Der Autor
René Martens ist Medienjournalist und einer der Autoren der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Er gehört regelmäßig der Grimme-Preis-Nominierungskommission Information & Kultur an. Zudem ist er Autor diverser Bücher über den FC St. Pauli.
Dass die Gehälter öffentlich-rechtlicher Führungskräfte unverhältnismäßig seien, wird in der Debatte um ARD und ZDF schon lange und immer wieder kritisiert. Mitte August verschärfte sich der Ton noch mal, als das Magazin „Business Insider“ und das Rechercheteam des rbb enthüllten, dass mehr als zwei Dutzend außertariflich bezahlte rbb-Führungskräfte einmal pro Jahr Boni in fünfstelliger Höhe bekommen – ohne substantielle Kriterien dafür.
Und auch beim WDR wird nun diskutiert: Wenige Stunden vor der Veröffentlichung der Recherchen zu den Boni beim rbb hatten rund 1.500 Mitarbeitende des WDR Überraschendes über die Top-Manager im eigenen Hause erfahren. Bei einem WDR-Dialog zum Thema „Gremien, Gehälter, Gemeinwohl“ schilderte Claudia Schare, die Vorsitzende des Verwaltungsrats, dass die Einkommen für außertarifliche Mitarbeitende (AT) angehoben würden, und zwar entsprechend den Steigerungen bei den Tarifgehältern.
Von dem „Ergebnis, das wir Gewerkschaften mit dem Haus ausgehandelt haben, profitieren auch die AT-Beschäftigten“ – so fasst es der Deutsche Journalistenverband (DJV) in einem Flugblatt zusammen, das nach der Veranstaltung erschien. „Wir werden schief angeguckt, wenn wir für Gehaltserhöhungen streiken, und jetzt erfahren wir, dass wir gewissermaßen für die mit streiken, die uns schief angucken“, sagt ein Mitglied der DJV-Betriebsgruppe im WDR. Es klingt nach einer Mischung aus Amüsiertheit und Bitterkeit.
Derzeit seien 33 Mitarbeiter:innen im WDR außertariflich beschäftigt, teilt der Sender auf Anfrage von Übermedien mit. Unter der Überschrift „Entwicklung der Planstellen“ nennt der Sender im Intranet allerdings 42 AT-Stellen. Beide Angaben seien „richtig“, sagt ein Sprecher auf Nachfrage. Anscheinend handelt es sich um eine Art mathematisches Mirakel, das der WDR so erklärt: Die Zahl 42 umfasse auch „die Inhaber:innen von acht Stellen“, die „nicht außertariflich bezahlt werden, sondern nach der höchsten Tarifgruppe“, sagt der Sprecher. Zudem sei derzeit eine AT-Stelle unbesetzt.
Spricht grundsätzlich etwas dagegen, dass die Gehälter von Führungskräften regelmäßig steigen? Nein, sagt die Person aus dem DJV zu Übermedien, man wolle keine „Neiddebatte“ anstoßen. Die Aufregung über das, was Verwaltungsratsvorsitzende Schare offengelegt hatte, resultiere vor allem aus dem großen Unmut über die aktuelle tarifpolitische Strategie des WDR.
Der DJV fordert in der diesjährigen Tarifrunde eine Gehaltserhöhung von 5 Prozent und einen Inflationsausgleich für alle Festen und Freien, der Sender bietet lediglich 2,25 Prozent (aber erst ab Juni 2023) an – sowie eine Einmalzahlung von 2.000 Euro. Das sei „das schlechteste Angebot aller Zeiten“, sagt der DJV. Zuletzt hatten die WDR-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Anfang Juli deswegen gestreikt, was sich massive massiv auf das Programm auswirkte. Es sind, wie überall in der ARD, vor allem die Freien, die Beiträge produzieren, die rausfahren, drehen, im Schnitt sitzen und moderieren.
Nicht unbedingt zur Besänftigung des Unmuts trug bei der Veranstaltung Verwaltungsdirektorin Katrin Vernau bei. Als in der großen Runde der Vorschlag aufkam, die AT-Beschäftigten könnten ja aufs zusätzliche Geld verzichten, um die Summe auf die Angehörigen der unteren Vergütungsgruppen zu verteilen, sagte sie laut DJV:
„Wenn man es [die Anpassung] über Jahre nicht macht, verdienen irgendwann die Tariflichen mehr als die Außertariflichen.“
Der DJV entgegnet auf seinem Flugblatt irritiert: „Ernsthaft, Frau Dr. Vernau?“
Vernau ist seit 2015 Direktorin beim WDR, vorher wirkte sie im Imperium des Unternehmensberaters Roland Berger, genauer gesagt: als Dekanin der „Roland Berger School of Strategy and Economics“. Mit Zahlen kennt sich Vernau bestens aus. Dass ihre Prognose plausibel ist, kann man dennoch bezweifeln.
