Gefährliches Gruppendenken

Die blinden Flecke des Wissenschafts­journalismus

Als US-Präsident Joe Biden vor einer Woche seine Geheimdienste aufforderte, binnen 90 Tagen einen Bericht über die Ursprünge des neuartigen Coronavirus vorzulegen, reagierte er auf immer lautere Stimmen: In den USA äußern längst nicht nur Parteigänger:innen des abgewählten Donald Trump Zweifel an der vorherrschenden These einer Zoonose, also einer Übertragung von Tieren auf den Menschen. So sagte auch Pandemie-Chefberater Anthony Fauci kürzlich, er sei von einem natürlichen Ursprung des Virus nicht restlos überzeugt.

Der ehemalige Redakteur des Wissenschafts-Ressorts der „New York Times“, Nicholas Wade, veröffentlichte Anfang Mai einen lesenswerten Artikel zu den möglichen Ursprüngen der Pandemie, wobei er einen Laborunfall für die wahrscheinlichste Ursache hält.

Als das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Geheimdienstquellen berichtete, mehrere Mitarbeiter:innen des Instituts für Virologie in Wuhan – der Stadt, in der die Seuche Ende 2019 ausgebrochen war – hätten vor dem Ausbruch mit Atemwegssymptomen Krankenhäuser aufgesucht, war das Maß für Biden offenbar voll. Um den Republikanern den Wind aus den Segeln zu nehmen, ordnete er die Untersuchung an.

Innerhalb kürzester Zeit reüssierte so eine These, die von den meisten seriösen Medien vorher als Verschwörungstheorie abgetan wurde. Bis vor kurzem sperrten Facebook und Twitter sogar Accounts wegen des Verbreitens von „Fake News“, wenn sie posteten, SARS-CoV-2 stamme aus einem Labor. Nun wird die These plötzlich sowohl im Politik- als auch im Wissenschaftsressort vieler Medien ausgiebig behandelt.

Wo ist der Zwischenwirt?

Dabei hat sich an den Fakten nichts geändert: Noch immer halten die meisten Expert:innen – darunter eine von der WHO beauftragte Forscher:innengruppe – einen tierischen Ursprung der Pandemie für am wahrscheinlichsten.

Doch einiges spricht aktuell auch gegen diese These, zum Beispiel die immer noch fehlende Quelle: Es ist zwar nicht ungewöhnlich, dass die Suche nach dem tierischen Ursprung einer Viruserkrankung Jahre oder Jahrzehnte dauert; Ebola und AIDS sind dafür häufig genannte Beispiele.

Aber bislang ist nicht einmal der vermutete Zwischenwirt gefunden worden, der das Virus auf Menschen übertragen haben könnte. Das ist bemerkenswert, denn bei den beiden vorigen Ausbrüchen von Atemwegserkrankungen durch neuartige Coronaviren war das deutlich schneller gelungen: Beim SARS-Ausbruch 2003 dauerte es gerade mal von März bis Mai, bis ein von der WHO eingesetztes, globales Forschungsnetzwerk das Virus in Exemplaren der Schleichkatzenart Fleckenmusang nachweisen konnte. Sie waren mutmaßlich von Fledermäusen infiziert worden.

Ein ähnliches Bild ergab sich 2012 im Nahen Osten beim Auftauchen des Middle East Respiratory Syndroms (MERS), ebenfalls hervorgerufen durch ein neuartiges Coronavirus. Wieder gelten Fledermäuse als der eigentliche Wirt; Zwischenüberträger aber sind Kamele. Erstmals wurde diese Vermutung im August 2013 in der Fachzeitschrift „The Lancet“ publiziert. Noch vor Ende des Jahres gelang der direkte Virus-Nachweis in einer Herde von Dromedaren in Katar.

Trotz der globalen Suche mit riesigem Forschungsvolumen und besseren technischen Möglichkeiten als in diesen Fällen fehlt bis heute bei SARS-CoV-2 ein Zwischenwirt.

Kaum Interesse an Ursachenforschung

Wuhan ist gut 1.500 Kilometer von den südchinesischen Regionen entfernt, in denen Fledermäuse in großer Anzahl heimisch sind. Dafür hat die Stadt ein Hochsicherheits-Labor, das führend an Coronaviren forscht. Dieser Zufallsbefund ist kein Beweis für irgendwas. Korrelation ist keine Kausalität: Die menschliche Geburtenrate und die Zahl der Storchenpaare mögen korrelieren, die Kinder bringt der Storch trotzdem nicht.

Es ist aber eine durchaus lohnenswerte Aufgabe für den Wissenschaftsjournalismus, sich der Frage des Ursprungs von SARS-CoV-2 unvoreingenommen zu widmen. Stattdessen wird mehrheitlich abgewiegelt: Die Suche nach dem Ursprung der Pandemie sei fruchtlos, meint zum Beispiel Andreas Sentker, geschäftsführender Redakteur der „Zeit“ und seit 1998 Leiter des Ressorts Wissen:

„Das Ziel von Seuchenfahndern ist es, Patient null zu finden, den ersten Menschen, der sich mit einer Krankheit infiziert hat. Bei Ebola dauerte diese Suche Jahrzehnte. Bei einer Krankheit, die weitgehend symptomlos übertragen werden kann, ist ein Erfolg nahezu ausgeschlossen.“

Das steht im bemerkenswerten Widerspruch zur durchaus erfolgreichen Suche bei SARS und MERS.

In der „Süddeutschen Zeitung“ findet Wissens-Redakteurin Berit Uhlmann, es handle sich um eine „Stellvertreterdiskussion“, die die wahren Probleme beim mangelhaften Umgang vieler Staaten mit der Pandemie verschleiere:

„Es wäre sehr viel zielführender, sich den bereits gut begründeten Lektionen aus der Pandemie zu widmen, anstatt sich in Spekulationen über den Ursprung zu erschöpfen. Nur so können künftige Gesundheitsbedrohungen abgewendet werden.“

Das ist eine erstaunlich wenig neugierige, um nicht zu sagen erkenntnisabgewandte Betrachtung einer Seuche, die bis Ende Mai 2021 3,5 Millionen Menschenleben gefordert hat. Es soll kaum eine Rolle spielen, ob der Erreger aus einem Labor mit Sicherheitslücken entkam oder aufgrund natürlicher Evolution auf den Menschen übersprang?

Im „Spiegel“ interviewt Julia Merlot den Hamburger Biologen Matthias Glaubrecht zum Thema. Der ist zweifelsohne ein Experte für Artenvielfalt (und ihr Verschwinden); seine bisherige Arbeit hat aber nichts mit der Erforschung und Synthese von Viren in Laboren zu tun.

