Die Podcast-Kritik (70)

„Alles gesagt?“ Die Masche des endlosen Geredes

Am „Zeit“-Podcast „Alles gesagt?“ scheiden sich die Geister. Auch bei uns. Deshalb gibt es ausnahmsweise zwei Kritiken zu einem Podcast: Hier das Contra von Sandro Schroeder; nebenan das Pro von Larissa Vassilian.

Podcastlogo "Alles gesagt?" mit grimmigem Gesicht

Vielgelobt und preisgekrönt ist „Alles gesagt“ ja. Aber: Was ist der „Zeit“-Podcast denn eigentlich? Ein Anti-Interview? Ein Gespräch, das zwar so geführt, aber sonst nie in dieser Form aufgenommen würde? Auch die „Zeit“-Redaktion kann sich nicht festlegen: „Interviewpodcast“, „Gespräch“ oder auch „unendlicher Podcast“ heißt das Format wahlweise.

Für mich ist „Alles gesagt“ weder ein strukturiertes Interview noch ein wirklich freies Gespräch. Sondern irgendwas dazwischen und vor allem sehr lang, das soll ja auch den Reiz ausmachen. Nur finde ich: Der Gag nimmt Überhand, das Format wird zum Selbstzweck, vereint die größten Schwächen aus beiden Welten.

Larissa Vassilian hat Recht: „Alles gesagt“ feiert mit seiner Ausführlichkeit eine der Traditionen und Tugenden der Podcasts. Durch die Ultra-Längen der Folgen mit Youtuber Rezo (8:40 Stunden), der stellvertretenden „Zeit“-Chefredakteurin Sabine Rückert (7:31) oder jüngst der Literaturkritikerin Thea Dorn (7:33) haben die „Alles gesagt“-Macher*innen viele Menschen das erste Mal mit der Nase darauf gestoßen, wozu das Medium Podcast theoretisch fähig ist. Das ist ein Verdienst, den ich dem Format hoch anrechne.

Mit den häufigsten und erwartbarsten Kritiken am Format möchte ich mich auch gar nicht lange aufhalten, deswegen ganz knapp:

Erstens: Wen Ess- und Mundgeräusche stören, wird mit „Alles gesagt“ nicht froh. Das wissen auch die Macher*innen schon lange.

Zweitens: Das Reden übers Essen, die tote Zeit rund um Kauen, Schlucken, Teller voll machen – das alles bleibt im Podcast, obwohl es neben der Sache ist und leicht zu schneiden wäre. Offensichtlich wollen die Macher*innen diese Szenen, die Atmosphäre am Esstisch, auch wenn der wegen der Corona-Pandemie längst nur noch ein virtueller Ort ist.

Dritter Kritikpunkt: Der Podcast wird nicht nur nicht von Schmatzern befreit, sondern gar nicht geschnitten. Bevor die Podcast-Purist*innen jetzt aufschreien: Es wäre durchaus möglich, den ein oder anderen Versprecher oder mal eine Dopplung zu korrigieren, ohne die Atmosphäre oder den Inhalt zu verändern. Mir ist oft nicht klar, welchen Mehrwert die ausufernde Ausführlichkeit eigentlich liefern soll. Warum jeder Versprecher so kostbar ist, dass man ihn bewahren muss. Ja, klar kann ich acht Stunden Podcast hören. Aber wofür eigentlich?

Wer kann am längsten?

Und sind wir mal ehrlich: Das meiste, das zu den Promis zusammengetragen wird, habe ich dann doch schon mal irgendwo gehört. Und was stelle ich mit den neuen Infos zu den kulinarischen Vorlieben von Christian Lindner oder damit, dass Annalena Baerbock Käsespätzle gar nicht so sehr mag wie gedacht, jetzt eigentlich an?

Es wäre durchaus möglich, den nicht ganz so heimlichen Wettkampf um die längste Aufnahme, um das beste Sitzfleisch bei „Alles gesagt“ weiter auszutragen. Aber eben ohne den Hörer*innen alles in Realzeit zu präsentieren. Die Macher*innen wollen es aber genau so. Das wissen wir seit bald vier Jahren. Der Erfolg gibt ihnen natürlich recht.

