Steckaktion

Wie die „Weltwoche“ in die Briefkästen von „taz“-Abonnenten kam

Eines Morgens Anfang Juli entdeckt Felix Heilmann in seinem Briefkasten in Berlin-Schöneberg etwas, das er nicht bestellt und sich nicht gewünscht hat: ein Exemplar der Schweizer Wochenzeitung „Die Weltwoche“.

Heilmann ist eigentlich „taz“-Abonnent. Aus der „Weltwoche“, die er ungefragt bekommen hat, erfährt er, dass er in Deutschland in einem medialen „Gedankengefängnis“ lebt.

Chefredakteur und Verleger Roger Köppel, der für die rechtspopulistische Schweizer Volkspartei im Nationalrat sitzt, hat eine Sonderausgabe über die Bundesrepublik produziert. Dafür hat er „tolle Autoren“ wie Franz-Josef Wagner, Boris Reitschuster und Hans-Georg Maaßen engagiert. Um das zu schreiben, „was andere nicht zu sagen wagen“. Etwa, dass AfD-Politikerin Alice Weidel „die letzte deutsche Liberale“ sei. (Mehr über das Heft hier.)

Um diese Informationen auch unters deutsche Volk zu bringen, hat die „Weltwoche“ die Auflage nach Köppels Angaben um rund 60.000 Stück erhöht. 44.200 davon wurden nach Übermedien-Informationen in einer sogenannten „Steckaktion“ in Berlin verteilt.

Ein Zeitungsbote berichtet, er und seine Kolleg*innen hätten den Auftrag gehabt, die „Weltwoche“ „an alle aktiven Abonnenten“ von anderen Zeitungen auf ihren Touren zu verteilen. Das Schreiben liegt Übermedien vor:

BLM Last Mile Rudow Steglitz

Die „taz“ zum Beispiel wusste davon allerdings nichts. Auch bei Axel Springer heißt es, man habe keine Ahnung davon. Der „Tagesspiegel“ dagegen war informiert. Wie kann es sein, dass ein Medium in den Briefkästen von Kunden anderer Verlage landet?

Die Antwort herauszufinden, ist erstaunlich schwierig. Aber man erfährt unterwegs einiges über das sonst so unbekannte Geschäft der Zeitungszustellung.

Blumiges von Köppel

„Weltwoche“-Chef Roger Köppel ist keine Hilfe. Er beantwortet trotz Nachfrage nicht die konkreten Fragen zur außergewöhnlichen Auslieferung seines Blattes, sondern äußert nur blumig die „Hoffnung, einen konstruktiven Beitrag zur Entspannung und Horizonterweiterung in Deutschland geleistet zu haben“.

Wir wenden uns also an die Firma, die für die Zustellung zuständig ist. Früher hatten die Berliner Tageszeitungen jeweils eigene Zusteller. Weil aber Auflagen und Abozahlen sinken, Lohnkosten steigen und das Geschäft kaum rentabel ist, gründeten Berliner Verlag („Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“), „Berliner Morgenpost“ und „Tagesspiegel“ einen gemeinsamen Zustelldienst: die Berliner Zustell- und Vertriebsgesellschaft (BZV).

2017 übernahm das Logistik-Unternehmen Fiege aus Greven im Münsterland 51 Prozent des Unternehmens, das seitdem Berlin Last Mile (BLM) heißt. Die restlichen Anteile teilen sich die BZV-Verlage. Der „Tagesspiegel“ ist also Teilhaber und Kunde von BLM gleichzeitig. Die „taz“ etwa ist nur Kundin und beauftragt BLM damit, ihre Zeitung zuzustellen.

Man kann die Dienste von BLM buchen, um Kataloge oder Flyer in die Briefkästen der Menschen zu bringen. Die Verlage haben dabei kein Mitspracherecht, was mit ihrer Zeitung verteilt wird. Sie können nur entscheiden, was in ihre Zeitung gesteckt wird. Beilagen also. Für die bekommt der Verlag Anzeigenerlöse. Wenn der Dienstleister aber den Auftrag hat, einen Werbeflyer in Briefkästen zu stecken und das gleichzeitig mit der Zeitung zustellt, hat der Verlag darauf keinen Einfluss.

Und das betrifft nicht nur Werbebeilagen, sondern auch andere Publikationen. Zum Beispiel, wenn Tageszeitungen großflächig an Leute verteilt werden, die sie nicht abonniert haben.

Früher wurde viel gesteckt

„Steckaktionen sind ein übliches Mittel in der Werbung für Zeitungs-Abos,“ sagt Christian Eggert, Leiter der Fachabteilung Verlagswirtschaft beim Zeitungsverlegerverband BDZV. Oder zumindest waren sie das: „In den 2000ern, als der Berliner Markt sehr umkämpft war, gab es ständig solche Aktionen.“ Da bekamen zum Beispiel Haushalte, ob mit anderem oder ohne Zeitungs-Abo, mal kostenlos den „Tagesspiegel“ oder die „Berliner Morgenpost“ gesteckt.

