Viele Medien suchen noch nach Wegen, die Klimakatastrophe angemessen journalistisch darzustellen. Ein komplexes, ressortübergreifendes Thema, mit vielen Facetten und Grautönen, mit echten Konflikten und falschen Fährten, mit kurz-, mittel- und langfristigen Auswirkungen, lokalen bis globalen – die Klimakrise lässt sich schwer in die bisherigen journalistischen Routinen pressen.
Einige Redaktionen sind der Herausforderung in diesem Jahr mit neuen Formaten begegnet: Der Trend geht 2021 zum Klimapodcast. Der „Tagesspiegel“ hat den „Gradmesser“-Podcast, n-tv hat ein„Klima-Labor“. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat ihr eigenes Spotify-Format „1,5 Grad“. Das Podcast-Radio detektor.fm ist bereits seit 2018 auf „Mission Energiewende“. Die „taz“ unterstützt seit diesem Sommer den „klima update“-Podcast der klimareporter. Und der NDR wollte so dringend einen Klimapodcast, dass er seinen bestehenden Podcast „Wirtschaft in Zeiten von Corona“ kurzerhand umwidmete zum „Mission Klima“-Podcast.
Beim „Spiegel“ kommt der obligatorische Klimapodcast wöchentlich und heißt „Klimabericht“. Nicht alles daran ist perfekt, aber dem Format gelingt erstaunlich viel: Es informiert mit Dringlichkeit, aber ohne übertriebenen Alarmismus. Bricht mit Mythen und Klischees und übersetzt die weltweite Katastrophe in den Alltag der Hörer*innen – oft sogar mit konstruktiven Ansätzen.
Die Kolumne
Podcasts haben es verdient, so ernsthaft wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen das Annik Rubens und Sandro Schroeder für uns hier: in der Podcast-Kritik.
Sandro Schroeder ist durch Podcasts überhaupt erst schleichend zum Fan des Mediums Audio geworden. Er berichtet seit 2016 regelmäßig über Podcasts und schreibt den Podcast-Newsletter Hören/Sagen. Nach seinem Journalistik-Studium arbeitete er als freier Journalist in Leipzig, unter anderem für das Onlineradio detektor.fm*. Er absolvierte sein Volontariat beim Deutschlandradio, wo er anschließend drei Jahre lang in der Abteilung Multimedia arbeitete, zuständig für Podcasts und Audio-Drittplattformen. Heute arbeitet er in Berlin als freier Journalist.
Mehr als nur trockene Studiogespräche
Hier podcasten seit dem Sommer die beiden Journalisten Sebastian Spallek und Kurt Stukenberg. Die Aufgabenteilung ist klar: Spallek ist Redakteur im Audio-Ressort des „Spiegel“, übernimmt Reporter-Aufgaben und eine eher moderierende Rolle. Stukenberg ist der Co-Host mit Fachexpertise: Er war früher beim „Greenpeace Magazin“, ist seit 2018 stellvertretender Ressortleiter der Wissenschaft beim „Spiegel“.
Was bei keinem Klimapodcast fehlen darf, ist die klar formulierte Mission mit Haltung im Podcast-Trailer: „Klimabericht“ ist „der ‚Spiegel‘-Podcast zur Lage des Planeten. Wir fragen, ob die ökologische Wende gelingt, welche politischen Ideen und wirtschaftlichen Innovationen überzeugen, und wie es den Menschen geht, die davon betroffen sind. […] Wer die Bremser und Blockierer von echtem Klimaschutz sind“.
Das klingt pompöser, als der Podcast ist. Der „Klimabericht“ besteht größtenteils daraus, dass sich Spallek und Stukenberg unterhalten. So weit, so gewöhnlich in der Podcast-Welt. Aber Halt, Stopp, Laberpodcast-Hasser*innen dürfen weiterlesen!
Denn der „Klimabericht“ hat zum Glück mehr zu bieten als nur trockene Studiogespräche. Lobenswert ist, wie die beiden „Spiegel“-Journalisten im Podcast versuchen, die abstrakte Klimakatastrophe und den Kampf dagegen alltagsnah und erlebbar zu halten.
Viele kleine Hinhörer
Sie besuchen Unternehmen wie den klimaneutralen Kartoffelproduzenten, sprechen mit dem Elektroauto-Besitzer auf der Suche nach der freien Ladesäule, gehen mit der Waldforscherin im Berliner Grunewald spazieren. Es entstehen dabei keine legendären Reportage-Momente, aber viele kleine Hinhörer. (Dass solche Banalitäten lobenswert auffallen, sagt auch einiges aus über die Monokultur der sterilen Studiogespräche in der Podcast-Landschaft.)
Mit diesen einfachen Mitteln wird der „Klimabericht“-Podcast aber nicht nur ästhetisch abwechslungsreich; es gelingt ihm auch inhaltlich eine gute Balance zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten.