Kritisch sehe ich die Überlänge trotzdem. Mir schwebt als bessere Version des Podcasts gar keine geglättete, atemlose, roboterhafte Version ohne Atmosphäre und Stimmung vor. Ich denke aber an einen (mittlerweile gelöschten, aber klugen) Tweet von Podcast-Urgestein Roman Mars: „If you have 100,000 listeners and you edit out one useless minute you are saving 100,000 wasted minutes in the world. You’re practically a hero.“

Kein Underdog

Diese gnadenlose Länge, das Nicht-Schneiden. Die Exkurse, Klammern, Anekdoten, all diese Nebensächlichkeiten. Das Essen vor dem Mikrofon. Die Gäste, die ausnahmsweise entscheiden, wann Schluss ist. All das macht für viele Hörer*innen und Fans den Charme von „Alles gesagt“ aus. Weil hier mit den Erwartungen gebrochen wird. Das Anti-Format, hemdsärmelig und rau, mit Kanten, gegen die Konventionen. Der angebliche Underdog. Ist ja auch irgendwie sympathisch.

Diese Inszenierung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Podcast aber ein sehr professionelles und mittlerweile sehr reichweitenstarkes Medienprodukt ist. Prominenz ist hier definitiv ein, vielleicht das Einladungskriterium. Und eingeladen wird auch nicht von zwei nette Onkeln, die in ihrem Freizeitpodcast bisher ungehörte Perspektiven und Stimmen einfangen. Sondern von zwei Chefs einer Medienmarke, die zwischendurch auch recht heftig im Podcast beworben wird. Jochen Wegner, Chefredakteur von „Zeit Online“, und Christoph Amend, Editorial Director des „Zeit-Magazins“, laden Menschen ein, die zumeist eh schon sehr viel Raum für sich und ihre Inhalte bekommen, eben viel mediale Aufmerksamkeit erfahren. Spätestens hier fängt die vielbemühte Referenz an den Geist des Podcastings an zu hinken.

Ich wünsche mir dringend einen Formatbruch, der den viel angeführten „Raum für Inhalte“ von „Alles gesagt“ mal ausnahmsweise nicht an Prominenz koppeln würde. Wobei das genaugenommen nicht mal ein Formatbruch wäre: Laut Podcast-Beschreibung sind ja eigentlich „außergewöhnliche Menschen“ zu Gast, nicht nur „außergewöhnlich prominente Menschen“. Es mangelte ja nicht an Menschen mit medial unterrepräsentierten Perspektiven, die sich über sieben bis acht Stunden auf der großen Bühne freuen würden.

Am Ende ist „Alles gesagt“ so auch nur ein Remix von: Zwei Männer unterhalten sich, mit prominenten Gästen. Bloß halt in ultralang. Übrigens: Erst nach fast vier Jahren und 46 Gästen (Uli Wickert zwei Mal gezählt) kommt „Alles gesagt“ in diesem Jahr endlich mal auf ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis bei den Gästen.

Mehr Marketing als Mehrwert

In den Gesprächen selbst distanzieren sich die Macher*innen von den üblichen Interviewformaten und den dazugehörigen Mechanismen. Beispielsweise davon, einzelne Antworten und Reaktionen aus dem Interview herauszuschälen. Zitate dann einzeln zu verbreiten, aus den Interviews Nachrichtenwerte und Anlässe für Berichterstattung zu generieren. So wird es zumindest dargestellt. Am Ende bedient „Alles gesagt“ das alles aber sehr wohl. Sei es in den sozialen Medien oder auf der Webseite. Und auch das A/B-Spiel, in dem den Gästen Entscheidungsfragen um die Ohren fliegen, ist am Ende ja doch kein Spiel. Sondern Methode, um Haltungen, Meinungen und Konflikte abzufragen. So wie in vielen, weitaus kürzeren Interviews.

