Nazis gehen immer. Was Guido Knopp schon vor dreißig Jahren wusste, gehört mittlerweile zum Markenkern der öffentlich-rechtlichen Programme: das Historiendrama, mit dem die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts anhand eines Unternehmens, einer großen Familie oder Institution erzählt wird. Ob „das Adlon“, „die Manns“ oder „Charité“ – die Formel bekommt je nach Mut von Regie und Redaktion ein paar Innovationen, bleibt im Kern aber unverändert. Fakt und Fiktion werden vermengt und halten im Idealfall die Zuschauer:innen an ihren Bildschirmen. Und ganz am Ende haben sie nicht einmal gemerkt, dass sie etwas gelernt haben.
Der Autor
Moritz Hoffmann ist freier Historiker. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der europäischen, speziell der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus gilt sein Interesse besonders der Vermittlung des in diesem Themenfeld entstandenen Wissens für eine breite Öffentlichkeit.
Nach diesem Muster lief nach Weihnachten auch die ARD-Miniserie „Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit“: Vier junge Menschen durchleben die Weimarer Republik im Berliner Kaufhaus des Westens. Von Anfang an war klar, dass der Fokus dabei nicht auf historischer Akkuratesse liegen würde, sondern auf den fiktiven und fiktionalisierten Charakteren. Diese Unterscheidung ist wichtig: Zwei der Hauptfiguren, Hedi Kron und Fritzi Jandorf, die ihre Liebesbeziehung im Nachtclub Eldorado beginnen, sind komplett erfunden. Fritzis Serienbruder Harry Jandorf ist allerdings eine historische Person, ebenso wie Kaufhausmanager Georg Karg. Und hier beginnt es ungemütlich zu werden.
Denn Karg war der materielle Gewinner der ganzen Geschichte: Als die jüdischen Eigentümer der auch das KaDeWe umfassenden Kaufhausgruppe in den 1930er Jahren aus der eigenen Firma gedrängt wurden, übernahm Karg nach und nach die Anteile an dieser Hertie GmbH und wurde so zum Kaufhausmagnaten der Bonner Republik. Dass Karg aus dem Nationalsozialismus persönlichen und bis in die Bundesrepublik fortwährenden wirtschaftlichen Vorteil gezogen hat, wird aus der Serienhandlung nicht eindeutig klar, kann aber auch nicht einfach ignoriert werden. Vermutlich deshalb ließ Regisseurin Julia von Heinz ganz am Ende der Serie, vor dem Abspann, mehrere Texttafeln einblenden, die das weitere Leben der vier Hauptpersonen skizzieren. Zwei davon sind insgesamt 16 Sekunden lang zu sehen:
„Georg Karg übernimmt das ganze Tietz-Imperium und entschädigt die Familie nach 1945 mit einer geringen Summe.“
„Sein Vermögen fließt in die Hertie-Stiftung. Diese behinderte lange die Offenlegung ihrer Profite aus der Enteignung und Arisierung. Eine weitere Studie zur Aufarbeitung wurde 2020 in Auftrag gegeben.“
Gegen diese beiden Infohappen regt sich Widerstand: Unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen meldete sich der Geschäftsführer der Hertie-Stiftung, John-Philip Hammersen, persönlich bei ARD-Programmdirektorin Christine Strobl. In einem Schreiben, das Übermedien vorliegt, beklagte er „rufschädigende Tatsachenbehauptungen“, die „einen unhaltbaren Bezug zur heutigen Wirklichkeit herstellen.“ Es beschädige das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt, wenn „ausgerechnet die ARD in Zeiten von ‚Fake News‘ und ‚alternativen Fakten‘ offenbar keine Prüfung von Tatsachenbehauptungen“ vornehme. Schwere Geschütze also.
Regisseurin Julia von Heinz sagt, sie war enttäuscht: „Ich hatte im Vorfeld telefonischen Kontakt zu Herrn Hammersen von der Hertie-Stiftung und hatte in diesem Gespräch das Gefühl, dass ihm an einer öffentlichen Auseinandersetzung und endlich stattfindenden Aufarbeitung der Arisierung wirklich gelegen ist. Die Reaktion zeigt mir stattdessen erneut, dass die Serie Themen behandelt hat, die weiterhin relevant sind und nicht in der Vergangenheit begraben sind.“
Eine Entfernung der Texttafeln stand ihr zufolge allerdings zu keinem Zeitpunkt zur Debatte. Die ARD-Filmtochter Degeto als redaktionell verantwortliche Stelle gab diesem Ansinnen nach Rücksprache mit den Produktionsfirmen und der Regisseurin nicht nach. Sie nahm das Schreiben aber ernst genug, um sich mit der Hinterlegung einer Schutzschrift auf einen möglichen Rechtsweg vorzubereiten, an dem drei Weltbilder aufeinanderprallen: das der Filmschaffenden, das der Anwaltskanzleien und ihrer Mandantin und das der Historiker:innen. Lassen sich diese Bilder überhaupt in Einklang bringen?