Diese Steckaktionen fanden zu einer späteren Tageszeit statt als die Abo-Zustellungen. Der Grund dafür liegt im Wettbewerbsrecht: Ein Kunde, dem man kostenlos eine Zeitung steckte, sollte dadurch nicht davon abgehalten werden, morgens zum Kiosk zu gehen und sich eine andere zu kaufen. (Der Gedanke: Mit einer kostenlosen Zeitung am Morgen im Briefkasten wäre dieser Gang ja überflüssig gewesen.)

Bei der Zustellung der „Weltwoche“ lief das anders. Die haben zwar auch die Mitarbeiter*innen von Berlin Last Mile übernommen. Doch die BLM sagt, sie habe den Auftrag nicht von der „Weltwoche“ bekommen. Nach einigem Hin und Her stellt sich heraus: Die Schweizer Zeitung hatte sich stattdessen an den „Tagesspiegel“ gewandt. Dessen Abonnent*innen sollten die „Weltwoche“-Spezialausgabe als Beilage bekommen. Das aber lehnte der „Tagesspiegel“ ab.

„Wir wollten kein Trägermedium für die ‚Weltwoche‘ sein. Das haben wir ganz klar abgelehnt. Unsere Leser sollen nicht den Eindruck haben, dass wir die Inhalte der Weltwoche verteilen“, sagt „Tagesspiegel“-Geschäftsführerin Ulrike Teschke im Gespräch mit Übermedien.

Man habe der „Weltwoche“ gesagt, es gibt auch andere Möglichkeiten, direkt über die Zustellorganisation zu gehen. Also beauftragte der „Tagesspiegel“-Verlag BLM damit, die „Weltwoche“ an seine Abonnent*innen zuzustellen – nicht als Beilage im Blatt, sondern nur als gleichzeitig ausgeliefertes Heft. „Sehr viel verdient da niemand. Es gab einen kleinen Betrag für den Verlag. Das ist ein ganz normaler Geschäftsvorgang“, sagt Teschke.

Für einen „ganz normalen Geschäftsvorgang“ stiftet der „Tagesspiegel“ bei seinen Antworten aber ziemlich viel Verwirrung. Erst nach mehreren Nachfragen gibt er sich als Auftraggeber der „Weltwoche“-Verteil-Aktion zu erkennen – zunächst hatte er den Eindruck erweckt, BLM sei verantwortlich.

Zusteller Zufall

Zumindest ist damit erklärt, wie die „Tagesspiegel“-Abonnent*innen an die „Weltwoche“ kamen. Aber warum wurden auch Berliner*innen, die andere Zeitungen im Abo haben, damit beglückt?

Michael Röttcher, Chef der Geschäftseinheit Fiege Last Mile, zu der auch die Berlin Last Mile gehört, sagt: „Wir haben vom ‚Tagesspiegel‘ den Auftrag erhalten, die ‚Weltwoche‘ an Leser des ‚Tagesspiegel‘ zuzustellen. Und an die Haushalte beziehungsweise Briefkästen rundherum. Falls einer dieser Briefkästen beispielsweise zu einem Abonnenten oder einer Abonnentin der ‚taz‘ gehört, kann es passieren, dass auch dort eine Ausgabe der ‚Weltwoche‘ zugestellt wird. Das ist dann allerdings Zufall und keine gezielte Zustellung.“

Anders sei das rechtlich auch nicht möglich, denn ein Zusteller kann nicht so einfach die Vertragsdaten der Verlage nutzen, um damit die Wünsche anderer Auftraggeber zu erfüllen und zum Beispiel gezielt eine Zeitung an die Abonnenten einer anderen oder aller anderen zu liefern.

Aber genau das hatte die Pressestelle des „Tagesspiegel“ in den ersten Mails an Übermedien geschrieben: „Die Zustellorganisation BLM hat die ‚Weltwoche‘ separat als Direktverteilung in Berliner Haushalte verteilt, die grundsätzlich Tageszeitungen abonniert haben.“ Später teilen uns sowohl Fiege als auch der „Tagesspiegel“ mit, dass das rechtlich nicht geht und auch nicht so gewesen sei.

„Es ist uns rechtlich untersagt, unseren Kunden anzubieten, gezielt bei bestimmten Abonnenten etwas in den Briefkasten zu werfen. Wir als Dienstleister verwalten die Adressen der Verlage daher auch gar nicht“, sagt Michael Röttcher.

