Rassismus in der Berichterstattung

Begreift endlich, wie pauschal ihr Afrika stigmatisiert!

Eine fixe Recherche in der Pressedatenbank Genios: „Presse Deutschland“, 217.000 Publikationen, von Regionalzeitungen bis Onlinemagazinen alles dabei. Im Suchfeld nur ein Begriff: „Afrika“.

Ganz oben auf der Liste bei diesem Schnelltest: Überschriften aus sechs Zeitungen, die für ihre Montagsausgabe eine dpa-Meldung aufgegriffen haben:

„Lübeck will Kunst aus Afrika zurückgeben.“

Es geht um 26 Objekte, die um 1900 im Zuge von „Expeditionen“ oder „Militäreinsätzen“ nach Deutschland, nun, „kamen“. Eisenschmuck, Alltagskram, Waffen aus Namibia, eine Maske und eine Ahnenfigur aus Äquatorialguinea. Und es geht um Deutsche, die auf ihren Reisen die Objekte, euphemistisch formuliert, in ihren Besitz brachten – faire Machtverhältnisse, naja.

Was das mit Omikron zu tun hat? Alles.

Denn die Debatte über „Raubgut aus kolonialen Kontexten“, so die gängige Bezeichnung, und die jüngste Reaktion auf eine Corona-Mutation sind zwei Facetten eines Themas. Sie machen eine alte europäische Tradition sichtbar: den Blick auf „Afrika“ als eine homogene Masse, mit Menschen weit entfernt von Moderne und Zivilisation. Ein erfundenes Kollektiv mit einem Malus belegen und so kollektiv stigmatisieren: die Kernzutaten rassistischer Rhetorik.

Das pauschale „Afrika“

Das pauschale „Afrika“, das im Lübecker Fall statt Namibia und Äquatorialguinea auftaucht, ist das gleiche pauschale „Afrika“ von der „Rheinpfalz“-Titelseite, die seit Sonntag in den sozialen Netzwerken kursierte.

Stigmatisierende Titelseite Ausriss: Rheinpfalz

„Das Virus aus Afrika ist bei uns angekommen“, so die Schlagzeile. Darunter ein Foto mit einer Schwarzen Frau und einem etwas erschrocken blickenden Schwarzen Kind hinter einer Scheibe.

„Viele, die das gesehen haben, nannten es ,rassistisch‘, andere schrieben, wir bedienten damit rassistische Vorurteile. In der Tat kann man das so verstehen“, erklärte Chefredakteur Michael Garthe hinterher.

Und ja, tja, „kann man so verstehen“: Die Überschrift und das Foto zurren wieder einmal einen überaus diversen Kontinent, bestehend aus 54 Staaten, zusammen. Zack, Virus, Stigma. Die „Rheinpfalz“ war dabei nicht das einzige Medium. Die „Südafrika-Variante“, nennt nicht nur RTL den neuen Fund.

Spiegel Online zitiert die Bundesregierung, wonach „die Einhaltung der Quarantäne bei Rückkehrern aus Afrika“ streng kontrolliert werden müsse.

Die „Rheinische Post“ greift, offenbar ohne nachzudenken, direkt Pressemitteilungen der Stadt Düsseldorf auf, wonach „Reiserückkehrer aus Afrika“ sich bitte beim Gesundheitsamt melden sollen.

„Aus Afrika“? Von acht der 54 Länder auf dem Kontinent war die Rede. Vielleicht sollte man sich nicht wundern – viele Redaktionen schaffen es ja nicht einmal, im eigenen Land genau hinzuschauen.

Präzise formulieren

Dabei geht es auch besser: Das ARD-Morgenmagazin sprach am Freitag, nachdem am Abend zuvor erste Nachrichten zur noch namenlosen Variante kursierten, von der Variante, „von der aus Südafrika berichtet wird“. Vor allem dank der relativ präzisen dpa-Formulierung „die zuerst im südlichen Afrika nachgewiesene Omicron-Variante B.1.1.529“ verbreiteten viele Redaktionen keinen rassistischen Quark. Und die „Süddeutsche Zeitung“ hat mithilfe ihres Korrespondenten Bernd Dörries gleich mehrfach das Problem in der Berichterstattung benannt.

