„Auch hier im Publikum ist es freiwillig“

Maischberger täuschte über Maskenpflicht im Studio: Programm­beschwerde abgelehnt

Mitglieder des Rundfunkrates kritisieren eine irreführende Äußerung von Sandra Maischberger im Mai 2022. Eine falsche Tatsachenbehauptung im rechtlichen Sinne sieht das Aufsichtsgremium nicht.

Am 10. Mai 2022 war Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu Gast in der Talkshow von Sandra Maischberger. Es ging, natürlich, um Corona. Die Infektionszahlen gingen damals zurück, obwohl einige Wochen zuvor unter anderem die Maskenpflicht abgeschafft worden war – auf Druck der FDP und gegen den Widerstand von Lauterbach.

Der wies darauf hin, dass er immer wieder „an die Freiwilligkeit der Vernünftigen“ appelliert habe: „Viele tragen auch jetzt noch zum Beispiel im Supermarkt Maske“, sagt er. „Bei diesen Menschen möchte ich mich an dieser Stelle bedanken.“ In den vereinzelten, aber demonstrativen Applaus sagte die Moderatorin: „Haben wir auch hier, müssen wir sagen, auch hier im Publikum ist es freiwillig. Das ist eine Rücksichtnahme tatsächlich gegenüber anderen, solange die Ansteckungen so sind, wie sie sind.“

Das mit der Freiwilligkeit stimmte nicht. Auf Twitter machte die Rechtsanwältin Jessica Hamed, die sich juristisch und publizistisch gegen Corona-Maßnahmen engagiert, darauf aufmerksam: Beim Verkauf der Zuschauertickets hieß es, dass „aufgrund der Vorgaben bei dieser Show die Maskenpflicht auch bei Einnahme des Sitzplatzes“ gelte. „Es werden entsprechende FFP2-Masken im Studio verteilt.“

Irgendjemand fand den Widerspruch wichtig genug, um sich darüber beim WDR zu beschweren, in dessen Auftrag „Maischberger“ hergestellt wird. Er oder sie wählte den Weg einer formalen Programmbeschwerde. Das ist die schärfste Waffe im Arsenal des Zuschauers, um gegen Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu protestieren. Sie ist so scharf, dass die Sender es in aller Regel ablehnen, sich von ihr stechen zu lassen.

Ja, es ist paradox.

Laut WDR-Gesetz muss der Intendant innerhalb von zwei Monaten auf eine solche Beschwerde antworten; Beschwerden und Antworten werden im Nachhinein in knapper Form veröffentlicht.

Der Zuschauer warf Sandra Maischberger also eine falsche Tatsachenbehauptung vor; die Argumentation von Intendant Tom Buhrow fasst der entsprechende Bericht des WDR so zusammen:

„Die Frage war somit, wie das Wort ‚freiwillig‘ in dem Zusammenhang verstanden werden kann. Ausgangspunkt der Prüfung war hierbei, dass es sich um einen Begriff handelt, der unterschiedlich gedeutet werden kann. Da die Talkgäste im Studio frei entscheiden konnten, ob sie an der Sendung teilnehmen, ohne dabei – anders als beispielsweise bei der Nutzung öffentlicher Transportmittel – besonderen Zwängen ausgesetzt zu sein, sah der Intendant den Ausdruck hier als zulässig an, zumal die Äußerung spontan in der Sendung als Geste der Anerkennung Maischbergers gegenüber dem Studiopublikum gefallen war.“

Der Intendant gab dem Beschwerdeführer also nicht recht, oder wie es formal heißt: Er half seiner Beschwerde nicht ab. Es sei „keine entsprechende Rechtsverletzung zu konstatieren“ gewesen.

Wenn das passiert (und es passiert eigentlich immer), kann der Beschwerdeführer sich mit seinem Anliegen an den Rundfunkrat wenden. Der delegiert dann die Befassung an seinen Programmausschuss; der empfiehlt dann dem Rundfunkrat, die Beschwerde abzulehnen, und der lehnt die Beschwerde dann ab. Also, fast immer.

„Im rechtlichen Sinne“ nicht falsch

So geschah es auch in diesem Fall. In der Sitzung vom 30. November lehnte der Rundfunkrat die „Maischberger“-Beschwerde ab:

„Der Rundfunkrat entschied, dass eine falsche Tatsachenbehauptung im rechtlichen Sinne nicht vorliege. Der Moderatorin sei es erkennbar um eine Geste der Anerkennung gegenüber den Gästen im Publikum gegangen, was die Einordnung als Meinungsäußerung nahelege.“

Maischberger war also der Meinung, dass die Menschen im Studio die Masken freiwillig trugen, obwohl Tatsache war, dass sie sie tragen mussten. Bitte einmal mit der Maske winken, wen diese Begründung überzeugt.