Abgesehen davon, dass mir der Podcast auch bei doppelter Geschwindigkeit zu lang und oft zu langsam ist: „Alles gesagt“ ist vor allem eine sehr kluge, sehr gut geölte Marketing-Maschine für die „Zeit“-Produkte. Daran erinnern die häufigen Hinweise auf „Zeit“-Veröffentlichungen im Podcast immer wieder. Und die Marketing-Maschine bedient sich genau derselben medialen Werkzeuge, die im Podcast gerne kritisiert werden. Manchmal mit Augenzwinkern, meistens aber ohne. „Alles gesagt“ ist viel näher an genau der Logik derjenigen Formate und Redaktionen in Radio und Fernsehen, von denen sich der Podcast so gerne distanziert.

Eben weil das Duo Wegner/Amend und die Podcast-Gäste sich so gerne über mediale Mechanismen empören, Medienkritik üben, bin ich mir nicht zu schade, pingelig zu sein: Dass Ulrich Wickert im März 2019 nach 12 Minuten versehentlich das Codewort „Giovanni“ sagt und die Aufnahme damit abbricht? Wahnsinn! +++EIL+++ Der „unendliche Podcast“ ist dieses Mal nur 12 Minuten! Sorry, aber das war einfach ein Stunt. Ein ziemlich guter, zugegeben. Aber keine zwei Monate später, im Mai 2019, ist Wickert ein zweites Mal zu Gast. Weil es Tausende Hörer*innen verlangen. Für knapp fünf Stunden. Vor Live-Publikum. Also doch nicht konsequent „alles gesagt“.

Im Dezember 2020 will Ai Weiwei kein Codewort zum Podcastbeenden festlegen, verlässt einfach die Aufnahme. Alles gesagt – und akuter Termindruck. Das Gespräch hat in der Inszenierung der „Zeit“ nie geendet, so ganz ohne genanntes Codewort. Läuft also bis heute. Das ist Kunst, das bleibt jetzt so. Aber natürlich ist der unendliche Podcast nicht wirklich unendlich, die Aufnahme plätschert aus, Wegner und Amend quatschen noch ein bisschen. Aber nach 5 Stunden 9 Minuten ist halt wirklich Schluss. Ja, der theoretisch unendliche Podcast ist ein netter Gag – aber er bleibt halt auch einer.

Käsespätzle statt Antworten

All die Schwächen des Formats waren für mich exemplarisch zu hören im Mai 2021, als Annalena Baerbock zu Gast war. Sie war damals frisch gekürte Kanzlerkandidatin — als die Grünen noch Rekordwerte bei den Sonntagsfragen erreichten. Also haben Jochen Wegner und Christoph Amend versucht, die Person und Politikerin Baerbock zu porträtieren, festzuhalten, sie dazu zu bringen, sich zu positionieren.

Rückblickend war das Anliegen ja auch richtig; Baerbock ist zwar nicht Kanzlerin, aber immerhin Außenministerin geworden. Das Problem: Immer, wenn Wegner und Amend den netten Plausch in Richtung eines härteren, politischen Interviews ausrichten wollten, wich Baerbock aus. Fragte, ab wann man essen dürfe. Steckte sich Käsespätzle in den Mund. Erzählte Anekdoten, nach denen nicht gefragt wurde, um nach minutenlangem Exkurs einen vagen Satz zur eigentlichen Frage zu sagen. Gute Frage, schwierige Frage, lassen Sie mich nichts sagen oder sehr schnell sehr viel, das alles nichts mit der Sache zu tun hat. Was war nochmal Ihre Frage?

Kurzum: Annalena Baerbock hat sich in knapp drei Stunden um ziemlich vieles gedrückt. Klar, sie ist ja auch Politik-Profi. Und weil das Format so dermaßen gastzentriert und wachsweich ist, kam sie damit ganz gut durch. Das bemerkten natürlich auch Wegner und Amend, sprachen es aus – lachend, aber trotzdem ein bisschen hilflos. Nach drei Stunden musste ich als Hörer genauso wie Wegner und Amend feststellen, dass Interview-Profis wie Baerbock ihre Rolle sehr wohl über Stunden plausibel, gesichtswahrend und professionell durchhalten können.

