Das autorinnenporträtigste Autorinnenporträt aller Zeiten
In der aktuellen Ausgabe ihres Newsletters „Zwischenzeit_en“ schreibt die Autorin und Journalistin Teresa Bücker über ein Porträt, das „Spiegel“-Autor Tobias Becker vor zwei Wochen über sie geschrieben hat. Es geht darin um ihr aktuelles Buch „Alle_Zeit“, aber auch – das liegt in der Natur eines Porträts – ihre Person, ihren Antrieb, ihr Wirken.
Bücker erklärt:
„Ein Porträt muss gleichzeitig erreichen, ein Bild einer Person zu vermitteln und Bewusstsein dafür schaffen, dass der Text lediglich eine Annäherung sein kann und subjektiv geprägt ist durch die Person, die schreibt. In ein Porträt einzuwilligen geht damit auch immer mit dem Risiko einher, dass man sich nicht gesehen, verstanden oder verletzt fühlen wird. Auf der anderen Seite kann es spannend und bereichernd sein, etwas Neues über sich selbst zu lernen darüber, dass eine andere Person beobachtet hat.“
Sie beschreibt, wie verwundert sie das Stück las, und wie sie dafür kritisiert wurde, dass sie es unkommentiert teilte. Sie beleuchtet befremdliche Stellen, die geschlechtsspezifische Abwertungen reproduzieren. Und sie versucht, die seltsame Beziehung, die der oder die Porträtierende mit der porträtierten Person eingeht, mit analytischem und offenem Blick zu betrachten, und verbindet das mit der Introspektion, ihrer Irritation, ihrem Hadern.
Besonders bemerkenswert an diesem Porträt war für mich, dass es in manchem Momenten subtilen Überraschtseins sehr an jenes über die Kolumnistin und Autorin Margarete Stokowski von Tobias Haberl im „SZ-Magazin“ erinnerte. Stokowski selbst beschreibt es in diesem Thread als Déjà-Vu:
Männer ❤️ Wir haben ihnen jetzt über Jahre erklärt, dass sie sich zusammenreißen müssen, wenn sie eine Autorin/Wissenschaftlerin/… porträtieren, nicht mit Kommentaren zu ihrem Körper einzusteigen… hier ist, was sie gelernt haben pic.twitter.com/46ySPwabpt
— Margarete Stokowski (@marga_owski) October 26, 2022
Diese strukturellen und narrativen Ähnlichkeiten sagen uns etwas darüber, was bei Porträts im Allgemeinen, bei Porträts über Frauen besonders, handwerklich knirscht und knarzt: zum Beispiel das latente Staunen darüber, wie sehr eine Porträtierte durch ihre Optik die stereotypische Erwartung des Porträtierenden widerlegt.
Auch der Hebel in beiden Texten, mit dem der Feminismus kritisch betrachtet und anhand der Protagonistinnen entweder als zu sanftmütig oder als zu hysterisch gezeichnet wird (beides zufällig Eigenschaften, die traditionsgemäß Frauen zugeschrieben werden), ließ mich interessiert auf die Parallelen der Gattung „Porträtierte weibliche Medienschaffende“ blicken. Deswegen dachte ich mir, ich wage ein kleines Experiment und baue aus verschiedenen Texten über Publizistinnen das archetypischste Porträt über eine Frau in den Medien. Frankensteins Braut als journalistische Fingerübung, und ich weiß nicht, ob es an Halloween liegt, aber sie lebt. Sie leeeeebt!
Der folgende Text besteht ausschließlich aus Originalzitaten aus verschiedenen Porträts über weibliche Medienschaffende. Nur ihre Namen wurden durch ihre Berufsbezeichnung ausgetauscht und Alters- und Ortsangaben vereinheitlicht, ein Satz wurde gekürzt. Der Rest stammt wortgetreu aus den unten angegebenen Quellen.
Das Tornado-Mädchen
„Hallo!“, ruft die porträtierte Journalistin, Kolumnistin oder Kriegsreporterin durch den Türrahmen ihres Büros. Mit mädchenhafter Leichtfüßigkeit kommt sie angelaufen. Beinahe hüpft sie wie die Chefredakteurin eines Magazins für topgesunde Ernährung. Kaum zu glauben, dass sie die Redaktionsleiterin des mehr als 40 Jahre alten Gesellschaftsmagazins ist, eines der höchsten Instanzen des sozialkritischen deutschen Fernsehjournalismus.
Sie hat ein schönes Lächeln und erscheint viel jünger und kraftvoller als man es von einer Frau in ihrem Alter erwartet. Ihre dunklen Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und der Pony ist unregelmäßiger, Friseure würden sagen: „frecher“ frisiert als auf dem Bildschirm, wenn sie das Magazin moderiert. Das Gesicht mit dem Näschen, dem gepflegten Mund, den regelmäßigen Zügen hätte beinahe etwas Puppenhaftes, wären da nicht diese Augen: hellgrün und hellwach. Überhaupt scheint sie viele Gegensätze in sich zu vereinigen. Sie sieht aus wie ein Mädchen, ist aber gerade 37 geworden und verheiratete Mutter vierjähriger Zwillinge. Wie ein aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen. Sie wird manchmal für eine Spielerfrau oder Charity-Lady gehalten, schaute aber bis vor kurzem als Redaktionsleiterin aus dem 36. Stock auf die Berliner Skyline.