Ein paar Tage später bekommt Noch-Entwicklungsminister Gerd Müller in der „Hamburger Morgenpost“ dennoch die Überschrift: „Viel zu wenig Afrikaner sind geimpft“, genau genommen „nur sieben Prozent“, man solle die globale Impfkampagne ausbauen. Ein einziger Blick auf die Verteilung pro Land zeigt schon, wie verfälschend ein solcher Pauschalsatz mal wieder wirkt; wer vergleichen möchte: hier die Europa-Zahlen. Aber gut, Müllers Blick auf „Afrika“ fiel ja schon vorher auf.

Überhaupt, das Narrativ des globalen Nordens: „Niemand sperrt Belgien oder Israel aus“, hält die Vize-Vorsitzende der African Vaccine Delivery Alliance, Ayoade Alakija, in einem BBC-Interview fest.

Die Welt spiele Machtspiele, kommentierte sie später. Die Reisewarnungen verurteilen teilweise 1,3 Milliarden Menschen pauschal. Dass derartige „travel bans“ enorme wirtschaftliche Folgen haben, statt vor allem wissenschaftlich fundiert zu sein, findet auch die WHO.

Eigentlich eine Heldengeschichte

Vor allem, Überraschung: Die Variante ist gar nicht „aus Afrika“, wie nun Menschen aus Sachsen oder Schottland oder Holland feststellen. Stattdessen hätte die Entdeckung von Anfang an als Heldengeschichte getaugt: Die Forscher-Teams in Südafrika untersuchen offenbar einfach besser, haben wohl gründlicher sequenziert. Und so loben etwa die USA und die WHO Südafrika wie Botswana für die gute Arbeit.

Da wir gemeinsam an dieser Welterzählung namens Pandemie schreiben, könnte es sich für Redaktionen lohnen, genau das explizit zu erwähnen: dass die ganze Chose als Pandemie alle betrifft. Also Mutationen des Virus sich besonders leicht entwickeln, wenn wenige Menschen geimpft sind. Und dass das auch mit den Impfstoffpatenten zu hat, die die einkommensreichsten Länder nicht einmal temporär aussetzen wollen. Dazu riefen nicht zuletzt übrigens die renommierte Fachzeitschrift „Nature“ sowie die UN-Generalversammlung auf.

Bei all dem gerät dann eben gerne aus dem Blick: Das „Afrika“, das hier auftaucht, ist auch rund um die Objekte im Berliner Humboldt-Forum und anderen ethnologischen Museen des sogenannten Westens im globalen Norden präsent: ein „Afrika“, das die damaligen Sammel-Plünder-Eroberungs-Missionen mit definierten und festschrieben.

Die europäische Moderne ab dem späten 19. Jahrhundert, als die Kolonialzeit neu Fahrt aufnahm, prägte diesen Blick: Wissenschaftler, Missionare, Händler, Abenteuerreisende (ja, in der Regel Männer) zogen los in die „Fremde“ und brachten Objekte und Erzählungen mit. In den seltensten Fällen schrieben sie auf, wer was wann und wo schuf, als „Kunst“ sahen es die wenigsten. In vielen Museen steht bis heute der Sammler als einziger Urheber, die Herkunft ist unbestimmt und nennt verfälschend ethnische Gruppen, statt der Entstehungszeit ist ein vager „Erwerbungs“-Moment aufgeführt. Auch wenn das weltweite Zeitalter der Moderne längst auch südlich des Mittelmeers angekommen war.

Die Wucht dieser Definitionsgeste, die einen ganzen Kontinent kulturhistorisch im damaligen Fortschrittsglauben einsortierte, wirkt bis heute: Afrika wurde aus europäischer Perspektive pauschal zur „Vormoderne“. Ein berühmter schmaler Band von 1899 erklärte unmissverständlich allen Europäern : Unterwegs auf dem Kongo bewege man sich im „Herz der Finsternis“, es sei „the horror, the horror“.

