Meine Woche mit …

Per Regionalzug in die Galaxis: Die gnadenlose Launigkeit der „Aktuellen Stunde“

Thomas Bug und Susanne Wieseler

In der vergangenen Woche ist der deutsche Astronaut Matthias Maurer nach einem halben Jahr auf der Internationalen Raumstation auf die Erde zurückgekehrt, und weil es immer schön ist, große Themen auf die persönliche Lebenswelt der Menschen runterzubrechen, wie man so sagt, klang das in der Themenübersicht der „Aktuellen Stunde“ so:

„Pünktlich wie der Maurer. Unser ISS-Astronaut Matthias Mauerer landet auf die Minute genau aus dem All. Das geht! Aber mit der Regionalbahn pünktlich von Bonn nach Köln – schwiiiierig.“

Das Vorabendmagazin des Westdeutschen Rundfunks (WDR) hat in seinem Bericht über die Rückkehr des Astronauten dann tatsächlich die faszinierende Erklärung eines Experten vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, wie genau so eine Landekapsel gesteuert und abgebremst wird, einfach mittendrin ausgeblendet. „Man könnte dem ISS-Missions-Manager noch ewig zuhören“, behauptete der Sprecher, „wenn uns bei Schlagworten wie Pünktlichkeit und Technik nicht unweigerlich das hier einfiele: die Realität. In Köln-Porz etwa. Bei A einsteigen und pünktlich bei B ankommen, wir wissen, das ist kompliziert.“

Ein Reporter fragte Menschen auf dem Bahnsteig in Köln-Porz nach ihren Unpünktlichkeitserfahrungen mit der Bahn, und dann: „Haben Sie eine Idee, wie die das machen, da oben im Orbit, dass die so pünktlich auf die Minute aufsetzen?“ Nee.

Gut, aus der „Aktuellen Stunde“ erfahren Sie es ja jetzt auch nicht, aber es geht dann doch nochmal kurz zurück zum Raumfahrtexperten, der irgendwas über gute Berechnungen sagt. Zusammenfassung des Reporters: Eine solche Punktlandung sei das Ergebnis einer „optimal gelösten, riesengroßen Matheaufgabe“.

So sind sie bei der „Aktuellen Stunde“, locker, lokal, bürgernah, schmerzfrei. Ach, das geht!

Allzu leger

Catherine Vogel und Jens Olesen

Am kommenden Sonntag wird in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt, und ich dachte, das wäre ein guter Anlass, mal wieder diese beliebte und traditionsreiche nachrichtenähnliche Unterhaltungssendung zu sehen. Sie wurde vor fast 40 Jahren als „unterhaltsame Mischung“ gegründet, die sich in der Präsentation von Informationen an amerikanischen und englischen Vorbildern orientieren wollte. Der „Spiegel“ nannte sie, bevor es sie überhaupt gab, schon „höchst überflüssig“.

Mit der gewollten Ungezwungenheit übertrieb man es womöglich am Anfang, jedenfalls meldete das Nachrichtenmagazin Mitte 1983, mehrere Monate nach Sendestart, dass „die meist jüngeren TV-Mitarbeiter des Kölner Senders häufig allzu leger auf dem Bildschirm“ erschienen. Der verantwortliche Chefredakteur Claus Hinrich Casdorff habe daraufhin eine Kleiderordnung erlassen, weil der Eindruck nicht länger hinnehmbar sei, dass sich Journalisten im Auftrag des WDR „durchs Leben schmuddeln“: „Die Herren sollten wieder Krawatten anlegen und die Damen Kamm und Bürste nicht grundsätzlich verschmähen“, hämte der „Spiegel“.

