Vielleicht hat Sie das überrascht, mich nicht. Anfang des Monats erwähnte die Malisa-Studie in einem Satz, dass Menschen mit sichtbaren Behinderungen nur zu 0,4 Prozent im Fernsehen auftreten. Dabei haben in Deutschland rund sechs Prozent aller Menschen eine sichtbare Behinderung. Mich hat das nicht überrascht, weil ich eine von ihnen bin. Und selbst ich kenne kaum Kolleg*innen mit Behinderung, die überhaupt in der Medienbranche arbeiten. Geschweige denn, irgendwo erkennbar auftreten.
Die Autorin
Andrea Schöne ist freie Journalistin. Sie schreibt über Behinderung aus Eigenperspektive, Nachhaltigkeit und Italien. In ihren Workshops und als Beraterin spricht sie über inklusive Schule und Darstellung von Behinderung in den Medien. Im R&D-Fellowship des Media Lab Bayerns beschäftigte sie sich damit, wie Podcasts für Menschen mit Hörbehinderung zugänglicher werden können.
Diversity in den Medien ist die die Debatte schlechthin für den Journalismus der Zukunft. Meistens geht es hier um die Förderung von Frauen, von Menschen mit Migrationsgeschichte oder queeren Menschen. Alles wichtig. Genauso wichtig wäre aber, auch über die Sichtbarkeit von behinderten Menschen in Medien zu reden oder über ihre Mitarbeit hinter den Kulissen.
Das geschieht aber kaum.
Als junge Journalistin mit einer sichtbaren Behinderung möchte ich deshalb über Probleme und Chancen in der Branche sprechen, denn: Arbeiten mehr Menschen mit sichtbarer Behinderung in und für Medien, wird auch die Sichtbarkeit in Medieninhalten selbst steigen. Dazu brauchen sie aber erstmal Zugang. Und da sind wir gleich beim ersten Problem.
Hürde Bildungszugang
Schon an der ersten Voraussetzung, um überhaupt als Journalist*in zu arbeiten, scheitern sehr viele behinderte Menschen: einem Bildungsabschluss. Die meisten besuchen immer noch Förderschulen, auch zwölf Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention, die allen behinderten Menschen Zugang zum Bildungssystem verschaffen soll.
Förderschulen stehen jenseits dieses Regelschulsystems: Das Abitur, beispielsweise, ist hier gar nicht vorgesehen. Für ein Journalismusstudium, sehr viele Journalismusschulen und Volontariate ist genau das aber eine Voraussetzung – und müsste dringend überdacht werden, um auch das Talent und Gespür für Sprache bei behinderten Menschen fernab des Schulabschlusses zu entdecken und zu fördern. Auch ihre Lebenswelten sind Teil dieser Gesellschaft, werden aber zu wenig in den Medien abgebildet.
„Sind Sie dazu überhaupt mobil genug?“
In meinem Fall blieb für Schülerpraktika oder gar eine freie Mitarbeit bei einer Tageszeitung bei all den Hürden gar keine Zeit. Meine Liebe zum Journalismus fand ich in der Schülerzeitung. Den klassischen Weg, ein Praktikum bei der Regionalzeitung zu machen, wollte ich dann während meines Studium gehen, doch hier stieß ich nicht nur auf fehlende Barrierefreiheit, sondern auch auf eine kräftige Portion unterschwelliger Diskriminierung.
Ich stellte mich persönlich bei der Redaktion in einer Kleinstadt vor. Der Chefredakteur sah mich wegen meiner Gehbehinderung nervös an und fragte: „Sind sie überhaupt mobil genug?“. Mich verwunderte (und ärgerte) das, war ich doch erst kürzlich aus Norditalien zurückgekommen, wo ich zwei Auslandssemester verbracht hatte. Warum sollte ich in einer Kleinstadt, die ich sehr gut kenne und in der ich gut vernetzt bin, kein Praktikum schaffen?
Wochen nach meiner Bewerbung erkundigte ich mich erneut bei der Redaktion und bekam als Antwort: „Haben Sie sich denn wirklich beworben?“ Und: „Wahrscheinlich ist die Bewerbung im Mülleimer gelandet.“ Am nächsten Tag teilte man mir per Mail mit, man würde nur Pflichtpraktika anbieten. Nach den denkwürdigen Reaktionen klang das abermals denkwürdig.
Ein erster Schritt
So etwas zu erleben, ermutigt einen jungen Menschen nicht gerade, sich bei weiteren Medien zu bewerben. Inzwischen erwähnen einige Redaktionen in ihren Ausschreibungen, dass auch Bewerbungen von Menschen mit Behinderung besonders erwünscht sind. Ein erster Schritt in die richtige Richtung. In der praktischen Umsetzung hilft es aber wenig. Bewerbungsverfahren in großen Medienhäusern dauern häufig Monate, oft kommen Zusagen erst wenige Wochen vor Beginn. Dann wird es eng, alles zu organisieren.
Laut dem Statistischen Bundesamt (Stand: 2019) sind nur zwei Prozent aller Wohnungen und Wohnhäuser in ganz Deutschland barrierefrei. Wie sollen hier gehbehinderte Menschen wie ich innerhalb von wenigen Monaten oder Wochen in Medienmetropolen wie München, Köln oder Berlin ein barrierefreies Zimmer finden, das auch noch bezahlbar ist? Fehlende Barrierefreiheit innerhalb des Nahverkehrs macht die Situation zusätzlich nicht einfacher.