Wer-Hätte-Das-Gedacht-Brüche und Überraschtheit als journalistische Ressource: Frauen sind, wie sie sind, obwohl sie Frauen sind
Wer als Journalist eine Feministin porträtiert, sollte vielleicht nicht mit einer Äußerlichkeit in den Text einsteigen. Aber dann ist da diese Stimme. Die Stimme klingt schwer und ruhig, das Timbre dunkel, als wohnte sie in einem kräftigen, einem großen Körper. Diese Stimme lebt aber in einer zierlichen Gestalt: Das irritiert – einen entscheidenden Moment lang.
Sie ist 1,59 Meter groß und sieht immer ein bisschen unausgeschlafen aus. Sie kann sehr unausgeschlafen aussehen und mit einem Klick ihre Augen auf Betörung umschalten, sie ist schnell und charmant und möglicherweise auch ein wenig manipulativ, es ist ein Spiel, und vielleicht weiß sie selbst nicht ganz genau, wie und was sie da spielt, vermutlich aber doch.
Ist ihr Feminismus schlüssig oder droht er, ins Ideologische, Totalitäre, Selbstgerechte abzugleiten? Ist sie zu Recht unbequem oder zu Unrecht bedeutsam? Sie stellt etwas dar, aber sie ist keine Selbstdarstellerin wie manch andere Netzfeministin. Keine dieser Twitter-Krawallschachteln, die vor allem den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie folgen. Die Journalistin folgt ihrem Kopf.
Nun bekommt die junge Frau mit der überraschend tiefen Stimme eine eigene Talkshow bei ZDFneo, doch wenn man sich eine Stunde mit ihr unterhält, fragt man sich automatisch: Wird das gutgehen? Ist eine Frau, die so gern und so viel spricht, auch eine gute Fragestellerin? Und Zuhörerin? In Fernsehdiskussionen fällt sie dadurch auf, dass sie eine der wenigen Frauen ist, die sich nicht unterbrechen lässt.
Sie ist Hamburgerin, aber anders als all die Lokalpatrioten aus der Hansestadt eine begeisterte Wahlberlinerin. Man könnte auch sagen, sie ist Hamburgerin geblieben: zurückhaltend und erst in den richtigen Momenten ein wenig stur. Wenn Hamburger sich etwas in den Kopf gesetzt haben, ziehen sie es durch. Die Journalistin und Schriftstellerin ist erst 37 Jahre alt, aber macht jetzt schon ganz Berlin-Mitte verrückt.
Feminismus gar nicht so toll wie alle sagen; starke Frauen sind einfach stark, weil sie Frauen sind
Das Berechenbarste an ihr ist ihr Feminismus. Würde sie sich im Kampf gegen das Artensterben engagieren, kein Mensch hätte je Notiz von ihr genommen, als Feministin steht sie an der Front unzähliger Diskurslinien, im Zentrum der leidenschaftlich geführten Identitäts- und Genderdebatte, und im Zentrum steht sie gern.
Vielleicht gehört das zum Wesen eines Kriegsberichterstatters, wahrscheinlich muss es auch zu einer Frau gehören, die mutiger ist als die mutigsten Männer, die nachts in einem verwahrlosten Schuppen, mitten im zerbombten Grosny ihre Tage bekommt – den „Weibermechanismus“ – und umgeben von lausigen Männern nach einer Toilette, nach Watte und nach Wasser sucht.
Ein paar Wochen später kommt sie nach München und liest im Literaturhaus. Die Veranstaltung war zwei Tage nach der Ankündigung ausverkauft. Eine Inklusions-Aktivistin bedankt sich bei ihr dafür, dass sie mit ihrem Text ein gutes und wohliges Gefühl bei ihr ausgelöst habe. Und die Journalistin lobt die Inklusions-Aktivistin dafür, dass sie eine der lustigsten Feministinnen sei, die sie kenne.
Man hat sich lieb. Man zitiert sich gegenseitig, twittert Fotos von den Büchern der jeweils anderen, kreiert Win-win-Situationen, trotzdem hat man nicht immer den Eindruck, als verberge sich hinter der geschäftigen Dauervernetzung ein gemeinsames Wollen, eine tiefer gehende Solidarität.
„Schade, dass sie es vorzieht, lieber in ihrer eigenen Echokammer zu verbleiben“, sagt ein O-Ton-Geber.
