Spezialausgabe

Schweizer „Weltwoche“ zeigt Deutschland, wie Weltwunder-Journalismus geht

Die Zeitung, in der regelmäßig Matthias Matussek, Thilo Sarrazin, Norbert Bolz, Hans-Georg Maaßen und Henryk M. Broder schreiben, ist in dieser Woche mit einer Spezialausgabe erschienen, in der nun auch noch Harald Martenstein, Kai Diekmann, Jan Fleischhauer, Franz Josef Wagner, Boris Reitschuster und Ralf Schuler schreiben.

Mehr Trigger kann man für 9 Schweizer Franken wirklich nicht erwarten.

Ich lese die Schweizer „Weltwoche“ ganz gern, vorwiegend als eine Art Trimm-dich-Übung. Hinterher habe ich zuverlässig ein angenehmes leichtes Schleudertrauma vom Kopfschütteln und Muskelkater vom Augenrollen.

Das Blatt wirbt für sich mit der Behauptung, es bereichere den Wettbewerb der Argumente „durch die größte Vielfalt an fundierten Meinungen“, was es jede Woche widerlegt. Sein Meinungsfenster ist nicht breit, sondern bloß nach rechts unten verschoben. „Sie schreibt und spricht aus, was andere nicht zu sagen wagen“, schreibt die „Weltwoche“ über die „Weltwoche“, und mit dem Trick, es nur der Feigheit zuzuschreiben, dass andere nicht das schreiben, was sie schreibt, ist schon viel über ihre intellektuelle Redlichkeit gesagt.

Das größte Problem der Deutschen

Weltwoche-Cover: Weltwunder Deutschland

Jedenfalls ist jetzt eine „Weltwoche“-Sonderausgabe mit „100 Seiten Deutschland“ erschienen. Lustige Titelzeile: „Weltwunder Deutschland“. Herausgeber Roger Köppel erklärt im Editorial, die Deutschen seien echt ganz okay, sogar – mutmaßlich das größte Kompliment überhaupt – „den Schweizern recht ähnlich“. Wenn Deutschland sich noch ein paar Sachen an der Eidgenossenschaft abgucken würde, könnte es sogar richtig toll sein.

Eigentlich ist nur eins richtig doof an und in Deutschland.

Ja, man könnte es erraten.

„Das grösste Problem der Deutschen sind ihre Medien.“

Aber zum Glück gibt es da ja das kleine Nachbarland, in dem man teilweise dieselbe Sprache spricht, und so hilft die „Weltwoche“ gerne aus.

Ach, Abstand

Was ein bisschen verblüffend ist an der „Weltwoche“: Distanz und Unabhängigkeit sind dort gar keine Qualitätskriterien. Dass die auch bei anderen Medien immer mal wieder fehlen – keine Frage. Aber hier ist alles noch eine Spur kuscheliger.

Das beginnt damit, dass Roger Köppel nebenbei für die rechtskonservative SVP im Nationalrat sitzt, was man nicht unbedingt für die ideale Ämterkombination für einen Chefredakteur halten würde.

Und es geht damit weiter, dass sich in der Inhaltsübersicht „Weltwoche“-Redakteur Alex Baur Arm im Arm mit AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel zeigt, was man nicht unbedingt für die ideale Körperhaltung für einen Berichterstatter halten würde.

Ausriss: „Weltwoche“

„Reporterlegende“ Matthias Matussek hat eine Art Reportage aus Chemnitz geschrieben, die im Kern eine Liebeserklärung an den rechten Publizisten und Politiker Michael Klonovsky ist, der dort für die AfD als Bundestagskandidat antritt. Matussek nimmt ihn gegen allerlei Vorwürfe in Schutz und begeistert sich für ein Plakat, auf dem „in schönster Klarheit“ stehe: „Unser Land. Unsere Regeln“. Irgendwann, ein paar Absätze vor dem Schluss, gibt er den Versuch auf, noch zu unterscheiden zwischen sich und den AfD-Leuten, mit denen er da redet, isst und singt und über die er schreibt, und wechselt in ein befreiendes Wir, das ihn gleich mit einschließt: „Wir sind einfach nur besorgt, ja verzweifelt“, usw. „Vor allem sind wir unzufrieden mit der Frau, die dieser Regierung vorsteht“, usf. (Wer sagt ihm, dass er es nicht mehr lange mit ihr aushalten muss, egal wie die Bundestagswahl ausgeht?)