Kunstfreiheit und Juristerei
Für die Macher:innen ist die Sache ziemlich einfach: Sie dürfen machen, was sie wollen. Vor jeder Folge von „Eldorado KaDeWe“ wird eine Klarstellung eingeblendet, die über die ohnehin vorhandene Kunstfreiheit hinaus klarstellt, dass man lieber nichts an dieser Geschichte glauben sollte. Einer so eingeleiteten Serie eine historische Ungenauigkeit vorzuwerfen hieße, jedes Schauspiel zur Lüge zu erklären.
Schon diese Tafel dürfte ein Zugeständnis der Kunst an die Juristerei gewesen sein, die lange und teuer darüber streiten kann, ob ein solcher Disclaimer jede unterstellte böse Nachrede ungültig macht. Aber auch die inhaltlichen Behauptungen im Abspann dürften kaum justiziabel sein: Ob zur Entschädigung eine „geringe Summe“ gezahlt wurde oder doch mehr, ist ein Werturteil, das kaum angreifbar ist. Bleibt höchstens noch die Formulierung, die Hertie-Stiftung habe die Offenlegung lange behindert, als wirklich konfliktträchtig. Allerdings ist fraglich, inwiefern eine gemeinnützige Stiftung überhaupt ein Persönlichkeitsrecht hat, das hier angetastet sein könnte.
Bleibt also die historische Dimension: Gänzlich unbeeindruckt von künstlerischen Einfällen oder juristischen Winkelzügen geht es um die Frage, inwiefern die in der Serie geäußerten Behauptungen denn der historischen Realität, so wir sie aktuell rekonstruieren können, entsprechen:
Behauptung 1:
„Georg Karg übernimmt das ganze Tietz-Imperium und entschädigt die Familie nach 1945 mit einer geringen Summe.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu zwei Entschädigungsleistungen Kargs gegenüber der ehemaligen jüdischen Inhaberfamilie: Zunächst gab es ein klassisches Entschädigungsverfahren, in dem die Erben, nachdem ihr Schaden festgestellt worden war, eine Ausgleichszahlung vom NS-Profiteur Karg erhielten. Parallel dazu bekam die Familie zudem drei unzerstörte Warenhäuser in der Bundesrepublik zurück, die sie gegen eine Umsatzbeteiligung an Karg zurückvermietete.
Ist das eine „geringe Summe“? Es ist mit Sicherheit mehr, als die meisten jüdischen Opfer und ihre Nachfahren nach dem Krieg an „Wiedergutmachung“ erhielten. Wenn nach dem Krieg überhaupt Ansprüche von Opfern der „Arisierung“ anerkannt wurden, dann erhielten sie oft sehr geringe Beträge. Gemessen daran waren die Tietz-Erben tatsächlich in ihren Verhandlungen erfolgreich.
Allerdings betrug Georg Kargs Firmenvermögen nur vier Jahre nach dieser Entschädigung ungefähr eine Milliarde Mark; er ist also als wirtschaftlicher Gewinner aus dem Nationalsozialismus hervorgegangen. Wäre es nicht gerechter gewesen, alle Anteile, aus denen die ursprünglichen Eigentümer herausgedrängt worden waren, zurückzugeben? An dieser Frage entscheidet sich auch historisch, ob die ausgezahlte Summe nun „gering“ oder doch ausreichend war. Sie lässt sich aber nicht objektiv, sondern nur nach dem eigenen Wertekompass beantworten.
Behauptung 2:
„Sein Vermögen fließt in die Hertie-Stiftung. Diese behinderte lange die Offenlegung ihrer Profite aus der Enteignung und Arisierung. Eine weitere Studie zur Aufarbeitung wurde 2020 in Auftrag gegeben.“
Nicht weniger kompliziert ist es bei der zweiten beanstandeten Aussage. Sie betrifft außerdem noch eine außenstehende Stiftung, die in der Serienhandlung naturgemäß nicht vorkommt, weil sie erst Jahrzehnte später gegründet wurde. Aber was ist dran an dem Vorwurf, sie habe die historische Aufklärung verhindert?
