Eins vorab: Ich komme aus Osnabrück, lebe seit fünf Jahren in Wien und wenn mich deutsche Freunde oder Verwandte dort besuchen, passiert meist Folgendes.
Der Autor
Joel Souza Cabrera macht ein Praktikum bei Übermedien. Normalerweise studiert er Zeitgeschichte und Medien in Wien, wo Joel versucht, Publizistikstudierenden im ersten Semester die Welt der Theorien schmackhaft zu machen. Im Mittelpunkt seines Studieninteresses steht der Zusammenhang von Freundschaft, Erinnerung und Ethik.
Sie diskutieren über korrekten Sprachgebrauch – und lachen darüber, dass Dinge in Österreich anders (d.h. für sie falsch) benannt werden.
Sie nehmen diese Andersartigkeit gerne zum Anlass, von ihrer Heimat(-kultur) zu erzählen.
Dabei vergleichen sie im Grunde alles mit ihrer norddeutschen Klein- und Großstadterfahrung: „Bei uns ist das ja so und so“, sagen sie dann, was meistens bedeutet: Bei uns ist es besser. Grünere Städte, tollere Radwege. Und wieso wissen die Gastwirt:innen in Wien eigentlich nicht, dass das Original Wiener Schnitzel ein so und so zubereitetes Stück vom Kalb ist???
Solche Leute nennt man – und nein, das ist kein umgekehrter Rassismus – in Österreich Piefke und in Deutschland Almans oder auch Kartoffeln.
Wir müssen reden über … Deutschness
Jedenfalls stand ich vor Kurzem in Deutschland im Zeitschriftenladen und stieß auf „A-Z – Das Deutschlandmagazin“, das mein verloren geglaubtes Piefke-(Guilty-)Pleasure weckte.
Reden wir also über Deutschland und über dieses Heft, das von studierten oder noch studierenden Künstler:innen gemacht wird. Das Schmuddelthema Deutschland – pendelnd zwischen rechtsnationaler Glorifikation und linker Aversion – versteckt das Heft jedenfalls nicht hinter Fassaden aus glänzenden Automobilen, blühenden Kleingartenlandschaften oder ernüchternder Politik. Wie aber holt es den Karren aus dem Dreck, ohne sich beim Anschieben dieses Volkswagens einzusauen? Was, wenn das rechte, sich in den Ackerschlamm gegrabene Rad durchdreht und der Kotflügel nur begrenzt viel Kot abzufangen vermag?
Als ich „Das Deutschlandmagazin“ las, hätte ich mich gerne darüber aufgeregt, dass die Autor:innen, die offenbar alle aus demselben Milieu stammen, ein ironisch-campy-artsy-antideutsches Magazin zu Selbstdarstellungszwecken produzieren und dabei ihren Protagonist:innen und Themen nicht gerecht werden. Diese Attitüde begegnet mir schließlich häufiger auf Lesungen, Kunstevents, in Sozialen Medien. Selbst in von mir geschätzten jungen Magazinen blitzt der Milieugeist immer wieder auf. Er wirft seine zynisch arroganten Schatten auf die finanziell schlechtgestellten Arbeiter:innen und (Post-)Migrant:innen, an deren Kleidungs-, Musik- und Sprachstil er sich zwar bedient, sich darüber hinaus aber kaum für diese Menschen interessiert.
Deutschland ist der Unique Selling Point und schon im Titel schamlos exponiert. Ein Titel, in dem bereits die komplette Deutschness steckt: Von „A bis Z“. Alles strikt geordnet.
Drei Wochen auf einer Baustelle werden da gerne mal genutzt, einen auf Bourdieu oder Barthes zu machen, natürlich halbironisch gebrochen und in der Welt zeitgenössischer Literatur wohl kontextualisiert, um eine Rechtfertigung für einen eitlen, letztlich respektlosen Text zu haben.
Diesen Schuh lassen sich die Herausgeber des „Deutschlandmagazins“ aber nicht so leicht anziehen. Das Heft schafft es meistens, den Blick nicht herab zu richten, sondern auf Augenhöhe zu bleiben oder gar zu seinen Protagonist:innen aufzublicken. Meistens, denn am Ende (Spoiler) treten die Herausgeber dann doch ins Fettnäpfchen. Ihren frisch eingefetteten Füßen lässt sich der Schuh so halt doch anziehen.
