Zur Person
Susanne Fengler ist Professorin für internationalen Journalismus an der TU Dortmund und wissenschaftliche Leiterin des Erich-Brost-Instituts. Sie forscht zu Journalismuskulturen und Media Accountability im internationalen Vergleich.
Im Presserat beraten Vertreter:innen von Journalisten- und Verlegerverbänden über Beschwerden zu Print- und Online-Medien. Bei besonders gravierenden Verstößen gegen den Pressekodex spricht der Rat Rügen aus, die von den betroffenen Verlagen abgedruckt werden müssen. Tun aber etwa der Bauer-Verlag oder die „Bild“-Zeitung das nicht, kann das Gremium herzlich wenig ausrichten. So wird immer wieder die fehlende Schlagkraft dieser Freiwilligen Selbstkontrolle kritisiert; nicht umsonst haftet dem Rat seit Jahrzehnten das Sprachbild des zahnlosen Tigers an.
Wozu das Ganze also? Warum kann der Presserat keine härteren Strafen verhängen? Und wie sieht es eigentlich in anderen Ländern aus – gibt es auch dort Presseräte, ob mit Zähnen oder ohne? All das haben wir Susanne Fengler gefragt, Professorin für internationalen Journalismus an der TU Dortmund.
Susanne Fengler ist Professorin für internationalen Journalismus an der TU Dortmund und wissenschaftliche Leiterin des Erich-Brost-Instituts. Sie forscht zu Journalismuskulturen und Media Accountability im internationalen Vergleich.
Übermedien: Hinweise, Missbilligungen, allerhöchstens Rügen, die scheinbar niemanden so richtig interessieren – was bringt der Deutsche Presserat?
Susanne Fengler: Der Presserat bringt eine fortdauernde Selbstverständigung der Branche über ethische Standards. Auch wenn Verstöße nicht materiell oder anderweitig sanktioniert sind, führt das dazu, dass Berufsträger über die Standards im Gespräch bleiben und sich fortwährend über die Grenzen austauschen. Das ist enorm wichtig – gerade in einer Zeit, wo sich die Grenzen ständig verschieben und verändern: Es gibt neue technologische Möglichkeiten und auch ganz neue Herausforderungen, ob Corona oder jetzt der Ukraine-Krieg. So kann in einem renommierten, institutionalisierten Rahmen ein Diskurs darüber stattfinden.
Es wird ja immer wieder vom zahnlosen Tiger gesprochen, aber am Ende, wenn man sich das im internationalen Vergleich anguckt, steht unser Presserat gar nicht so schlecht da.
Freiwillige Selbstkontrolle, ein Gremium ohne Sanktionsmöglichkeiten: Wie ist dieses merkwürdige Konstrukt überhaupt entstanden?
Im westlichen Vergleich ist das gar nicht so ungewöhnlich, sondern eher der Standard. Entstanden sind die Presseräte in den größeren Ländern Westeuropas in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals gab es – vielleicht ein bisschen vergleichbar mit heute – eine große Unzufriedenheit mit einem wahrgenommenen Sensationalismus der Medien, und auch die sehr eindrücklichen Erfahrungen von Propaganda und der Instrumentalisierung von Medien aus dem Zweiten Weltkrieg lagen nicht lange zurück. Dazu kam die Systemkonfrontation: die Teilung Europas und die Art und Weise, wie im sowjetischen Raum mit Medien umgegangen wurde.
Aufgrund dieser Debatten über Sensationalismus und Machtmissbrauch von Medien gab es eben auch in Deutschland die Frage, ob die Politik eingreifen und eine Art staatlichen Presserat einrichten sollte. Dem sind die Verleger und Journalisten dann zuvorgekommen, indem sie 1956 nach britischem Vorbild den Deutschen Presserat gegründet haben. In der Folgezeit haben wir dann immer mehr Presseräte in Westeuropa entstehen sehen.
Der Presserat kann Rügen verteilen, so viel er will – wenn Verlage wie Bauer oder die „Bild“ diese nicht drucken, bleibt ihm letztlich nur, mit den Schultern zu zucken. Warum?
