„Tagesthemen“-Nichtsprecher

Der schweigende Dritte

Was ist schwieriger, als im Fernsehen zu moderieren? Im Fernsehen nicht zu moderieren.

Man sieht das regelmäßig bei der vermeintlichen Königsdisziplin der Nachrichtenpräsentation: der Doppelmoderation. Die anspruchsvolle Rolle hat dabei nicht derjenige, der gerade seinen Text vorträgt, sondern der jeweils andere.

Er (oder sie) steht schweigend daneben und tut … ja, was sollen sie eigentlich tun? In die Kamera schauen? Die redenden Doppelmoderationspartner ansehen? Aber die schauen ja in der Regel in die Kamera. Sprechen beide mit dem Publikum? Oder miteinander? Oder miteinander zum Publikum? Wäre es unfreundlich, wenn man nicht dran ist, in die Moderationskarten zu gucken? Gilt es, möglichst unbeteiligt zu schauen, oder mit angemessenen Gesichtsausdrücken auf das Vorgetragene des anderen Moderators zu reagieren? Was ist mit Nicken und Lachen?

Außerhalb ihres natürlichen Lebensraums in Fernsehstudios ist diese Sprechsituation so selten und so abwegig, dass Menschen dafür einfach Übung und Gespür fehlen.

Noch ein bisschen unangenehmer

Die ARD hat eine Situation geschaffen, die das Unangenehme einer Doppelmoderation noch ein bisschen unangenehmer macht. Sie ist nur ein paar Sekunden lang und ereignet sich regelmäßig, wenn ein eigens dafür abgestellter Mensch in den „Tagesthemen“ den Sport präsentiert. Dank Olympia ist das gerade häufiger der Fall.

Wenn der Sportmoderator an einem Ende des „Tagesthemen“-Studios fertig ist mit seinem Sportteil, übergibt er an den Hauptmoderator am anderen Ende des „Tagesthemen“-Studios. Beide machen daraus in der Regel eine winzige Plaudersimulation, bevor der Hauptmoderator den Small-Talk-Ball weiterspielt an den Wettermoderator.

Als seien das nicht schon genug handelnde Personen, lungert währenddessen in der Mitte der Studios noch der diensthabende Nachrichtenvorleser herum. Mir ist ohnehin unklar, warum der noch da ist. Der hat doch seinen Job getan und könnte schon schön auf dem Weg nach Hause sein. Oder es sich in der Garderobe gemütlich machen bis zur Nachtausgabe der „Tagesschau“.

Wird der für irgendwas noch gebraucht? Als Reserve? In welcher nachrichtlichen Sondersituation könnte es sich spontan auszahlen, Jens Riewa noch im Studio herumstehen zu haben, wohlgemerkt neben zwei anderen Moderatoren (wovon aber natürlich einer nur die Lizenz für Sport hat).

Eine mögliche Erklärung wäre, dass das Studio aufgrund der ferngesteuerten und gelegentlich außer Kontrolle geratenen Kameras eine Todeszone und jeder Schritt außerhalb der Parkpositionen an einem der Tische ein unnötiges Spiel mit dem Feuer ist.

Wahrscheinlicher ist es, dass das einfach zum Ritual der Doppel- und Dreierbesetzung gehört, dass keiner später kommt und keiner früher geht. (Was könnte das für eine muntere Szene sein, wenn Jens Riewa oder auch Gundula Gause immer erst zu ihrem Einsatz ins Studio gelaufen kämen, mit Nachrichtenpapier ganz frisch aus dem … Fax?)

Der Studio-Weizen ist reif

Die gerade unbenutzten Nachrichtenvorleser stehen da also rum, was manchmal zu merkwürdigen Effekten führt, wenn der Regisseur mal wieder zeigen will, wie groß das Studio ist und wie gut darin der Weizen wächst.

Man muss es bewegt sehen:

(Über die verhängnisvolle Leidenschaft von Helge Fuhst für Sprachbilder – „Noch knapp zwei Monate bis zur Bundestagswahl, dann fahren die Parteien ihre Ernte ein“ – und seinen fehlgeleiteten Ehrgeiz, möglichst alle Themen der Sendung durch Überleitungen zu verbinden, müssten wir vielleicht bei anderer Gelegenheit nochmal reden.)

