„Zeit Online“ ist auf die Jagd gegangen, auf Menschenjagd. Eine Reporterin hat sich mit Hans Paul getroffen, dem berüchtigtsten Paparazzo des Landes, um mit ihm zusammen an einem See in Bayern die Schlagersängerin Helene Fischer zu „schießen“ – am besten mit Kinderwagen, „das wäre was“.
„Hans macht Jagd“ ist die Reportage überschrieben, und die „Zeit“ legt sich fröhlich mit auf die Lauer. Die Reporterin ist sogar so freundlich, ihren Mietwagen für die Jagd zur Verfügung zu stellen. Sie fährt, er hält Ausschau. Und so gurken und lungern sie dann rum am See, sie gucken am Supermarkt, in einem Café, auf der Promenade. Irgendwann verfolgen sie ein Cabriolet, um am Ende festzustellen, dass da gar nicht Helene Fischer fährt – sondern irgendeine „blonde Frau“.
So suchen sie die ganze Zeit, und zwischendurch wird die rührige Geschichte von Hans Paul aus der Nähe von Hamburg erzählt, Jahrgang 1954, der einst „raus in die Welt“ wollte, weil ihm alles zu eng, zu kleinbürgerlich war, und der nun seit Jahren draußen ist in der Welt der Reichen und Prominenten, um diese abzuschießen. Er sehe aus wie ein „harmloser Rentner“, aber oho, was sich da alles verbirgt! „Vor dem Einschlafen“ in seinem Auto lese er „Zusammenfassungen der Ideen von Platon, Locke oder Thomas von Aquin“, also sogar ein gebildeter Paparazzo, da schau her.
Der Text ist kein kritischer Blick auf Hans Paul, seine Arbeit und seine Zunft, im Gegenteil. „Ein Fotograf, der Prominenten nachstellt, sich in Büschen versteckt, ihnen hinterherspioniert?“, fragt die Reporterin. Die Antwort wäre: Ja, genau das! Aber man muss sie sich die Frage, die da so rumsteht im Text, eher staunäugig vorgetragen vorstellen, als wäre die die Reporterin im Reporter-Zoo auf ein seltenes Exemplar gestoßen, das sie nun betrachtet.
Er werde „immer mehr zum Relikt“, diagnostiziert die Reporterin, denn inszenierte Selfies ersetzten nun die Schnappschüsse: „Instagram killed the Paparazzo-Star“, so steht es in der Unterzeile. Weil Promis selbst Fotos posten würden, verliere Pauls Geschäft „an Relevanz“.
Da ist etwas dran, aber vom Aussterben bedroht, wie auch der „Stern“ schon 2008 behauptete, sind Paparazzi nicht. Der Boulevard ist nun mal an exklusiven, gerne pikanten Bildern interessiert, die sich eher nicht auf Insta finden: „Am besten zieht Fremdgehen, eine neue Liebe oder ein außereheliches Kind“, sagt Paul, der dafür, dass er angeblich so allein auf weiter Flur fotografiert, nach eigenen Angaben immerhin 20 freie Mitarbeiter hat.
„Obwohl das eindeutig die Privatspähre verletzt“
Dass so ein Text über den Paparazzo Paul im Angebot der „Zeit“ erscheint, ist an sich schon bemerkenswert, und erst recht, wenn man sich erinnert, dass „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo voriges Jahr ein Interview mit Helene Fischer geführt hat, in dem er sie unter anderem fragt, wie man sich das vorstellen dürfe: „Werden Sie Tag und Nacht von Paparazzi verfolgt?“
„Nein, Gott sei Dank nicht“, antwortet Fischer. Aber:
„Meistens ist es so, dass Paparazzi einen Wink bekommen und meinen Lebensgefährten und mich dann entweder vor dem Haus oder unterwegs erwischen.“
Später in dem Interview sagt di Lorenzo:
„Als Laie hat man sich gewundert, dass in der ,Bild‘ und anderswo sogar über Ihr Anwesen an einem bayerischen See berichtet wurde, obwohl das eindeutig die Privatsphäre – auch von Prominenten – verletzt.“
Und genau an diesen See hat „Zeit Online“ nun eine Reporterin zur geplanten Privatsphäreverletzung geschickt? Und darüber anschließend einen Text veröffentlicht, der auf ein Foto aus Helene Fischers Privatleben zuläuft, das dann ausgerechnet „Bild“ gekauft und veröffentlicht hat?
2016 beklagte di Lorenzo im Interview mit Übermedien noch, dass Reporter dem Bundesinnenminister im Kurzurlaub aufgelauert hatten. Solche Verletzungen der Privatspähre, das sei doch „ein schönes Feld für die Medienseiten“, sagte di Lorenzo, aber wo er „besonders engagierte und lautstarke Medienjournalisten erwarten würde, höre ich ohrenbetäubendes Schweigen“.