Da ist sie wieder, die alte Fremdkörper-Rhetorik

Nun könnte man mit Blick auf die vergangenen Tage sagen: Ach, guck, im Schnitt alles schon besser als damals, kurz vor Corona, als Medien Angela Merkel auf einer „Reise durch Afrika“ sahen. Davon waren jedenfalls „Tagesschau“, „Spiegel Online“, „Welt“, „Focus“ dpa und andere überzeugt. Dabei reiste Merkel nicht kreuz und quer durch 54 Staaten, sondern war in: Südafrika und Angola.

Kurz darauf kam die erste Corona-Welle und damit der medial unterstützte Rassismus gegen asiatisch gelesene Menschen. Wir erinnern uns an all die Titelseiten.

Ob im Frühjahr 2020 oder jetzt, ob Virus oder andere pauschale Afrika-Momente: Es gehört zur journalistischen Verantwortung, die Bilder zu kennen, mit denen man arbeitet. In diesem Fall ist es die Machtgeste, Menschen als ein vermeintlich homogenes „Anderes“ zur markieren – und explizit mit Infektions-Argumenten auszugrenzen. Die kolonialen Narrative sind voll davon. Europäische Mächte errichteten mit sogenannten „cordons sanitaires“ sogar Seuchenschutzzonen in ihren neuen Herrschaftsgebieten, um sich vor „Fremdkörpern“ abzuschotten. Und wie die NS-Diktatur in Worten und Taten „Rassenhygiene“ praktizierte, sollte sich in deutschen Redaktionen herumgesprochen haben.

Also nein, ist nicht viel besser. Ginge aber: Es gehört zum Berufsprofil von Journalist*innen in weißen Mehrheitsgesellschaften, zu wissen, dass ihre Zielgruppe größer ist als sie selbst. Und dass sie sich weiterbilden, etwa bei den Neuen Deutschen Medienmachern und dem Mediendienst Integration.

Sie haben die Verantwortung, das Banalste ihres Jobs richtig zu machen: die Worte zu kennen, die sie da benutzen. Und zu wissen, welche davon diskriminierende Stereotype sind.

16 Kommentare

  1. Volle Zustimmung: Die Ingnoranz gegenüber afrikanischen Ländern nervt und das pauschale „Afrika“ allerorten auch.

    Die Autorin rührt hier aber einiges zusammen. Es bleibt mir unklar, was die Omikron-Titelseite mit geraubten oder gesammelten Museumsobjekten zu tun hat. Diese findet man übrigens nicht nur aus „Afrika“, sondern auch von den pazifischen Inseln, Südostasien, naher Osten usw. Kein speziell afrikanisches Problem also.
    Was das „Herz der Finsternis“ damit zu tun hat? Eigentlich nichts. Zumal es hier ja gerade nicht um ein pauschales Afrika geht, sondern um den Kongofluss.
    Die NS-Rassenhygiene? Auch kein praktischer Bezug zu „Afrika“.

    Ja, gegenüber den afrikanischen Ländern gab und gibt es einiges an Ignoranz und Ungerechtigkeit. Statt all das, was einem schnell mal dazu einfällt in einen empörten Artikel zu packen, hätte ich mir einen klaren Fokus gewünscht.

  2. Viel Wahres an dem Text, aber auch mal wieder ein Beispiel dafür, dass man es sich zu einfach machen kann, wenn man sich moralisch auf der richtigen Seite fühlt.

    Die Rede vom „Virus aus Afrika“ appelliert tatsächlich an finstere Ressentiments; der Mangel an Differenzierung, wenn es um einzelne, afrikanische Staaten geht, ist geradezu berüchtigt. Berichte von „Merkel in Afrika“ finde ich dagegen harmlos. Nehme an, auch die Presse in Südafrika wird von „Ramaphosa in Europa“ berichten, wenn der Präsident nacheinander Deutschland, Frankreich und Großbritannien abklappert.

    Richtig sauer werde ich bei der Diffamierung Joseph Conrads. Das „Herz der Finsternis“ ist eine Anklage der Kolonialherrschaft, und „der Horror“, der sich in den Augen des irre gewordenen Stationsleiters Kurtz spiegelt, ist eine Metapher für das Grauen, dass die Europäer in Afrika entfesselt haben.