Dennoch befragt Merlot ihn ausführlich zum Ursprung des neuartigen Corona-Virus, und natürlich neigte der Experte stark der Zoonosen-Theorie zu, die natürlich im Einklang mit seiner eigenen Forschung steht, wonach Artenvielfalt vor Pandemien schützen kann. Das ist sicher grundsätzlich nicht falsch, wie die SARS- und MERS-Beispiele zeigen, aber eben auch kein Beleg zum Ursprung des aktuellen Virus.

Experten mit Interessenskonflikten

Ziemlich einsam vertritt Birgit Herden im Wissens-Ressort der „Welt“ eine andere Auffassung und macht unter anderem auf Interessenskonflikte bei einem Teil der WHO-Forscher:innen aufmerksam.

Peter Daszak ist ein weltweit anerkannter Experte auf dem Gebiet neuer Krankheitserreger, die den Artensprung vom Tier zum Menschen schaffen. Schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt, im Februar 2020, organisierte er ein Statement von 26 prominenten Virolog:innen, die in der angesehenen Fachzeitschrift „Lancet“ erklärten, die Labor-These sei eine haltlose „Verschwörungstheorie“.

Und genauso behandelt eine überwältigende Mehrheit der Journalist:innen sie seitdem.

Daszak ist eine schillernde Figur: Zusammen mit der Leiterin des Virologie-Instituts von Wuhan, Zheng-Li Shi, hat er 18 Studien publiziert. Spezialisiert ist Daszak unter anderem auf sogenannte „Gain-of-Funktion“-Forschung (GoF), bei der natürlich vorkommende Viren im Labor rekombiniert werden und neue Funktionen erlangen. Noch im Dezember 2019 rühmte sich Daszak damit, man habe „über 100 neue mit SARS verwandte Corona-Viren entdeckt, von denen einige im Labor auf menschliche Zellen überspringen.“

Daszaks Interessenkonflikt als einer der WHO-Ermittler:innen zur Erforschung der Ursprünge von SARS-CoV-2 ist somit offensichtlich.

Doch bis vor wenigen Tagen war darüber im deutschen Wissenschaftsjournalismus praktisch nichts zu lesen. Auf Twitter drehte „Spiegel“-Autorin Merlot den Spieß in einer Diskussion mit einem Redaktionskollegen einfach um:

„Genauso wie man behaupten kann, Gain-of-Function-Experimentatoren argumentierten aus Eigeninteresse gegen die These, kann man behaupten, die Gegner der Versuche argumentierten aus Eigeninteresse dafür.“

Doch diese Gleichsetzung ist haarsträubend: Die GoF-Forschung wäre fundamental diskreditiert, wenn sich herausstellte, dass SARS-CoV-2 eines ihrer Produkte ist. Neben dem Entzug von Forschungsgeldern drohen Schadenersatzansprüche und sogar strafrechtliche Konsequenzen. Nichts davon droht demgegenüber den Gegner:innen solcher Experimente, sollte sich Covid-19 als Zoonose erweisen. Ihre Kritik bliebe bestehen, denn schließlich hat die GoF-Forschung im Gegensatz zu ihrem Versprechen die Welt nicht besser vor der nächsten Pandemie geschützt, sondern sich bislang im besten Fall als weitgehend nutzlos erwiesen.

Gruppendenken begünstigt Verschwörungserzählungen

Dass die Standard-Hypothese für das Aufkommen eines neuartigen Krankheitserregers eine Zoonose ist, hat gute Gründe. Denn die Beispiele sind so zahlreich wie prominent: AIDS, Ebola, SARS, MERS, Vogelgrippe, Schweinegrippe und viele mehr. Nach wie vor spricht daher auch sehr viel für diese These.

Doch das ist keine Entschuldigung, Widersprüche, Lücken und Interessenskonflikte von Wissenschaftler:innen unter den Tisch fallen zu lassen – oder zu behaupten, es sei doch gar nicht so relevant, woher das Virus komme.

Denn genau diese Art von Gruppendenken ist es, die Verschwörungsdenken begünstigt: Weil die Diskussion durchaus plausibler Alternativen aus den „seriösen“ Medien ferngehalten wird, entsteht der Eindruck, es werde kollektiv etwas verheimlicht. Das ruft dann regelmäßig fragwürdige Diskursteilnehmer auf den Plan.

Der Hamburger Physik-Professor Roland Wiesendanger ist dafür ein Beispiel. Seine „Studie“ zum Ursprung von SARS-CoV-2 sollte nachweisen, dass das Virus aus dem Labor in Wuhan stammt. Ich habe damals über eine Stunde mit Wiesendanger gesprochen und sein Papier anschließend als unzulänglich kritisiert.

Heute dürfte sich Wiesendanger (zu Unrecht) bestätigt sehen. Denn er verwies auf dieselben strittigen Punkte, die nun erneut zur Diskussion stehen, und zitierte über weite Strecken Arbeiten, die sich kritisch mit der GoF-Forschung auseinandersetzen. Seine Methode bestand jedoch aus willkürlichem Ineinanderkopieren von wissenschaftlichen Quellen, chinesischen Social-Media-Screenshots, der „Epoch Times“ und anderer Artefakte, die am Ende nur ein Sammelsurium darstellen, das nichts belegt.

Doch bereits damals gab es auch ein anderes Problem: Für tagesschau.de fragte ich ein halbes Dutzend renommierter Fachleute auf dem Gebiet an, ob sie Wiesendangers Papier einordnen. Ein einziger antwortete überhaupt, ohne explizit genannt werden zu wollen, und zwar in einer E-Mail mit zwei Sätzen. Es handle sich um eine „leidige Debatte“ und „‚theoretische‘ Möglichkeiten“, die „ohne Beweise an den Haaren herbeigezogen“ seien.

Wiesendanger machte den Fehler, sich allzu forsch auf ein anderes Forschungsfeld zu wagen, noch dazu mit einem zusammenkopierten Papier aus zum Teil fragwürdigen Quellen. Die Gegenseite machte den Fehler, ihn einfach abzuwatschen, statt die zweifelhafte Veröffentlichung als Symptom für eine Lücke im Diskurs zu sehen.

Das Problem, das beide Seiten hier haben, ist ein Pochen auf Autorität, die ein Diskurs, der von wissenschaftlichen Publikationen bis Twitter reicht, einfach nicht gewähren wird. Professor:innen sind es gewohnt, dass sie „dozieren“ (!) – und der „Hörsaal“ (!) zuhört. Kritische Nachfragen, zumal von Laien, aber durchaus auch von Kolleg:innen, werden da schon mal mit einem „Troll Dich!“ beantwortet, wie Christian Drosten kürzlich auf Twitter demonstrierte.

