Meta schafft Arbeitsplätze im deutschen Journalismus. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) beschäftigt von April an ein 15-Leute-Team, das für den Facebook-Konzern deutsche Nachrichten kuratieren soll. Chef des Teams wird Christian Röwekamp, ein gestandener Journalist, der zuvor den dpa-Themendienst über Verbraucherthemen leitete.
Der Autor
Alexander Fanta berichtet als EU-Korrespondent für netzpolitik.org über die Digitalpolitik der Europäischen Union. Er ist Ko-Autor der Studie „Medienmäzen Google“ über Journalismusförderungen des Konzerns. 2017 war er Stipendiat am Reuters-Institut für Journalismusforschung an der Universität Oxford, wo er zur Automatisierung im Journalismus forschte.
Für dpa handelt es sich nicht um den ersten Großauftrag des Social-Media-Konzerns: Die Agentur macht bereits Faktenchecks für Facebook in Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Belgien und Luxemburg; seit einigen Wochen laufen dpa-Faktenchecks außerdem in einen eigens bespielten WhatsApp-Kanal. Facebook beschäftigt damit in Deutschland mehr Journalisten als manche ausgedünnte Lokalredaktion. Wie viel Geld fließt, wollen weder dpa noch Meta verraten. „Zu Vertragsdetails macht die dpa prinzipiell keine Angaben“, sagt ein Sprecher.
Facebook bindet durch die Kooperation einen zentralen Akteur der deutschen Medienlandschaft an sich. Es gibt kaum ein Medienhaus in Deutschland, das keine Nachrichten von dpa bezieht. Was über die Agentur läuft, setzt die Agenda für die Berichterstattung vieler Nachrichtenseiten. Künftig entscheiden dpa-Leute auch darüber, welche Nachrichten in Facebooks neuem Feature landen. Freilich, dpa will die beiden Aufgaben nicht vermischen – das Kuratierungsteam arbeite für die Tochtergesellschaft dpa-Infocom, heißt es, sie sei streng von der dpa-Redaktion getrennt.
Zuerst hatte Meta die Firma Upday kuratieren lassen, eine Tochter des Axel-Springer-Konzerns. Doch das sorgte für Irritationen unter Konkurrenzverlagen – Springer könne seine eigenen Inhalte auf „Facebook News“ bevorzugen. Nach heftiger Kritik kündigte Springer-Chef Mathias Döpfner schließlich beim Kongress des Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) an, dass Upday den Auftrag an eine „neutralere“ Instanz übergebe. Das ist nun geschehen, nach nur acht Monaten Zusammenarbeit.
Das Redaktionsstatut als Geschäftsgeheimnis
Undurchsichtig bleibt der Kriterienkatalog, nach dem die Nachrichtenauswahl verfolgt. Im Spiel seien Faktoren wie Ausgewogenheit, Vielfalt, Aktualität und Fairness sowie der Nutzwert für Leserinnen und Leser, heißt es von dpa. Dem Vernehmen nach erarbeitete Meta dafür ein rund 30-seitiges „Redaktionsstatut“, das der Konzern aber nicht offenlegen will. Was sich manche Nachrichtenmedien stolz auf die Fahnen schreiben, ist bei Meta ein Geschäftsgeheimnis. Die Auswahlfaktoren, die der Konzern nennt, sind vage. „Das Team wählt Themen aus, die möglichst viele Personen ansprechen“, steht etwa auf einer Facebook-Hilfeseite. Das kann alles und nichts bedeuten.
Konkrete Nutzerzahlen für „Facebook News“ nennt der Konzern nicht. Obwohl das Feature bereits im Mai 2021 gestartet ist, ist es vielen Usern kein Begriff. Das überrascht nicht, denn es ist nur auf den zweiten Blick zu finden: In der Desktopversion versteckt es sich in einer Menüleiste links auf der Startseite. Wer dort stöbert, findet ein paar Kacheln mit Überschriften und Aufmacherbildern von FAZ, „Bild“ und anderen Medien. Soweit, so unspektakulär. Kaum zu glauben, das dafür 15 Kuratoren nötig sind.
