Nach Zusammenschluss mit RTL

„Nur peinlich und feig“: Ex-Redakteurinnen fühlen sich vom „Stern“ verunglimpft

Wussten Sie, dass der „Stern“ lange gar nicht so gut war, wie er eigentlich hätte sein können? Das hat das Magazin diese Woche selbst erklärt – was bei ehemaligen Redakteur:innen überhaupt nicht gut ankommt.

„Stern“-Doppelseite in eigener Sache Ausriss Stern

Seit Jahresbeginn gehört der Verlag Gruner+Jahr, in dem der „Stern“ erscheint, dem Privatsender RTL. Aus diesem Anlass veröffentlichte das Magazin einen Text in eigener Sache, in dem erklärt wird, wieso das „Hand-in-Hand-Arbeiten“ mit RTL gut sei – und wieso es gut gewesen wäre, sich schon früher besser zu vernetzen. Angeblich soll es über lange Zeit kaum einen Ort im Verlag gegeben haben, an dem man nicht an Ellenbogen stieß.

„Da ist was im Busch!“

„Viele Jahrzehnte lang“, schreibt der „Stern“, „beherrschte Konkurrenz die Redaktionen von Gruner+Jahr“:

„Ältere Redakteure erinnern sich an eine Welt, in der sich die Kolleginnen und Kollegen gegenseitig belauerten. Einer aus der Politik sitzt mit einem aus dem Deutschland-Ressort in der Kantine? Da ist was im Busch! ,Geo‘ arbeitet an einem Thema, an dem wir auch sitzen? Leute, da müssen wir Tempo machen!“

So traurig soll es also „viele Jahrzehnte lang“ zugegangen sein beim „Stern“ und in anderen Redaktionen von G+J. Nicht mal in Ruhe seine Nudeln aufessen konnte man in der Kantine am Hamburger Baumwall, ohne dass angeblich missgünstige Kollegen gleich eine Verschwörung witterten, was sich laut „Stern“ auch auf die Inhalte ausgewirkt haben soll:

„Keine Frage, wir haben guten Journalismus gemacht. Aber wie viel mehr starke Geschichten hätten wir damals recherchieren, schreiben, publizieren können, wenn wir uns gelegentlich zusammengeschlossen hätten?“

„Schäme mich für die „Stern“-Redaktion“

Ehemalige „Stern“-Redakteur:innen sind nun sauer auf ihren früheren Arbeitgeber. Übermedien liegen wütende Protestschreiben vor, die an den „Stern“ geschickt wurden, zum Beispiel von Ingrid Kolb, die lange „Stern“-Redakteurin und Leiterin der Henri-Nannen-Journalistenschule war. Sie schreibt:

„Einer von RTL sitzt mit der ‚Stern‘-Chefredaktion in der Kantine. Da ist was im Busch! Klar, es wird ein vorzeigbares Mitglied aus der ‚Stern‘-Redaktion gesucht, das seinen Namen hergibt für diesen unsäglichen Artikel, in dem so oft von ‚wir‘ und ‚uns‘ die Rede ist. Es muss ja jemand sein, der die Zustände kennt, die angeblich den ‚Stern‘ beherrschten, bevor die ‚Pioniere‘ von RTL für ein Umdenken sorgten. Jemand, der dabei war, wie sich alle ‚gegenseitig belauerten‘ und aus lauter Konkurrenzwahn die schönsten Geschichten versäumten. Leider bleibt der Artikel anonym. Ich schäme mich für die ‚Stern‘-Redaktion, die sich diese Beschreibung ihrer Arbeit gefallen lässt.“

Auch die ehemalige „Stern“-Redakteurin Ursula Neuhauser findet den Artikel „nur peinlich und feig, weil anonym“. „Da schlug sich wohl ein eifriger RTL/,Stern‘-Tugendbold auf die nächstenliebende Brust und beklagte allen Ernstes mangelnde Moral und daher dürftige Leistungen bei den alten ‚Stern‘-Kollegen. Im eigenen Blatt? Geht’s noch?“

