Der Autor
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Macht den Laden dicht, ihr Deppen.
Der Satz ist schon ein paar Jahre alt und in einem ganz anderen Zusammenhang gefallen, aber er scheint die angemessene, fast zwingende Reaktion auf die immer neuen Enthüllungen über skandalöse Zustände beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Und vor allem auf die Unfähigkeit, angemessen mit ihnen umzugehen.
Natürlich ist es schwer, eine gute Figur zu machen, wenn jeden Tag neue Details ans Licht kommen, ganz unterschiedliche Vorwürfe, jeder einzelne ein weiterer Mosaikstein in einem verheerenden Gesamtbild einer Anstalt mit zutiefst unanständigen Geschäftspraktiken.
Stefan Niggemeier ist Gründer von Übermedien und „BILDblog“. Seit vielen Jahren Autor, Blogger und freier Medienkritiker, früher unter anderem bei der FAS und beim „Spiegel“.
Aber wegen der Enthüllungen an sich wären die anderen Intendantinnen und Intendanten der ARD sicher nicht den spektakulären, einmaligen und bis gestern Nachmittag undenkbaren Weg gegangen, der nach dem Rücktritt von Patricia Schlesinger amtierenden rbb-Geschäftsführung öffentlich das Misstrauen auszusprechen. Es musste noch das Versagen hinzukommen, wenigstens intern eine vernünftige, verlässliche Krisenkommunikation hinzukriegen.
Die Kollegen von DWDL schildern es aus ARD-Sicht anschaulich: In nahezu täglichen Krisen-Schaltgesprächen hätten die rbb-Leute immer wieder versichert, nun Herr der Lage zu sein. „Teils wenige Stunden später erfuhren die Kollegen aus den anderen Anstalten dann von neuen Skandal-Enthüllungen. Und nicht nur das: Aus den Veröffentlichungszeitpunkten ließ sich simpel zurückrechnen, dass die jeweiligen Fragenkataloge von den recherchierenden Journalisten den RBB-Granden bereits vorgelegen haben müssen, als diese der ARD-Runde versicherten, man wisse nichts von weiteren Vorwürfen.“
Wie groß die Verzweiflung – oder auch nur die Wut – gewesen sein muss, lässt sich auch daran absehen, dass die anderen acht Intendanten am späten Freitagabend erstmals ohne jemanden vom rbb tagten. Das war im konkreten Fall sinnvoll, um darüber zu beraten, wie man mit dem Schmuddelkind umgehen sollte, mit dem bekannten Ergebnis der Misstrauens-Erklärung. Aber der WDR-Intendant und ARD-Vorsitzende Tom Buhrow behielt sich auch vor, das in Zukunft zu machen. Es werde „sicher Beratungspunkte geben, bei denen wir uns vorerst eher zu acht als zu neunt austauschen müssen“, sagte er. Der rbb muss draußen bleiben.
Man kann das alles für Theaterdonner halten, insbesondere weil die gemeinsame Erklärung keine formalen Konsequenzen hat: Die ARD hat dem rbb gar nichts zu sagen. Insofern ist der Schritt vor allem symbolisch und ein Versuch, demonstrativ maximale Distanz zwischen ein unübersehbar toxisches System bei einer Rundfunkanstalt und allen anderen Rundfunkanstalten zu bringen.
Die öffentliche Wirkung ist jedenfalls gewaltig, und die ARD hat selbst alles dafür getan, sie zu maximieren. Die Nachricht vom fehlenden Vertrauen der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands in ihr Mitglied rbb war gestern die Aufmachermeldung in der 20-Uhr-„Tagesschau“. Und sie wurde auch in der „Tagesschau“ als erstes verkündet – in der Nachmittagsausgabe um 14:45 Uhr.
Gleichzeitig veröffentlichten mehrere Medien eigene Versionen der Nachricht, jeweils mit Sätzen, die Tom Buhrow ihnen gegenüber gesagt habe: dpa, DWDL, „Focus Online“, der „Tagesspiegel“ und die FAZ. Zu dieser konzertiert wirkenden Aktion kam es dadurch, dass Buhrow am Freitag ohnehin mehrere Journalisten zu einem Hintergrundgespräch geladen hatte. Das war ursprünglich nicht für einen so brisanten Anlass gedacht. Aber während des Gesprächs sei der Konflikt zwischen der ARD-Spitze und dem rbb erkennbar eskaliert, heißt es aus Teilnehmerkreisen. Man vereinbarte ein gemeinsames Pressegespräch der anwesenden Journalisten mit Buhrow per Videoschalte für den Samstag und eine Sperrfrist, die auf Wunsch des WDR dann nochmal an die Nachmittags-„Tagesschau“ angepasst wurde.