Wiesendanger zeigt bis heute völliges Unverständnis dafür, dass seine „Studie“ (die diesen Namen nicht verdient) nicht nur keine Meriten erntet, sondern sogar verlacht wird.

Journalist:innen als Wissenschaftsfans

Welche Rolle spielt der Wissenschaftsjournalismus in diesem Feld? Oft hat man den Eindruck, es handelt sich um kaum mehr als verlängerte Wissenschafts-PR. Vor allem dann, wenn führende Vertreter:innen des Feldes genau das propagieren: Mai Thi Nguyen-Kim, gefeierte YouTuberin, Bundesverdienstkreuz-Trägerin, Journalistin des Jahres 2020, Grimme- und Nannenpreisträgerin, erklärt in der „Zeit“ ihre Motivation. Als Donald Trumps Beraterin Kellyanne Conway von „alternativen Fakten“ sprach, habe sie gedacht:

„Ach du Scheiße, wir haben ein Problem. Ich war Wissenschaftlerin und merkte: Jetzt muss ich wechseln in die Wissenschaftskommunikation. Es ist eine politische Sache geworden, für Tatsachen einzustehen.“

Das ist insofern bemerkenswert, als dass dieser Seitenwechsel in keiner Weise problematisiert wird. In anderen Feldern wäre dies anders. Der Satz: „Ich war Politiker und merkte: Jetzt muss ich Lobbyist werden“, klänge sehr problematisch. Genauso wie: „Ich war Manager und merkte: Jetzt muss ich wechseln in den Wirtschaftsjournalismus.“

Dass dies beim Wechsel zwischen Wissenschaft, Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus nicht so ist, dass die Grenzen dazwischen sogar kaum definierbar zu sein scheinen, liegt unter anderem an einem äußerst positivistischen Wissenschaftsbegriff, wie er auch von Nguyen-Kim proklamiert wird: Ebenfalls in der „Zeit“ bemängelte sie, dass so getan werde,

„als wäre Wissenschaft verhandelbar. Aber Wissenschaft ist keine Demokratie. Das einzige, was zählt, ist die Stärke der Evidenz. In einem Video können wir dann aber auch genau das thematisieren und erklären, wie Wissenschaft funktioniert und warum Evidenz nicht immer stark genug ist, um ein Fazit zu ziehen. Es ist frustrierend, wie Wissenschaft zurzeit manchmal zur Kontroverse gemacht wird, das entspricht nicht der Realität.“

Stimmt das? Zu Fragen der Pandemie, die gleichzeitig eine globale politische, soziale und gesellschaftliche Krise ist, gibt es allzu oft noch keinen wissenschaftlichen Konsens, dem man einfach nur zu folgen bräuchte. So tobt zum Beispiel ein erbitterter Streit zwischen (grob vereinfacht dargestellt) Kinderärzt:innen auf der einen und Virolog:innen bzw. Epidemiolog:innen auf der anderen Seite zur Frage der Infektiosität von Kindern.

Aus den jeweils unterschiedlichen wissenschaftlichen Befunden ergeben sich entsprechend unterschiedliche Perspektiven: Die meisten (aber nicht alle) forschenden und praktizierenden Kinderärzt:innen plädieren für ein Ende der Beschränkungen für Kinder, weil sie die gesellschaftlichen Folgen von Schul- und Freizeitschließungen für deutlich gravierender halten als deren Infektionen. Für viele (aber nicht alle) Virolog:innen und epidemiologischen Modellierer:innen sind Schulschließungen bei bestimmten Inzidenzen dagegen unumgänglich.

Wenn sich Forscher:innen, die der „NoCovid“-Initiative angehören, darüber beschweren, dass die Politik beim Thema Lockdown-Maßnahmen nicht mehr auf „die Wissenschaft“ höre, dann ist dies nur die halbe Wahrheit: Es gibt durchaus andere wissenschaftliche Meinungen, neben den erwähnten Kinderärzt:innen zum Beispiel auch noch die Gruppe um den Virologen und Epidemiologen Klaus Stöhr oder Hendrik Streeck, den Direktor des Institutes für Virologie der Universität Bonn.

Wer darf an der Debatte teilnehmen?

Diesem Dilemma lässt sich auch nicht dadurch entkommen, dass man die Zahl derjenigen, die sich legitimerweise zur Pandemie äußern sollten, auf immer engere Fachkreise begrenzt, wie es zum Beispiel Volker Stollorz vorschlägt, Wissenschaftsjournalist des Jahres und Leiter des Science Media Centers.

Auch Stollorz bemüht das Diktum, wonach „Wissenschaft keine Demokratie“ sei. Zum Jahreswechsel schrieb er in der „Zeit“, es hätten

„vor allem Wissenschaftsjournalisten in Qualitätsmedien seit Beginn des Ausbruchs gewissenhaft Evidenz geprüft, Experten nach fachlichen Kriterien ausgewählt und unabhängig eingeordnet, was die Forschung zum jeweiligen Zeitpunkt der Pandemie über das Coronavirus wusste. (…) Doch im Gewirr der vielen lauten Stimmen und verwirrenden Nachrichten, gemischt mit politisierten Debatten ging verlässliches Wissen vielfach unter.“

Als Beispiel führt Stollorz Hendrik Streeck an, den er als „HIV-Experten“ tituliert, der von Medien vor allem deswegen attraktiv geworden sei, weil er „erwünschte Botschaften“ von Lockerungen gesendet habe.

Dass Streeck mit seiner Arbeit in Gangelt eine der ersten breit angelegten epidemiologischen Studien zu Covid-19 durchführte, dass er als erster darauf hinwies, dass Geruchs- und Geschmacksverlust Leitsymptome seien, dass die Studie renommiert publiziert und bis heute weitgehend unangefochten zitiert wurde, lässt Stollorz einfach unter den Tisch fallen. Stattdessen nennt er Streeck in einem Atemzug mit „selbst ernannten Pseudoexperten in sozialen Netzwerken“.

Doch es ist nicht an Journalist:innen, auch nicht an Wissenschaftsjournalist:innen, selbst zu entscheiden, wer ein genehmer Virologe ist. Hendrik Streeck mag eine andere Sichtweise auf die Pandemie haben, er mag unter Gesichtspunkten einer radikalen Eindämmungsstrategie falsch liegen, aber ob er deswegen „unwissenschaftlich“ argumentiert, muss die Wissenschaft klären.

Solange er aber seines Bonner Lehrstuhls für Virologie nicht enthoben ist, so lange ist er ein legitimer wissenschaftlicher Diskursteilnehmer, ob es Stollorz oder Nguyen-Kim, anderen Journalist:innen oder einer Twitter-Blase passt oder nicht. Die „Politisierung“, die Stollorz wie Nguyen-Kim beklagen, betreiben sie zu nicht unerheblichen Teilen selbst.

