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Das Ende des Geozäns

Diese Geo-Hefte werden eingestellt.
Bye bye, ihr „GEO“-Titel! Diese Hefte werden eingestellt. Foto: Moritz Hürtgen

Was aktuell bei Gruner + Jahr passiert, ist für jemanden wie mich, der noch nie freiwillig den Wirtschaftsteil einer Zeitung aufgeschlagen hat, eigentlich nicht zu durchblicken. Ich versuche trotzdem, das Wichtigste zusammenzufassen: Der Konzern Bertelsmann hielt schon länger alle Anteile an Gruner + Jahr. Aber auch RTL Deutschland, Teil der RTL Group, gehört zum größten Teil Bertelsmann. Im August 2021 hat es für die Verantwortlichen irgendwie Sinn ergeben, dass RTL Deutschland Gruner + Jahr für 230 Millionen Euro übernahm. Dieses Geschäft im Hause Bertelsmann klingt für mich, salopp gesagt, inzestuös, und es ist ja auch eine Schweinerei herausgekommen: 700 Stellen werden allein bei Gruner + Jahr gestrichen, zig Titel verkauft, 23 Magazine einfach eingestellt. Wie viele freie Mitarbeiter dadurch ihre Auftraggeber verlieren, will man sich gar nicht ausmalen.

„Stern“, „GEO“, „Brigitte“ und ein paar weitere namhafte Titel dürfen bleiben, aber beim Großteil legt Bertelsmann-Chef Thomas Rabe die Axt an. In der „Tagesschau“ vom 7. Februar wird er so zitiert: „Wir haben uns entschieden, uns auf die Kernmarken zu konzentrieren und sie mit Investitionen von etwa 80 Millionen Euro bis 2025 weiterzuentwickeln.“ Natürlich meint Rabe es nicht so, aber man kann sein Statement auch so lesen, dass 2025, wenn die 80 Millionen verbrannt sind, auch der Rest von Gruner + Jahr eingestampft wird.

In derselben „Tagesschau“-Ausgabe kommt auch Joachim Telgenbüscher, Redaktionsleiter beim bald eingestellten Magazin „GEO Epoche“, zu Wort. Sein Blatt habe viele Abonnenten und sei profitabel, sagte er bei einer Protestveranstaltung. Auf Twitter rief Telgenbüscher in einem lesenswerten Thread den Hashtag #GeoEpocheMussBleiben aus.

Die Sparte „GEO“ bei Gruner + Jahr ist fast so komplex wie die Strukturen bei Bertelsmann. Nun ja, künftig muss man sagen: sie war es. Denn nur drei Magazine bleiben erhalten: Das Hauptprodukt „GEO“ und die Kinderhefte „GEO Lino“ und „GEO Lino Mini“. Dran glauben müssen „GEO Wissen“, „GEO Wissen Gesundheit“, „GEO Wissen Ernährung“, „GEO Epoche“, „GEO Epoche Panorama“, „GEO Epoche Edition“, „GEO Wohllebens Welt“, „GEO Walden“, „GEO Saison“ und „GEO Kompakt“.

Ich wollte wissen: Was geht da verloren, wenn es diese Titel nicht mehr gibt. Also habe ich mir sie alle gekauft.

Let’s schmöker!

Geo "Epoche" über Verschwörungstheorien
Foto: Moritz Hürtgen

Die drei Hefte aus der Familie „GEO Epoche“ kommen düster, hochglänzend und -wertig daher. Im aktuellen Hauptheft mit der Nr. 119 liegt der Schwerpunkt auf Verschwörungsmythen, die die Geschichte der Menschheit (angeblich) geprägt haben (sollen). In ausführlich recherchierten Artikeln erfährt man zum Beispiel über den preußischen Polizisten Wilhelm Stieber, der 1851 im Auftrag König Wilhelm dem IV. in London falsche Beweise für eine kommunistische Verschwörung sammelt. Eine lange Strecke erklärt die Entstehung und Verbreitung des antisemitischen Weltverschwörungswerks „Protokolle des Weisen von Zion“ – und liefert fundiertes Hintergrundwissen, mit dem man auftrumpfen kann, sollte man in eine Diskussion mit Verschwörungsgläubigen geraten. Beim Anlesen der zahlreichen Artikel in dem „Magazin für Geschichte“ bestätigt sich allerdings meine Befürchtung, dass es sich um Texte handelt, die man hochkonzentriert lesen muss, ohne nebenbei auf dem Smartphone zu browsen. Eigentlich nichts für einen social-media-süchtigen Millenial wie mich! Aber ich bin mir sicher, dass die Zugfahrten vieler Geschichtsinteressierter künftig trister ausfallen werden, wenn es „GEO Epoche“ nicht mehr gibt. Es ist ein Jammer.