Di Lorenzo weiß selbst, wie das mit der Privatsphäre und deren Verletzung ist. Spätestens, seit der „Spiegel“ mal beiläufig erwähnte, dass er und seine Lebensgefährtin sich getrennt hätten. „Dass nicht die ,Frau im Spiegel‘ uns geoutet hat, sondern der von mir so geschätzte ,Spiegel‘“, verstöre ihn nach wie vor, sagte er damals; vielleicht so sehr, wie es mutmaßlich nun Helene Fischer verstört, dass ausgerechnet die „Zeit“ die Jagd auf sie begleitet.
Wie perfide ist das?
Die Geschichte von Hans Paul, dem irgendwie ulkigen und ulkig ausgerüsteten Typen mit Kastenwagen, Moped, Schlauchboot, provisorischem Bett und „Tasche in Tarnfarben“ haben Medien, auch seriöse, schon oft mit einer gewissen Begeisterung erzählt. Die „Zeit“ macht es nun noch mal, sie hat sogar ein schönes Hans-Paul-Fotoshooting am See organisiert. Und sie verbreitet auch seine waghalsigsten Behauptungen.
Die Schumachers, zum Beispiel, zitiert „Zeit Online“ Hans Paul, „das sei eine ganz abgekartete Geschichte“:
„Was meinst du, warum seit Jahren niemand was über den Michael weiß? Weil die doch die ganzen Sponsoren verlieren würden, wenn der nicht mehr wär.“
Was? („Zeit Online“ hat diese Passage inzwischen gelöscht, siehe Nachtrag unten.)
Hans Paul insinuiert hier, dass der Rennfahrer Michael Schumacher, der 2013 beim Ski-Fahren schwer verunglückte, inzwischen nicht mehr unter den Lebenden sein könnte, die Familie das aber nicht publik macht, um weiter abzukassieren; und die „Zeit“ schreibt das mitraunend auf. Wie perfide (und möglicherweise justiziabel) ist das?
An anderer Stelle unterstellt Paul, Helene Fischers Lebensgefährte Thomas Seitel könnte derjenige gewesen sein, der „die letzten Fotos mit Baby“ von Fischer „an die Illustrierten verscherbelt“ habe. Belege hat Paul keine. Ach, doch! „Der Seitel war auf keinem der Fotos zu sehen“, und im Foto-Credit habe gestanden: „Hobbyfotograf“. Findet Paul logisch: Wenn er es nicht war und da „Hobbyfotograf“ steht, muss es wohl „der Seitel“ gewesen sein.
Der Text hat hauptsächlich naive Fragen an den Paparazzo, beispielsweise:
„Wie viele Monate nach einer Scheidung, einem Baby oder einer Schlägerei hat ein Promi wieder das Recht auf Ruhe?“
Als gäbe es, beispielsweise nach einer Geburt, zunächst eine völlig legitime Jagdzeit, in der solche Leute „geschossen“ werden dürfen. Paul sagt darauf nur: „Dafür sind Richter zuständig. Nicht ich“, weil ihn solche rechtlichen Details auch nicht sonderlich kümmern. Dabei hat er Erfahrung mit der Justiz. Davon steht bei „Zeit Online“ allerdings gar nichts.
Besonders üble Methoden
2014 etwa stellten Mitarbeiter von Hans Paul dem Sänger Herbert Grönemeyer nach, an einem Flughafen, um ihn dort in Begleitung seines Sohnes und seiner Lebensgefährtin zu fotografieren. Als Grönemeyer das bemerkte, kam es zu einer Rangelei mit den Paparazzi, die Grönemeyer daraufhin anzeigten: wegen Körperverletzung. Das Verfahren wurde allerdings eingestellt, stattdessen landeten die Paparazzi vor Gericht und wurden verurteilt.
Im Prozess stellte das Gericht fest, das sie mit „besonders üblen Methoden“ gearbeitet hätten. Sie hatten sich nicht nur Verletzungen selbst zugefügt, um sie Grönemeyer anzuhängen, sie hatten ihn zuvor auch (bis auf die Flughafentoilette) verfolgt und es darauf angelegt, ihn wütend zu machen – um ihn dann zu fotografieren. Eine Methode, die sie von Hans Paul gelernt haben, der – unter anderem in einem Buch – offen mit solchen Methoden prahlt.