Fachfremdheit ist nicht immer ein Ausschlusskriterium

Denn wenn es Wissenschaftsjournalist:innen passt, werden fachfremde Forscher:innen durchaus bemüht. Besonders eindrücklich ist hier das Beispiel des Berliner Physikers und Modellierers Kai Nagel, der eigentlich Verkehrsforscher ist. Dessen Modellierungen, die auf Verkehrsdaten beruhten, wurden breit zitiert, erwiesen sich jedoch als viel zu hoch gegriffen. Zudem verstieg sich Nagel zu apodiktischen Aussagen, wonach gewisse Szenarien gar nicht mehr zu verhindern seien. Dennoch war er von „Spiegel“ bis „Zeit“ ein gefragter Experte, während man den Virologen Streeck, der auf die Saisonalität des Virus aufmerksam machte, zur persona non grata erklärte.

Bis heute können die daran Beteiligten ihre Fehler übrigens nicht zugeben. So argumentierte Olaf Stampf, der Leiter Wissenschaft und Technik des „Spiegel“, in Deutschland hätten „alle Maßnahmen zusammen und die Verhaltensänderung der Menschen gewirkt“.

Doch dafür gibt es keinen Beleg: Die Infektionszahlen wiesen bereits vor Inkrafttreten der Bundesnotbremse eine Seitwärtsbewegung auf und begannen nur vier Tage später deutlich zu fallen.

Ein viel zu kurzer Zeitraum, um dieses Abfallen auf die Notbremse zurück zu führen. Und eine merkwürdige Interpretation, da „die Wissenschaft“ seit über einem Jahr predigt, die Wirksamkeit von Maßnahmen zeige sich frühestens nach zehn Tagen. Zudem weisen ebenso lange propagierte Indikatoren wie eben die Mobilität gar keine signifikante Änderung auf, wie Stampfs Kolleg:innen ebenfalls im „Spiegel“ ausführen.

Der ewige Hinweis auf das vermeintliche „Präventionsparadox“ gleicht so einer sich immer selbst erfüllenden Prophezeiung: Wenn modellierte und medial verbreitete Infektionszahlen unterboten werden, wurde offenbar genug auf „die Wissenschaft“ gehört. Wenn nicht, wurde „die Wissenschaft“ leider ignoriert.

Die neuen Gatekeeper

Ein Mantra des Wissenschaftsjournalismus lautet, dass man Expertise in den Redaktionen brauche, da sonst absolute Außenseitermeinungen gleichrangig neben den wissenschaftlichen Konsens gestellt würden (die sogenannte false balance).

Doch was, wenn Gruppendenken zu ganz anderen Fallstricken führt? Der Epidemiologe Stöhr, der keineswegs allein agiert, sondern mit einer ganzen Gruppe wissenschaftlicher Unterstützer:innen, wird vom etablierten Wissenschaftsjournalismus nach Stollorz weitgehend ignoriert. Ein Forum bieten hier vor allem die Publikationen des Springer-Verlags, was die vorhandenen Gräben weiter vertieft.

Doch sollte sich Wissenschaftsjournalismus nicht lieber der kritischen Diskussion seines Feldes widmen, statt eine merkwürdige Art von Gatekeeping zu betreiben, indem man entscheidet, wer als Expert:in genehm und welches Thema diskussionswürdig ist?

Die Themen, die der Wissenschaftsjournalismus während der Pandemie maximal stiefmütterlich behandelte, sind meiner Meinung nach jedenfalls zahlreich:

  • So fehlt zum Beispiel eine intensive Beschäftigung mit der Saisonalität der Virulenz von SARS-CoV-2, die offensichtlich eine weit größere Rolle spielt, als von fast allen Modellen eingepreist. Dazu gibt es zahlreiche belastbare Studien. Warum werden sie von einem engagierten Geographen wie Thomas Wieland auf Twitter so viel substanzieller erläutert als vom deutschen Wissenschaftsjournalismus in den größten Titeln des Landes?
  • Kritik an der desaströsen Datenlage in Deutschland, die zum Beispiel nach wie vor kaum Aussagen über die Soziodemografie der Pandemie zulässt, kommt bislang vor allem von Datenjournalist:innen, aber kaum aus den Wissenschaftsressorts. Warum?
  • Wo gab es die dezidierte Auseinandersetzung mit den statistischen Problemen der Drosten-Studie zur Infektiosität von Kindern, die nun publiziert wurde – und die entsprechenden Probleme korrigiert hat? Schon diese Debatte überließ man seinerzeit leichtfertig der „Bild“. Der Statistik-Professor Dominik Liebl spricht auf Twitter von einer „diskursvernichtenden Berichterstattung“ der „Bild“. Dem möchte ich nicht widersprechen, aber dazu gehören eben zwei Seiten: Die Skandalisierung durch „Bild“ – und der Wissenschaftsjournalismus, der zu eng an seinem Sujet ist, um eine kritische Distanz (in diesem Fall zur Koryphäe Drosten) zu entwickeln.
  • Wenig erfährt man auch über das Geschäft mit der Wissenschaft: Was bedeutet die Publikations-Explosion zehntausender Corona-Studien im Hinblick auf die Qualität? Wie steht es mit dem Wettlauf um Gelder, Fördermittel und -töpfe?
  • Warum werden Geistes- und vor allem Sozialwissenschaften derart wenig in die Pandemie-Expertisen des Wissenschaftsjournalismus eingebunden? Oder ist „Wissenschaft“ in diesem Sinn implizit die Gleichsetzung mit „Naturwissenschaften“?

Denn wem oder was dient Wissenschaft eigentlich, wenn nicht zumindest demokratischen Werten? Selbstvergessen scheinen einige prominente Wissenschaftsjournalist:innen zu ignorieren, dass Wissenschaft durchaus dienstbar gemacht werden kann: Sei es für chinesische Staatsinteressen, die Entwicklung einer Atombombe für militärische Supermächte oder für die Hamburger Staatsanwaltschaft. Die ermittelt immer noch gegen den Profi-Fußballer Bakery Jatta, der angeblich unter falscher Identität lebt und kickt. Ihr helfen dabei bereitwillig Forscher:innen vom Institut für Biologische Anthropologie der Universität Freiburg, die Bewegungsabläufe anhand aktueller Videos von Jatta mit alten Aufnahmen vergleichen. Die Wissenschaft dahinter mag jeweils „wahr“ sein, interessenlos oder unpolitisch ist sie keinesfalls.