Vernau verdient (laut dem WDR-Geschäftsbericht für 2020) 242.000 Euro pro Jahr – ebenso wie die anderen Direktor*innen, also etwa Jörg Schönenborn, der für Information, Fiktion und Unterhaltung zuständige Programmdirektor. Um das aktuelle Tarifangebot des WDR aufzugreifen: Bekäme Vernau demnächst 2,25 Prozent mehr, würde sich ihr Jahresgehalt um 5445 Euro erhöhen – mehr als das Monatsgehalt, das zum Beispiel eine tarifliche bezahlte Redakteur*in nach rund fünf Berufsjahren verdient, nämlich rund 4.700 Euro.
Auch die AT-Beschäftigten unterhalb der Direktor*innen-Ebene müssten ohne eine solche Gehaltsanpassung nicht befürchten, dass ihnen das einfache Redakteursvolk finanziell zu nahe kommt. Laut einer ARD-Übersicht beträgt das durchschnittliche Monatsgehalt für „Programmbereichsleiter/innen“ und „Hauptabteilungsleiter/innen“ beim WDR rund 13.900 Euro. Das ist der zweithöchste Wert innerhalb der ARD für solche Führungskräfte, nur beim NDR liegt er mit rund 14.200 Euro höher. Am wenigsten verdient diese Top-Manager*innen-Gruppe beim kleinen Saarländischen Rundfunk, im Schnitt rund 10.700 Euro.
„Die Anpassung der AT-Gehälter analog der tariflichen Steigerungsrate hat eine jahrzehntelange Praxis im WDR“, sagt ein Sprecher des Senders. Andererseits betont er, dass es „keinen Automatismus für eine 1:1-Übernahme der Tarifergebnisse für den AT-Bereich“ gebe. Der Verwaltungsrat hinterfrage diese Praxis regelmäßig und erwäge „Alternativen“, beispielsweise einer „einzelvertraglichen und individuellen Anpassung“. In der Vergangenheit seien „wiederholt lineare Steigerungsraten erst zeitlich versetzt und/oder Einmalzahlungen nicht an die AT-Beschäftigten weitergegeben“ worden. Es habe also „mehrmals geringere Anpassungen der AT-Gehälter“ gegeben „als vom Intendanten beantragt“.
Gibt es den nun trotz „jahrzehntelanger Praxis“ beim WDR erst jetzt bekannt gewordenen Modus auch für die Führungskräfte anderer ARD-Häuser? Ja. Ein Sprecher des MDR teilt mit, die Vergütungen der AT-Mitarbeitenden würden „in der Regel mit den Tarifanpassungen erhöht“. Auch der NDR hat eine ähnliche Regelung, allerdings noch nicht lange.
Bis 2020 seien „die Gehälter der außertariflich Mitarbeitenden entsprechend der Steigerungen bei den Bundesbeamten angehoben“ worden, sagt eine Sprecherin. Seither würden sie „entsprechend der Tarifgehälter gesteigert“. Die Begründung: 2020 wären die Gehälter der AT-Mitarbeitenden höher gestiegen als die der Tarifangestellten, wenn man sie weiter an die Steigerungen bei Bundesbeamten gekoppelt hätte. Das Ziel sei es gewesen, eine „Besserbehandlung“ auszuschließen. Angewendet wird dieser neue Modus derzeit aber nicht. Der NDR muss sparen. Deshalb hätten die AT-Mitarbeitenden im NDR „in den vergangenen beiden Jahren auf Gehaltssteigerungen verzichtet“, sagt die Sprecherin.
Beim Hessischen Rundfunk (hr) ist es ähnlich wie beim NDR vor 2020. Aber: Hier sind nicht die Bezüge der Beamt*innen des Bundes maßgeblich, sondern die der Beamt*innen des Landes Hessen. Würden deren Bezüge erhöht, erhöhten sich auch „die Grundvergütungen der außertariflichen Bezahlten“, sagt ein hr-Sprecher.
Das betrifft allerdings nur den Intendanten und die beiden Direktorinnen, denn nur sie gelten laut HR-Sprachregelung als „außertariflich Bezahlte“. Wer zur „Führungsebene der Bereichsleiter“ gehöre, erhalte dagegen „eine Vergütung nach Tarifvertrag sowie eine übertarifliche Zulage für die Führungsfunktion“. So wunderschön komplex ist die Welt der ARD.
Auch beim hr ist an der Spitze aber gerade Zurückhaltung angesagt. „Die Mitglieder der Geschäftsleitung haben Mitte Juli 2022 beschlossen, auf die Erhöhung ihrer Bezüge, die ihnen jetzt im August 2022 zugestanden hätte, zu verzichten“, sagt der HR-Sprecher. Sonst wären die Gehälter des gerade erst vor einem halben Jahr angetretenen Intendanten Florian Hager sowie der Direktorinnen Gabriele Holzner und Stephanie Weber um 2,2 Prozent gestiegen.