Noch in diesem Frühjahr durfte Hans Paul bei „Zeit Online“ (v)erklären:
„Wenn jemand wie Guildo Horn oder Herbert Grönemeyer laut wird, ist das von öffentlichem Interesse. Und die Prominenz der Personen wird durch solche Situationen gesteigert.“
Das Protokoll, in dem diese Sätze stehen, erschien unter der Dachzeile „Stress am Arbeitsplatz“, und Hans Paul durfte die Geschichte vom gestressten Paparazzo, der unter Instagram leidet, schon mal anteasern. Autorin des Artikels ist dieselbe Journalistin, die nun auch die Reportage lieferte. Sie hat offenbar einen Draht.
Und auch für eine andere Paul-Geschichte interessieren sich Polizei und Staatsanwaltschaft. 2020 berichteten unter anderem „Bild“ und „Bunte“, ein angeblich unheimlicher „Masken-Mann“ sei auf das Baugrundstück von Helene Fischer geklettert – an jenem See, wo nun die Reporterin mit Hans Paul rumlief. Ganz zufällig stand damals ein Fotograf daneben, der den angeblichen Einbrecher fotografierte. Einiges spricht dafür, dass die Szene gestellt war, und die Fotos kamen von: „Hans Paul Enterprises“.
Aber sowas würde er ja nie machen: etwas erfinden. Was vor seine Linse komme, sei „immer echt“, sagt Paul bei „Zeit Online“, um wenig später zu erzählen, wie er mal Fotos mit Jenny Elvers und seinem Bruder gestellt habe. Sein Bruder sei als Immobilienmilliardär aufgetreten, dabei arbeite er im Autohaus. Paul findet das witzig. „Die Geschichte hätten sich die drei zusammengesponnen und gutes Geld gemacht.“ Weil ein Magazin die Fälschung offenbar druckte.
„Weil die ist so dick geworden“
Wie Paul tickt, gibt er immer wieder preis. Er ist einer, der laut „Zeit Online“ seine Mitarbeiter anweist, Fotos von Corinna Schumacher „beim Weintrinken“ zu machen – „weil die ist so dick geworden“; einer, der behauptet, er bekomme (gegen Geld) die Auto-Kennzeichen und Adressen prominenter Personen – von jemandem, „der Akteneinsicht“ hat; und einer, der bei „Zeit Online“ behaupten darf, „anders als bei der Wildtierjagd“ beruhe seine Arbeit „auf Gegenseitigkeit“. Die Prominenten seien „genauso süchtig nach der Veröffentlichung wie er nach dem Abschuss“.
Das mag teilweise stimmen, es gibt aber eben auch Prominente, zum Beispiel Helene Fischer, die nicht süchtig sind nach dieser Art von Aufmerksamkeit, sondern ihre Ruhe wollen, wenn sie privat sind, und dagegen vorgehen, wenn diese Ruhe gestört wird.
Bei „Zeit Online“ wird ein Fall nur ganz am Rande erwähnt, über den Übermedien im Frühjahr berichtet hat: Wie Helene Fischer über einen langen Zeitraum von einem Paparazzo verfolgt wurde, der über sehr weite Distanzen zum Beispiel in den Garten ihrer Eltern knipste. Ein Gericht wertete das als Stalking und verdonnerte den Mann, Abstand zu halten, was Hans Paul zur Kenntnis genommen hat. Er müsse vorsichtig sein, Klagen gegen Paparazzi hätten zugenommen, „die klagen jetzt auf Stalking – und das kann richtig teuer werden“.
Die Reporterin von „Zeit Online“ geht trotzdem mit auf Stalking-Tour. Paul behauptet im Text, er belästige niemanden „vor seiner Haustür“, und angesprochen auf das „Zeit“-Interview von di Lorenzo mit Fischer, in dem sie auch sagt, dass sie Paparazzi hasse, sagt Paul, dass die Kollegen es bei ihr „ein wenig übertrieben“ hätten. Sie seien „zu nah ans Haus“ gegangen.
Am Ende streunen Reporterin und Paparazzo dann „durchs dichte Grün“ an Fischers privatem Bootssteg entlang. Paul schwimmt raus für eine bessere Sicht. Anschließend spähen beide abwechselnd durch Pauls Fernrohr Richtung Grundstück, aber sie finden Helene Fischer nicht, dabei wollte Paul sie doch „heute noch schießen“. Er habe „kein Glück“, harre aber weiter aus.
Zum Schluss dann die Erfolgsmeldung: Er hat es noch geschafft! In einer Boulevardzeitung sei, nach dem Besuch der Reporterin, ein Artikel erschienen mit einem Foto von Hans Paul.