Um nicht missverstanden zu werden: Es liegt mir fern, Wissenschaftsbashing zu betreiben, wie es derzeit am rechten Rand des politischen und publizistischen Spektrums üblich ist. Aber wer glaubt, die Wissenschaft folge einem interesselosen „Konsens“, der gewissermaßen das Ideal des Wahren, Schönen und Guten erfülle, verkennt leider die realen Bedingungen ihrer Existenz.

Wenn Wissenschaftsjournalismus das politisch und gesellschaftlich immens wichtige Korrektiv sein will, das einige seiner prominentesten Vertreter:innen in ihm offenbar sehen, dann muss er in diesem Sinne politischer werden. Es reicht schlechterdings nicht, „Wissenschaftskommunikation“ mit Journalismus zu verwechseln.

Wer Porträts von am Robert-Koch-Institut forschenden Epidemiologen zeichnet, die zur Illustration umrahmt von Afrikanern in kaum verhohlener Heldenpose nach verborgenen Viren suchen, betreibt leider bestenfalls PR, aber eben keinen Journalismus im engeren Sinn.

Man kennt diese Art der Bewunderung des Objekts der Berichterstattung ansonsten vor allem aus dem Sportteil, wenn Reporter:innen als sprichwörtliche Fans, die es auf die andere Seit der Absperrung geschafft haben, ihre Stars porträtieren. Doch darin liegt ein Grund, warum von Doping-Skandalen bis zu sexuellem Missbrauch im Kinder- und Jugendsport die Aufklärung in aller Regel nicht vom Sportjournalismus ausging.

Sollte sich zum Beispiel entgegen aller Wahrscheinlichkeit herausstellen, dass SARS-CoV-2 ein aus dem Labor entsprungenes Pathogen ist, das es ohne menschengemachte GoF-Forschung nie gegeben hätte, dann hätte der seriöse Wissenschaftsjournalismus sehr gut daran getan, diese These ausführlich zu diskutieren, statt einfach vorschnell den „Verschwörungs-Stempel“ drauf zu machen. Das bedeutet nicht, dass es auch schlichtweg unqualifizierte Meinungen gibt, die man als solche benennen kann und muss.

Statt ein „Folgt der Wissenschaft!“ zu proklamieren, das am Ende doch nur die Wissenschaft meint, der man selbst gerade am liebsten folgen möchte, wäre es besser, wenn Wissenschaftsjournalismus es sich zwischen allen Stühlen unbequem machen und das Objekt seiner Berichterstattung genauso kritisch befragen würde, wie es die meisten Kolleg:innen und die Öffentlichkeit vom Politikjournalismus auch erwarten. Leichter wird das Geschäft dadurch nicht. Doch alles andere ist eben PR.

Mit Dank an Lorenz Matzat.

Korrektur, 4. Juni. Ursprünglich hieß es im Text, Volker Stollorz sei ebenfalls Träger des Bundesverdienstkreuzes. Das stimmt aber nicht. Wir haben es korrigiert.

Nachtrag, 17. Juni. Franco Zotta, Geschäftsführer des Verbandes der Wissenschaftsjournalisten, antwortet hier auf die Kritik.

26 Kommentare

  1. Hallo,
    nach meinem Eindruck setzt Andrej Reisin hier das ein oder andere Strohmannargument, welches in der Wissenschaft so nie behauptet wird, aber hier widerlegt wird. Als Beispiel am Schluss der Satz: „Folgt der Wissenschaft.“. Das hat schon Dieter Nuhr Greta Thunberg falsch übersetzt. Und jede und jeder ernsthaft WissenschaftlerIn würde das nicht sagen. Es heisst: „Hört auf die Wissenschaft“. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Mai Thi, und nicht nur sie, hat recht, wenn sie sagt, dass Wissenschaft keine Demokratie ist. Die wissenschaftliche Methodik, der wissenschaftlich-kritische Diskurs, ist das, was Wissenschaft verlässlich macht. Nicht eine Einzelmeinung einer oder eines WissenschaftlerIn. Das heisst nicht, dass in der Wissenschaft alles schick wäre. Der Wissenschaft aber den Publikationsdruck und schnell auf den Markt geworfene Studien vorzuwerfen wäre ungefähr so, als wenn man jemandem den Erwerb eines Führerscheins verweigert und ihn oder sie danach dafür verantwortlich macht, nicht autofahren zu können.
    Mein Eindruck ist, den ich natürlich nicht mit harten Daten belegen kann, dass im politischen Journalismus und im Feuilleton wissenschaftliche Methodik ein Fremdwort zu sein scheint. Gerade in der Pandemie erschien mir das wie unter einem Vergrößerungsglas. Dazu habe ich das Gefühl, dass solche JournalistInnen in ihrem Selbstverständnis tief gekränkt scheinen, dass sie auf einmal nicht mehr gefragt werden, wie die Welt funktioniert. So wie vormals: „es gibt einen wissenschaftlichen Konsens auf Gebiet A. Egal, ich ordne das so für mein Publikum ein, wie ich es nach meiner gefühlten Wahrheit und Weltsicht für richtig halte.“
    Die wissenschaftlichen Ergebnisse einordnen, ohne Ahnung von Methodik und Studiendesign zB. zu haben? Schwierig.
    Irgendwelche „ExpertInnen“ in Talkshows einladen oder anderweitig befragen, die eine in der Wissenschaft abseitige Ansicht vertreten, kommt immer gut an. Man kann medial einen Streit und einen vermeintlichen Dissens in der Wissenschaft inszenieren. Kritik als Selbstzweck, weil das halt im politischen Journalismus und in der Kunstkritik halt so gemacht wird? Und dabei wird vergessen, solche abseitigen ExpertInnen tatsächlich kritisch zu hinterfragen, woher sie denn ihre Erkenntnisse haben. Eine steile These von mir: wir wären in der Klimafrage schon längst viel weiter, wären MedienvertreterInnen ihrer Verantwortung in der Berichterstattung und Informationspflicht (kann man das so sagen?) schon sehr viel weiter. Einordnen täte hier schon lange not. Aber bitte nicht von politischen JournalistInnen, die einem logischen Fehlschluss nach dem anderen aufsitzen. Nein, wenn durch WissenschaftsjournalistInnen, die den Namen auch verdienen. Ich habe das Gefühl, dass die mit der Reduzierung der Wissenschaftsradktionen wegen des Spardrucks mehr zu Erklärbären degradiert wurden. Vielleicht auch deswegen, weil politische JournalistInnen und solche die sich sonst den Künsten verpflichtet fühlen, solch ein überbordendes Selbstbewusstsein haben, dass sie in Fragen, von denen sie keine Ahnung haben, auch noch was dazu sagen müssen. Dunning-Kruger lässt grüssen. Ich gebe zu, da bekomme ich Blutdruck.
    Nochmal zurück, was Adrei Reisin zu Herrn Wiesendanger gesagt hat. In meiner Informationsblase sagt niemand, dass er sich zB. nicht äussern dürfe als Fachfremder. Auch wird ein nicht natürlicher Ursprung des Virus nicht gänzlich ausgeschlossen. Bei Wiesendanger ist das Problem, dass er einen wissenschaftlichen Anspruch mit „seiner Studie“ vorgibt, die sie nicht hat. Dazu wird sie über die Uni Hamburg verbreitet, mit dem Zusatz „Studie“. Da hat Herr Reisin recht, wenn er diese Studie wegen der Methodik usw. kritisiert.
    Nur um dann wieder einen Strohmann zu setzen, dass der wissenschaftliche Konsens ja das einzig Schöne und Wahre sei, wie es die Wissenschaft angeblich behauptet. Das kann man nicht so stehen lassen. Hier wird etwas skandalisiert, wo es keinen Skandal gibt. Man müsse da kritisch draufschauen von aussen, alles andere wäre PR. Nein Herr Reisin. Eben nicht. Kritik um der Kritik Willen, ohne die Kenntnis der wissenschaftlichen Literatur auf einem Gebiet und ohne die Kenntnis, wie der Konsens zustande gekomnen ist, hat keinen Mehrwert.
    Damit macht sich Journalismus nur wichtig. Darüberhinaus negiert diese Art des Journalismus auch komplett eine mögliche Kompetenz des Publikums, so etwas auch selbst einordnen zu können.
    Es liegt auch nicht an der Wissenschaft, dass vermeintlich „nur“ Naturwissenschaften gehört werden. Dafür die Wissenschaft zu kritisieren ist ein weiterer Strohmann. Genau das wird in der (Natur)-Wissenschaft nach meinem Wissen gefordert. Auf einem anderen Feld, der Klimaforschung, empfehle ich dem Autor mal einen Blick nach Potsdam zum PIK.
    Das ist ein politisches Problem, wie Wissenschaftsberatung auszusehen hat. Das könnte Journalismus kritisieren.
    Es kann ja nicht sein, dass sich jeder Politiker und jede Politikikerin, jede Fraktion „ihren“ wissenschaftlichen Favoriten aussucht, weil der oder die so schön die eigenen politischen Ziele bestätigt. Das der Wissenschaft vorzuwerfen ist gerade zu absurd.
    Schauen wir doch nach England zB. Da läufts strukturierter ab.
    An der Stelle die Politik zu kritisieren wäre das Gebot für den Journalismus.
    Noch ein Wort zu Streeck. Niemand, zumindest wieder in meiner Infoblase, kritisiert ihn wegen seiner wissenschaftlichen Arbeit. Hier nur fachlich aber nicht persönlich. Er beschreibt aber mit seinen öffentlichen Auftritten die Demarkationslinie zwischen seriös und schwurbel. Nur damit man mich nicht falsch versteht, Hendrick Streeck ist natürlich alles andere ein Schwurbler.
    Was ich mir allerdings von kritischem (wissenschafts-) Journalismus erwarte ist, dass so etwas eingeordnet wird. Er betreibt sozusagen PR. Medial wurde Streeck benutzt, um politischen JournalistInnen eine Rechtfertigungsgrundlage für ihre Interpretation der Realität zu liefern. Das hat nichts mit „kritisch“ zu tun, sondern hier gehts um die Deutungshoheit im Diskurs.
    JournalistInnen, kommt runter von eurem hohen Ross.
    Danke fürs Lesen und viele Grüße.