Ein erster Blick in einschlägige Literaturverzeichnisse fördert tatsächlich kaum historische Untersuchungen zur Geschichte des Konzerns zutage. Im Jubiläumsband „100 Jahre KaDeWe“ von 2007 umfasst das Kapitel „Dunkle Zeiten. 1933 – 1949“ gerade einmal 19 Seiten, ein Zehntel des Buches. Eine tiefergehende Untersuchung, ob durch die Eigentümer selbst oder unabhängig, lässt sich nicht finden. Demgegenüber wurde die Geschichte des einstigen Warenhauskonkurrenten Wertheim schon 1996 in einer Dissertation aufgearbeitet.
Die Hertie-Stiftung verweist mit gutem Recht auf zwei Anläufe, die Unternehmensvergangenheit zu erforschen: im Jahr 2000 und dann noch einmal 2008 hatte man Studien in Auftrag gegeben, die nie veröffentlicht wurden. Die Stiftung sagt dazu, eine Publikation sei nicht möglich gewesen, da es sich nur um Quellenlisten gehandelt habe.
Quellensammlungen sind allerdings in der zeithistorischen Forschung keine seltene Publikationsform. Die Formulierung der sogenannten Desiderate, also im weitesten Sinne Vorschläge, was noch zu untersuchen wäre, hat schon zu bahnbrechenden Doktorarbeiten geführt. Die Vorstellung, eine solche Liste sei nicht zur Veröffentlichung geeignet, ist nur dann nachvollziehbar, wenn man diese Veröffentlichung rein als Mittel der Öffentlichkeitsarbeit ansieht: Ein Forschungsdesiderat in einer Fachzeitschrift macht einfach nicht so viel her wie das gebundene Buch mit Leseband aus dem großen Publikumsverlag.
Studierende fordern Aufarbeitung
Dass die Geschichte von Hertie seit 2020 dann doch ausgiebig erforscht wird, ist auch nicht aus Eigenantrieb geschehen. Eine Gruppe von Studierenden und Ehemaligen der von der Stiftung finanzierten „Hertie School“, die in Berlin Führungskräfte ausbildet, fordert seit 2018 ein aktiveres Bekenntnis der Geldgeberin zu den Grundlagen ihres Vermögens. Die nach dem ursprünglichen Besitzer benannte „her.tietz-Initiative“ hatte damit zwei Jahre lang keinerlei Erfolg, bis sie sich an die „Süddeutsche Zeitung“ wendete. Als sie dort beklagte, man werde von Stiftungsvorstand Frank-Jürgen Weise „hingehalten und abgewimmelt“, ging es plötzlich ganz schnell. Einen Tag nach Erscheinen des SZ-Artikels verkündete die Hertie-Stiftung, die „unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung der Vorgeschichte des Vermögens der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung“ werde noch 2020 beginnen.
Tatsächlich arbeiten seit nun knapp über einem Jahr zwei anerkannte Wirtschaftshistoriker am Thema; das Ergebnis soll in diesem Jahr als Buch erscheinen. Dass dies erst jetzt geschieht, begründet die Stiftung mit der Digitalisierung: Erst durch neue Suchmechanismen seien ausreichend Quellen ausfindig gemacht worden, die eine ordentliche Forschungsarbeit erwarten lassen.
Stichhaltig ist das in Anbetracht der zeitlichen Abläufe nicht. Dass die Stiftung die zwei Mal erhobenen Quellensammlungen nicht veröffentlichte, so dass unabhängige Historiker:innen darauf aufbauend hätten weiterforschen können, kann man mit Fug und Recht als „Behinderung“ der Aufarbeitung bezeichnen.
Getriebene öffentlicher Kritik
Die ganze Sache ist natürlich nicht angenehm für die Hertie-Stiftung und dürfte sie unvorbereitet getroffen haben. Geschäftsführer Hammersen hatte extra vorab mit Regisseurin von Heinz telefoniert und ihr die Kontaktdaten der Historiker übermittelt. Zu einer Zusammenarbeit zwischen den Forschern und den Produktionsfirmen kam es laut ARD aber nicht. Die Hertie-Stiftung hat auf eine Anfrage von uns nicht geantwortet.