    Aber das gibt natürlich „J’accuse!“-mäßig nicht viel her, also kann man auch mal die Botschaft eines der wichtigsten kolonialismus-kritischen Texte seiner Zeit in ihr Gegenteil verkehren – und dieses gewollte Missverständnis dann auch noch „unmissverständlich“ nennen.

    (Ich bin mir sicher, Frank Gemein wird mir gleich erklären, warum Conrad ein Schurke war. Aber Leute, so geht es nicht.)

  3. @KK:

    Ich würde es doch sehr begrüßen, wenn Sie wenigstens einmal den Strohmann Quatsch unterlassen könnten.
    Herzl.
    Frank Gemein, derzeit in „Afrika“.

  4. @FG:

    Sie haben mir nichts erklärt. In diesem Sinne: Sorry und schönen Gruß nach „Afrika“.

  5. „Sie haben mir nichts erklärt.“
    Das stimmt ausnahmsweise sogar.
    Warum sollte ich auch. Und damit ist das für mich hier beendet.

  6. Ich bin nicht ganz sicher, was mir der Artikel sagen soll.

    Ja, Stigmatisierungen wie „Virus aus Afrika“ sollten unterbleiben. Genau aus dem Grund wurden die Viren ja auch nach griechischen Buchstaben benannt.

    Aber was bitte soll an „Merkel in Afrika“ problematisch sein? Das ist ja faktisch richtig und ich gestehe den Menschen zu, dass sie da schon verstehen, dass sie nicht überall in Afrika war.
    Man sagt ja auch „Merkel in Asien“ wenn sie China und Japan besucht — wo ist da das Problem?
    Oder andersrum: „Merkel in Südafrika“ ist ja genauso falsch — denn sie war mit Sicherheit auch nicht überall in Südafrika. Dann müsste man ja schreiben „Merkel in Hotel xy auf Straße z in Kapstadt“ um korrekt zu sein. Das ist doch albern.

  7. War das ein ironischer Kommentar gegenüber mir?
    Dann hab ich es nicht verstanden, sry.

    Bitte etwas konkreter…

  8. Eine Stereotype wird nicht besser, wenn man eine andere gegenüberstellt “ Merkel in Asien“. Wobei Letzteres auch meistens nur reichen muss, wenn Mongolia, Kasachstan oder Myanmar auf der Route lagen. Wenn ein deutscher Politiker nach Indien oder China reist, liest man eher nicht „reiste nach Asien“. Schliesslich wäre jede Überquerung des Bosporus da qualifiziert.
    „Every 60 seconds, a minute passes in Africa “
    Südafrika wurde erst richtig in Afrika eingemeindet ( in der Perspektive der OSZE ) als die Apartheid endete. Vorher hiess entweder Afrika oder Südafrika, aber es wurde nicht verwechselt. Seit dem Ende der Apartheid ist der „Bonus“ verflogen. ( Außer beim G20, da wird, wenn es um den ganzen Kontinent geht, nur Südafrika eingeladen. So geschehen in HH beim G20 ).

    Das Gegenteil von gut ist zu oft gut gemeint.

    Ich meine Sie gar nicht besonders. Es tun sich Abgründe vor mir auf und ich wüßte gar nicht wo anfangen. Und ich bin es auch müde, mir da sinnlose Scharmützel einzufangen.

  9. Nachtrag, war mir beim ersten lesen entgangen:

    Und wie die NS-Diktatur in Worten und Taten „Rassenhygiene“ praktizierte, sollte sich in deutschen Redaktionen herumgesprochen haben.

    Die NS-„Rassenhygiene“ richtete sich gegen psychisch Kranke, Behinderte oder „asoziale Elemente“ der eigenen „Rasse“. Es ging um die Reinigung des „Volkskörpers“. Der tätige Rassismus der Nazis, ihr Kolonialisierungs- und Versklavungsprojekt, richtete sich in erster Linie gegen „slawische Untermenschen“ – also gegen Polen und Russen. Ergebnis unter anderem: 26 Mio. tote Russen. Sollte sich nicht nur in Redaktionen herumgesprochen haben.