Matussek klagt, dass gegen den „Action-Helden“ Til Schweiger ein Shitstorm laufe, weil der den Regierungskritiker Boris Reitschuster einen „Helden“ genannt habe, und da trifft es sich gut, dass „Bild“-Promi-Schmuser Norbert Körzdörfer ein paar Seiten vorher ein Porträt über Til Schweiger geschrieben hat: „Til Schweiger, der deutsche Tom Cruise“, das mit der Schilderung beginnt, wie der Star bei einer „Aperol-Spritz-Party der beautiful Berliner“ auf den Berichterstatter zugeht:

Die Frauen blicken verzaubert. Die Männer lächeln etwas neidisch. Ein Star ist ein Star. Wir umarmen uns, und er flüstert lächelnd: „Körzi, ich glaube, ich habe mein bestes Drehbuch geschrieben …!“

Boris Reitschuster wiederum, der Mann, den Til Schweiger gelobt hat, den Norbert Körzdörfer gelobt hat, schreibt an anderer Stelle im Heft über Markus Lanz. Er lobt ihn beinahe, aber wirklich nur beinahe!, für seine Talkshow, weil er nicht ganz so „jämmerlich und gleichgetaktet“ sei wie seine Kollegen, die sich verhielten, „als kämen sie aus dem Windkanal des links-grünen Zeitgeists“.

Aber vielleicht sei er voreingenommen, relativiert Reitschuster, weil er mal bei Lanz gewesen sei und sich noch bis weit nach Mitternacht über sein Thema Russland unterhalten habe.

Orbán-Freund lobt Orbán-Politik

Es ist alles eine sehr kleine Welt.

Kai Diekmann, früher „Bild“-Chefredakteur und heute Chef der PR-Agentur Storymachine, empfiehlt die „interessantesten neuen Köpfe im Land“, und bestimmt ist niemand überrascht, dass auch eine ehemalige Storymachine-Mitarbeiterin dabei ist, das lässt sich ja praktisch nicht vermeiden, wo soll man die guten Leute sonst finden.

Und wer schreibt in der „Weltwoche“ einen Artikel, der den ungarischen Regierungschef Victor Orbán und das neue Anti-LGBTQ-Gesetz verteidigt? Boris Kálnoky, Leiter einer regierungsnahen Journalistenschule, der wegen dieser Position sogar für die „Welt“ nicht mehr als Ungarn-Korrespondent tragbar war. Für die „Weltwoche“ reicht’s offenbar.

Wenigstens muffelt es nicht, wenn Diekmann schreibt, anders als bei Thilo Sarrazin, der sich die Wahlprogramme der Parteien angesehen hat, irgendwie unzufrieden war, und tatsächlich als Fazit mit den leicht modrigen Worten endet, die er dem früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke zuschreibt: „Trau, schau, wem“.

Trau, schau, wem

Es ist der maximale Kontrast zu der Lust an der Provokation und dem Streit, die die „Weltwoche“ so gerne ausstrahlen würde, und zu ihrer behaupteten Lebendigkeit. Es löst in mir auch eher Mitleid aus als Ärger, und das ist ein viel schlechterer Grund, eine Zeitung zu lesen.

Gespräch unter Gleichgesinnten

Ich hatte mich schon halb masochistisch darauf gefreut, mich voller Zorn durch irgendeinen populistischen Unsinn arbeiten zu müssen, den Ralf Schuler, Leiter der „Bild“-Parlamentsredaktion, hier unter der Überschrift „So gut geht es Deutschlands Politikern“ verfasste. Aber anstatt einen roten Wut-Teppich auszurollen, beginnt der Text mit Aktenstaub: „Die sogenannten Amtsbezüge von Politikern setzen sich aus verschiedenen Komponenten zusammen“, um sich später in allen Details zu verlieren: „Normale Beamte bekommen seit April eine Tariferhöhung, die auch für die höchste Besoldungsgruppe B 11 (Staatssekretäre) hätte gelten sollen, in diesem Jahr aber für diese höchste Einkommensgruppe ausdrücklich nicht angewendet wird.“ Oder auch: „Ab einer Gemeindegrösse von mehr als 250.000 Einwohnern steigt das Gehalt auf 13.771,22 Euro (Besoldungsgruppe B 10). Das geht dann schrittweise je nach Einwohnerzzzzzzzz–“

Jan Fleischhauer hat der „Weltwoche“ einen zweiseitigen Text über Annalena Baerbock geschrieben: Wie dröge ihr Buch ist, wie merkwürdig die Aufmotzung ihres Lebenslaufes. Es ist ein sehr uninspirierter und erstaunlich witzloser Text, der die Frage in den Mittelpunkt rückt, warum Baerbock so sorglos war, und darauf die erwartbare Antwort gibt, dass es an der „Kumpanei“ zwischen Teilen der Presse und der grünen Partei liege.