Postmigrantische „Contributors“
Klar ist, Deutschland ist der Unique Selling Point und schon im Titel schamlos exponiert. Ein Titel, in dem bereits die komplette Deutschness steckt: Von „A bis Z“. Alles strikt geordnet. Diese beruhigende Erwartbarkeit. Das Gefühl zu wissen, was die nächsten Jahre kommt. Denn jedes Jahr erscheint ein Heft und jedes Heft widmet sich einem Buchstaben. Aktuell sind wir beim B; das C kommt dann 2023. Keine Eile, das Projekt ist schließlich auf ganze 26 Jahre (ohne Umlaute) ausgelegt. Die letzte Ausgabe müsste demnach 2046 erscheinen.
Das Deutschland postmigrantischer Städter, das 30 sogenannte „Contributers“ unter 30 hier zeichnen, hat wenig mit dem weißen, ulkigen Deutschland à la Stromberg, Helge Schneider und Harald Schmidt zu tun. Statt dieses Boomerdeutschland mitzunehmen und zu entstauben, haben sich die Autor:innen anscheinend entschlossen, ein neues, junges Deutschland zu präsentieren.
Anfangs werden alle Beitragenden vorgestellt: Leser:innen lernen so zum Beispiel, dass Katharina, „wenn sie ein Tier sein könnte“, am liebsten ein Eichhörnchen wäre; Anna (Skorpion) zu „Extravaganz und Overanalysing“ neigt; dass gleich zehn der „Contributors“ gerne (von Beruf, als Selbstständige, Künstler:innen oder als Hobby) fotografieren und dass Sarah sonntags gerne auf ihrem Balkon Kaffee trinkt, schreibt und Crêpes backt.
Apropos Crêpes, liebe mitlesende Piefkes! Sollten Sie beim nächsten sonntäglichen Kaffeekränzchen imponieren wollen, servieren Sie diese französische Süßspeise doch mal dekorativ mit feingeraspelter Zitronenzeste, frischen Minzeblättchen und Ihrem reichhaltigen Wissen über die feinen Unterschiede zwischen Crêpes, Palatschinken, Pfannkuchen, Pancakes und Plinsen. So wird der Kaffeeklatsch (zumindest für Sie) gewiss ein köstlicher Erfolg!
German Dream mit Ringelsöckchen und Moccasins
Auf dem Cover sehen wir eine betagte Frau, die lässig rauchend im Garten sitzt: ihre Beine überschlagen, einen Fuß in Ringelsöckchen und Moccasins (ausgelatscht) auf dem Tisch, in einer (goldberingten) Hand ein Feuerzeug (BIC!), in der anderen die Kippe. Es ist der german dream: die Rente genießen und dabei immer noch lässig aussehen.
Übrigens: Wussten Sie, dass eine der ersten und auflagenstärksten Illustrierten die Zeitschrift „Gartenlaube“ war? Ja, wirklich. Ich erwähne das an dieser Stelle, weil Deutsche so gerne alles Mögliche zum Anlass nehmen, um ihr Weltwissen anderen kundzutun.
Aber wer ist diese Frau? Im Heft erfahren wir nur, dass sie Barbara heißt. Das gilt für die gesamte Portätfotostrecke: mehr als die Namen der Abgebildeten werden nicht verraten. Sie heißen Barbara, Bernd, Bibiana, Brady, Britta Barbara, Brunhilde, Bujar und Büsra. Unschwer zu erkennen, welcher Buchstabe dominiert: genau, das kleine a.
Das „Deutschlandmagazin“ hat einen spielerischen Umgang mit der enzyklopädischen Form gefunden; sie schafft über die im Magazin wiederkehrenden Inhaltsverzeichnisse lose Verbindungen zwischen den Beiträgen, indem sie diese alphabetisch organisiert: BA-BD, BE-BH, BI-BQ und so weiter. Diese Inhaltsverzeichnisse teasern dabei nicht, wie üblich, die Beiträge an, sondern greifen einzelne B-griffe heraus, und mimen so die Textgattung Lexikon-Eintrag. Auf jeweils einer Doppelseite finden sich so lauter offensichtlich ergoogelte B-Facts: aus der Wikipedia zum Beispiel, aus „der Sendung mit der Maus“ oder dem Augsburger Heiligenlexikon … was man halt im Netz so findet.
So erfahren wir beispielsweise, dass laut „vita24“ Barbara, der Name des Covergirls, sich vom griechischen Wort „Barbar“ ableiten lässt, „mit dem die Griechen Personen bezeichneten, die eine für sie unverständliche Sprache sprachen“. Wieder was gelernt, womit ich den nächsten Piefke-Smalltalk ein bisschen auffrischen kann.
Ach: Wussten Sie, dass das älteste überlieferte Baklava-Rezept aus dem spätantiken Griechenland stammt? Ja, Tatsache! Erwähnung findet es erstmalig im XIV. – das ist wiederum römisch für 14. – Buch Athenaios‘. Belehren Sie ruhig ihre arabischen Freunde oder den türkischen Bäcker – bloß keine falsche Bescheidenheit!