Viel wird davon abhängen, wie die Angelegenheit weitergeht: Bislang hat die Stiftung keine rechtlichen Schritte eingeleitet oder angekündigt. Dafür werden sich die Parteien an anderer Stelle treffen: Für den 9. Februar hat die „her.tietz“-Initiative zur öffentlichen Diskussion über Serie und Unternehmensgeschichte eingeladen. Serienregisseurin von Heinz und Stiftungsgeschäftsführer Hammersen haben zugesagt. Die Initiative freut sich entsprechend, „dass sich inzwischen verschiedene Akteure – von unserer Initiative über Historiker:innen bis hin zu Filmemacher:innen – mit der Geschichte Herties und der „Arisierung“ des einstigen Kaufhauskonzerns zulasten der jüdischen Eigentümerfamilie Tietz auseinandersetzen.“
Bisher sieht es ganz danach aus, als würde sich die Geschichte wiederholen. Wenn irgendwann in diesem Jahr der Abschlussbericht der Wissenschaftler vorgestellt und in die Buchläden gestellt wird, muss sich die Stiftung wie vor zwei Jahren als Getriebene öffentlicher Kritik hinstellen lassen anstatt als souverän mit der eigenen schwierigen Vergangenheit umgehende Institution.
Zuzuschreiben hat sie sich das allerdings nur selbst. Vielleicht sollte eine Stiftung, die Führungskräfte ausbildet, den Umgang mit der NS-Geschichte allgemein in den Lehrplan aufnehmen – es gibt noch eine Menge verfilmbare deutsche Unternehmen, die von ARD und ZDF zur besten Sendezeit an ihre Geschichte erinnert werden können. Nicht vergessen: Nazis gehen immer.
4 Kommentare
Gut, dass Nazis immer gehen.
Trotzdem halte ich es aus Publikumssicht etwas unglücklich, wenn einerseits am Anfang die Fiktionalität derartig betont wird und andererseits am Ende konkrete historische Aussagen stehen.
Nicht so schlimm wie Sophie Scholl auf Insta, aber trotzdem.
@2
Finde ich ganz im Gegenteil. Bei einer Geschichte mit hohem fiktionalem Anteil ist es doch sehr sinnvoll, relevante Fakten am Ende klar zu benennen und für Historien-Dramen ist das in der Tat auch die übliche Praxis. Als Zuschauer ist man darauf trainiert, dass man diese wörtlich nehmen kann, während das Filmgeschehen selbst stark von der Realität abweicht.
(Beispiel aus Hollywood: „Imitation Game“ über Alan Turing und die Enigma-Entschlüsselung verfährt exakt genau so.)
Nagut, die Schlussbemerkung an sich ist ok (bei inhaltlicher Richtigkeit und so), aber dann ich kann dann trotzdem nicht erkennen, wie viel, und vor allem, was vom Inhalt verbürgt und was erfunden ist.
Bzw., wenn ich es kann, dann nur, weil ich die verbürgten Tatsachen schon kenne.
Etwas seltsam fand ich auch, dass selbst die Schlussbemerkungen ja wieder teilweise Fiktional waren. Da stand, dass Mücke im Rahmen der Euthanasie hingerichtet wurde. Hätte sie wirklich gelebt kann es gut sein, dass ihre Geschichte so weitergegangen wäre. Da sie aber auch ein fiktionaler Charakter war verschwimmen auch da wieder die Grenzen zwischen Fiktion und Realität
Gut, dass Nazis immer gehen.
Trotzdem halte ich es aus Publikumssicht etwas unglücklich, wenn einerseits am Anfang die Fiktionalität derartig betont wird und andererseits am Ende konkrete historische Aussagen stehen.
Nicht so schlimm wie Sophie Scholl auf Insta, aber trotzdem.
@2
Finde ich ganz im Gegenteil. Bei einer Geschichte mit hohem fiktionalem Anteil ist es doch sehr sinnvoll, relevante Fakten am Ende klar zu benennen und für Historien-Dramen ist das in der Tat auch die übliche Praxis. Als Zuschauer ist man darauf trainiert, dass man diese wörtlich nehmen kann, während das Filmgeschehen selbst stark von der Realität abweicht.
(Beispiel aus Hollywood: „Imitation Game“ über Alan Turing und die Enigma-Entschlüsselung verfährt exakt genau so.)
Nagut, die Schlussbemerkung an sich ist ok (bei inhaltlicher Richtigkeit und so), aber dann ich kann dann trotzdem nicht erkennen, wie viel, und vor allem, was vom Inhalt verbürgt und was erfunden ist.
Bzw., wenn ich es kann, dann nur, weil ich die verbürgten Tatsachen schon kenne.
Etwas seltsam fand ich auch, dass selbst die Schlussbemerkungen ja wieder teilweise Fiktional waren. Da stand, dass Mücke im Rahmen der Euthanasie hingerichtet wurde. Hätte sie wirklich gelebt kann es gut sein, dass ihre Geschichte so weitergegangen wäre. Da sie aber auch ein fiktionaler Charakter war verschwimmen auch da wieder die Grenzen zwischen Fiktion und Realität