Zu den zweifelhaften Erfolgen der Sendung gehört auch die Etablierung der launigen Doppelmoderation im deutschen Fernsehen – legendär etwa das Duo Christine Westermann und Frank Plasberg. In dieser Tradition sehen sich heute offenkundig vor allem die Moderatoren Thomas Bug und Michael Dietz: Niemand doppelmoderiert so angestrengt unangestrengt wie sie. Dietz‘ Spezialität ist auch das gelegentliche überrascht improvisierte „Oh ja!“, wenn seine Co-Moderatorin so etwas sagt wie: „Am Sonntag ist ja Wahl in Nordrhein-Westfalen.“

Tradition ist es auch, dass Nordrhein-Westfalen dem nordrhein-westfälischem Sender nicht genügt. Internationale Nachrichten werden bei der „Aktuellen Stunde“ gerne mit regionalem Bezug angereichert: Neben der „Einmal so pünktlich mit der Bahn fahren wie der Astronaut mit seinem Raumschiff“-Sache etwa ganz klassisch bei der Meldung, dass die Queen zum ersten Mal seit Jahrzehnten die Rede zur britischen Parlamentseröffnung nicht hält. Die „Aktuelle Stunde“ besucht dazu den Besitzer des „Little Britain Inn“ vor seinem mit Queenpuppe auf Bank dekorierten Hotel am Rhein.

Und wenn U2 in der U-Bahn in Kiew ein Solidaritäts-Konzert geben, schaltet die „Aktuelle Stunde“ nach, okay, Kreta zum Kölner Musiker Wolfgang Niedecken, der ja auch schon diverse Solidaritäts-Konzerte gegeben hat und sich musikalisch-politisch engagiert. Der sagt, dass Scholz das mit der Ukraine schon sehr in seinem Sinne mache, auch wenn der Habeck das besser kommuniziere. Und dass solche Aktionen wie die von U2 dafür wichtig seien, „dass man das Mitgefühl, die Empathie aufrecht erhält, das wird ja noch ne Weile dauern, das Ganze.“

„Würden Sie eigentlich auch hinfahren in die Ukraine, wenn sie eingeladen werden?“, fragt Moderatorin Catherine Vogel, und ich wette, in der Wir-im-Westen-Welt des WDR läge das total nahe, einen völlig unbekannten, auf Kölsch singenden Sänger in die Ukraine einzuladen. Niedecken winkt nett ab: „Ich glaube nicht, dass es sehr viel Sinn macht, wenn ein Kölscher Sänger sich in der Ukraine wichtig macht.“ Und Vogel verabschiedet ihn mit den Worten: „Sagt einer, der über die Jahrzehnte trotzdem immer die Empathie hochhält“, und dieser Interview-Abbinder ist in seiner professionellen Sinnlosigkeit ganz typisch für die „Aktuelle Stunde“.

Aber es braucht nicht unbedingt einen direkten Regionalbezug, damit nationale oder internationale Nachrichten die Sendung füllen: Man lässt sich vom WDR-Hauptstadtkorrespondenten erzählen, was die Politik in Berlin macht, und vom WDR-Ukrainekorrespondenten, was der Krieg in Osteuropa macht. Die Landtagswahl dominiert die Sendung nicht halb so sehr, wie man annehmen könnte, und wenn sie doch vorkommt, gibt sich die „Aktuelle Stunde“ alle Mühe, wenigstens Politik da weitgehend rauszuhalten.

Aber an sinnloser Euphorie mangelt es nicht. „Diese Woche gehört Nordrhein-Westfalen“, ruft Catherine Vogel am Montag zum Sendungsbeginn aus. „Wer gewinnt, wer verliert, der Countdown zur Landtagswahl, der läuft seit heute!“ Warum auch immer der nicht gestern schon gestartet wurde. Oder vorgestern. Oder vielleicht schon nach der vergangenen Landtagswahl.

Spitzenkandidaten im Schwitzen

Catherine Vogel und Jens Olesen

Als zentrales Format haben sie sich eine Serie namens „Ausgesetzt!“ ausgedacht. Jeden Tag wird ein Spitzenkandidat zu ihm vorher unbekannten Leuten gebracht, die eine maximal heikle Begegnung versprechen. Die Grünen-Frau trifft auf Spediteure, die ihr erzählen, wie naiv die Pläne ihrer Partei seien, den Güterverkehr schnell von der Straße zu bringen; der SPD-Mann wird mit unzufriedenen Handwerkern konfrontiert, die Linken-Frau mit angesichts der Russland-Haltung der Partei ungläubigen Ukrainern, der CDU-Mann mit sich vergessen fühlenden Opfern der Unwetterkatastrophe, der AfD-Mann mit einer sich diskriminiert fühlenden Regenbogenfamilie.