Einige Angehörige des Gremiums fügten der formalen Ablehnung immerhin eine Anmerkung hinzu:

„Gleichwohl kritisierten Mitglieder des Rundfunkrats diese Äußerung Maischbergers, welche im normalen Sprachgebrauch ebenso den Schluss zulasse, dass das Studiopublikum auf das Tragen einer Maske nach eigenem Ermessen hätte verzichten können. Das sei jedoch nicht der Fall gewesen.“

Nun kann man das alles natürlich albern und lächerlich unwichtig finden oder Ausdruck einer problematischen Entwicklung, in der das Tragen oder Nichttragen von Masken zu politischen Statements überhöht wurde. Aber diese Überhöhung war ja real, und es war Sandra Maischberger selbst, der es wichtig war, auf das angeblich freiwillig Masken tragende Publikum zu verweisen.

Maßstab: Verstoß gegen Programmgrundsätze

Dass Programmbeschwerden fast immer abgelehnt werden, selbst dann, wenn der Sender oder der Rundfunkrat einräumen, dass die geäußerte Kritik berechtigt ist, liegt an der riesigen Hürde, die mit ihnen verbunden ist: Es reicht nicht, einen Fehler festzustellen, es muss gegen „Programmgrundsätze“ verstoßen worden sein. Die sind für den WDR in Paragraph 5 des WDR-Gesetzes definiert und beinhalten so hehre Dinge wie die Achtung der Würde des Menschen und der „sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung“. Außerdem geht es unter anderem darum, die „Vielfalt der bestehenden Meinungen“ abzubilden, Kommentare von Meinungen zu trennen und Nachrichten sorgfältig zu prüfen.

Man müsste in Maischbergers Satz schon einen gewaltigen Täuschungsversuch sehen, um zu finden, dass er auch einen Rechtsbruch dieser Paragraphen im WDR-Gesetz darstellt. (Eine solche Feststellung durch den Rundfunkrat hätte allerdings jenseits der Rüge keine weiteren Konsequenzen.) Insofern ist die Zurückweisung der Beschwerde durch den Rundfunkrat nachvollziehbar. Sie ist aber auch unbefriedigend.

Das Instrument der Programmbeschwerde produziert regelmäßig solche Enttäuschungen. Es scheint zwar so zu sein, dass viele Beschwerdeführer damit zufrieden sind, dass sich die Verantwortlichen ausführlich mit ihren Anliegen beschäftigen, ihnen antworten und vielleicht dies oder jenes einräumen. Wer aber das Verfahren bis zuletzt durchzieht, kann fast nie damit rechnen, formal Recht zu bekommen, auch dann nicht, wenn Fehler oder Versäumnisse eingeräumt werden.

Es ginge auch anders

Es fehlt ein an niedrigere Bedingungen geknüpftes formales Beschwerdeverfahren. Das ist gar keine neue Erkenntnis, sondern wurde nicht zuletzt im Zusammenhang mit einer Beschwerdewelle rund um den Krieg in der Ost-Ukraine vor acht Jahren schon überdeutlich.

Modelle dafür gibt es: Das öffentlich-rechtliche Schweizer Fernsehen etwa hat eine Ombudsstelle, bei der man sich beschweren kann. Die Ombudsleute erörtern die Beschwerden und veröffentlichen ihre Argumente und eventuelle Beanstandungen in einer Form, die Anknüpfungspunkte für eine Diskussion über journalistische Standards bietet.

Helfen würde natürlich auch eine bessere Fehlerkultur. Womöglich hätte der Beschwerdeführer oder die Beschwerdeführerin es nicht für nötig befunden, wegen Maischbergers Maskenpflichtfehler ein aufwändiges und am Ende erwartbar unbefriedigendes Beschwerdeverfahren anzustoßen, wenn sich die Redaktion einfach zeitnah zu einer öffentlichen Korrektur hätte durchringen können. Sie nutzt aber etwa ihren Twitter-Kanal konsequent als Sende- und nicht als Dialogmedium; auch im Faktencheck zur Sendung findet sich kein Hinweis auf den Fehler.

Nun findet man ihn, wenn man den Newsletter des WDR-Rundfunkrates abonniert hat, oder natürlich ganz einfach über die Internetseite des WDR. Unter Gremien → Rundfunkrat → Sitzungen → „Wesentliche Ergebnisse der Sitzung vom 30. November 2022“.

3 Kommentare

  1. Extrem wichtige Beschwerde, sehr gute Gebührenverwendung bei der überaus überzeugenden Ablehnung. Von allen Seiten eine absolut würdige Vorstellung, die in keinster Weise peinlich ist.

  2. @2: Was sollen die Beteiligten auch tun? Der Artikel beschreibt es gut, dass bei dieser Art von juristisch scharfen Anfrage selten etwas herauskommt, weil es unangemessen wäre. Selbst wenn Frau Maischberger sich schlicht vertan gehabt hätte. Und gleichzeitig kann die Beschwerdeführer:inn nicht auf Gehör hoffen, wenn sie es einfach nur „anmerkt“.

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