Den Auftrag, den einige Zeitungsbot*innen erhalten haben, kann man aber genau so verstehen. Sie sollten „alle aktiven Abonnenten“ beliefern, also auch die anderer Zeitungen. „In diesem Fall ist uns in Rudow und Steglitz leider ein Fehler in der Kommunikation an unsere Zustellerinnen und Zusteller unterlaufen, für den wir uns im Nachhinein nur entschuldigen können“, erklärt Röttcher. Der Auftrag hätte an „alle aktiven Abonnenten des ‚Tagesspiegel‘“ heißen müssen. In Zehlendorf beispielsweise, wo die „Weltwoche“ ebenfalls durch BLM zugestellt wird, habe man den Auftrag korrekt kommuniziert.

Hausmitteilung BLM Zehlendorf

Nicht klar ist, ob die belieferten Leser*innen die „Weltwoche“ in ihrem Briefkasten überhaupt mit ihrem Abonnement in Verbindung brachten. „Es gab eine geringe Zahl von Abonnenten, die sich bei uns gemeldet haben“, teilte eine Pressesprecherin des „Tagesspiegels“ mit.

Übrigens: Wer sicher gehen will, dass im Briefkasten nichts landet, was er oder sie nicht will, dem ist mit dem Aufkleber „Bitte keine Werbung“ nicht geholfen. Denn es handelt sich nicht um Werbung, sondern um ein redaktionelles Produkt. Gleiches gilt auch für Anzeigenblätter. Wer die alle nicht haben will, braucht den Sperrvermerk: „Keine kostenlosen Zeitungen“.

14 Kommentare

  1. Na ja, dann sollte sich die taz aber überlegen, ob sie die Zustellfirma wechselt. Mir als Leser der taz wären die Hintergründe letztlich egal. Ich möchte kein rechtsradikales Blatt in meinem Briefkasten. Natürlich trägt die taz indirekt dafür Verantwortung. Sie hat eine Firma mit der Verteilung ihrer Produkte beauftragt, die Geschäfte mit Rechtsradikalen macht. Das geht nicht. Gestern kam die Weltwoche, morgen Compact, übermorgen die NPD – Postille.
    Insgesamt ist mir der Text auch zu deskriptiv. Die Weltwoche ist rechtsradikale, das darf man ruhig schreiben. Für „das kleine“ Geschäft “ was der Tagesspiegel angeblich macht, war ihm keine Mühe zu gross, der Weltwoche Wege zu weisen, wie sie das Blatt unter die Leute bringt, ohne die Marke Tagesspiegel zu schädigen. Auch das darf man so schreiben.
    Der Text ist keineswegs nur ein Lehrstück über die Zustellbranche. Er zeigt, was bürgerliche Blätter wie der TSP für Kohle alles machen.

  2. Ich mag den deskriptiven Stil. Muss mir keiner ins Gesicht reiben, was das für Menschen sind, die beim Stürmer arbeiten.
    Auch gerne mir zustellen; ein Exemplar mehr, das direkt im Müll landet.
    Immerhin mein Chef ist konsequent: Wir beauftragen Fiege ab sofort nicht mehr, auch wenn ich glaube, dass denen das nicht groß auffallen wird.

  3. Also ich kann neben der angeblich nicht lohnenswerten und dafür sehr umständlichen Aktion des Tagesspiegel nichts Spannendes in diesem Artikel entdecken. Ich wusste zwar nicht, wie die Berliner Tageszeitungen ihre Zustellung organisieren. Als Nicht-Berliner interessiert mich das aber auch nicht.

    Ansonsten hab ich einfach zu oft „Steck“ in all seinen Varianten gelesen. Man wäre meiner Meinung nach mit 20 bis 30 Prozent weniger Nennungen auch gut durch den Text gekommen.

    Achso ja, und der Vollständigkeit halber: Die Weltwoche ist scheiße. So.

  4. @Anderer Max: Es geht um Journalismus mit Haltung. Ohne die hat @SID recht. Er oder Sie bemängelt ja die Relevanz des Themas an sich. Das wäre richtig, wenn es nicht gerade dieses rechtsradikale Blatt wäre und weil es das ist, darf/muss ich es auch so benennen.

  5. #4: Dass wir uns nicht missverstehen: Ich verstehe, dass man sich ärgert, wenn man die Weltwoche ungefragt im Briefkasten findet.
    Das Ganze muss man jetzt aber nicht zu einer rechten Weltverschwörung mit Beteiligung des renommierten Tagesspiegel aufbauschen.

    Vielmehr ist es ein gängiges Marketinginstrument. Ich hatte auch schon die „Bild“ im Briefkasten. Fand ich das gut? Nein. Auch wegen der Umweltverschmutzung nicht.

