegertrophäen für Nachwuchsautor*innen vergeben werden. Zuvor hatte es heftige Kritik aus der Fantasy-Szene gegeben. Der Autor Daniel José Older brachte eine Petition gegen die Lovecraft-Büste ein und nannte als Grund:
„Wenn Fantasy als Genre wirklich alle seine Fans umarmen will, und ich glaube, das tut es, können wir nicht weiterhin einen Mann verherrlichen, der Literatur als Waffe gegen ganze Rassen eingesetzt hat.“
Übersetzung von uns
Ein Resümee, zu dem man auch bei Arte kommen sollte. Einem binationaler Sender, der sich der Völkerverständigung verpflichtet fühlt.
Der Autor
Martin Niewendick ist freier Journalist. Er hat unter anderem als Politik-Redakteur für „Welt“, „Tagesspiegel“, „Berliner Morgenpost“ und „Jungle World“ berichtet. Neben Bundespolitik schreibt er gerne über kleine und große Konflikte, Gesellschaft und Kultur. Ansonsten ist er Rap-Künstler, Instagram-süchtig und lebt in Berlin.
Niemand wird glücklicherweise gezwungen, Lovecraft zu lesen.
Was Lovecraft „rettet“, ist, dass er in seinen Geschichten extrem übertriebt.
„In der Stellungnahme des Produzenten zur Lovecraft-Doku findet sich der kurze Hinweis darauf, man habe den Lovecraft-Experten David Camus über den Text lesen lassen. Auf die naheliegende Idee, auch die Meinung von People of Colour einfließen zu lassen, kam man bei Arte offenbar nicht.“
Korrigiere: „… People of Color mit Expertise zu Lovecraft, dessen gesellschaftlichem Umfeld o.Ä. …“
Ich begreife leider nicht, was der Autor eigentlich möchte, dass Arte nun tut?
Dass weiter nicht definierte PoC Dokus freigegeben in Ergänzung (hoffentlich nicht statt) zu Fachexperten? Warum soll dieser Gedanke eigentlich „naheliegend“ sein, wie der Autor schreibt?
Will er, dass Arte schwört, nie wieder „einen Mann verherrlichen, der Literatur als Waffe gegen ganze Rassen eingesetzt hat“, wie es diese anscheinend vorbildliche Fantasy Convention?
Soll Arte sich entschuldigen? Bei wem? Und wofür genau?
Tut mir leid, ich verstehe wirklich nicht, wo in diesen beiden Artikeln der rote Faden verläuft.
Mir drängt sich der Eindruck auf, der Autor möchte einfach sagen: Ich verbitte mir Veröffentlichungen über Lovecraft und sein Werk, die dessen offensichtlichen rassistischen Äußerungen in Briefen nicht einen zentralen Platz einräumen. So viel Text für so wenig.
@#3 „Ich begreife leider nicht, was der Autor eigentlich möchte, dass Arte nun tut?“
Ich würde vorschlagen, du liest den Text noch mal. Der Autor stellt sich, zu Recht, gegen die Verniedlichung oder Verherrlichung eines Rassisten und möchte, dass er, als das benannt wird, was er ist, ein Rassist und Antisemit. Kein Kleinreden und Beschönigung oder Rechtfertigung des Rassismus und Antisemitismus.
Dass er damit einen guten Punkt trifft, kann man seinem Text ebenfalls entnehmen. Und sein Vorwurf, dass Redaktionen, in der Weiße, von Rassismus, nicht betroffene Menschen, die Deutungshoheit darüber haben, wie rassistisch ein Autor ist, ist durchaus zu Recht infrage zu stellen. Ihnen fehlt schlicht die Sensibilität und die Erfahrung. Was hier wiederum dieser Fall eindrucksvoll zeigt, beziehungsweise belegt.
Die Haupt-Kritik ist, dass Arte den Rassismus von Lovecraft nicht erwähnt (sein _Antisemitismus_ scheint mir nicht so ausgeprägt gewesen zu sein, und „gegen die Moderne“ ist ein ziemlich sonderbarer Vorwurf für einen Horrorschriftsteller), obwohl dieser wohl recht ausgeprägt war.
Inwieweit das gleich ein „Verherrlichen“ oder „Verniedlichen“ sein soll, sei mal dahingestellt, aber offenbar ist die Doku so nicht ganz vollständig.
Der ganze Punkt mit „PonC“ fehlt die Sensibilisierung, „PoC“ erkennen Rassismus direkt, ist so aber auch falsch, s. #2. Die rassistischen Stellen in seinen Briefen sind anscheinend für _jedermann_ erkennbar, aber offenbar war das nicht der Ansatz von der Doku.