Da piepst die Supermarktkasse im Hintergrund, und Reporter Spallek packt seinen Einkauf aus, wenn es darum geht, was das Label „klimaneutral“ auf Lebensmitteln und Flugreise eigentlich genau heißt. Die abstrakte Meta-Debatte über Klimalabel und deren mangelnde Kontrolle ist auf einmal nah an meinem Kühlschrank und Alltag. Solche Mini-Szenen und Momente lockern auf, werden aber nie zum Selbstzweck.
Der „Klimabericht“ vermeidet dabei die Falle, die Klimakatastrophe zwanghaft als (Alltags-)Heldengeschichte von David gegen Goliath zu erzählen, lauter individuelle Geschichten und Persönlichkeiten gegen das globale Systemproblem zu stellen. Auch der klimaneutrale Kartoffelproduzent bekommt im Podcast die Kritik ab, dass der „Ablasshandel“ mit CO2-Ausgleich durch Aufforstungsprojekte nachweislich nicht der beste Klimaschutz ist. So viel Differenzierung muss sein.
Ein Klimadossier für Interessierte
Spallek und Stukenberg legen die Finger also bei allen Beteiligten und Themen in die Wunde, aber auf seltsam angenehme Weise: Sie zeigen in Sachen Klima die Widersprüche zwischen unserem Wissen und Handeln, erinnern an den Zeitdruck. Ohne Panik, größtenteils ohne Vorwürfe an den Einzelnen, aber immer mit dem Blick für das System. Sie malen Grautöne, wo oft nur mit schwarz-weißen Hülsen argumentiert wird.
Der „Klimabericht“ ist eine Art Podcast-Dossier, das sich jede Woche aufs Neue mit Neugierde einem anderen Schwerpunkt widmet: Müssen wir auf Fleisch komplett verzichten? Sind Elektroautos nun so toll oder so schlecht für das Klima, wie gerne behauptet wird? Werden uns Wälder, Moore oder am Ende doch neue Erfindungen vor der Katastrophe retten?
Auf jede Frage liefern die beiden – vor allem Stukenberg – gut informierte, teils überraschende Antworten – nebenbei räumen sie mit gängigen Klischees und Pseudo-Argumenten von Klimawandelleugnern auf. Immer maximal unaufgeregt in der Präsentation. Wer eine aufregende Show und viel Personality will, ist in diesem Klimapodcast falsch.
Der Podcast verklärt den Kampf gegen den Klimawandel weder zur individuellen Konsumentscheidung noch zum unlösbaren Problem der Weltwirtschaft – der Podcast zeigt beide Seiten der Medaille.
Die größte Schwäche liegt für mich nicht im eigentlichen Podcast, sondern versteckt sich in seinen Werbeblöcken. In jeder Episode läuft eine penetrante Reklame für die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG). Ich bin mir bewusst, dass solche Werbung dafür sorgt, dass ich diesen und andere Podcasts kostenlos hören kann. Sie ist auch klar als solche erkennbar. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, die Werbung im „Klimabericht“ würde keinen Beigeschmack bei mir auslösen.
Vor allem, weil die BCG „exklusiver Beratungspartner der UN-Klimakonferenz 2021 – COP26“ ist – über die der Podcast natürlich auch berichtet. Die BCG hat – als eine der größten Beratungsfirmen weltweit – auch mit Kunden wie Vattenfall, Shell oder Sonangol zusammengearbeitet, dem staatlichen Ölunternehmen von Angola. Sie soll – laut dem internationalen Journalistenkonsortium ICIJ und der „New York Times“ – dazu beigetragen haben, dass die Tochter des Ex-Präsidenten von Angola Gelder veruntreuen konnte. Kurzum: Den Vorwurf des Greenwashing – der im Podcast auch häufiger mal eine Rolle spielt – könnte man auch gegen die BCG erheben.
Der Klimaindex ist schlussendlich laut „Berliner Zeitung“ nicht entstanden, weil sich herausgestellt habe, dass die verfügbaren Zahlen „keine wissenschaftlich solide Basis für eine Erhebung bilden“. Seit diesem Bericht lesen die „Spiegel“-Redakteure keine Podcast-Werbung mehr selber als sogenannte „Host-reads“ vor, stattdessen laufen klar abgetrennte Spots wie im „Klimabericht“.
Zusammengenommen reicht das alles nur für einen unangenehmen Beigeschmack, nicht für einen harten Vorwurf. Über den sind die beiden Hosts und ihre Produktion auch erhaben. Aber die Werbung vermiest meinen Höreindruck. Auch, weil der Podcast selber so sehr für das Thema Greenwashing sensibilisiert. Hätte es nicht einen anderen Finanzierungsweg geben können?