Eine ernsthafte Diskussion über das, was die Politik für diese Bürgerinnen und Bürger tun könnte und woran das jeweils scheitert, ergibt sich fast nie, aber darauf ist das Format auch nicht angelegt. Es geht vor allem darum, zu sehen, wie die Politiker mit der kalkuliert schwierigen Situation umgehen, wie sie sich aus der Affäre ziehen.

Jens Olesen: Wir bringen die Spitzenkandidaten in Schwitzen, ein wenig zumindest, seien wir ehrlich: Das ist der Reiz unserer Rubrik „Ausgesetzt!“, kurz vor der Landtagswahl.

Catherine Vogel: Gestern der Herausforderer Kutschaty, heute der Amtsinhaber Wüst, und: Klar haben die in ihrem Politikerleben gelernt, Nervosität einfach zu überspielen, cool zu wirken, smart auf jegliche Kritik zu reagieren.

Jens Olesen: Was könnte für Wüst eine große Herausforderung sein, die ihn wirklich fordert? Ein Besuch bei Betroffenen der Jahrhundertflut vom vergangenen Juli!

Man kann das natürlich feiern, dass sich der Ministerpräsident hier in einer unmittelbaren Begegnung für mögliche Versäumnisse der Behörden rechtfertigen muss, aber erstaunlich offen formulieren die Moderatoren auch, dass es ihnen um das Schicksal der Betroffenen gar nicht wirklich geht. Sie benutzen sie bloß, um den Politiker ins Schwitzen zu bringen.

Auf der konkreten, inhaltlichen, politischen Ebene bleibt der Beitrag völlig unbefriedigend und vage: Wo hier tatsächlich Versäumnisse liegen, wie Abhilfe geschaffen werden könnte und wen man dafür wählen müsste – keine Ahnung. Aber, ja, man sieht einen Ministerpräsidenten, der erstaunlich ungelenk und unbeholfen mit den Bürgern umgeht, und dem es nicht gut gelingt, empathisch zu wirken.

Okay, Wüst liegt in dieser Kategorie noch um Längen vor AfD-Spitzenkandidat Wagner, der sich nach der Ankunft bei den queeren Menschen erst einmal eine Zigarette anzündet und den Rauch, so wirkt es zumindest in einer Kameraeinstellung, in Richtung des Kindes bläst, das eine der Mütter, die er trifft, auf dem Arm hat.

Aber auch hier ist der einzige Reiz der Konfrontation die Konfrontation an sich – es kommt weder zu einer erhellenden Auseinandersetzung mit der Queer-Feindlichkeit der AfD noch zu einem fruchtbaren Austausch über Dinge, die zu verbessern wären. (Die Konstruktion des Formates führt auch zu der absurden Situation, dass ausgerechnet der AfD-Mann sich irgendwie die noch bestehende Ungleichbehandlung von Regenbogenfamilien vorwerfen lassen muss, woran ja doch längst alle Nicht-AfD-Parteien hätten arbeiten können.) Es geht, anders gesagt, nur um den Effekt.

Eine Art Liebe

Thomas Bug und Anne Gesthuysen

Die „Aktuelle Stunde“ berichtet immer wieder über alltagsnahe Themen mit politischer Relevanz, über den Strukturwandel etwa, über verschiedene Versuche, den Ausstoß klimaschädlicher Gase zu reduzieren. Vieles ist solider Regionaljournalismus. Nach dem vereitelten mutmaßlichen Amoklauf an einer Schule in Essen in dieser Woche weist die Sendung gut und deutlich darauf hin, wie wichtig es ist, dass Kinder Ansprechpartner haben, an die sie sich wenden können, wenn ihnen etwas auffällt.