    Nur sind Russen halt nicht schwarz, sondern weiß – das heißt, dass die meisten realen Opfer des NS-Rassenwahns in der „Critical Whiteness“-geschulten Opferlogik der Frau Haeming gar nicht vorkommen.

    Egal. Hauptsache mit der eigenen Moral ist alles in Ordnung. Und Joseph Conrad (übrigens Pole) ist ein Rassist.

  10. @Frank Gemein

    Warum Stereotype?
    Wenn Angela Merkel nur in Südafrika gewesen wäre, würde ich die Kritik ja noch verstehen. Wenn sie aber mehrere Länder in Afrika besucht, warum sollte man dann nicht „besucht Afrika“ schreiben?
    Im Text sollte man dann sicherlich mal die Länder auflisten, aber die Länder liegen nunmal alle auf einem Kontinent.
    Und ich meine, schon mehrfach z. B. Von einer „Asienreise“ gelesen zu haben. (Indien und China sind vielleicht schlechte Beispiele weil groß und wirtschaftlich sehr wichtig, da werden die sicher vermehrt einzeln genannt.)

    Wenn nur Südafrika zu einem „Afrikagipfel“ eingeladen wird (ohne da irgendwie von dem Ländern in Afrika als Repräsentant bestimmt wurden zu sein) ist das auf jeden Fall kritikwürdig — ich sehe halt nur „Merkel in Afrika“ als Beschreibung da auf einem ganz anderen Niveau und wüsste immer noch nicht, was da das Problem sein soll. MMn ist es halt problematisch, solche Sachen in einen Topf zu werfen, damit setzt man nämlich die echte und wichtige Kritik herab.

  11. Ich finde auch, dass hier vieles vermischt wird, Richtiges und Falsches und Dinge, die einfach nicht viel miteinander zu tun haben. Ergänzend zu den schon genannten Kritikpunkten:

    „In vielen Museen steht bis heute der Sammler als einziger Urheber, die Herkunft ist unbestimmt und nennt verfälschend ethnische Gruppen, statt der Entstehungszeit ist ein vager „Erwerbungs“-Moment aufgeführt. Auch wenn das weltweite Zeitalter der Moderne längst auch südlich des Mittelmeers angekommen war.“

    Tja, das „weltweite Zeitalter der Moderne“ war südlich des Mittelmeers im Wesentlichen in Gestalt des Kolonialismus angekommen. Und dass es selten Angaben zu Urheber und Entstehungszeit der Kunstwerke gibt, liegt zum Einen am fehlenden Interesse der „Erwerber“ an diesen Fragen, zum Anderen daran, dass einheimische Überlieferung dazu ebenfalls fehlt oder nicht mehr rekonstruierbar ist.

    Thema Reisebeschränkungen: Da sei an den Einreisestopp gegenüber Großbritannien erinnert, als Delta noch „britische Variante“ genannt wurde. Und selbst innerhalb der EU gab es ja zeitweise Reisebeschränkungen. Über Sinn und Unsinn solcher Beschränkungen kann man sicher streiten, zumal wenn inzwischen klar ist, dass Omikron schon praktisch weltweit verbreitet ist. Aber die Deutung als postkoloniale Machtdemonstration ist zu einfach.

    Und ganz grundsätzlich: Nicht jede Rede von „Afrika“ ist rassistisch. Afrika südlich der Sahara (was ja üblicherweise mit „Afrika“ gemeint ist) hat – ebenso wie Europa oder Lateinamerika und weit mehr als Asien – einige historische, kulturelle, gesellschaftliche und politische Gemeinsamkeiten, und darauf Bezug zu nehmen kann je nach Kontext auch mal sinnvoll sein.

  12. Okay, ein ruhiger Moment gibt mir die Gelegenheit zu schreiben, was hier meines Erachtens kolossal falsch läuft in den Kommentaren:

    „(Ich bin mir sicher, Frank Gemein wird mir gleich erklären, warum Conrad ein Schurke war. Aber Leute, so geht es nicht.)“

    Der klassische Strohmann.
    Absicht: Kritik an der steilen Verteidigung von Conrads Buch „Herz der Finsternis“ gleich in eine Form zu zwängen, die in ihrer Albernheit weder dem Beitrag von Frau Haeming auch nur ansatzweise gerecht wird ( die ja auf die Rezeption des Werkes und deren Folgen verweist, nicht auf den Autoren ), noch irgendeiner Auseinandersetzung mit dem Werk der letzten 100 Jahre.
    Das ad hominem gegen mich: Geschenkt!