Vor wenigen Tagen las ich zum ersten Mal von einem Praktikum, das auch komplett online stattfinden könne, wenn Bewerber*innen es sich nicht leisten können, für ein Praktikum in die jeweilige Stadt zu ziehen. Das ist eine gute Idee, weil es auch Menschen mit Behinderung eine Möglichkeit bietet, überhaupt ein Praktikum im Journalismus zu machen. Zusätzlich wünschte ich mir eine Wohnungsbörse für barrierefreie Praktikant*innen-Zimmer. Dann wäre auch mal eine spontane Bewerbung drin.
Barrierefreiheit plus Förderung
Ebenso wichtig: Barrierefreiheit innerhalb der Medienhäuser. Und eine Offenheit gegenüber behinderten Menschen. Für ein Praktikum bei einem Fort- und Ausbildungssender fragte ich vorher den Redaktionsleiter, ob das Haus barrierefrei sei. Ein Glück: Es gebe keine Treppenstufen, sagte er.
Beim Vorstellungsgespräch stand ich dann einigermaßen ratlos vor einem Gebäude mit einer Treppenstufe und konnte nicht einmal die Klingel selbst erreichen. Mit Barrierefreiheit meinte der Redaktionsleiter offenbar: innerhalb eines Stockwerks. Er dachte also gar nicht daran, dass ich dieses Stockwerk erstmal über drei Stockwerke ohne Aufzug erreichen musste.
Neben Barrierefreiheit braucht es auch gezielte Förderung. Politische Stiftungen bieten studienbegleitende Journalismusprogramme an. Bei der Auswahl beachten sie aber die strukturell bedingten Hürden und Wechselwirkungen viel zu wenig. Eine Möglichkeit wäre ein gezieltes Journalismusprogramm für Menschen mit Behinderung – wie es die Heinrich-Böll-Stiftung etwa speziell für Studierende mit Migrationsgeschichte anbietet.
Von journalistischen Berufsverbänden würde ich außerdem mehr Engagement erwarten, die eigenen Berührungsängste abzubauen. Auf einer Medientagung für Frauen in Medien schlichen die anderen Journalistinnen unsicher um mich herum – und fragten lediglich, wie sie denn über behinderte Menschen berichten sollten. Ansonsten ignorierten sie mich die meiste Zeit. Eine weitere Journalistin mit Behinderung traf ich dort nicht.
„Bitte mehr davon!“
Engagement kommt weiter vorwiegend von behinderten Menschen selbst. Vor drei Jahren veröffentlichte das Projekt Leidmedien zusammen mit dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) die Broschüre „Journalist*innen mit Behinderung – bitte mehr davon!“. Journalist*innen beschreiben dort ihre Berufserfahrungen, das soll Vorurteile abbauen. Doch Medienschaffende in leitenden Positionen wälzen oft auch hier die Verantwortung an behinderte Menschen ab. Wie oft etwa wurde mir diese Broschüre empfohlen, obwohl ich selbst dafür interviewt wurde.
Im Jahr 2019 rief Leidmedien auch das erste Recherche-Stipendium für Journalist*innen mit Behinderung ins Leben. Journalismuspreise mit Schwerpunkt Disability Mainstreaming gibt es derzeit nicht. Hier ist noch sehr viel Luft nach oben. Andere Länder sind schon wesentlich weiter.
Die BBC hat beispielsweise ein Programm zur Förderung von Journalist*innen mit Behinderung, auch mit Festanstellung, und ein Diversity-Konzept, das behinderte Menschen ebenso beachtet. Gary O’Donoghue beispielsweise arbeitet als USA-Korrepondent für die BBC. Er ist blind. Mit Wille und Organisation ist alles machbar.
Mehr Anerkennung für alternative Wege
Meinen Erfolg im Journalismus verdanke ich meiner Hartnäckigkeit und alternativen Förderwegen. Im Universitätsradio konnte ich mich mit weniger Druck ausprobieren und war sogar ein Jahr lang Chefredakteurin. Aus dem Praktikum bei dem Fort- und Ausbildungssender habe ich danach noch längere Zeit als freie Mitarbeiterin Erfahrung gesammelt und erlebte sogar noch weitere Praktikant*innen mit Behinderung innerhalb der Redaktion; meine Erfahrungen haben somit auch für andere junge Menschen mit Behinderung den Weg in den Journalismus ein kleines bisschen geebnet.
Ansonsten erarbeitete ich mir Expertise und Schreibfähigkeiten direkt im Berufsleben, als freie Journalistin. Es gibt Chefredakteur*innen, die meine Sichtweise und Expertise schätzen, gerade weil ich eine Journalistin mit Behinderung bin. Nun steht mir noch der, sozusagen: Endschliff in einer Journalistenschule oder in einem Volontariat bevor. Und wer weiß, vielleicht heißt es in zehn Jahren im Fernsehen: Und jetzt schalten wir uns unserer Korrespondentin Andrea Schöne nach Rom. An mir soll es nicht scheitern.
1 Kommentare
Falls das optimistisch stimmt – ich hatte heute morgen ein Gespräch mit einem Dachdecker, der im Rollstuhl sitzt.
Er arbeitet nicht auf dem Dach, aber auch nicht nur am Schreibtisch, sondern in der Bauleitung.
Es gibt immer mehr Möglichkeiten, als man denkt.
Falls das optimistisch stimmt – ich hatte heute morgen ein Gespräch mit einem Dachdecker, der im Rollstuhl sitzt.
Er arbeitet nicht auf dem Dach, aber auch nicht nur am Schreibtisch, sondern in der Bauleitung.
Es gibt immer mehr Möglichkeiten, als man denkt.