Dieser Beitrag hier konzentriert sich naturgemäß auf das Besondere und, ja, Misslungene.

Aber ich fürchte, dass es schon auch typisch für die „Aktuelle Stunde“ ist, wie sie versucht, auf die Regierung der vergangenen fünf Jahre zurückzublicken. Vor dem entsprechenden Beitrag läuft ein Bericht über Sympathisanten und Gegner von Wladimir Putin in Nordrhein-Westfalen. Die Überleitung geht so:

Anne Gesthuysen: Ja, jetzt gehen wir mal weg vom Krieg zu was ganz anderem, zu ner Art Liebe. (kichert)

Thomas Bug: (kichert)

Gesthuysen: Zwei finden sich, verbinden sich, knutschen, Happy End. So kennt man’s aus dem Film, aber auch nur dort. In der Realität geht’s danach erst richtig los. Nach dem Motto: Zusammenkommen ist nicht schwer, zusammensein dagegen sehr.

Bug: Und da muss immer Liebe im Spiel sein? Oder geht das auch mal ohne.

Gesthuysen: (stöhnt) Ja. Genau.

Bug: Ja. Liebe ist auf jeden Fall hilfreich, auch in der Politik übrigens, bei uns im Land führen CDU und FDP jetzt schon eine fünf Jahre dauernde … nennen wir’s Partnerschaft. Ob die hält oder nicht, das liegt in dem Fall am Wähler. An Ihnen. (zu Gesthuysen) An Dir. (zeigt auf sich selbst) An mir. Und nach den letzten Umfragen wird die ganze Sache knapp.

Gesthuysen: Aber immerhin: Seit 2017 gibt es Schwarz-Gelb, mit Partnerwechseln, mit Hochs und Tiefs, Anlass für uns auf die besten Szenen dieser Politehen zu schauen.

Der folgende Beitrag versucht dann, aus dieser originellen Liebes-, Heirats und Verlassens-Metapher noch einige Witze rauszupressen. Zu Simple Minds „Don’t You Forget About Me“ wird eine Art problematischer Flirt zwischen Hendrik Wüst und dem FDP-Spitzenkandidaten Joachim Stamp inszeniert. Es gibt einen Mini-Schlenker zu der anderen schwarz-gelben Liebe im Land, Borussia Dortmund, Szenen aus der etwas „holprigen“ Annäherung zwischen Armin Laschet (die Älteren werden sich erinnern) und Christian Lindner, mit dem Vorsitzenden der Landespressekonferenz als Zeitzeugen, der zu verliebt wirkenden Bildern der beiden erzählte, dass es dann doch „harmonisch“ wirkte, als die beiden zusammen vor der Presse saßen.

Musikeinsatz: „Mon amour“.

„Fortan wurde also regiert, die Kuschelkoalition vom Rhein“, säuselt die Sprecherin. Doch das Personal wechselte, es zeigten sich die ersten „schwarz-gelben Eheprobleme“, „ob die Liebe zu retten ist? Schwierig“. Wüst würde auch gerne mit den Grünen, die FDP sehe sich nach der Möglichkeit einer Ampel um, „Don’t Leave Me This Way“, „Scheidung oder Neuanfang? Am 15. Mai wissen wir mehr.“

So weit, so erwartbar

Anne Gesthuysen und Jens Olesen

Vergangenen Sonntag, Wahl in Schleswig-Holstein. Die Frage, die die „Aktuelle Stunde“ nach den ersten Prognosen und Hochrechnungen am Abend vor allem umtreibt: Inwiefern verschafft der überragende Sieg von CDU-Ministerpräsident Daniel Günther dort auch seinem nordrhein-westfälischen Amts- und Parteikollegen Rückenwind? Ein Redakteur berichtet: „Ein gutes Signal für Wüst, meint die NRW-CDU. Und die SPD? Die lässt durchblicken: Die Wahl in Schleswig-Holstein ist nicht mit NRW vergleichbar. So weit, so erwartbar.“

