Angriffe auf Journalisten in Israel

„Es herrschte für einen Moment totale Anarchie auf den Straßen“

„Einen solchen Ausbruch an Gewalt im israelischen Kernland habe ich noch nicht erlebt“, sagt Yoav Zehavi. Tagelang habe er „Angst gehabt, auf der Straße erkannt zu werden“. Auch heute bewege er sich anders als vor dem Vorfall, sagt der israelische Reporter des israelischen Senders „Kan News“ im Gespräch mit Übermedien. Einige Kolleg:innen hätten von ihren Sendern Bodyguards gestellt bekommen.

Der Vorfall war ein Angriff auf offener Straße auf ihn und seinen Kameramann Rolan Novitzky Mitte Mai im Süden Tel Avivs. Zwei Männer attackierten sie, beschimpften Zahavi und Novitzky als „Linke“ und „Antisemiten“. Der Angriff wurde von Umstehenden gefilmt:

Es war ein besonders spektakulärer Vorfall. Allerdings längst nicht der einzige in den letzten Wochen, in dem Medienvertreter:innen angegriffen wurden.

Dass Israels Umgang mit der Pressefreiheit zum Teil bedenklich ist, wurde in den vergangenen Wochen häufiger thematisiert: So stellen viele internationale Medien infrage, ob die Zerstörung des Hochhauses in Gaza, dass unter anderem die Büros der renommierten Nachrichtenagentur Associated Press (AP) beherbergte, wirklich militärisch zu rechtfertigen ist. Laut den israelischen Streitkräften befand sich im Gebäude auch eine Geheimdienst- oder Kommandozentrale der Hamas. Kritiker:innen werfen Israel dagegen vor, Berichterstattung über zivile Opfer in dem dicht besiedelten Küstenstreifen möglichst unterdrücken zu wollen.

Ähnliche Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen gibt es auch im Hinblick auf die Berichterstattung aus den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten seit Jahren immer wieder.

Neu ist jedoch, dass rechtsradikale Schlägerbanden und paramilitärische Siedlergruppen auch in Israel selbst Reporter:innen bei der Arbeit attackieren: Nach Gewerkschaftsangaben wurden mindestens 20 Reporter:innen von solchen Mobs an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert – und zum Teil verletzt.

Polizei geht gegen Journalist:innen vor

Doch auch die Polizei hinderte Pressevertrer:innen während der Auseinandersetzungen zwischen jüdischen und arabischen Israelis teilweise mit Gewalt an der Berichterstattung. Nachdem ein palästinensischer Attentäter im umkämpften Jerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah versucht hatte, mit seinem Auto eine Straßensperre zu durchbrechen, ging die Polizei noch Stunden später gegen die anwesende Presse vor: Laut dem Fotografen Haim Goldberg, der die Szene auf Twitter dokumentierte, setzte die Polizei dabei auch Blendgranaten ein.

Ebenfalls in Sheikh Jarrah wurde bereits zu Beginn der Auseinandersetzungen dokumentiert, wie „Channel 12 News“-Reporter Moshe Nussbaum und andere Journalisten von der Polizei körperlich attackiert werden.

Laut „Reporter ohne Grenzen“ wurden in Jerusalem palästinensische und türkische Journalist:innen von israelischen Sicherheitskräften mit Tränengas und Blendgranaten angegriffen.

Attacken von organisierten Riot-Mobs

Die Täter, die Zahavi und seinen Kameramann Novitzky angegriffen hatten, wurden mittlerweile gefasst und angeklagt, wobei Staatsanwältin Rotem Neumann Wassermann in ihrer Anklage betonte, dass die besondere Schwere der Tat darin liege, dass sie demokratiegefährdend sei: „Die Angeklagten sind deshalb so gefährlich, weil sie Journalist:innen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einfach nur deswegen angegriffen haben, weil sie ihre Arbeit machten“, sagte sie.

Zwei Bilder von einem Angriff auf Journalisten in Tel Aviv
Screenshots: twitter.com/HShezaf

Laut Zehavi habe die verbale Gewalt in Sozialen Medien ihren Niederschlag in körperlicher Straßengewalt gefunden: „Es war eine Zäsur, sowohl in meinem Leben als auch in der Geschichte des Landes, wenn man mich fragt. Es herrschte für einen Moment totale Anarchie auf den Straßen.“

Während der jüngsten Auseinandersetzungen habe es eine neue Zahl an Schlägerbanden gegeben, sagt Zahavi, „die als ‚La Familia‘ durch die Gegend zogen, um Araber, Linke und alle, die sie dafür hielten oder die ihnen sonst nicht passten, anzugreifen – und die Polizei war nicht zu sehen“.

Vielleicht in Zukunft lieber Dokumentarfilme

„La Familia“, das ist eine landesweit bekannte rechtsradikale Fußball-Ultra-Gruppe von Beitar Jerusalem. Inzwischen gilt der Name als Synonym für rechtsradikale Straßenhooligans, auch wenn es sich bei „La Familia“ jenseits des Fußballbezugs um keine organisierte Gruppe in diesem Sinne handelt – und die meisten Schläger nichts mit der ursprünglichen Gruppe rund um den Verein zu tun haben. Gemeinsam sind ihnen aber strammer Nationalismus, anti-arabischer Rassismus, der Hass auf alles Linke, ein Hang zur Gewalt und häufig auch Verbindungen ins Rockermilieu und die organisierte Kriminalität.