Bei WDR, NDR und MDR entsteht jedenfalls eine Schieflage, wenn vom gewerkschaftlichen Einsatz für höhere Löhne auch die Führungskräfte profitieren – auch wenn die Verwaltungsräte im Detail vielleicht hin und wieder korrigierend eingreifen.
Beim aktuellen Tarifstreit im WDR sitzen deshalb die Führungskräfte nicht nur auf einer Seite des Verhandlungstisches, sondern sozusagen mit einer halben Hinterbacke auch auf der anderen. Die Gewerkschaften setzen sich unter anderem dafür ein, dass die Mitarbeitenden durch eine Erhöhung ihrer Einkünfte die steigenden Lebenshaltungskosten besser in den Griff bekommen. Es wäre nicht zwingend fair, wenn Spitzenmanager, die finanziell ohnehin besser dastehen, von einem Tarifabschluss profitierten.
Die nächste Tarifrunde mit den Gewerkschaften beim WDR findet am 6. September statt. Verhandlungsführerin für den Sender ist die Frau, die offenbar fürchtet, irgendwann weniger zu verdienen als die tariflich Beschäftigten: Verwaltungsdirektorin Vernau.
Nachtrag, 6.9.2022. Wir hatten ursprünglich angegeben, was höherrangige Beschäftigte des öffentlichen Dienstes verdienen. Als Vergleich. Nach dem freundlichen Hinweis eines Lesers, dass das pauschal schwierig zu vergleichen ist, haben wir die Passage aus dem Text entfernt. Vielen Dank für den Hinweis!
René Martens ist Medienjournalist und einer der Autoren der MDR-Medienkolumne „Altpapier“. Er gehört regelmäßig der Grimme-Preis-Nominierungskommission Information & Kultur an. Zudem ist er Autor diverser Bücher über den FC St. Pauli.
Das ist ja ganz schlau eingerichtet.
Da hat wirklich jemand gedacht: das ist die optimale Regelung.
Und anderswo kriegen „feste Freie“ keine automatischen Gehaltserhöhungen, weil: Keks.
Wie immer ein guter Artikel, aber einen Kritikpunkt habe ich:
Zum Vergleich der genannten Gehälter von AT-Beschäftigten mit Beamten im öffentlichen Dienst wird die Entgeltgruppe E15Ü genannt. Dies ist aber nur die höchste Besoldung im gehobenen Dienst. Die im Text beschriebenen Funktionen (Direktoren, Hauptabteilungsleiter o.ä.) sollten aber eher mit dem höheren Dienst verglichen werden. Dort finden sich in der Besoldungsordnung B dann auch durchaus Gehälter, die jenen von AT-Beschäftigten ähneln. So zum Beispiel die Vergütungen für Ministerialdirektor*innen und -dirigent*innen. Das solche Gehälter im öffentlichen Dienst nicht gezahlt werden, stimmt also nicht ganz.
Die Debatte, ob solche Gehälter und deren automatische Steigerung im ÖRR angemessen sind, sollte natürlich geführt werden.
Das ist so nicht richtig. Die E15Ü ist die höchste Tarifstufe für Angestellte im öffentlichen Dienst, analog zu A15, was selbstverständlich höherer Dienst ist. B-Besoldungen gibt es ausschließlich für Beamte. Wie nun genau die Stellen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzuordnen wären, weiß ich nicht. Aber ganz sicher sind schon die Redakteursgehälter in den Endstufen im Vergleich klar zu hoch, ebenso – wieder im Vergleich – die AT-Gehälter. Unabhängig davon leiden nach meiner Beobachtung zum Beispiel beim WDR die Jungen sehr deutlich unter den überzogenen Vergütungen der Alten. Und die Freien sind eh angeschmiert.
Allerdings hat der Berliner Rechnungshof schon 2018 kritisiert, dass AT-Vergütungen nicht parallel zu Tariferhöhungen steigen sollten:
„Das Thema AT-Verträge hatte der Landesrechnungshof Berlin 2018 in seinem letzten Bericht über den rbb erwähnt. Damals wurde kritisiert, dass diesem Personenkreis auch ein Familienzuschlag ausgezahlt wird. „Es widerspricht dem Charakter außertariflicher Vergütungen, wenn sie insgesamt oder zu Teilen an allgemeine Tarifentwicklungen gekoppelt sind“, heißt es in dem Bericht.
Kurz darauf wurde diese Praxis abgeschafft, wie die damalige Intendantin Patricia Schlesinger am 20. März 2019 dem Abgeordnetenhaus mitteilte. “
https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/09/rbb-fuehrungskraefte-verguetung-aussertarifliche-arbeitsvertraege-patricia-schlesinger.html