„Facebook News“ will der Konzern jedoch nicht ganz menschlichen Kuratoren überlassen. Neben deren Top-Meldungen wählen Algorithmen automatisiert weitere Beiträge aus, je nachdem, welche Posts und Kommentare ein Nutzer geliket hat, in welchen Gruppen und auf welchen Seiten er unterwegs ist. Grundsätzlich will Facebook für alle Beiträge, ob von Mensch oder Maschine ausgewählt, nur auf „qualifizierte Nachrichtenanbieter“ setzen, also seriöse Quellen. Welche Medien dazugehören, verrät der Konzern nicht.
Sollte „Facebook News“ nicht abheben, macht das aus Sicht von Meta nichts: Der Konzern will mit dem neuen Feature nicht bloß User informieren. Vielmehr schafft er einen Prellbock gegen Kritik. Facebook musste in den USA, aber auch in Europa zuletzt viel Prügel einstecken, weil sich auf der Plattform Falschmeldungen und Desinformation allzu ungehindert verbreiten. Als der Konzern gegensteuerte, und Posts von „Freunden und Familie“ in der Timeline den Vorzug gab, büßten nicht nur Fake-News-Schleudern Reichweite ein, sondern auch viele Nachrichtenseiten.
Nun bietet Facebook den Medien Wiedergutmachung an, einen eigenen Kanal für ihre Inhalte. Dafür, dass sie Facebook ein paar Links zu ausgewählten Artikeln schicken, bezahlt der Konzern 37 deutsche Medienhäuser. Wie zufällig startete das Programm wenige Monate, bevor das neue Leistungsschutzrecht in Deutschland gilt. Forderungen der Verwertungsgesellschaft Corint Media, allein 2022 eine Lizenzgebühr von 190 Millionen Euro für Inhalte ihrer Medien zu zahlen, lehnt Meta ab. Mit „Facebook News“ poliert der Konzern sein Image bei den Verlagen auf, was ihm im nahenden Kampf um Lizenzgebühren helfen dürfte. Da passt es ins Bild, dass Meta mit der dpa ins Geschäft kommt, in der die führenden deutschen Medienunternehmen Gesellschafter sind.
Wessen Brot ich ess…
Durch den Deal entsteht eine enge wirtschaftliche Bande zwischen zwei Konzernen, die beide auf ihre Art Gatekeeper für die Medien sind: dpa als Drehscheibe für Inhalte, Facebook als wichtiger Ausspielkanal. Das hier Abhängigkeitsverhältnisse entstehen könnten, wird von der Nachrichtenagentur bestritten. Kein Kunde von dpa oder ihren Tochterfirmen habe Einfluss auf die redaktionelle Unabhängigkeit, die Agentur berichte „seit vielen Jahren kritisch über Plattformen wie Meta oder Google“, schreibt ein Sprecher.
Dennoch, der Schritt weckt Unbehagen. Ebenso schnell, wie Upday und Meta einander entfreundeten, könnte es in Zukunft auch mit dpa gehen. Für die Nachrichtenagentur mag die Auftragsarbeit für Meta nur einen Bruchteil des Konzernergebnisses ausmachen. Doch der Social-Media-Riese erhält mit seinem Auftrag ein ganzes Team; Jobs, die mit einem Schlag weg sein können.
Mit seinem Auftrag formt der Konzern den Ausblick der Nachrichtenagentur: Facebooks Desinformationsproblem wird für dpa zum Geschäftszweig. Das Kerngeschäft, unabhängig für Leserinnen und Leser zu berichten, könnte ins Hintertreffen geraten. Die Agentur, die die deutsche Medienlandschaft prägt, muss wachsam sein, sich nicht im Gewirr von Facebooks undurchsichtigen Geschäftsinteressen zu verlieren.
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