„GEO Epoche Panorama“, Untertitel „Geschichte in Bildern“, ist dagegen wie für mich gemacht. In Nr. 23 geht es um die Jahrestage 2023, und auf dem Titel ist – kaum überraschend – Adolf Hitler beim Bad in einer begeisterten Menge zu sehen. (1923 scheiterte der „Hitler-Putsch“.) Im Heft gibt es eine Chronik, die die vergangenen 100 Jahre in Bildern historischer Ereignisse und Figuren erzählt: die Erstbesteigung des Mount Everests, autofreie Sonntage, Beatlemania, Kennedy usw. Beim Blättern denke ich, dass dies mit vielen großformatigen Fotos und kurzen Texten so etwas wie „Stern View“ für Historyfreaks ist, und werde traurig, weil mir einfällt, dass „Stern View“ ja ebenfalls bald Geschichte ist. Auch ein Magazin, durch das ich immer gerne geblättert habe. Verflucht sei RTL Deutschland!

So hochwertig, dass es als Geburtstagsgeschenk für die Großtante taugt, kommt „GEO Epoche Edition“ daher: tolles Format, tolles Papier, tolle Farben im Druck. Aber das ist auch angemessen, wenn es um die Geschichte der Kunst geht, in der mir vorliegenden Nr. 26 steht die Epoche der Gothik im Mittelpunkt. 18 Euro muss man hinlegen, aber dafür bekommt man die Kunsthistorik umfassend in Hochglanzfotografien und Texten erzählt, die es locker mit Ausstellungskatalogen großer Museen aufnehmen können. Dass man als Verlag so ein Schmuckstück aus dem Programm schmeißt, soll verstehen, wer will. Dem Editorial dieser Ausgabe entnehme ich, dass es noch ein weiteres „GEO Epoche“-Magazin gibt, das „GEO Epoche Kollektion“ heißt, über dessen Schicksal ich aber nichts in Erfahrung bringen kann. Vielleicht hat Bertelsmann bei so vielen Titeln selbst irgendwann den Überblick verloren?

Insta-Content als Heft

Nach den schweren „GEO Epoche“-Heften ist mir jedenfalls nach etwas Leichterem, weshalb ich „GEO Saison“ zur Hand nehme. „Unterwegs in der Welt“ ist das doch sehr beliebig klingende Motto der Februarausgabe. Darin werden „Die 100 besten Hotels in Europa“ präsentiert. Dieses Ranking macht auch den Hauptteil des Heftes aus, es folgen noch ein paar seichte Reisereportagen, Städtetriptipps („Ein perfektes Wochenende an der Isar“) und jede Menge Werbung. Um einmal hart zu urteilen: Dieses Blatt wird man kaum vermissen, die belanglosen Inhalte leben auf zahllosen Instatravel-Accounts weiter.

Die zweite große „GEO“-Gruppe, die nun der Schnitter holt, dreht sich ums Wissen. Das Hauptheft „GEO Wissen“ macht die Nr. 79 mit dem Thema „Schluss jetzt!“ auf. Einen passenderen Titel hätte man sich bei Gruner + Jahr angesichts der aktuellen Situation nicht ausdenken können. Es geht ums „Aufhören lernen“ in „Job, Konsum, Beziehung“. Die Aufmacherstory gibt auf über 20 Seiten Hilfestellung im Loslassen und begegnet „Menschen, die es gewagt haben aufzuhören“. Vielleicht sollte Thomas Rabe diese Strecke einmal lesen, auch er muss Bertelsmann vielleicht nicht für immer noch weiter umbauen.

Geo "Wissen" zum Thema Loslassen
Auch mit „GEO Wissen“ ist bald Schluss. Foto: Moritz Hürtgen

Mit seinem Ratgebercharakter – es geht unter anderem ums Aufhören mit Alkohol, Autofahren, Fleischessen, Sitzen, Internet – und dem Mix aus Illustrationen und Bilderstrecken scheint mir das Heft ideal fürs Wartezimmer von Kassenpatienten geeignet. Die bringen nämlich stets etwas Zeit mit, die sie künftig aber anders totschlagen müssen.

Auch „GEO Wissen Ernährung“ und „GEO Wissen Gesundheit“ sind anständige, professionell gestaltete Magazine. Doch in diesen Kategorien gibt es Dutzende andere Hefte, die genauso aussehen. In denen auch irgendwelche Sportmediziner Lauftipps geben oder Perlen stehen wie: „Zwischen dem, was Lieferdienste als Pizza anbieten, und dem italienischen Original liegen oft Welten“. Ich denke, man wird in den Arztpraxen leicht Ersatz finden und halt irgendetwas anderes auslegen.

Für Naturfreunde: "Geo Walden"
Für Naturfreunde: „GEO Walden“ Foto: Moritz Hürtgen

Wer nicht im Wartezimmer hockt, sondern die Welt da draußen sein Zuhause nennt, hat vielleicht „GEO Walden“ abonniert. Der Magazintitel spielt auf den Aussteigerroman „Walden oder Leben in den Wäldern“ Henry David Thoreaus an, ein Blockhüttenklassiker allererster Güte. Dieses Produkt ist folgerichtig auf ein raues, natürlich wirkendes Papier gedruckt, das auch guten Grip bietet, wenn man auf dem Hundeschlitten durch Nordnorwegen pest.