  2. Hm.. also, ich habe im vergangenen Jahr immer wieder mal im wissenschaftskommunikativen Journalismus von der Laborthese gehört und die Aussage war stets: „Könnte sein, ist nicht unbedingt wahrscheinlich, gibt im Moment aber keine definitiven Erkenntnisse.“ Es wurden auch ein paar Details besprochen und gewissermaßen spekuliert, so hab ich z.B. auch von dem Labor in Wuhan gelesen oder gehört. Das nur mal so ein Eindruck aus meiner Konsumentensicht.
    Ich sehe da nicht unbedingt den blinden Fleck, der den Autor dazu ermutigt einen laaaangen Rundumschlag gegen die gesamte Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Zumal das ein gesellschaftlich und auch politisch relevanter Aspekt wäre, wo man vielleicht nicht unbedingt vorschnell „Der Chinese wars“ rufen sollte, wenn es keine gesicherte Evidenz gibt.
    Auch andere Dinge, die hier aufgezählt werden, habe ich so nicht wahrgenommen im letzten Jahr. Mailab hat z.B. in einem Video auch ausführlich über die Funktionsweise und auch die Schwächen der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung gesprochen und welche Folgen das für die Kommunikation von Wissenschaft hat. Die Kritik an Drostens Preprint (!) seinerzeit habe ich auch abseits von Springer gelesen. Woher die Kritik an Streeck kommt, wurde auch in Übermedien thematisiert – kann man sicher drüber streiten, aber die Gründe sind jetzt nicht so ein großes Mysterium.

    Sehr wahrscheinlich gibt es viele Dinge, die in der WissKom anders und besser laufen könnten, aber die hier aufgeführten Beispiele und Zusammenhänge überzeugen mich nicht.

  3. Frage mich immer, ob es nicht paradox ist, einerseits zu sagen, Wissenschaft sei keine Demokratie, sich andererseits aber auf wissenschaftlichen Konsens zu berufen. Natürlich wäre Wissenschaft damit immer noch keine wirkliche Demokratie, weil nur Expertenmeinungen zählen, dennoch wird dabei implizit das demokratische Mehrheitsprinzip angewandt.

  4. Was für ein heilloses Durcheinander aus Vernünftigem, Fragwürdigem und ziemlichem Unfug. Diesen Text aufzuräumen wäre wohl schwieriger, als Ordnung in ein durchschnittliches Teenagerzimmer zu bringen.

    Wenn Nguyen-Kim völlig zu Recht darauf hinweist, dass Wissenschaft keine Demokratie ist, dann wendet sie sich doch nicht gegen eine adäquate wissenschaftsjournalistische Darstellung wissenschaftlicher Kontroversen! Das macht sie ja schließlich selber, und meistens besser als die meisten ihrer Kolleg*innen.

    Zum Ursprung des Virus heißt es wissenschaftsjournalistisch meistens: Vermutlich Zoonose, Laborunfall nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Als (oft verschwöhrungstheoretisch angehauchter) Quatsch wird in der Regel – und wiederum zu Recht – nur benannt, wenn sich jemand hinstellt und behauptet: Ganz klar, das war ein Laborunfall!