„Das Bild zeigt die Sängerin und ihren Mann auf einem Boot. Und wenn man ganz genau hinsieht, erkennt man auch den Kinderwagen.“
Das heißt, man konnte ihn erkennen. „Bild“ hat das Foto gekauft und veröffentlicht. Inzwischen aber ist es gelöscht, weil Helene Fischer dagegen vorgegangen ist. Bei „Zeit Online“ wird das nicht erwähnt.
Nachtrag, 15:28 Uhr. Der Text bei „Zeit Online“ wurde inzwischen verändert. Ursprünglich würde Hans Paul an einer Stelle so zitiert:
„Die Schumachers, erzählt er, das sei eine ganz abgekartete Geschichte. ‚Was meinst du, warum seit Jahren niemand was über den Michael weiß? Weil die doch die ganzen Sponsoren verlieren würden, wenn der nicht mehr wär.'“
Nun steht dort:
„Die Schumachers, erzählt er, das sei wahrscheinlich ‚ein Geschäft – was meinst du, warum seit Jahren niemand was über den Michael weiß? Weil die doch die ganzen Sponsoren verlieren würden, wenn der nicht mehr wär.'“
Einen Korrekturhinweis gibt es nicht.
Nachtrag, 17.8.2022. „Zeit Online“ hat die Passage nun gestrichen und (aufTwitter) um Entschuldigung gebeten – auch für den fehlenden Nachtrag. Dieser findet sich nun unter dem Text:
„Nach berechtigter Kritik von ‚Übermedien‘ haben wir einen Absatz aus dem Text gestrichen, in dem der Protagonist über die Familie Schumacher spekuliert. Diese und eine weitere Passage waren zuvor schon verändert worden, allerdings leider ohne Korrektur-Hinweis, wie es unsere internen Regeln vorgeben. Wir bitten dies zu entschuldigen.“
Der Autor
Boris Rosenkranz ist Gründer von Übermedien. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert, war „taz“-Redakteur und Volontär beim Norddeutschen Rundfunk. Anschließend arbeitete er dort für verschiedene Redaktionen, insbesondere für das Medienmagazin „Zapp“. Seit einigen Jahren ist er freier Autor des NDR-Satiremagazins „Extra 3“.
3 Kommentare
Ich finde es okay, so einen Typen zu porträtieren. Diese Leute gibts halt, egal ob die Zeit dabei ist oder nicht. Und durch solche Reportagen entlarven sich die Porträtierten ja oft selbst. Der Leser erkennt dann schon, was das für eine Person ist.
Aber ja: Diese Verschwörungsaussagen hätte man stärker als solche benennen müssen. Auch mehr Hintergrund wäre gut gewesen, über die Prozesse, die üblen Methoden, die ganze Paparazzi-Yellow-Szene.
Das „Mache Dich mit keiner Sache gemein“-Zitat hat es wohl nie gegeben, aber etwas Distanz ist doch trotzdem ok, oder? Demnächst gibt es sonst noch eine Reportage über einen Bundeswehreinsatz, und die Reporterin darf auch mal selber abdrücken.
Ansonsten zum Thema „Geschäft“: Falls Schumacher tot wäre, käme als nächstes eine Meldung: „Lebt er vllt. doch noch?“ Gefolgt von einer wirren Theorie, dass seine Familie seinen Tod vortäuschen würde. Aus Gründen, die mit Paparazzi und Regenbogenpresse gar nichts zu tun haben würden.
Klasse Artikel und einfach nur peinlich für die ZEIT.
Ich finde es okay, so einen Typen zu porträtieren. Diese Leute gibts halt, egal ob die Zeit dabei ist oder nicht. Und durch solche Reportagen entlarven sich die Porträtierten ja oft selbst. Der Leser erkennt dann schon, was das für eine Person ist.
Aber ja: Diese Verschwörungsaussagen hätte man stärker als solche benennen müssen. Auch mehr Hintergrund wäre gut gewesen, über die Prozesse, die üblen Methoden, die ganze Paparazzi-Yellow-Szene.
Das „Mache Dich mit keiner Sache gemein“-Zitat hat es wohl nie gegeben, aber etwas Distanz ist doch trotzdem ok, oder? Demnächst gibt es sonst noch eine Reportage über einen Bundeswehreinsatz, und die Reporterin darf auch mal selber abdrücken.
Ansonsten zum Thema „Geschäft“: Falls Schumacher tot wäre, käme als nächstes eine Meldung: „Lebt er vllt. doch noch?“ Gefolgt von einer wirren Theorie, dass seine Familie seinen Tod vortäuschen würde. Aus Gründen, die mit Paparazzi und Regenbogenpresse gar nichts zu tun haben würden.
Klasse Artikel und einfach nur peinlich für die ZEIT.