    Am Ende hat die Weltwoche bzw. in meinem Fall die Bild einen Teil ihrer Auflage verschenkt in der Hoffnung, dass sich dadurch jemand findet, der deren Inhalte relevant findet (und vielleicht findest sich ja ein neuer Abonennt?). Sie, Herr Busche, finden sie nicht nur nicht relevant, sondern abstoßend? Ich auch. Aber was ist uns dadurch passiert? Nix. Freuen wir uns lieber über die sicher sechsstelligen Kosten der Weltwoche, die hoffentlich vollständig zum Fenster rausgeschmissen sind.

    Ich finde übrigens auch 23 Flyer von Lieferdiensten pro Monat nervig. Die Prospekte der von mir regelmäßig besuchten Supermärkte gucke ich dagegen gern durch. Ist das schlimm?

  6. @ SN: Aye aye, Käpt’n.
    Ich könnte jetzt behaupten, dass ich das alles gar nicht so gemeint hatte und die Verknüpfung nur im eigenen Kopf passiert, aber das wäre lächerlich, unwahr und nichts besser, als die normale rechte Zurückruder-Taktik.
    Ich denke nach wie vor, dass der Vergleich an sich auch nicht der Falscheste ist, werde das nun aber nicht weiter elaborieren.

    @ #4: Naja, übermedien kann m. E. auch über dröge Themen wie Medienverteilung schreiben, ganz ohne Haltung. Ich finde das z. B. spannender, als Kolumnen über Netflix-Einsamkeitsfilme. Aber das ist natürlich Geschmackssache; die Tatsache das beides hier existiert spricht ja für eine durchaus wünschenswerte Themenheterogenitität.

  7. Ich würde mich über jede kostenlose Leseprobe in meinem Briefkasten freuen. Es wäre doch ganz nett zu wissen, ob die „Weltwoche“ wirklich so rechtsradikal ist, wie hier einig behaupten.
    Auch die „taz“ würde ich gerne einmal prüfen, ob sie eher linksradikal oder doch nur linksliberal ist.
    Diese extreme Ablehnung anderer Ansichten als der eigenen kommt mir sehr borniert vor.

  8. Mal ungeachtet, wie ich die Zeitung politisch einordne, wenn ich mal eine nicht gewünschte Zeitung im Briefkasten habe, kann ich das jetzt ja einordnen.
    Insofern bringt mich der Artikel hier weiter als bspw. die Rubrik Goldtopf, obwohl diese lustiger ist.

  9. #9 Sie finden hier auf Übermedien (auch im Text verlinkt) ein Kompilat mit angeschlossener Analyse der besagten Zeitungsausgabe.

    Ich finde dieses Blatt rechts und populistisch (Alice Weidel die letzte Liberale z.B.. was kommt als Nächstes? Christian Lindner der letzte Sozialdemokrat?). Meinungen zu und in Medien sind wichtig. Meine Meinung zu der Meinung der Weltwoche ist, dass es sich hier um hanebüchenen Quatsch handelt den man gerne kritisieren darf und muss in einer demokratischen Gesellschaft.

  10. Müsste die Überschrift dann nicht lauten „Wie die Weltwoche an die Leser von Berliner Tageszeitungen und deren Nachbarn verteilt wurde“? Es gab ja keinen Mechanismus gezielt die Leser der taz zu erreichen, was wohl auch recht unergiebig wäre.

    Was ich an der Story nicht verstanden habe ist, warum die Weltwoche sich nicht direkt an BLM gewandt hat, sondern den Umweg über den Tagesspiegel gegangen ist, der einerseits mit der Weltwoche nix zu tun haben will, dann aber doch die Distribution über BLM ermöglicht (?)

  11. @12 Uwe
    Ich nehme mal an, dass die Weltwoche ursprünglich eine direkte Kombi mit dem Tagesspiegel im Sinn hat, mit dem Ansinnen, deren Zielgruppe direkt anzusprechen. Wie im Text ersichtlich, hat der Tagesspiegel dem nicht zugestimmt und die Schweizer auf die BLM verwiesen. Inwieweit, man hier von „Ermöglichen“ sprechen kann, weißch nicht. Denn die BLM kann ja offensichtlich frei VerteilauftrAge dieser Art annehmen.

  12. Bin ich der einzige, den das System des Opt-Out am Briefkasten stört?
    Warum nicht nur Menschen mit Werbung und kostenlosen Zeitungen beliefern die sich ausdrücklich dafür anmelden?
    Ich schätze, dass über 90% direkt ungelesen in den Müll geht.
    Es wäre ja auch aus nachvollziehbaren Gründen verboten, wenn ich z.B. meine nicht mehr gebrauchten Möbel vor die Türen von irgendwelchen Verlegern abladen würde weil evtl. jemand sie noch gebrauchen könnte.

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