Die Winterausgabe dreht sich unter anderem um Iglubauen und Eisbaden, eine lange Strecke erzählt die Geschichte eines Mannes, der 1800 Kilometer mit dem Fahrrad durch Sibieren gefahren ist. Und zwar aus einem einfachen Grund: „Wenn ich mir jederzeit ein Taxi rufen könnte, wäre es kein Abenteuer“. Logisch! Weiter hinten im Heft wird ein Paar begleitet, das im „Vintage-Van“ durch Neuseeland fährt. Ob es für Naturburschen und -mädel auf Selbstfindungstrip künftig ein alternatives Magazin für alternative Lebensweisen gibt, weiß ich nicht. Im Zweifel verlagert sich auch diese Szene vollständig auf Instagram: In #VanLife-Stories und -Reels, in denen gesponsertes Outdoor-Equipment im Bewegtbild gezeigt wird statt wie bei „GEO Walden“ hinten ins Heft gedruckt. Eine Entwicklung, die man wohl nicht ändern kann, aber bedauern darf.

Adieu, Peter!

Bei manchen taktlosen Gesellen rufen die Streichungen bei Gruner + Jahr aber nicht Bedauern hervor, sondern dienen als Anlass für billigen Spott. Auch ich ließ mich dazu hinreißen. Barbara Schöneberger und Guido Maria Kretschmer werden den Verlust leichter verdauen können. Doch hinter den nach ihnen benannten Magazinen stecken auch Schicksale, nämlich die der Menschen, die die Hefte mit ihren Ideen gefüllt haben.

Vergessen wird leicht, dass ein drittes Personality-Heftchen dran glauben muss, und zwar „GEO Wohllebens Welt“. Diesem „Naturmagazin“ hat der bekannte Förster und Autor Peter Wohlleben („Das geheime Leben der Bäume“) bereits für 16 Ausgaben seinen Namen geliehen. Wer zu alt für den Besuch einer Schule geworden ist, aber dennoch weiter in Biologie und HSK (Heimat- und Sachkunde) unterrichtet werden will, wird nun traurig sein. Wohlleben zeigt uns alle Kiefernarten (inkl. lateinischer Namen), erklärt mit Schulbuchillustrationen verschiedene Gletschertypen und die Fortbewegungsarten von Schlangen, besucht einen hessischen Korbmachermeister und eine Hutmacherin aus Niedersachsen. Schade drum!

Das letzte Heft, das mir vorliegt, heißt „GEO Kompakt“ und verspricht im Untertitel, die „Grundlagen des Wissens“ zu vermitteln. Ich hätte also mit diesem Blatt anfangen, nicht aufhören sollen. Sei’s drum. Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe ist die Aufklärung von Verbrechen und natürlich denke ich sofort, dass das also ein gedruckter True-Crime-Podcast sein muss. Nicht ganz! Aber direkt auf der Editorialsseite wird der Podcast „Verbrechen der Vergangenheit“ von „GEO Epoche“ beworben. Gibt es etwa noch ein ganzes Podcastuniversum von „GEO“? Im Heft reiht sich eine Kriminalreportage an die andere, es geht um den Unabomber, den ungelösten Fall eines vergifteten Kindes in Baden-Württemberg und einen deutschen Serienmörder. Außerdem werden verschiedenen Ermittlungsmethoden detaillierte Themenseiten gewidmet. Wie so ein deep dive in die Kriminalistik mit dem Magazinmotto „Die Grundlagen des Wissens“ zusammengeht, erschließt sich mir nicht. Aber vielleicht bin ich nach einem langen Lektüretag auch einfach nur zu matt.
„GEO“-Fazit Kompakt

Was soll ich nach so einer geballten Ladung „GEO“ schreiben? Nicht jedes dieser Magazine überzeugt mich; ich bin zwar Printfreund, aber für die meisten dieser Publikationen wohl kaum Teil der Zielgruppe. Was ich als einer, der auch mal Verantwortung für ein Magazin trug, weiß, ist, dass in jedem dieser Blätter eine Menge Arbeit und Leidenschaft steckt. Für die vielen Kolleginnen und Kollegen bei Gruner + Jahr tut es mir sehr leid, ich wünsche ihnen, dass bald bessere Zeiten kommen.

3 Kommentare

  1. „Beim Anlesen der zahlreichen Artikel in dem „Magazin für Geschichte“ bestätigt sich allerdings meine Befürchtung, dass es sich um Texte handelt, die man hochkonzentriert lesen muss, ohne nebenbei auf dem Smartphone zu browsen. Eigentlich nichts für einen social-media-süchtigen Millenial wie mich“

    Können wir ein Phrasenschwein einführen, wo Autoren auf der Seite 5€ an einen guten Zweck spenden müssen für jeden ausgelutschten TikTok/Smartphone/Social-Media Aufmerksamkeitsspannen-Witz? Das ist für Millenials was „Heißt der Tisch jetzt Tisch:innen“ für die Boomer ist.

  2. Ich hatte damals das blaue „GEO Special“ abonniert, das leider bereits 2020 eingestellt wurde. Ich fand, dass das das wesentlich bessere Reisemagazin war als die GEO Saison.

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