    Sollte sich irgendwann herausstellen, dass das Virus tatsächlich aus einem Labor entfleucht ist, würde das die frühere wissenschaftsjournalistische Darstellung keineswegs entwerten. Es hätte sich dann halt die Faktenlage ändert. Man kann aber nicht die Faktenlage von morgen voraussehen, sondern nur die heutige angemessen darstellen.

    Bei seinem liebsten Denkmalsturmziel Drosten hätte Herr Reisin auch erwähnen können, dass der sich für seine Wortwahl gegenüber seinem RKI-Kollegen entschuldigt hat. Naja.

    „Warum werden Geistes- und vor allem Sozialwissenschaften derart wenig in die Pandemie-Expertisen des Wissenschaftsjournalismus eingebunden?“

    Tja, warum befragt man bei einer Viruspandemie hauptsächlich Virologinnen und Epidemiologen, und nicht zum Beispiel Soziologen? Ob es vielleicht am Thema liegt?

    „Aber wer glaubt, die Wissenschaft folge einem interesselosen „Konsens“, der gewissermaßen das Ideal des Wahren, Schönen und Guten erfülle, verkennt leider die realen Bedingungen ihrer Existenz.“

    Dieser merkwürdige Satz könnte in seiner Verdrehtheit pars pro toto für den gesamten Text stehen. Wissenschaft folgt keinem Konsens, sondern erzeugt ihn. Mit dem Wahren hat dieser Konsens insofern zu tun, als er (zumindest idealerweise) die zum jeweiligen Zeitpunkt größtmögliche bzw. wahrscheinlichste Annäherung an die Wahrheit darstellt. Gut und schön sind dagegen hier ziemlich abwegige Kategorien.

    Wer behauptet, wissenschaftlicher Konsens sei grundsätzlich interesselos, weiß ich nicht – jedenfalls folgt daraus, dass er das nicht ist, keineswegs, dass er falsch ist. Dennoch eröffnet sich mit dem Hinweis auf Interessen und die realen Bedingungen des Wissenschaftsbetriebs, auch konkret am Beispiel der GoF-Forschung und ihrer Gegner*innen, schon wieder ein diskussionswürdiges Feld. Aber wer hat dazu noch Lust nach dem ganzen Kuddelmuddel? Ich jedenfalls nicht.

  5. Autor: „Noch im Dezember 2019 rühmte sich Daszak damit, man habe „über 100 neue mit SARS verwandte Corona-Viren entdeckt, von denen einige im Labor auf menschliche Zellen überspringen.“

    Gibt es dafür eine Quelle?
    Danke!

  6. Was Earendil sagt. Irgendwie gut angefangen aber als es konkret wurde habe ich eigentlich alle Kritikpunkte anders wahrgenommen.

    Ich werfe hier mal den Punkt Anbiguitätstoleranz ein. Soweit ich das sehe haben Drosten, Nguyen-Kim und andere das ganz klar gesagt, dass man viele Dinge nicht weiß, aber nach ihrer Einschätzung tendiert es eher zu A oder B. Wenn man daraus jetzt nur eine schwarzweiß-Antwort ableiten kann oder will, dann wird das nichts.

  7. @ erwinzk #6
    „haben Drosten… das ganz klar gesagt, dass man viele Dinge nicht weiß, aber nach ihrer Einschätzung tendiert es eher zu A oder B“
    Drosten hat im Interview mit dem NDR über die in dieser Debatte zentrale Laborthese von Luc Montagnier gesagt:
    „Es ist schwierig für einen aktiven Wissenschaftler in der Virologie zu sagen, dass ein Nobelpreisträger im Fach Virologie Unsinn verbreitet. Aber das ist kompletter Unsinn…“
    Es wäre eine groteske Beschönigung hier von Nichtwissen und einer Tendenz in der eigenen Einschätzung zu sprechen.
    Ein endgültigere (und anmaßendere) Aussage ist kaum denkbar. Deshalb ist es unmöglich, die Laborthese neu zu diskutieren, ohne gleichzeitig die Idee von Drostens Wissenschaftlichkeit und Seriosität zu opfern.

  8. Ich finde es grundsätzlich merkwürdig, dass hier jetzt so ein Beitrag veröffentlicht wird. Wir hatten das Thema bei Übermedien bereits mehrfach, nicht nur im Artikel
    „Medien kaufen Uni wüste Materialsammlung als brisante Corona-Studie ab“.
    Was unterscheidet diesen Artikel und seine Quellen jetzt genau von einer „wüsten Materialsammlung“ wie bei Wiesendanger?
    Ganz bescheiden möchte ich mal erwähnen, dass ich mich im Juli 2020 in Kommentar #39 unter einem Artikel erdreistet habe, die ‚Laborthese‘ von Luc Montagnier als keineswegs widerlegt zu bezeichnen.
    Darauf ist der übliche Shitstorm der empörten Stefan Pannor („Montagnier wurde inzwischen mehrfach widerlegt“,“Dunning-Kruger und so“) und Micha („Kommt der Müller bald mit QAnon?“) über mir niedergegangen.
    Das ist genau die Art und Weise, wie hier und anderswo im Journalismus über wissenschaftliche Fragen berichtet und debattiert wird.
    Apropos:
    „Nicholas Wade, veröffentlichte Anfang Mai einen lesenswerten Artikel zu den möglichen Ursprüngen der Pandemie, wobei er einen Laborunfall für die wahrscheinlichste Ursache hält“
    Damit wäre im Mai 2021 Journalist Wade wieder nahe an der These des Wissenschaftlers Montagnier vom April 2020. Warum schafft es dieser Artikel trotzdem, Montagnier nicht einmal zu erwähnen?

  9. @ #4: in der Tat!

    ich will mich deshalb auf einen Punkt beschränken, den ich in dieser gesamten Debatte (die ich allerdings nicht systematisch verfolge) bisher nirgends thematisiert gefunden habe: Was hat man tatsächlich geklärt, wenn man herausfände, dass die Ursprungsinfektion tatsächlich im Labor in Wuhan stattgefunden hätte? Eigentlich doch nur eins: dass da vermutlich nachlässig mit Sicherheitsmaßnahmen umgegangen worden ist.

    Denn auch das wäre noch weit entfernt von einem Beweis für die These, dass es sich um ein im Labor zusammengebasteltes Virus handelt (wie z.B. Montagnier behauptet hat). Die Provenienzforschung finge ganz im Gegenteil noch einmal von vorne an: Wildtyp, der als Virensample ins Labor gekommen ist? zoonotische Variante, die in einem Zwischenträger entstanden und ins Labor gekommen ist? GoF-Forschungsunfall? Einziger (und zweifelsohne nicht unbeträchtlicher) Vorteil wäre, dass man nun wüsste, wo man mit der Suche anzufangen und vor allem wo man weiterzusuchen hätte.