Aber Spaß beiseite, im „Deutschlandmagazin“ erfahren wir nämlich auch eine düstere Geschichte über Baklava- und Süßwarengeschäfte, die in Folge repressiverer türkischer Kulturpolitik ab 2015 die Kunst- und Kulturlokale Istanbuls ersetzten. Dass die Lokale in der Türkei verschwanden, sei eine Maßnahme der konservativen Regierung gewesen, um das Gesicht Istanbuls dem Osten zuzuwenden, erzählt der Künstler Özcan Entek im Heft. Diese Veränderung habe ihn veranlasst, „von Istanbul nach Berlin zu ziehen“.
Nichtakademische Stimmen weit weg der städtischen Kunst- und Kulturblasen sind rar. Deshalb läuft das Magazin gerade da Gefahr, ein verfälschtes Deutschlandbild zu zeichnen, wo der Autor:innen-Hintergrund dominiert: Wenn etwa ein Deutschland yet to come präsentiert wird, das die Autor:innen leben, das sich aber (leider) auf ihre Blase begrenzt – beziehungsweise die eigene Spiegelung in der Blasenwand sich beim Blick hinaus über das Betrachtete legt.
In einem anderen Text schildern ein Asylsuchender (Ossama) und die für ihn zuständige Sozialarbeiterin (Laura), wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Migrierenden umgeht. In je einem Erfahrungsprotokoll schildern Ossama und Laura die Anhörung im BAMF, wodurch eine Spannung zwischen den zwei Perspektiven entsteht. Ossama, der lange Zeit als Dolmetscher für Asylsuchende arbeitete, stört, dass er selbst besser Deutsch spreche als der für ihn zuständige Dolmetscher: „Immer wieder muss ich ihm ins Wort fallen und Sätze berichtigen, die sonst falsch protokolliert würden.“ Da das kein Einzelfall sei, sondern häufiger zum Problem der Asylsuchenden werde, appelliert Laura in ihrem Protokoll: „Stell immer sicher, dass der/die Dolmetscher*in dich gut versteht und dass du sie/ihn auch gut verstehst. Darüber hinaus hat jede antragstellende Person auch das Recht darauf, vorher schriftlich beim BAMF einen bestimmten Dialekt anzugeben und beispielsweise auch explizit eine Frau als Dolmetscherin zu beantragen, um etwa sensible Themen zu besprechen.“
Neben den bedrückenden Geschichten von Migration gibt es auch einen nostalgischen Text über die Zeitschrift „Bravo“, eine Fanfiction über Uli Hoeneß, ein Porträt über die Busfahrerin Kathrin Fuchs, ein Interview mit dem passionierten Brockenwanderer Benno und eigens von Künstler:innen für „A-Z“ entworfene Briefmarken.
Die Texte sind meist zweispaltig gesetzt, sehr geradlinig, schwarz auf weißem Hintergrund, nur aufgepeppt von Zitaten in schlanker, verspielterer Schrift (wieder schwarz). Texte und Bilder berühren sich im Magazin kaum; alles hat seinen eigenen Platz. Das wirkt etwas zu ordentlich, um nicht zu sagen: langweilig. Das verwundert gerade angesichts des künstlerischen Hintergrunds der Herausgeber:innen.
Nichtakademische Stimmen weit weg der städtischen Kunst- und Kulturblasen sind rar. Deshalb läuft das Magazin gerade da Gefahr, ein verfälschtes Deutschlandbild zu zeichnen, wo der Autor:innen-Hintergrund dominiert: Wenn etwa ein Deutschland yet to come präsentiert wird, das die Autor:innen leben, das sich aber (leider) auf ihre Blase begrenzt – beziehungsweise die eigene Spiegelung in der Blasenwand sich beim Blick hinaus über das Betrachtete legt.
Was soll man davon halten, dass mit Kathrin Fuchs eine Busfahrerin (also eine echte Proletarierin) porträtiert wird, die ihre Lohnarbeit gerne verrichtet, und der bald 90-jährige Brocken-Benno (Schmidt) im Interview vom Wandern im Harz so lebendig berichtet; dass beide fast romantisch von einfachen Tätigkeiten schwärmen, die so fern und unmöglich mit dem Leben städtischer Kreativschaffender zu vereinbaren wirken?
Der staunende Blick auf das Arbeiter:innenmilieu und die Genügsamkeit dieser beiden Protagonist:innen ist von Kitsch geprägt, ja, aber vor allem von Achtung gegenüber den Personen.