Kameramann Novitzky ergänzte in einem Interview der amerikanischen Nichtregierungsorganisation „Committee to Protect Journalists“: „Ich wurde schon im September 2020 von 13-jährigen orthodoxen Jugendlichen in Bnei Brak (einem ultra-orthodoxen Wohnbezirk nahe Tel Aviv) angegriffen, die Steine auf uns und unser Auto warfen.“

Er sei im Syrien- und im Irak-Krieg tätig gewesen, aber „der Angriff in Tel Aviv könnte dazu führen, dass ich meine Tätigkeit als Nachrichten-Kameramann beende“, so Novitzky. Die Kamera ziehe Angriffe von allen Seiten an. Vielleicht mache er in Zukunft lieber Dokumentarfilme.

Der Sohn des Ex-Premiers als Anheizer

Die Gewalt gegen Journalist:innen wird nicht nur laut Zehavi unter anderem von Yair Netanyahu befeuert, den ältesten Sohn des nach zwölf Jahren gerade demokratisch abgelösten Ministerpräsidenten Benjamin „Bibi“ Netanyahu. Auch „Bibi“ selbst beschuldigte immer wieder Medienvertreter:innen, eine Art große Koalition mit seinen politischen Gegner:innen zu bilden, aber der Twitter-Account des 29-jährigen Yair, der studiert und einen Podcast hat, besteht zu großen Teilen nur aus Hass-Tiraden gegen Journalist:innen, die er des Verrats an Land und Leuten bezichtigt.

Dabei ist er sich nicht zu schade, auch auf antisemitische Verschwörungserzählungen zu rekurrieren. So teilte er 2017 unter anderem Inhalte, die die politischen Gegner seines Vaters als Puppen in den Händen des Milliardärs George Soros darstellten, der zum Objekt einer antisemitisch motivierten Weltverschwörungskampagne geworden ist. Die amerikanische Neonazi-Webseite „The Daily Stormer“ bezeichnete sich daraufhin als „Die #1 Fanseite von Yair Netanyahu“.

2019 bekundete Yair anlässlich der Europawahlen seine Unterstützung für rechte europäische Nationalisten wie Viktor Orbán, Matteo Salvini oder Nigel Farage.

Medienvertreter:innen als Feinde

Das ganze Vorgehen gleicht nicht zufällig dem von Donald Trump, an dessen Seite sich Regierungschef Netanyahu schon während des US-Wahlkampfs 2016 unverhohlen geworfen hatte. Wie bei den US-Republikanern sind in diesem Teil des rechten israelischen Spektrums mittlerweile Verschwörungstheorien und Angriffe auf demokratische Institutionen wie selbstverständlich Teil der Rhetorik.

Dabei spielen auch persönliche Motive eine Rolle, denn Netanyahu stemmt sich seit Jahren mit Händen und Füßen gegen einen Korruptionsprozess, für den er und sein Sohn wahlweise die Medien, die Polizei oder die Justiz verantwortlich machen, die letztlich alle von linken Kräften unterwandert seien. Die politische Immunität des Amtes bot lange einen gewissen Schutz vor Strafverfolgung, damit dürfte es nun vorbei sein.

Die unmittelbare Straßengewalt gegen Journalist:innen ist seit dem Ende der Kampfhandlungen wieder abgeflacht. Doch angesichts der bereits eingetretenen Verrohung des politischen Klimas ist zu befürchten, dass sie jederzeit wieder aufflackern könnte. Dass es um die Pressefreiheit in den palästinensischen Gebieten noch einmal schlechter bestellt ist, wirkt sich dabei auch auf die innerisraelische Situation aus: Sicherheitskräfte und Siedler:innen, die es gewohnt sind, Medienvertreter:innen als Störer:innen oder gar Feind:innen zu betrachten, ändern diese Sicht nicht unbedingt, wenn sie am israelischen Zivilleben teilnehmen. Hinzu kommen eine von Agitator:innen wie Netanyahu angestachelte Rechte, die sich an „Volksverrätern“ rächen will und religiöse Kräfte, die sich eine Einmischung weltlicher Medien in ihre Angelegenheiten ohnehin verbitten. Insgesamt keine gute Mischung.

2 Kommentare

  1. Danke für den Artikel! Diese Presse- und aus meiner Sicht damit auch Demokratie- und Bevölkerungs-feindlichen Tendenzen brauchen mehr Aufmerksamkeit.

  2. Israel ist das einzige Land, wo die Rechten „Antisemit“ als Beleidigung verwenden.

    Umgekehrt dachte ich immer, dass „Volksverräter“ als Wortspiel zu „Volksvertreter“ etwas Deutsches ist.

    Dass die Mediensituation dort nicht optimal ist, aber wenn ich unliebsame Berichterstattung _unterdrücken_ wollte, würde ich subtiler vorgehen, als ein Pressebüro zu bombardieren. Sie nicht?

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