So ging die Bombe an vielen Stellen gleichzeitig hoch. Der rbb wurde davon nach eigenen Angaben kalt erwischt.
Wenn Buhrow sagt, man sei nicht die Aufsicht des rbb und könne „insofern keinen Druck ausüben, aber wir wollen helfen“, klingt das fast höhnisch. Einige in der Politik vor Ort fanden das gar nicht hilfreich. Antje Kapek, die für die Grünen-Fraktion des Berliner Abgeordnetenhauses im Rundfunkrat sitzt, beschwerte sich in einer Sondersendung des rbb über „Tipps von der Seitenlinie“ und riet den anderen Anstalten, mal bei sich selbst nachzusehen. Ihr Brandenburger SPD-Kollege Erik Stohn, ebenfalls im Rundfunkrat, nannte die ARD-Aktion eine „ziemliche Unverfrorenheit“.
Trotzdem ist es schwer vorstellbar, dass die Geschäftsleitung nun auch nur einen Tag länger noch im Amt bleibt. (Eigentlich wäre es unvorstellbar, aber das ist beim rbb gerade nichts mehr.) Das ist eine Machtfrage, aber auch eine pragmatische: Ist es besser für die Aufarbeitung all der Vorwürfe, wenn diejenigen dabei helfen, die für für den Schlamassel (mit)verantwortlich sind? Oder wenn es jetzt sofort einen radikalen Schnitt gibt, eine Übergangs-Leitung, die unbelastet aufräumen kann, bis irgendwann ein echter Neuanfang unter einer neuen Intendantin oder einem neuen Intendanten gewagt werden kann?
Für die zweite Variante hat sich (neben den ARD-Intendanten) auch der Redakteursausschuss des rbb ausgesprochen.
Die amtierende Geschäftsleitung hat sich jedenfalls auch in den vergangenen Tagen reichlich blamiert. Zum Beispiel dadurch, dass Chefredakteur David Biesinger und Interims-Intendant Hagen Brandstäter bis zuletzt darauf beharrten, dass es kein Bonus-System für Führungskräfte des Senders gegeben habe, eine irreführende Wortklauberei.
Brandstäter machte eine besonders traurige Figur am Dienstag vor dem Hauptausschuss des Brandenburger Landtages, als er mühsam eine Erklärung vorlas, die zunächst langwierig Selbstverständlichkeiten aufzählte wie die Namen aller Radiowellen der Anstalt und am Ende in einer aberwitzigen Kapitäns-Metapher mündete. Nach mehreren Stunden waren manche Abgeordnete fassungslos über Brandstäters Auftritt – sie hatten die Geduld mit ihm schon ein paar Tage vor den ARD-Intendanten verloren.
Ich kann sie verstehen.
Keine Panik auf der rbb. 🚢😉 #Brandstäter pic.twitter.com/5gE4qLRICV
— Übermedien (@uebermedien) August 21, 2022
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Danke für den ausgewogenen Kommentar! Was bei der aktuellen und auch gerechtfertigten Empörung manchmal aus dem Blick gerät : nicht nur bei den ARD – Intendanten herrscht Wut, sondern auch an der Basis, also bei der Belegschaft. Und diese Wut ist echt. Denn die vielen Journalisten und Journalistinnen in den Häusern haben das Gefühl, dass hierauch ihre Reputation leichtfertig verspielt wird. Also gerade die vielen Freien, die niemals auch nur in die Nähe von Bonusrunden oder Dienstwagen kommen dürften. Und sich trotzdem jeden Tag aufreiben für ein Programm, an das sie glauben. Sie müssen sich jetzt erklären vor Freunden, Bekannten und Interviewpartnerinnen.U Und zum Dank heißt es absehbar bei den nächsten Gehaltsverhandlungen: „Inflationsausgleich? Entfristungen? Aber doch nicht jetzt! Die ARD muss nach außen Sparsamkeit demonstrieren.“ Jede Wette, dass die Hausleitungen dieses Argument gegen die eigenen Leute verwenden werden.
Offenlegung: ich arbeite als freier Journalist für zwei ÖR-Anstalten, aber nicht für den rbb
Ist jetzt vllt. nicht ganz die richtige Stelle, aber muss man das Wort „toxisch“ überhaupt für Menschen oder Institutionen, die aus Menschen bestehen, verwenden?
Sonstige und deutlich bessere Anwendungsgebiete für „toxisch“ sind Tiere, Pflanzen und vor allem Abfälle.