Aber Erwartbarkeit ist für die „Aktuelle Stunde“ wirklich überhaupt kein Grund, von einer Berichterstattung abzusehen, und deshalb holt sie sich am folgenden Tag von Vertretern aller Parteien noch einmal dieselben erwartbaren Statements ab – allerdings launig eingerahmt in Bilder vom plätschernden Wasser am Rheinufer in der Nähe des nordrhein-westfälischen Landtags. Auftakt:

„Eine wirkliche Küste hat die NRW-Landeshauptstadt nicht. Trotzdem sind sich Düsseldorf und Kiel gerade sehr nah. Gestern im Norden und am Sonntag in Westen sind Landtagswahlen und die Frage, wie sehr die Ergebnisse und Trends überschwappen. (…)“

Abschluss:

„Daher hoffen die, denen der Erfolg aus Kiel nutzt, dass die Welle nach NRW schwappt. Die anderen sind vielleicht froh, dass zwischen Düsseldorf und Kiel auch eine Menge Land liegt.“

Tja. So weit, so erwartbar.

Wo leben wir denn?!

Michael Dietz und Susanne Wieseler

Mehrere Gewalttaten haben in den vergangenen Tagen Schlagzeilen gemacht in Nordrhein-Westfalen. In Duisburg lieferten sich am Mittwoch voriger Woche Hells Angels und Mitglieder eines Clans am hellichten Tag auf einem belebten Platz eine Schießerei, bei der mehrere Menschen verletzt wurden (Dietz begann die „Aktuelle Stunde“ deshalb mit dem Ausruf: „Ja wo leben wir denn?!“) Einige Tage später wurden in Essen Schüsse auf einen Mann abgegeben, und auf einer Kirmes in Mönchengladbach kam es zu einer heftigen Massenschlägerei. „Es gibt eine beunruhigende Häufung von Gewalt auf offener Straße“, stellt die „Aktuelle Stunde“ fest. „Was ist da los, bei uns, in unserer Nachbarschaft, das fragen sich viele und machen sich Sorgen.“

Leider ist über die Hintergründe der verschiedenen Fälle sehr wenig bekannt, und so endet der Beitrag nach Gesprächen mit Anwohnern, Politikern und Experten mit größter Hilflosigkeit: „Drei völlig unterschiedliche Taten, die aber eines verbindet: Gewalt, sogar Schüsse auf offener Straße, sind keine Ausnahme mehr. Die Polizei wird auf die Ursachen dafür mit unterschiedlichen Konzepten reagieren müssen.“

Ja, das ist sicher nicht falsch. Interessant ist allerdings, dass man offenbar bei der „Aktuellen Stunde“ nicht die „Aktuelle Stunde“ guckt, was ich jetzt pauschal Leuten nicht vorhalten würde, aber jedenfalls laufen keine halbe Stunde später in derselben Sendung nochmal dieselben Bilder von der Schießerei in Essen, diesmal ist es der Nachrichtenüberblick, die Neuigkeiten lauten: Die Polizei sucht nach den Tätern, „die Beamten gehen aber zur Zeit davon aus, dass die Tat keinen Zusammenhang mit dem Rocker- und Clan-Milieu hat. Der Verdacht war aufgekommen, weil es wenige Tage zuvor im nahegelegenen Duisburg eine Schießerei gegeben hatte, die diesem Milieu zugerechnet wird.“ Tatsache.

Der Nachrichtenblock informiert die Zuschauer auch darüber, dass Erzieher und Sozialarbeiter nach einem Aufruf der Gewerkschaft Verdi gestreikt haben, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. „In Gelsenkirchen demonstrierten etwa 8000 Beschäftigte aus dem ganzen Land.“ Wer die Sendung von Anfang an gesehen hat, kennt die Bilder schon: „Es sind 10.000 Menschen, die hier in Gelsenkirchen auf die Straße gehen“, hieß es keine Dreiviertelstunde zuvor. „Die Erzieherinnen, die Sozialarbeiter, sie fordern bessere Arbeitsbedingungen, aber auch mehr Geld.“

Vielleicht war irgendein internationales Thema weggebrochen und sie mussten einfach den Regionalkram doppelt melden, damit die Sendung voll wurde.