Wie wurde diese Frau zu der Frau, die sie ist? Angedeuteter Elektrakomplex in der Biographisierung, dann schnell zu den Männern aus ihrer Gegenwart
Ihre Kindheitsjahre lassen sich nur lückenhaft rekonstruieren. Im Mittelpunkt steht der charismatische Patriarch. An seinen Drehbüchern kann sie studieren, wie Spannung und Unterhaltung aufgebaut werden, wie man Texte für ein großes Publikum schreibt. Als ihr Vater im Alter von 70 Jahren stirbt, hat er ihre Freude an der Literatur und am Ausdenken von Geschichten geprägt. Nach ihrem Volontariat und einem Intermezzo bei der „Augsburger Allgemeinen“ wechselt die junge Frau zu Burdas Frauenzeitschrift „Freundin“. Hier lernt sie, für eine weibliche Zielgruppe zu denken und zu schreiben.
Ihr Freund schlendert vorbei, es sieht so aus, als käme er aus dem Supermarkt. Ein Nicken, ein flüchtiges Lächeln, zum ersten Mal geht eine Wärme von ihr aus, zum ersten Mal ahnt man, dass diese Frau jede Menge durchgemacht hat, dass sie unter einem enormen Druck steht und dass sie auch ganz anders sein kann, nicht nur cool, sondern weich und bedürftig, schon unterhaltsam, aber nicht aufgedreht.
„Vielleicht hat sie sich verändert“, sagt ein anderer O-Ton-Geber.
Dass ihr nebenbei gelungen ist, was so viele Menschen im 21. Jahrhundert versuchen, nämlich eine erfolgreiche Marke aus sich zu machen, ist eine Chance und eine Gefahr, eine Leistung und eine Bürde. Im Netz ist sie eine Marke. Ob sie sich der Verantwortung bewusst ist, die damit einhergeht? Vielleicht genießt sie den Hass sogar.
Quellen
- Peter Lückemeier in der FAZ über Laura Karasek
- Tobias Becker im „Spiegel“ über Teresa Bücker
- Georg Diez im „Spiegel“ über Ronja von Rönne
- Tobias Haberl im „SZ-Magazin“ über Margarete Stokowski
- Diemut Roether im Buch „Alpha Journalisten“ über Bettina Gaus
- Steffen Burkhardt im Buch „Alpha Journalisten“ über Patricia Riekel
- Peter Littger im Buch „Alpha Journalisten“ über Sonia Mikich
- Martin Ebel im „Tagesanzeiger“ über Sally Rooney
Der Titel „Das Tornado-Mädchen“ stammt aus dem Porträt von Ben Bolz über Mercedes Bunz in „Die Alpha-Journalisten 2.0“. Die anderen „Alpha-Journalisten“ bekam Zuschreibungen wie der Einheizer, der Gedankensammler, der Prophet, der Lyriker, der Eremit, King Kong, Don Gnadenlos, the Dreamer; das Porträt über Stefan Niggemeier hieß „der Crashtest-Dummy“, und Bunz war eben „das Tornado-Mädchen“.
Ab „mädchenhafter Leichtfüßigkeit“ war es eigentlich schon nicht mehr zu ertragen, und da ging es ja erst richtig los… Die Verdichtung macht‘s noch einmal sehr anschaulich – jetzt noch ein entsprechender Text über portraitierte Männer und zwei Seminarstunden „How Not To Write Portraits“ sind gefüllt.
Vor allem merkt man so erst so richtig, wie bedeutungslos und unwichtig solche „tiefsinnigen“ Sätze sind.
Nach der Fußballreportage ein weiteres Gebiet, das man durch Algorithmen komplett ersetzen könnte.
Danke! Ich klicke bei _jedem journalistischen Text sofort weg, wenn er anfängt, das Äußere einer Person zu beschreiben. (Leider auch besonders beliebt bei so „atmosphärischen“ Berichten aus Afrika.) Hat m.E. nie etwas in einem journalistischen Text verloren, es sei denn, er hat wirklich das Äußere einer Person zum Thema.
Eine Interessante Betrachtung. Ich finde es gut, dass man das mal hinterfragt.
Auch mir ist das in den letzten Jahren immer und immer wieder negativ aufgefallen.
Meine Vermutung, warum immer wieder so geschrieben wird geht dahin, dass es leichter ist über das Aussehen einer Frau zu schreiben als über das eines Mannes. Stellen Sie mal 50 Firmenchefs und 50 Firmenchefinnen nebeneinander. Mit relativer Sicherheit kommt man bei der männlichen Seite (unabhängig vom Alter) auf 45 graue, blaue oder schwarze Anzüge sowie auf 50 identische Kurzhaarfrisuren und auf der weiblichen Seite auf lauter Röcke, Blusen, Blazer und Hosenanzüge in 20 verschiedenen Farben sowie auf 30 verschiedene Frisuren.
Bei Männern wird da eher auf die Figur (gross schlank, klein stämmig) eingegangen habe Ich den Eindruck.