Trotzdem möchte ich einen tollen Moment in der Baerbock-Folge loben: Immer wenn Baerbock kurz die Videokonferenz der Podcast-Aufzeichnung verlässt und die Kopfhörer absetzt, da tuscheln Wegner und Amend unter sich. Und in der ersten Pause fällt kurz ein Kommentar: „Frau Baerbock hat jetzt strategisch wahrscheinlich die Spätzle-Frage gestellt.“

Diese verschwörerischen Momente zwischen Publikum und Podcast-Host, dieser Kommentar ganz ohne Gast. Das ist eine Art Mini-Handlung, eine kleine spannende Szene. Kurz: Hier gibt’s einen Anflug von Struktur und Prägnanz, die ich im unendlichen Klammer-auf-Exkurs-rein-Klammer-zu-Format zu oft schmerzlich vermisse.


Podcast: „Alles gesagt“ von „Zeit Online“ und „Zeit Magazin“, produziert von Pool Artists

Episodenlänge: irgendwas zwischen 12 Minuten und knapp 9 Stunden, monatlich

Offizieller Claim: „Wir befragen außergewöhnliche Menschen – so lange, bis sie selbst erklären, dass jetzt ‚alles gesagt‘ sei.“

Inoffizieller Claim: Mhmmm, lecker Maultaschen! *schmatz*

Wer diesen Podcast mag: Hat eigentlich keine Zeit für andere Podcasts, mag wahrscheinlich auch „Hotel Matze“, „Hörbar Rust“, „NBE – Die Nilz Bokelberg Erfahrung“, „Longform Podcast“

4 Kommentare

  1. Also die Kritik an der Werbung kann ich nicht nachvollziehen. Das Ding ist immerhin kostenlos. Für solch epische Folgen wie Grönemeyer oder Levit hör ich mir doch gern kurze Werbeblöcke an…

  2. Ach du liebe Güte. Acht, neun Stunden mit „Prominenten”? Mir sind inzwischen schon anderthalb zu viel. Nach vielen Jahren Hörbar Rust kann ich inzwischen nur noch Gespräche mit „normalen” Menschen ertragen: eine Stunde reden bei Radio Bremen oder die meisten Folgen von Halbe Katoffl, da bekommt man sehr viel breitere Perspektiven als auf diesem eingleisigen Prominentenzug.

  3. Ich bin da ein bisschen bei Kommentar #1 von Marc, höre „Alles gesagt?“ seit der ersten Folge, nur diie Folge mit Lena M-L musste ich auslassen, das geht für mich persönlich gar nicht :-) Aber wurscht, das Ding ist kostenlos und da ist das bisschen Werbung für meinen Geschmack völlig in Ordnung.
    Allerdings scheint es für mich persönlich so ein bisschen einen Zenith überschritten zu haben. Mittlerweile höre ich mir lieber Podcast-Angebote wie „In extremen Köpfen“ von Leon Windscheidt an. Keine Ahnung ob das mit „Alles gesagt?“ oder eher an meiner persönlichen Entwicklung zu tun hat :-) und für diesen Podcast zahle ich sehr gerne die 5 Euro im Monat.

  4. „Ja, klar kann ich acht Stunden Podcast hören. Aber wofür eigentlich?“ – weil mein Leben so langweilig ist dass Ich nichts besseres zu tun habe und keinen Bock habe zum vierten mal Breaking Bad zu schauen oder zum fünften mal Lost. Weil ein acht Stunden Podcast wunderbar über einen ganzen Homeoffice-Arbeitstag voll stupidester Abarbeitung trägt. Weil Ich die schönsten Bahnstrecken der Welt alle schon gesehen habe.

    So ist es bei mir zumindest.

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