Auch menschlich ein Schwergewicht

Catherine Vogel und Michael Dietz

Am Donnerstag vervollständigte Moderator Dietz die Standard-Sendungs-Eröffnung „Und jetzt: die ‚Aktuelle Stunde'“ mit den Worten: „… heute mit dem Bundeskanzler“. Er fügt dann noch hinzu: „Am Sonntag wird schließlich in NRW gewählt“, als wäre das eine Erklärung.

Aber gut, welche Sendung würde schon Nein sagen, wenn sie ein Interview mit dem Bundeskanzler kriegen könnte, und natürlich hat das Wirken von Olaf Scholz bestimmt auch irgendwie Einfluss auf den Ausgang der Landtagswahl und umgekehrt der Ausgang der Landtagswahl Auswirkungen auf die Zukunft von Olaf Scholz. Oder um es mit den Worten von Dietz zu sagen:

„Für ihn und seine Ampelregierung in Berlin ist das extrem wichtig, wer in NRW die Landesregierung führt, wirtschaftlich, politisch, und ich sach auch ma, menschlich simmir ja in NRW ja schon ein Schwergewicht in Deutschland.“

Die erste Frage, die die Moderatoren dem Bundeskanzler zur Landtagsswahl in Nordrhein-Westfalen stellen, lautet:

„Heute morgen haben Sie mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj telefoniert. Ihre Außenministerin Annalena Baerbock war gerade in der Ukraine, in Kiew. Was muss passieren, damit Sie auch hinfahren?“

Sie halten ihm als nächstes vor, nicht so gut zu kommunizieren wie Baerbock, die ja sehr gelobt werde „für diese Art, wie sie kommuniziert, wie sie spricht, dieses Erklären“, auch Wirtschaftsminister Habeck von den Grünen stehe dafür. „Beneiden Sie das?“

Nächster Versuch: Die Leute hätten Sorgen und verstünden ihn, Scholz, nicht immer ganz. „Macht Sie das nicht nachdenklich?“

Bei der nächsten Frage klingt es für einen kurzen Moment so, als wollten die WDR-Leute tatsächlich mit Scholz über Politik in Nordrhein-Westfalen reden. „Ich würde trotzdem gern nochmal auf NRW kommen“, setzt Catherine Vogel an, Herr Kutschaty sei ja der Herausforderer, „also ihr Mann“, und Scholz sei ja sehr präsent auf den Wahlplakaten, „das ist ‘ne kleine Bundestagswahl, natürlich auch mit all den Themen, die Sie gerade angesprochen haben, aber ja auch dann ein bisschen über Sie, Ihre Regierung. Was heißt das denn für Sie, als Kanzler, wenn das schlecht ausgeht?“ Ah. Doch nicht.

Scholz bügelt das routiniert ab, und nun ist er es, der kurz so klingt, als wolle er über die Pläne der SPD für Nordrhein-Westfalen reden. „Im Übrigen hat die nordrhein-westfälische SPD und hat ihr Spitzenkandidat“ (der Name scheint ihm gerade nicht einzufallen) „ein wirklich gutes Programm für Nordrhein-Westfalen.“ Er zählt dann auf … nein, nicht, wie sie die Probleme lösen will, sondern welche Probleme es gibt, etwa: „Es geht darum, wie wir das besser hinkriegen, was in den Schulen und Kitas passiert.“

Naja, er hat auch wirklich andere Sachen um die Ohren gerade.

Und die „Aktuelle Stunde“? Spielt nun ein NRW-Satzvervollständigungsspiel mit ihm. „Thema Karneval, Herr Scholz“, ruft Dietz mit leicht beunruhigender Begeisterung. Seine Quizmasterkollegin Catherine Vogel gibt dem Bundeskanzler den Satz vor: „Wenn ich als Hanseat auf eine Karnevalssitzung gezwungen werde, dann gehe ich als …“ (Dietz aus dem Off: „Jetzt bin ich sehr gespannt!“) Scholz passt.