Der Presserat ist eine Institution der Freiwilligen Selbstkontrolle, in diesem Sinne kann er keine legalen Sanktionen aussprechen. Jemanden zu einer Strafzahlung zu verdonnern, würde ja am Ende ein gerichtliches Verfahren voraussetzen. Und wenn nicht alle Beteiligten freiwillig mitziehen, hat der Presserat dazu letztlich gar nicht die rechtlichen Möglichkeiten. Wenn man das tun wollte, müsste man ihn letztlich als staatliches Organ fassen, das eben auch rechtsbewährt ist – damit wäre es wiederum kein Instrument der Medienselbstkontrolle. Der Presserat ist eben immer in einer Zwitterposition, zwischen Selbstkontrolle – was ja auch erwünscht ist, denn wir wollen keine staatliche Kontrolle der Medien – und diesem natürlich berechtigten Vorwurf: Was könnt ihr eigentlich erreichen?
Gibt es etwas in im Fernsehen, Radio, in Zeitungen oder online, bei dem Sie sich immer wieder fragen: Wieso ist das so? Fragen Sie uns, dann fragen wir Leute, die sich damit auskennen! Schreiben Sie uns!
In unserem Projekt „MediaAcT“ haben wir die Medienselbstkontrolle in Europa erforscht und uns in der ersten Studie angeschaut, wie auch Journalisten zu diesem Thema stehen. In Deutschland etwa lehnen Journalisten Sanktionen dezidiert ab. Das hat sicherlich immer noch mit unseren Erfahrungen während des Dritten Reiches, aber auch in der DDR-Diktatur zu tun, mit der Rolle der Medien und den Sanktionen gegen Journalisten in diesen Systemen.
Wie würde die deutsche Medienlandschaft ohne Presserat aussehen?
Wir können zum Beispiel auf die USA schauen: Dort gibt es keinen Presserat. Es gab in den 1980er Jahren kurzzeitig den Versuch, einen Presserat zu etablieren, aber das haben die meisten Medienunternehmen schlicht nicht mitgetragen. In den USA läuft also letztlich ganz viel über die Redaktionen selbst: Es gibt mehr Ombudsleute in Redaktionen, viel Medienjournalismus – alles passiert auf Organisationsebene. Auch dort findet also ein Diskurs über Missstände im Journalismus statt, von daher kann man sagen: Das klappt auch.
Gleichzeitig muss man etwa in den USA aber sehen, dass die Medienkritik dort sehr stark parteiische Züge trägt: Jeder kritisiert eben das Lager, das ihm feindlich erscheint. Da bin ich eigentlich froh, dass wir in Deutschland nicht auf diesem Pfad sind, sondern dass wir diese institutionalisierte Verständigung und diesen Zusammenhalt im Berufsstand selbst haben – das sollte man sich bewahren.
Unter Media Accountability versteht man in der Forschung sämtliche nicht-staatliche Mechanismen, die eine Verantwortung der Medien gegenüber der Öffentlichkeit garantieren sollen. Darunter fallen Institutionen wie der Deutsche Presserat, aber etwa auch redaktionsinterne Ethikrichtlinien und Medienjournalismus in Form von Ressorts, TV-Formaten oder Blogs.
Wie funktioniert das Ganze in anderen Ländern? Gibt es sonst überall Presseräte?
Wir haben uns für das Global Handbook of Media Accountability angeschaut, wie es weltweit aussieht. Allein innerhalb von Europa gibt es große Unterschiede: In Frankreich beispielsweise gibt es bis heute keinen anerkannten Presserat, in Spanien funktionieren Presseräte nur auf regionaler Ebene – in Katalonien beispielsweise funktioniert der sehr gut, auf nationaler Ebene dagegen nicht. Italien hat auch keinen Presserat, sondern eine Art Journalistenkammer. Von daher ist es nicht selbstverständlich, eine solche Art von Institution zu haben.