Abgesprochen statt authentisch
Echte Abzüge gibt es für den Podcast von mir nur in der B-Note: Die Gespräche wirken auf mich oft nicht authentisch, sondern abgesprochen und durchchoreographiert. Das passiert meistens dann, wenn der eher moderierende Sebastian Spallek versucht, die Grundinfos für die Hörer*innen durch naive Fragen aus seinem Podcast-Partner zu locken – anstatt sie einfach selber zu erzählen: „Als ich in der Grundschule war, da war das Thema Waldsterben schon ewig alt. Sag mal, warum ist das schon so lange Thema, wann hat das angefangen?“ – das nehme ich dem Redaktions-Duo nicht als authentische Frage ab und bilde mir ein, ein gelesenes Skript zu hören.
Als Host und Experte in Personalunion liefert Kurt Stukenberg Fakten und Forschungserkenntnisse. Ein echtes Gespräch mit Dynamik entsteht dabei leider eher selten. Zu perfekt, zu geschliffen, zu unglaubwürdig ist der Tanz aus pseudo-naiver Frage und pseudo-spontaner, bestens vorbereiteter Antwort.
Dazu wirkt der Podcast noch „straff“ produziert: Es gibt wenig Pausen; in den Gesprächen bleiben – auch durch Bearbeitung – kaum Momente zum Durchatmen übrig. Die Informationsdichte ist dauerhaft hoch. Die Sprünge durch O-Töne, Reportage-Elemente, das Podcast-Gespräch der Hosts, die Interviews mit Expert*innen tun dazu ihr Übriges. Jede Episode will thematisch viel schaffen, dadurch wirkt der Podcast stellenweise etwas atemlos auf mich.
Der Podcast stellt zahlreiche Werkzeuge vor, um sich selber zu vergewissern, wie ernst die Lage des Planeten ist: Wie trocken ist der Waldboden wirklich? Welchen CO2-Ausstoß hat meine Ernährung, mein Lieblingsgemüse? Was kann ich tun? Wer den „Klimabericht“ hört, kommt ins Nachdenken, welche Rolle die Klimakatastrophe im eigenen Leben spielt – und umgekehrt.
Danke für diese lesenswerte Kritik. Ich stimme Ihnen bei der Bewertung der Rolle der BCG zu. Für mich sind die großen Unternehmensberatungen allesamt neoliberale Helfer für sozialen Kahlschlag und Steuerhinterziehung (ob legal oder nicht). In einem Klimapodcast haben sie so viel zu suchen wie Monsanto oder Shell.
Hier fehlt ein „mich“: „Die größte Schwäche liegt für nicht im eigentlichen Podcast, sondern versteckt sich in seinen Werbeblöcken.“
Besten Dank, auch für’s Fehlerfinden – ist korrigiert!
Ich finde den in dieser Kritik verwendeten Begriff „Alarmismus“ fragwürdig. Wer sich als Journalist:in jetzt angesichts der wissenschaftlichen Evidenz immer noch über Alarmismus beklagt bzw. fehlenden Alarmismus lobt, macht sich mitschuldig, indem er aktiv journalistischen Inaktivismus betreibt. Übermedien braucht eine:n eigene:n Klimaredakteur:in, der /die eigenen Stücke prüft und sich in einer eigenen Kolumne den deutschen Klimajournalismus unter die Lupe nimmt. Im Newsletter muss jede Woche das Thema vertreten sein. Deutschland hat massiven journalistischen Aufholbedarf, inklusive Übermedien.
Danke für diese lesenswerte Kritik. Ich stimme Ihnen bei der Bewertung der Rolle der BCG zu. Für mich sind die großen Unternehmensberatungen allesamt neoliberale Helfer für sozialen Kahlschlag und Steuerhinterziehung (ob legal oder nicht). In einem Klimapodcast haben sie so viel zu suchen wie Monsanto oder Shell.
Hier fehlt ein „mich“: „Die größte Schwäche liegt für nicht im eigentlichen Podcast, sondern versteckt sich in seinen Werbeblöcken.“
Besten Dank, auch für’s Fehlerfinden – ist korrigiert!
Ich finde den in dieser Kritik verwendeten Begriff „Alarmismus“ fragwürdig. Wer sich als Journalist:in jetzt angesichts der wissenschaftlichen Evidenz immer noch über Alarmismus beklagt bzw. fehlenden Alarmismus lobt, macht sich mitschuldig, indem er aktiv journalistischen Inaktivismus betreibt. Übermedien braucht eine:n eigene:n Klimaredakteur:in, der /die eigenen Stücke prüft und sich in einer eigenen Kolumne den deutschen Klimajournalismus unter die Lupe nimmt. Im Newsletter muss jede Woche das Thema vertreten sein. Deutschland hat massiven journalistischen Aufholbedarf, inklusive Übermedien.