Fleischhauer schreibt dann noch, warnend:

„Das Gespräch unter Gleichgesinnten ist zweifellos angenehmer als das mit Leuten, die einen kritisch sehen. Es hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Es macht auf Dauer etwas träge.“

Niemand bei der „Weltwoche“ hat das und all die anderen Beiträge in dieser Ausgabe gelesen und vor lauter Nicken gedacht: Ups.

Außerirdische Lebensform Merkel

Harald Martenstein, der es eigentlich fast immer schafft, sich in seinen Texten in einer Art dumm zu stellen, die bei mir den Blutdruck steigen lässt, schreibt hier einen Text, der tatsächlich exakt soviel Esprit enthält, wie seine seine Überschrift „Deutschland, deine Kanzler“ verspricht.

Deutschland, deine Kanzler

Wobei, doch, es finden sich immerhin zwei, drei schöne Pointen darin, meine liebste ist diese über Merkel: „Was sie wollte, ist schwer zu sagen, aber sie hat vieles davon erreicht.“

Leider ist sie umstellt von Witzen wie: „Seit die US-Regierung die Existenz von Ufos bestätigt hat, ist nicht mehr auszuschließen, dass es sich bei Angela Merkel um eine ausserirdische Lebensform handelt. (…) In der Uckermark, auf ihrer Basis, wird sie sich bald dematerialisieren und als Wolke in ihr Raumschiff zurückschweben.“

Für Franz Josef Wagner ist Merkel genau so ein Rätsel:

Wer ist Angela Merkel?

Eigentlich wissen wir nichts über sie. Wie sie wohnt, was für Möbel sie hat, wer ihre persönlichen Freunde sind. Hat sie eine grüne Hand für die Blumen auf dem Balkon? Hält sie Händchen mit ihrem Mann, dem noch unbekannteren Professor Sauer?

Sein Artikel ist ungefähr so lang wie 13 „Bild“-Kolumnen, enthält aber nur so viele irre Gedanken wie eine, und endet mit einer Entschuldigung:

Tut mir leid, liebe Leser, dass ich so wenig über den Menschen Merkel weiß.

Schon gut.

Die Frau im Arm von Alex Baur

Aber wenigstens wird Alice Weidel ja nach Lektüre des „Weltwoche“-Portraits kein Rätsel mehr sein. Alex Baur schildert, dass er sie „zufällig an einem privaten Anlass in Zürich traf“ und sie ihm erzählt habe, wie groß die Angriffe auf ihre Familie gewesen seien, nachdem sie 2017 ihre Spitzenkandidatur für die AfD bekannt gegeben habe: Vor allem ihren Kindern und ihrer Partnerin sei zugesetzt worden.

Diese „verstörende Geschichte um die bornierte Doppelmoral im linksalternativen Milieu“ hätte Baur „gerne recherchiert und niedergeschrieben“ – doch Weidel und ihre Frau hätten ihr Privatleben schützen wollen. Stattdessen besuchte er sie in Berlin, um sie bei der Arbeit zu begleiten und so mehr über sie zu erfahren. Statt der herzlichen und gewinnenden Frau traf er hier jedoch eine „knallharte, stets misstrauisch lauernde Kämpferin“. „Es war völlig aussichtslos, ihr ein brauchbares persönliches Statement zu entlocken. Ich legte die grosse Weidel-Repo aufs Eis.“

Und so bleibt Alice Weidel für den „Weltwoche“-Leser ein genauso großes Rätsel wie Angela Merkel.