Wir haben auch viele Situationen in Süd- und Osteuropa, wo es diese Einigkeit im Berufsstand gar nicht gibt. In Polen kämpfen zum Beispiel mehrere Journalistenverbände gegeneinander an, jeder von ihnen kommt mit eigenen ethischen Richtlinien. Das heißt, als Journalist in Polen kann ich mich für diese oder jene Ethik entscheiden – das ist natürlich relativ beliebig und unterstützt auch den Zerfall in verschiedene Lager, den wir dort sehen.
Deswegen geht es in vielen Ländern erstmal darum, einen Presserat einzuführen. Wir arbeiten gerade intensiv mit polnischen Kollegen daran und versuchen dort, die Akteure dazu zu bewegen, eine Art runden Tisch ins Leben zu rufen, der einem Presserat gleichkommt. Das wäre ein ganz wichtiges Instrument, denn die Situation ist wirklich heikel – die Regierung arbeitet schon daran, einen staatlichen Presserat einzurichten. Wir versuchen also, die polnischen Kollegen zu stärken, dem etwas Eigenes entgegenzusetzen.
Man muss klar sagen: Wir sehen einen weltweiten Trend zu mehr Autokratien und Diktaturen. Das geht einher mit einer Zunahme von Presseräten, die aber nur so heißen und eigentlich eindeutig Instrumente des Staates sind, um die Medien zu kontrollieren. Das sehen wir vor allem im arabischen Raum, aber auch in vielen anderen Ländern wie Ungarn: Es werden Presseräte geschaffen, die klare Sanktionsmöglichkeiten haben – sie können zum Beispiel den Journalisten die Presseausweise wegnehmen, Berufsverbote aussprechen, ganze Medienunternehmen schließen. Sie werden also dezidiert eingesetzt, um die Branche unter Kontrolle zu halten. Da sieht man, denke ich, klar, wie das Gegenmodell in autokratischen Systemen aussieht – und das ist die Gefahr. Davon sind wir zum Glück weit entfernt.
Mit Blick darauf scheint es gar nicht mal so schlecht, dass unser Presserat keine solchen Sanktionsmöglichkeiten hat. Hat man vielleicht einfach falsche Erwartungen daran, was so eine Institution leisten kann?
Genau: Es bleibt ein Instrument der Selbstkontrolle. Das bedeutet immer das Mitwirken der beteiligten Akteure. Wenn wir eben Verlage haben, die da nicht mitziehen und die sich auch dagegenstellen, kann da ein Selbstkontrollorgan letztlich nicht viel machen.
Florian Kappelsberger ist Praktikant in der Redaktion von Übermedien. Er hat Geschichte und Soziologie studiert, schreibt unter anderem für die „Süddeutsche Zeitung“, das Stadtmagazin „Mucbook“ und die Wiener Wochenzeitung „Falter“.
Jenseits von härteren Sanktionen – wie ließen sich die Instrumente des Presserats schärfen? Welche Rolle kann hier die Öffentlichkeit spielen?
In Finnland werden die Sitzungen des Presserates zum Beispiel im Internet übertragen. Das könnte ein Weg sein, diese Verhandlung und die Diskussion auch öffentlich zu machen, um da auch für mehr Aufmerksamkeit und mehr Publizität zu sorgen. Ich finde, das wären Wege, die man unbedingt ausprobieren sollte.
In Irland gibt es außerdem ein spannendes Modell: Kommt es dort zu einem Gerichtsverfahren, wird es positiv berücksichtigt, wenn sich die Redaktion medienethisch engagiert – wenn das Medienunternehmen zum Beispiel Mitglied im Presserat ist oder einen Ombudsmann hat. Das ist eine Art und Weise, etwas positiv zu honorieren – das finde ich auch eine ganz gute Idee.
Welche anderen Instrumente gibt es, die zur Media Accountability beitragen können? Was lässt sich vielleicht aus anderen Ländern lernen?