    Conrads Buch kann natürlich nicht losgelöst von der Zeit der Entstehung betrachtet werden. Der belgische König wütete im Kongo mit einer bis dahin beispiellosen Gier und Grausamkeit. So war Conrad nicht der einzige, der im ausgehenden 19.ten Jahrhundert die Verbrechen im Namen der belgischen Krone thematisierte. Ein weiterer war der Journalist Edmund Morel.

    In der Literaturwissenschaft wird das „Herz der Finsternis“ daher weniger als Werk gegen jede Form des Kolonialismus gesehen, als eher als Verurteilung des belgischen Kolonialismus im Kongo. Der britische Kolonialismus wurde von Conrad anscheinend viel wohlwollende betrachtet.
    Aber da mag man streiten.
    Auf jeden Fall war Conrad, als Kind seiner Zeit, meilenweit davon entfernt, die Schwarzen als mündige Menschen mit eigener Kultur und Geschichte zu beschreiben, die gleichberechtigt im Chor der Nationen leben sollten.
    „Das Herz der Finsternis“.
    Natürlich ist das Buch Weltliteratur und Anklage gegen den Kolonialismus.
    Aber im Tenor, dass der weisse, zivilisierte, Europäer diese armen Wilden ja nicht so behandeln dürfe. No offense.
    Für seine Zeit war das schon erstaunlich „modern“.

    Und da befinden wir uns in etwa in dem Bereich der zeitgenössischen Rezeption des Werkes. Das Buch beschreibt den Kolonialismus und seine Auswüchse aus einer rein weissen Perspektive.
    Die Flussfahrt ins Landesinnere wird zur Parabel für die Barbarei des Kolonialismus.

    „Vormoderne“.
    Die Verwendung des Begriffes impliziert fast immer eine Sichtweise, die im wesentlichen alles vor der Inbesitznahme durch die Europäer, mit „Rückständig“ ausreichend beschrieben wissen will.
    Die Menschen dort werden benevolent verkindlicht, entmündigt und ihrer eigenen Geschichte beraubt.
    Der nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe hat das in seinem Essay „Rassismus in Herz der Finsternis“ herausgearbeitet und das gilt es vielleicht einfach mal ernst zu nehmen.

    Und so sehe ich den Verweis auf das Buch hier in diesem Artikel.
    Es steht da auch nirgendwo, dass man auf gar keinen Fall gottstehmirbei von „Afrikareisen“ schreiben dürfe, wenn Merkel mal nach Südafrika und Angola fliegt. Der Kommentator muss nur so tun, sonst funktioniert ja seine alberne Kritik nicht.
    Es geht darum, dass das inflationär oft so subsummiert wird und man ja vielleicht mal beginnen könnte, das zu ändern.

    In den 16 Jahren Merkel Kanzlerschaft kam Afrika zunächst nicht vor, dann als Kontinent, auf dem vor allem Flüchtlingsströme auch Subsahara gestoppt werden müssen und nun als Quelle potentieller Covid-Mutationen. Und mit dem wenigen, was Merkel da bewegt hat, stellt sie schon alle ihre Vorgänger in den Schatten.

    Das sind alles Sätze, die ich nie schreiben wollte.
    Es erschreckt mich etwas, wie binär auch hier in den Kommentaren argumentiert wird.

    Rassismus ist absolut böse, ergo kann ich unmöglich rassistisch sein, weil ich ja nicht absolut böse bin und wer mir einen rassistischen Gedanken andichtet, ist aufs Blut zu bekämpfen.

    So werden wir den strukturellen Rassismus niemals überwinden können. Er lebt von all diesen anerzogenen und unreflektierten Kleinigkeiten, die sich dann zu dem Monster aufsummieren.

    Keine Korrektur, will das gar nicht 2-mal lesen.

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