„Schlicht gelogen“

Niklas Frank, früher Reporter beim „Stern“, schreibt, in dem „Jubelartikel“ entblöde sich der „Stern“ anlässlich der Vereinigung mit RTL nicht, „uns ehemalige RedakteurInnen auf billigste Weise zu verunglimpfen“:

„Ihre Schilderung, wir hätten uns damals vor allem gegenseitig belauert und schon Übles vermutet, wenn Mitglieder verschiedener Ressorts gemeinsam in der Kantine aßen, ist schlicht gelogen. Ebenso, dass wir auf Grund dieser gegenseitigen Bespitzelung nicht mehr in der Lage gewesen wären, gute Geschichten für den ‚Stern‘ zu schreiben.“

Frank weist lakonisch darauf hin, „dass wir damals eine wöchentliche Auflage von über einer Million hatten“, und schließt mit den Worten: „Sicher ist es heutzutage nicht leicht, ein Printmedium zu führen, doch die in ihrer aktiven Zeit überaus erfolgreich arbeitenden Ex-Kollegen zu einer tückischen Neidhammel-Bande zu machen, fällt in ihrer Peinlichkeit auf Sie zurück.“

„Dem ‚Stern‘ liegt nichts ferner …“

Wir haben bei G+J angefragt, was der Verlag bzw. der „Stern“ der Kritik der Ehemaligen entgegnet und weshalb der Text in eigener Sache ohne Autorenzeile erschien. Eine G+J-Sprecherin antwortet:

„Dem ‚Stern‘ liegt nichts ferner, als die Arbeit ehemaliger ‚Stern‘-Redakteurinnen und -Redakteure schlecht zu machen. Der Artikel wurde mit der Absicht veröffentlicht, den Leserinnen und Lesern gegenüber transparent darzustellen, dass der ‚Stern‘ jetzt zu RTL Deutschland gehört und weshalb die heutige Zeit so einen Zusammenschluss sinnvoll und möglich macht.“

5 Kommentare

  1. War das „gekaperte“ Stern-TV am 16. Januar mit Blome und Ludowig der journalistische Vorgeschmack auf den Zusammenschluss zwischen G&J/RTL? Also direkt mal ohne Not die Marke Stern TV zerdeppern? Das kann ja lustig werden…
    …und ob der SPIEGEL über dieses ‚lowlight‘ kritisch berichten wird, wo mit Blome doch ein eigener Kollege involviert war?
    Zumindest scheinen wir endlich eine angemessene Überbrückung bis zur nächsten Staffel „The Morningshow“ zu haben. ;-)

  2. Ich muss ehrlich sagen, ich finde die Reaktion der ehemaligen Mitarbeiter etwas merkwürdig. Mir erscheint, was der Artikel im „Stern“ da beschreibt, als eine glaubhafte Schilderung eines Klimas aus Konkurrenzdruck und Versagensängsten, in denen sich die Ressorts und Redakteure mit ihren Zielvereinbarungen gegenseitig belauern. So hab ich das in zwei großen Häusern auch selbst erlebt, so beschreibt das Juan Moreno ja auch beim Spiegel.

    Aber dabei geht es nach meinem Gefühl ja nicht darum, die ehemaligen Kollegen als miese Neidhammel darzustellen. Ich zumindest würde mich da nicht so angesprochen fühlen. Sondern es ist doch viel eher Kritik an der Geschäftsführung und Redaktionsleitung/Firmenkultur. Ob das jetzt unter RTL besser wird, sei mal dahingestellt.

  3. Dieser Beitrag ist nicht auf der Startseite zu finden. Ist das ein technischer Fehler oder hat das einen anderen Grund?

  4. Man kann natürlich nicht ausschließen, dass die damaligen Mitarbeiter tatsächlich nicht den Teamgeist hatten, den man sich arbeitgeberseitig gewünscht hätte, aber selbst wenn – wieso sollte das jetzt bei RTL grundsätzlich anders sein?
    Oder umgekehrt, wenn Stern und Geo über dasselbe Thema berichten, sollte das nicht irgendwie ein Ansporn sein?

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