Die Kamerafahrt jedenfalls führte bei Constantin Schreiber zu einem wunderbaren kleinen Moment der Verstörung, als ihm bewusst wurde, dass er nun Teil der Kornfeldinszenierung war, und es sich nicht anmerken lassen wollte:

Sekundenüberforderung

Genau diese Irritation, diese Sekundenüberforderung, entsteht regelmäßig, wenn der Sportmoderator an den Hauptmoderator zurückgibt – und der Nachrichtenmensch dazwischen nichts zu tun hat, außer zu sein. Und sich all die Verhaltensprobleme des gerade schweigenden Teils einer Doppelmoderation potenzieren.

Verschärfend hinzu kommt, dass man sich bei ARD-aktuell dafür entschieden hat, diese Szene jedesmal aus der unmöglichsten Position zu filmen: von hinter dem Rücken des Hauptmoderators. Wenn Ingo Zamperoni Dienst hat, der laut Internet 1,95 Meter misst, entsteht dadurch ein besonderer Perspektiveneffekt, durch den Jens Riewa seriös nicht auf mehr als 1,50 Meter Größe geschätzt werden kann.

Ich habe Ihnen hier mal ein paar Übergaben zusammengeschnitten:

Bei Judith Rakers wirkt es, als müsse sie in diesen Sekunden zwischen den beiden Sprech-Männern wählen – um dann am Ende umso entschiedener Ingo Zamperoni anzuflirten:

 

Auch Riewa versucht, aus seiner Statistenrolle das beste zu machen und verschiedene passende Gesichtsausdrücke zu dem Gespräch anzubieten, dem er stumm lauschen muss …

 

In den letzten zwei Sekunden dieses Ausschnitts scheint er mir aber doch kurz seine Berufswahl kritisch zu hinterfragen.

Wenn Sie das einmal gesehen haben und wie ich sind, können Sie jetzt nicht mehr anders, als bei jeder Übergabe auf den stummen Mann oder die stumme Frau zu starren, die genau in der Mitte der Szene stehen und doch ganz am Rand.

Irgendwann, da bin ich sicher, wird sich einer von ihnen einen Ruck geben und in den Dialog werfen, den die anderen über ihn hinweg führen, und sei es nur, um zu fragen: „Braucht ihr mich noch?“

Nachtrag. Die „tagesthemen“ haben mit einem eigenen Enthüllungsvideo reagiert:

10 Kommentare

  1. Herrlich :-) Sammy Drechsel hat mal gesagt: Wer spricht hat Licht – und Kamera… :-)

  2. #3 Da kam der Umschnitt zu früh. Jetzt aber:
    Zwischen Anchorposition und Sport sollte das Set-Team ein Tennisnetz spannen. Dann macht auch der Blickwechsel auf der Nachrichtenposition Sinn.

  3. @Stefan Niggemeier: Toll. Mir ist das tatsächlich nie aufgefallen. Und jetzt kann ich „nicht mehr anders, als bei jeder Übergabe auf den stummen Mann oder die stumme Frau zu starren, die genau in der Mitte der Szene stehen und doch ganz am Rand.“ Das ändert für immer meinen Nachrichtenkonsum.

    Bei der Gelegenheit kommt mir die Frage in den Sinn: Warum stehen denn da überhaupt gleich drei Leute gleichzeitig vor der Kamera? Könnten die anderen beiden nicht gleich den ganzen Tag (bzw. Sendung) freinehmen? Oder ist das Nachrichtenvorlesen so anspruchsvoll, dass man/frau danach keinesfalls noch Luft für Sportergebnisse hat? Oder gar das Wetter („fieses Tief/Hoch mit ganz schlechtem Wetter, also zu warm oder oder kalt und entweder zu trocken oder zu nass“)?

  4. …also, das Hinundhergelaufe bei „Tagesschau24“ finde ich auch bescheuert.
    Der BBC-Zusammenschnitt scheint witzig, ist er aber nicht.
    Sowas lässt sich mit den heute vorhandenen haushaltsüblichen Mitteln bequem bewerkstelligen und ist brandgefährlich.
    (Mit meinem VC20 von vor Jahrzehnten ging das nicht).
    Mich nervt dieses dämliche geputze und Maske auf/ab zwischen Sitzplatz und Rednerpult während einer Bundes- Landtagssitzung.
    Kann man sicher beliebig viele Zusammenschnitte von fabrizieren und mit allem möglichen audiovisualisieren.
    Fr. Merkel hat was am Finger: Lässt sich was draus machen.
    Bei Bauer, Funke oder eben auch Übermedien.
    Verstanden, was ich meine?
    Tschuldigung, will nicht überheblich sein und ein Klugscheisser eh nicht.
    Nichts für ungut also…

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