Immerhin beschert der Ersatz-Text für die große Weidel-Repo(rtage) dem Heft eine dieser tollen Pointen, wie man sie in den meisten anderen deutschsprachigen Medien wirklich nicht findet. Er nennt Weidel nämlich in der Überschrift:

Deutschlands letzte Liberal

13 Kommentare

  1. Wenn eine Zeitung von Deutschland aus die Schweizer Politik auf diese Weise angehen würde, wären Eidgenossen wie Roger Köppel sehr schnell dabei, sich diese Einmischung in die Politik eines souveränen Landes zu verbitten.

  2. Wohl Köppels subversiver Beitrag zur Genderbebatte, wenn er gleich mehrfach das Scheitern von Altherrenjournalisten beim Porträtieren von weiblichen Politikern abdruckt.

  3. Auf das persönliche Weidel-Porträt konnte die „Weltwoche“ natürlich dieses Mal problemlos verzichten. Das hat sie bereits am 11. Sept. 2019 in Ausgabe 37 unter dem Titel „Kinder sollten wissen, wo sie herkommen“ geliefert. Ein selten schönes Beispiel für „wir haben uns alle so lieb“-Journalismus – Roger Köppel und Alice Weidel in trauter Zweisamkeit. (Sie hätte es natürlich einfahc noch mal recyclen können – weil’s so schön war).
    Da ist auch schon Aussage zur angefeindeten Familie drin, aber auch jene, in der sich Weidel darüber auslässt, dass sie eine Parteikollegin in den Senkel gestellt habe, die ihr vorwarf, sie verfolge in der Partei familienpolitische Ziele, die ihrem Privatleben widersprächen.
    Dass Baur daran scheiterte, die „Widersprüche im linksliberalen Milieu“ des Umfeldes der Weidel-Familie zu beschreiben. dürfte massgeblich daran liegen, dass die Familie längst in einem katholisch-konservativen Umfeld in der Innerschweiz lebt (und eben nicht mehr im linksliberalen Biel).

  4. Ein Kompilat welches zum Augenrollen einlädt. Ich frage mich jedoch wer hier genau die Zielgruppe sein soll und ob diese auch erreicht wird.
    Ob die weiße Mehrheitsbevölkerung „kleinen“ Schweizer Blättern folgt ist fraglich. Die NZZ hat sich jedoch als internationaler Einfluss in der deutschen Presselandschaft, mit klarem erzkonservativen Einschlag etabliert. Die Ausgangsposition ist jedoch eine andere hier.
    Es bleibt nur zu hoffen das dieses „Blatt“ wenig Resonanz findet außerhalb rechter politischer Kreise und sich intensiv mit Medien auseinandersetzendenMenschen. Franz Josef Wagner sollte niemand lesen müssen.

  5. „Matussek klagt, dass gegen den Action-Helden Til Schweiger ein Shitstorm laufe“
    Respekt, Til Schweiger findet immer einen, der sich unter der Fahne der Meinungsfreiheit für seine PR einsetzt.
    Er ist zwar nur ein zweitklassiger Schauspieler, aber
    „trotzdem prügeln alle auf ihn ein“.
    Was will er mehr? Medien sind sein Dschungelcamp:
    „Schweiger ist einer der wenigen deutschen Prominenten, die sich mit klaren Worten zum Thema positionieren“.
    Das steht wörtlich vielleicht nicht in der Weltwoche, könnte es aber genauso gut, wie es in der taz schon gestanden hat.

  6. @Mycroft:
    Habe mir auf jeden Fall vorgenommen, einen Cruise Film mit Originalton zu hören/schauen. Das wäre noch der letzte Anker, der mir einfiele, wie so ein Vergleich entstehen könnte.

  7. am meisten entsetzt mich ja, dass dieses längst heruntergekommene Mistblatt, das bis vor ca. 20 Jahren eine richtig gute Wochenzeitung und ein wichtiger Teil meiner journalistischen Lesesozialisation gewesen ist, mittlerweile neun Franken kostet. Das entspricht 200g sehr ordentlichem Schweizer Käse, die einem nur dann schwer im Magen liegen, wenn man sie auf einen Rutsch verputzt.

    Lieblingssatz: »Sein Artikel ist ungefähr so lang wie 13 „Bild“-Kolumnen, enthält aber nur so viele irre Gedanken wie eine.« Das dürfte symptomatisch sein für fast jeden ›Weltwoche‹-Artikel der letzten Jahre: mindestens 13x so lang wie der pöbelnde Rechtsaußen-Twitter- oder Facebook-Kommentar, dessen irren Gedanken er breitwalzt.

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