Dass Lovecraft ein Rassist und Antisemit war, ist bekannt. Eine Doku über ihn, die das kaum erwähnt, hat da Lücken. Soweit gehe ich mit dem Text mit.
Was ich ganz schwierig finde, sind nur solche Statistikargumente aus Studien, für die man sich arg verbiegen muss, bis ein schmissiger Slogan draus wird. So auch hier:
„Eine Studie der „Neuen Deutschen Medienmacher“ von 2020 kommt zu dem Ergebnis, unter 126 deutschen Chefredakteur*innen sei „keine einzige Person … die eine AUSSER-EUROPÄISCHE Familienherkunft hätte oder eine Person of Color wäre“. “ (Großschreibung von mir)
Ernsthaft? Was ist die Message? Wir haben zu wenige Chefredakteurinnen aus Asien, Amerikas, Afrika und Australien? Oder haben wir nach Ansicht der AutorInnen der Studie und dem Autor des Artikels hier zu viele aus europäischen Ländern außerhalb Deutschlands? NOCH weniger Aussage lässt sich in eine Statistik kaum packen. Aber Hauptsache, man kann sich echauffieren.
Das erinnert mich an die selbsternannten Marktführer: Sie sind die einzigen, die lila-gelbe Käbelchen für Milchviehalter herstellen. In ihrem Segment klare Marktführer. Jeder sucht sich halt die Grundgesamtheit raus, die er grade braucht.
Ich bin auch stutzig geworden bei der Zahl von 126 ChefredakteurInnen. Klingt echt wenig, zumal nicht gesagt wird, welche Mediengattungen da dabei sind. Der BDZV sagt jedenfalls, dass es im Jahr 2022 genau 338 Tageszeitungen gab. Dazu kommen Wochenzeitschriften, Publikums- und Fachzeitschriften, Radio, Fernsehen usw. Diese Zahlen mag recherchieren wer will. 126 Chefs und Chefinnen sind jedenfalls nur ein kleiner Ausschnitt.
Viel spannender und vor allem zielführender wäre im Text eine Statistik darüber gewesen, dass Menschen mit Migrationshintergrund in den Führungsetagen massiv unterrepräsentiert sind, ebenso wie Arbeiterkinder übrigens. Aber die gab es wohl grade nicht. Schade.
Eine Debatte über „Autor und Werk voneinander trennen können / sollen / wollen / müssen, die hätte ich spannend gefunden. Lovecraft ist ja nicht der einzige, aber der einzige, der seinen Horror vor dem Fremden in Literatur gegossen hat.
Ich z. B. glaube Lovecraft, dass er tatsächlich Angst hatte, denn er hatte anscheinend Angst vor Vielem.
Dieser Artikel ist nur ein „Arte hätte noch 3 Mal Rasisst sagen müssen“-Artikel.
Nach 2 fraglichen Lovecraft- und 3 fraglichen Katapult-Artikeln, ist es mal wieder an der Zeit, das Abo etwas auf Eis zu legen.
@Anderer Max:
Autor-und-Werk-Trennung ist eigentlich doch schon abschließend geklärt – die einen sagen, wer Werk nach dem Autor beurteilt (nicht umgekehrt) ist ein linksgrünversiffter Gutmenschen-Extremist, die anderen sagen, wer Werk und Autor trennen will, findet den Rassismus/Sexismus/TERFismus/etc. des Autoren in Wahrheit gut und will das nur nicht zugeben.
Fun-Fact: Lovecrafts Vater ist vermutlich an Neuro-Syphilis gestorben. Immer, wenn also jemand in Lovecraft-Geschichten wahnsinnig wird oder stirbt, denkt dran: Kondome schützen!
@#7 Die Debatte Werk von Author zu trennen ist ja nun an sich nicht neu und funktioniert für Lovecraft sogar ganz gut, weil der ja vom Verkauf seiner Werke nicht mehr profitiert. Es hat ja hier auch niemand gefordert, man solle Lovecraft nicht mehr lesen.
Eher selten ist im Vergleich aber doch die Ansicht, man sollte Biografierte von der Biografie trennen. Schließlich war es ja eine Doku über Lovecraft nicht über seine Werke, da ist es schon berechtigte Kritik, anzumerken, dass starke vorhandene, stark geäußerte und sich auch im Werk unmissverständlich wiederspiegelnde Ansichten unter den Teppich gekehrt werden.