Wichtig ist es, einen Diskurs zu pflegen – nicht nur über Missstände, sondern auch über die Leistungen des Journalismus. Gerade in der Situation der Systemkonfrontation zwischen Demokratie und Autokratie, in der wir gerade stecken, müssen wir uns immer wieder vor Augen rufen, wie gut vieles bei uns funktioniert und auch unsere Demokratie stärken. Alles, was dazu beiträgt, ist natürlich super: Medienblogs, Redaktionsblogs, Medienkritik natürlich – wirklich wichtig, dass es das gibt.
Wenn man sich in anderen Ländern umschaut, gibt es auch ein paar Sachen, von denen man ein bisschen lernen kann. Gucken wir auch mal in Transformationsländer, wo fest verankerte Strukturen von Medienselbstkontrolle fehlen oder gerade entstehen: Was haben die entwickelt, was wir vielleicht gar nicht machen? In Lateinamerika zum Beispiel gibt es jede Menge journalism observatories. Die funktionieren ähnlich wie unser European Journalism Observatory – eine Art medienkritischer Blog, der an den Universitäten verankert ist. Das hat den Vorteil, dass es da auch eine gewisse Form von Institutionalisierung gibt.
Auch gibt es viele Dinge auf internationaler Ebene: Die Journalism Trust Intitiative von Reporter ohne Grenzen verleiht zum Beispiel eine Art Gütesiegel für vertrauenswürdigen Journalismus. Solche Ansätze könnten vielleicht auch deutsche Unternehmen motivieren, sich stärker zu engagieren, weil man sich in so einem internationalen Kreis eingebettet sieht – das ist ja auch prestigeträchtig. So lässt sich sichtbar machen: Wir operieren nach nachvollziehbaren ethischen Standards und stellen uns der Diskussion.
In Skandinavien und den USA haben Ombudsleute eine lange Tradition – eine Anlaufstelle für ethische Fragen, die als Scharnier zwischen Redaktion und Leser:innen dienen soll. Auch in Süd- und Westeuropa hat sich das Modell etabliert, etwa in den Medienhäusern von El País und Le Monde. In Deutschland wurde im Jahr 2018 die Vereinigung der Medien-Ombudsleute gegründet, vertreten sind darin bisher aber vor allem Lokalblätter.
International ist das Modell des Ombudsmanns zunehmend beliebt, in Deutschland findet es wenig Verbreitung. Die „Bild“ beschäftigte eine Zeit lang das journalistische Urgestein Ernst Elitz in dieser Rolle, weitgehend blieb das Ganze aber ein Marketing-Gag. Bietet dieses Modell vielleicht eine Perspektive für die deutsche Medienlandschaft, oder ist es zu weit weg von unserer Berufskultur?
In Deutschland ist das ein bisschen negativ besetzt, weil es auch in der DDR eine Art von „Ombudsleuten“ gab, die aber mehr eine Blitzableiterfunktion hatten: Man konnte sich an den Ombudsmann wenden, wenn zum Beispiel das Treppenhaus nicht geputzt wurde. Vielleicht haben wir deswegen auch eine gewisse Aversion gegen dieses Konzept.
In anderen Ländern gibt es dagegen wirklich gute Erfahrungen damit, auch weil es eine Sichtbarkeit schafft. In Schweden zum Beispiel gibt es eben einen Ombudsmann, der mit dem Presserat ganz eng verknüpft ist. Damit ist er eben auch ein Gesicht, eine Personalisierung dieser Medienselbstkontrolle. So ist es dann vielleicht auch leichter für Mediennutzerinnen und Mediennutzer, sich in dieser Diskussion zu engagieren, wenn sie ein Gesicht und eine Person damit verknüpfen anstatt eines eher abstrakten Gremiums.
Ich halte wirklich viel von dieser Ombudsmann-Idee. Klar, die Ombudsleute haben es in den Redaktionen auch nicht leicht und stoßen zwangsweise auf Widerstände – wenn sie ihre Aufgabe ernstnehmen. Wenn man das nur als PR-Funktion sieht, kann man sich das auch schenken. Aber ich denke, diese personalisierte Anlaufstelle kann schon etwas echt Wertvolles sein.
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