Podcast-Kritik (94)

„Legion“: Ein Podcast auf den Spuren des Hacker-Kollektivs Anonymous

Die Guy-Fawkes-Maske kennen wir alle. Dieses spöttische, weiße Gesicht mit dem schmalen Kinnbärtchen, dem breiten Lächeln und den zusammengekniffenen Augen. Es ist das Symbol des Hacker-Kollektiv Anonymous, von dem wohl auch die meisten schon einmal gehört haben.

Aber wer steckt dahinter? Dieser Frage versucht der Podcast „Legion: Hacking Anonymous“ von rbb, NDR und der Produktionsfirma „Undone“ auf den Grund zu gehen. Ich mag die Podcasts von Khesrau Behroz und seinem Team. Mit „Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?“ wurde er bekannt und räumte Preise ab, unter anderem den Grimme Online Award und den Deutschen Reporterpreis.

Auch dieser Podcast folgt einem ähnlichen Rezept. Die sechs Folgen sind perfekt produziert, spannend erzählt und schnell weggehört. Was bleibt, ist das Interesse an dem Hacker-Kollektiv und eine Aufmerksamkeit für den Cyber-Krieg, die bei mir vorher noch nicht da war.

Was macht eigentlich ein Hacker?

Der Podcast startet 2008, als Anonymous mit Aktionen gegen Scientology erstmal weltweit von sich Reden machte. Dann begegnen wir Robert, einem deutschen Hacker mit persönlichen Kontakten in die Ukraine. Als der russische Angriffskrieg beginnt, lotst er seine Bekannten aus dem Land in Richtung Deutschland, indem er Satellitenbilder verwendet, die zeigen, welche Brücken noch intakt sind. Später geht er einen Schritt weiter und manipuliert russische Einrichtungen aus der Ferne. Robert ist einer von vielen Hackern, die in diesem Krieg eine wichtige Rolle spielen. Sie hackten das russische Staatsfernsehen und spielten dort schockierende Szenen aus dem Krieg ein, die zeigten, wie ukrainische Zivilisten getötet wurden. Viele weitere Cyber-Attacken folgten. Das Kollektiv hat Putin den Krieg erklärt.

Dieser aktuelle Aufhänger wird benutzt, um in den sechs Episoden des Podcasts auf Spurensuche zu gehen. Wer sind die Menschen, die sich hinter Anonymous verbergen? Um diese Frage zu beantworten, geht es nach Großbritannien, in die Türkei, die USA und in die Schweiz. Dort lebt Hackerin Maia, die auf einer Liste des FBI stand und der 20 Jahre Haft in den USA drohen, wenn sie die Schweiz verlassen sollte. Diese Machart ist spannend, man ist live dabei bei den Recherchen, fühlt jeden Erfolg und auch jeden Rückschlag mit. Etwa wenn der Produzent des Podcasts in Großbritannien vor dem Haus parkt, in dem ein Anonymous-Unterstützer leben soll – er klingelt und tatsächlich macht jemand auf. Da klopft das eigene Herz schon etwas schneller.

Tempo und viele Höreindrücke

Die Produktion muss sich nicht hinter amerikanischen Formaten verstecken. Musik wird gekonnt als Akzent eingesetzt, es wird mit Einspielern aus Nachrichtensendungen gearbeitet, die collagiert eine Momentaufnahme des Geschehenen abbilden. Dazu viele Schnipsel aus Interviews in verschiedensten Sprachen, die nicht 1:1 übersetzt werden, sondern vom Host Khesrau Behroz unterbrochen beziehungsweise erläutert werden. So haben die Episoden Tempo, weil sich ständig neue Höreindrücke abwechseln. Kontrastierend dazu ist Khesrau Behroz selbst, seine unaufgeregte Art zu erzählen.

In der Mitte des Podcasts schweife ich mit den Gedanken immer wieder ab, werde unkonzentriert. Mich verwirren die Zusammenhänge, auch die Namen. Mir werden es zu viele Protagonisten. Es ist kompliziert, all das in einem Audioformat zu erklären, und so greift auch Khesrau Behroz immer wieder zum Stilmittel des Rückblicks, er fasst zusammen, versucht mich wieder einzufangen und abzuholen. Ganz gelingt es ihm nicht, meine Aufmerksamkeit wieder so zu fesseln wie am Anfang, als alles noch so simpel wirkte: Russland böse, Anonymous gut.

Vielleicht wäre es klüger gewesen, bei der Ukraine-Geschichte zu bleiben, hier mehr in die Tiefe zu gehen. Was mich auch stört – zumindest beim Binge-Hören mehrerer Folgen hintereinander – sind die ständigen Teaser für nächste Folgen und die Wiederholungen. Aber das ist wohl eher dem öffentlich-rechtlichen Rahmen geschuldet und lässt sich zum Glück leicht überspringen.

Ein Kollektiv, viele Individuen

Die letzte Folge reißt dann aber nochmal alles herum, denn sie macht deutlich, dass so ein riesiges Kollektiv eben nicht so leicht zu fassen und zu erklären ist; dass hier viele Individuen verschiedene Ziele verfolgen, dass jede und jeder eigene Kämpfe führt und damit manchmal auch zu weit geht. Es gibt eben nicht diesen einen Kopf der Gruppe, es gibt keine einheitlichen Regeln, an die sich alle halten. Und so ärgert sich auch der eine Anon mal über den anderen Anon, weil man sich eben nicht einig wird über die hehren Ziele.

Am Ende geht es mir wie so oft bei kurzen und abgeschlossenen Podcasts: Es reicht mir nicht. Ich fange an, im Internet nachzulesen. Ich suche nach all den Dingen, die ich im Podcast nicht verstanden habe oder die mir zu kurz gekommen sind (wie zum Beispiel die Sache mit den Hummern, aber mehr wird nicht verraten). Ich finde das gar nicht schlecht. Ich wurde neugierig gemacht auf ein Thema, mit dem ich mich selber vorher nur oberflächlich beschäftigt hatte. Ziel erreicht.


Podcast: „Legion“ – rbb, NDR, Undone
Episodenlänge: jeweils rund 30 Minuten
Offizieller Claim: Wer steckt hinter der Maske?
Inoffizieller Claim: Die Wirklichkeit ist spannender als Netflix.
Wer diesen Podcast hört, mag auch… „Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen“ und „Noise“

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