Nächste Aufgabe: „Wenn ich an Nordrhein-Westfalen denke … bei was geht Ihnen direkt das Herz auf?“ Die Menschen in NRW (oder jedenfalls beim WDR) wissen nämlich zwar, dass ihr Bundesland total toll und wichtig ist, lassen sich das aber sicherheitshalber gern noch von außen bestätigen. (Scholz erwähnt den blauen Himmel über dem Ruhrgebiet und die Herausforderung, die Schwerindustrie klimaneutral umzubauen.)

Dietz hat eine „letzte Frage“:

„Irgendwann werden Sie mal wieder Zeit haben für einen Kurzurlaub. Dann natürlich NRW. Lieber Wellness-Tag mit Friedrich Merz im Sauerland oder auf die Jagd gehen mit Hobbyjäger Hendrik Wüst im Münsterland?“

Scholz wählt gequält den Wellness-Tag, weil er kein Jäger sei.

„Mit Herrn Merz“, ruft Diez, eine dpa-Eilmeldung witternd.

„Das haben Sie mir als einzige Alternative angeboten“, beschwert sich Scholz.

„Der Bundeskanzler Olaf Scholz, vielen Dank Ihnen.“

Diese munteren Party- und Kennenlernspiele mit Politikern kann man immer albern finden, aber normalerweise spielt man sie wenigstens mit Leuten, die tatsächlich direkt oder indirekt zur Wahl stehen. Das vor einer Landtagswahl in einer Heimat-Version mit dem Bundeskanzler zu machen, zeugt von einer erstaunlichen Lust auf Spießigkeit und Provinzialität.

Für den nächsten Tag war übrigens der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz angekündigt, aber das habe ich mir nicht auch noch angesehen.

Catherine Vogel und Jens Olesen

4 Kommentare

  1. @1: Ja, man kann überkritisch sein, aber hier sehe ich ehrlich gesagt keine Anhaltspunkte für. Im Kern verstecken sich hier oft die üblichen Probleme des Journalismus, wo seichte Unterhaltung und simple Emotionalisierungen wichtiger sind als mit inhaltlichem Tiefgang verbundene journalistische Aufklärung. Und zumindest im Gespräch mit Spitzenpolitikern würde ich Letzteres erwarten, weil es für die Wähler keine große Rolle spielen sollte, wie souverän die über vermeintlich kritische Fragen hinwegreden können – da interessieren mich eher Problembewusstsein und Lösungsansätze.

  2. Seit vierzig Jahren in Bielefeld ansässig, selber als freier Journalist im Land und auch für diesen Sender tätig gewesen, vorwiegend Rundfunk, danke ich ganz herzlich für die doch schon akribische Beschreibung der Wiederholung des Immerselben. Man hofft ja immer noch, dass den Kolleginnen und Kollegen nochmal – nein nicht der Kragen – sondern „nur“ der Knoten platzt und vielleicht doch mal ’ne richtige Infosendung draus wird. Aber da wird wohl nix draus, so verstaubt wie das alles daherkommt und aussieht. Ist wirklich schade um die Gebühren. Für eine besonders bemerkenswerte Gebührenverschwendung halte ich den Nachrichtenblock um 18:00 mit anschließender Zuschaltung der Regionalstudios – wo es die überall gibt!! – weil das ganze Programm kommt ja nach der Aktuellen Stunde in den Regionalsendern nochmal. Trotz allem ein Freund und Verteidiger des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems frage ich mich schon, ob da nicht z.B. ein Einsparpotential zu finden ist. Oder besser gefordert: dieses Geld für Dokus ausgeben, die von Problemen in der Region berichten. Soll es dort auch geben.

  3. Das Zwanghaft lustig sein Wollende der AS kann ich mir jedenfalls nicht sehr lange ansehen. Ich frage mich jedesmal, ob die Kollegen eigentlich anders könnten, wenn sie dürften. Mir ist die trockene Version einer Moderation wie in den NDR-Regionalfenstern lieber. Die gäbe allerdings auch keine so treffende Kritik her.

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