Überhaupt schafft es das Heft lange, die vorhin gespoilerten Fettnäpfchen zu umschiffen. Ärgerlich ist jedoch, dass auf den letzten Seiten meine negativen Erwartungen dann leider doch bestätigt werden. Nämlich, wenn sich die Herausgeber selbst auf eine Dorf-Safari ins brandenburgische Burg begeben, „dem größten Dorf Deutschlands“.
Unangenehm: Berliner auf Dorfsafari
Ceterum censeo: Es ist die Stärke von Künstler:innen und Schriftsteller:innen, uns mit völlig anderen Augen auf die Dinge der Welt blicken zu lassen.
Einmalig ist also das Bild, das die beiden Autoren von der dörflichen Ödnis am ersten Tag ihrer Expedition zeichnen:
In den Vorgärten trimmen Rasenmäher-Roboter das saftige Grün. Alles akkurat, alles gestutzt und ordentlich. Wie aus einem druckfrischen Baumarktprospekt erscheint der Ortskern (…).
Am zweiten Tag beginnt der Spaß gleich beim Aufstehen: „Ich wache auf, betört vom Duft der Plastik-Orchideen“ – witzig. Am Abend, Gott sei Dank, finden die drei Abendteurer doch noch eine Vereinsschenke, wie sie im Buche steht. Ihre Chance, endlich von „den Burglern“ zu schreiben, die ihnen zuvor im Kopf schwebten und hier nun endlich am Tresen Platz nehmen. Dort sollen die Dörfler ihr Revier und die Prinzessin, ähm, Schankwirtin , vor den Eindringlingen verteidigen.
Eine erste, vorsichtige Annäherung, aber die Burgler*innen bleiben skeptisch. Drei fremde Männer, was die wohl wollen? Irgendwie rührend.
Die Autoren und Herausgeber Marcel Heise und Jakob Weber schieben den dortigen Vereinsmitgliedern anschließend („auch verständlich“ sei das) unter, „ihre heißgeliebte Wirtin nicht mit den drei Unbekannten allein lassen wollen.“
Waschechte Burgler tränken Bier, soviel sei sicher. Doch trotz ambitioniertem Durst der Berliner blieben die Burgler:innen skeptisch, „das sei den ‚Burgler*innen‘ ins Gesicht gemalt“. Für Heise und Weber also „höchste Zeit, abzuhauen. ‚Tschüss!‘“, schreiben sie, und weiter:
Morgen steht das alles in der BILD, da sind sie [die Burgler:innen] hier alle einer Meinung.
Sind das die Worte der Burgler:innen? Haben die Autoren sich ihnen also als Journalisten vorgestellt? Und dabei im Unklaren gelassen, für wen oder was sie schreiben? Oder unterstellen die Autoren den Burgler:innen diese Befürchtung einfach, weil Burg, Bier und BILD so ein rundes B-ild ergeben?
Real talk: Ich würde bei solch einem Besuch von so Berliner Künstler:innen am liebsten mit den Vereinsmitgliedern gemeinsam anstimmen „Geh doch zu Hause! Du alte Scheiße! Geh doch zu Hause! Bleib nicht hier!“
Es ist schließlich das eine, das Fremde durch Romantisierung auf Distanz zu halten, ein anderes ist es, dies durch herablassend belächelnden Sarkasmus zu tun.
Zu fragen, inwiefern das eine (Romantisierung) zum anderen (Überheblichkeit) führt, wäre gerade für „Das Deutschlandmagazin“ ein super Thema – etwa für Ausgabe K wie Klassismus oder Ausgabe P wie Patriotismus oder Ausgabe V wie Volkskunde, aber die erscheint ja erst in 20 Jahren.
Man ärgert sich bekanntlich am meisten über die Dinge und Personen, die einem lieb sind. Jedenfalls geht es mir so mit diesem Magazin. Denn insgesamt habe ich den Eindruck, dass dieses Deutschland(magazin) auf einem guten Weg ist, ein vielfältiges Deutschland(magazin) zu werden – kann aber auch daran liegen, dass ich einiges mit den „Contributers“ teile, denn, hey: Auch ich mag Kaffee, Pfannkuchen und Fotografieren.
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Den Abschnitt „Nichtakademische Stimmen weit weg der städtischen Kunst- und Kulturblasen…“ habe ich gerade drei mal gelesen. Da ist wohl bei der Formatierung etwas schief gelaufen.
Den Abschnitt „Nichtakademische Stimmen weit weg der städtischen Kunst- und Kulturblasen…“ habe ich gerade drei mal gelesen. Da ist wohl bei der Formatierung etwas schief gelaufen.