Holger ruft an (30)

Wie war es, Claas Relotius zu interviewen, und wie schwer ist es, ihm zu glauben?

Reportagen-Cover: Erfundene Wirklichkeit. Waurm betrog uns Claas Relotius mit seinen Geschichten? Wir haben ihn gefragt.
Ausrisse: „Reportagen“

Im Dezember 2018 ist er aufgeflogen: Claas Relotius, der mehrfach preigekrönte „Spiegel“-Reporter. Wie sich herausstellte hatte Relotius etliche Reportagen gefälscht, vieles einfach erfunden. Aufgefallen war es niemandem, im Gegenteil: Viele fanden seine Texte ganz toll. Erst der freie „Spiegel“-Reporter Juan Moreno brachte den Skandal ins Rollen. Ein Skandal, der den Journalismus erschütterte, Vertrauensverlust beim Publikum inklusive.

Wieso hat Claas Relotius das gemacht? Was trieb ihn an? Alles nur für die Karriere? Oder ist er krank? Fragen, die sich seither stellten, nicht nur in der Branche. Doch Relotius selbst hat sich dazu nie geäußert – bis jetzt.

In dieser Woche veröffentlichte das Magazin „Reportagen“ aus der Schweiz ein langes, sehr langes Interview mit ihm. Relotius redet über seine psychische Erkrankung, über Erinnerungslücken und wie er versucht habe, innere „Ordnung zu schaffen“, indem er schrieb. Er sagt unter anderem:

„Ich hatte das Gefühl, beim Schreiben den Kontakt zur Realität zu behalten. Dass ich journalistisch jeden Realitätsbezug verliere, habe ich einfach ignoriert.“

90 Fragen haben Daniel Puntas Bernet, der Chefredakteur von „Reportagen“, und seine Kollegin Margrit Sprecher Claas Relotius gestellt. Es ist das Kondensat mehrerer Mails, Telefonate und Treffen, die bereits im vergangenen Sommer stattgefunden haben. Außerdem redeten die beiden mit Freunden und ehemaligen Kollegen von Relotius, hatten Einsicht in seine Krankenakte und Kontakt zu seinem Psychiater. Eine umfassende Recherche. Aber:

„Was kann man jemandem, der so viel gelogen hat, noch glauben?“

Auch diese Frage stellen die Reporter, vor allem sich selbst. Zumal auch „Reportagen“ gefälschte Geschichten von Relotius gedruckt hatte, also auf ihn reingefallen war. Das Interview ist Teil der eigenen Aufarbeitung und bringt in unserem Podcast, ganz zufällig, auch ein altes Trauma wieder zum Vorschein, Stichwort: Tom Kummer.

Aber weshalb gab Relotius gerade „Reportagen“ das erste Interview? Und wieso ist es überhaupt ein Interview und keine, naja, Reportage geworden? Über die ganze Recherche, den Umgang mit Zweifeln und Vorwürfe an Juan Moreno spricht Holger Klein in unserem Übermedien-Podcast „Holger ruft an…“ mit Daniel Puntas Bernet.

(Sie können den Podcast auch über die Plattform oder App Ihrer Wahl hören. Hier ist der Feed.)

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4 Kommentare

  1. Großartiges Interview – das von Holger meine ich. Etwas schade, dass die Kummer-Geschichte Holger neu war. Das war mein zweitgrößter Aha-Moment in den Interview. Der größte war, dass laut Puntas Bernet „wir“ entschieden haben, das als Interview zu machen. Da würde ich gerne wissen, wen dieses „wir“ einschließt. Die Redaktion. Oder auch Relotius selbst?
    Aber eigentlich bin ich nur hier um mal zu sagen: Danke für die Rubrik, Holgers Interviews sind inzwischen eines der Highlights auf Übermedien – zumindest, was die wiederkehrenden Beiträge angeht.

  2. Gibt’s das auch als Transkript? Ich würde all diese Podcasts soooo viel lieber lesen, als hören.

  3. @Anderer Max: Naja, die Podcasts sind ja extra auch für Leute, die lieber hören als lesen. Anders gesagt: Im Moment ist da nichts mit Transkription in Arbeit bei uns, sorry.

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