    Und was in der Regel auch vergessen wird: die Frage nach der Rolle des Labors ist eben auch nicht *nur* eine wissenschaftliche, sondern war von Anfang an eine politische – Stichwort ›China virus‹ – und vieles mehr. Diese Kontamination der Debatte ist m.E. mindestens so wichtig wie die virologische Herkunftsfrage. Dabei würde sich sehr wahrscheinlich bald herausstellen, dass schon die Unterscheidung von wissenschaftlichen, politischen etc. Fragen auch in diesem Fall gar nicht so einfach ist, wie die holzschnittartige Gegenüberstellung es gerne hätte. Und ja, solche Problematisierungen würde ich von einem qualitativ hochwertigen Wissenschaftsjournalismus durchaus erwarten. Ich selber habe meinen Latour gelesen, aber man will doch substantielle Information auch für Nicht-Fachöffentlichkeiten beziehungsweise Leute ohne derart eigenartige Hobbies, oder? Dass all das sicher nicht nur eine Frage für Virologen ist bzw. eine, die man sich nur von Virologen beantworten lassen kann – darin stimme ich Herrn Reisin deswegen uneingeschränkt zu.

  10. Für solche Artikel lese ich Übermedien!
    Ich sage es mal auf neudeutsch: eine geile pointierte Zusammenfassung aus den Versatzstücken des medial publik gewordenen Diskurses der letzten 1 1/2 Jahre hier in der BRD zu Covid 19.
    Ich erinnere mich noch an den Anfang der Pandemie, als die Journalistengranaten hier: https://uebermedien.de/48445/wer-nur-fragt-bleibt-dumm-augstein-fleischhauer-und-die-kalkulierte-ignoranz/ sich über die Kurven lustig machten. Das offenbarte das mentale Takatukaland , in das sich der Journalismus in den letzten 30 Jahren hineingearbeitet hat – goutiert vom Konsumenten einer Gesellschaft, die genug zu fressen hat und ansonsten nur die viel beschworenen Gefahren kennt, dass das Boot zu voll werden droht – denn ließe sich anders damit Geld verdienen?
    Jetzt hat der gemeine Journalismus die Wissenschaft mal wieder entdeckt und stolpert über triviale Erfahrungen von Erkenntnis zu Erkenntnis. Diese Zitat: „Aus Diskussion seriöser medien ferngehalten wird“ gehört dazu und nur schwer aufzulösen, hat es m.E. mit der Komplexität in der Dynamik der Entwicklung eines Diskussionsstranges zu tun – als mit bewusstem Ausschließen von Erkenntnissen.

    Hier wird der Springer-Verlag genannt: ich meine, dass sollte man herausstellen, dass damit der wissenschaftliche Verlag gemeint ist – und nicht der Axel Springer Verlag

    Ich dachte eigentlich, die Laborflucht des Virus sei damit vom Tisch:
    https://www.spektrum.de/news/die-frau-die-coronaviren-jagt/1713320
    Offensichtlich ist sie es nicht.

  11. Der Satz: „Ich war Politiker und merkte: Jetzt muss ich Lobbyist werden“, klänge sehr problematisch. Genauso wie: „Ich war Manager und merkte: Jetzt muss ich wechseln in den Wirtschaftsjournalismus.“

    Ist ersteres die richtige Analogie? Wäre die richtige nicht: „Ich war Politiker und werde jetzt Politikjournalist.“? Oder meinetwegen: „Pressesprecher“, wenn man zynisch ist?
    Den Wechsel Manager-Wirtschaftsjournalist ist auch eher so wie Sportler-Sportjournalist. Natürlich wird man wissen, dass der Sportjournalist, der ewig bei Schalke gespielt hat, eine gewisse Befangenheit gegenüber Dortmund hat.

    Das Hauptproblem bei dem Vergleich ist für mich aber, dass es für einen Wissenschaftsjournalist viel wichtiger ist, selbst ein Studium oder sogar Berufserfahrung in einer Wissenschaft zu haben, als bei Wirtschafts-, Politik- und Sportjournalisten, dass die mal Manager, Politiker oder (Profi-)Sportler waren. Natürlich kann ein interessierter Laie, der gut erklären kann, ein besserer Journalist sein als der Prof., der die ersten vier Semesterinhalte als bekannt voraussetzt, auch wenn letzterer mehr Ahnung hat, aber sollte man das Feld den „Laien“ überlassen?

  12. @ Jan #11
    „das von Ihnen Behauptete da gar nicht drin steht“
    Das von mir behauptet Zitat steht natürlich in meiner Quelle drin. Und da steht auch dieses Geschwurbel drin:
    „Es hat sich ein Konsensus, eine Gesamtmeinung, anhand einer Vorpublikation zu diesem Thema gebildet, die dann zurückgezogen worden ist. Dieses Thema ist einfach erledigt. Das ist auch erledigt, wenn ein im Ruhestand befindlicher Nobelpreisträger in einer Talkshow darüber spricht. Es ist trotzdem immer noch erledigt“
    Und in Ihrer neuen Quelle sagt derselbe Drosten ein gutes Jahr später:
    „Diese Idee eines Forschungs­unfalls ist für mich ausgesprochen unwahrscheinlich, weil es viel zu umständlich wäre. Die Idee eines böswilligen Einsatzes irgendeines Geheimdienst­labors irgendwo: Wenn überhaupt, dann käme so etwas wohl nicht aus dem Wuhan-Virologie-Institut. Das ist ein seriöses akademisches Institut“
    Nichts ist also erledigt, sondern weiter alles unklar und möglich. Was ist nur aus dem lateinischen „Konsensus“ geworden?
    Wer nicht erfassen kann, dass Drosten hier sein Diktum von damals würdelos beerdigt, sollte sich aus solchen Debatten heraushalten.

  13. @Andreas Müller

    Die Zitate reißen Sie aus dem Zusammenhang. Es geht konkret um: „Korinna Hennig: Im Zusammenhang mit dieser Frage nach dem Ursprung des Virus gab es auch Äußerungen von Luc Montagnier, der HIV miterforscht hat und 2008 den Nobelpreis bekommen hat. Der sagte vor einiger Zeit in einer Fernsehdiskussion, es gibt im Erbgut des Coronavirus auch Sequenzen von HIV. Das kann man sehen und das kann nur künstlich hergestellt worden sein. Sieht man das? Und wenn ja, ist diese Ähnlichkeit vielleicht sogar auch normal?“

    Darauf Drosten sinngemäß: das ist kompletter Unsinn.

    Hennig: „Weil man solche Ähnlichkeiten ohnehin hat oder weil man es nicht sieht?“

    Drosten: „Ja, diese Ähnlichkeiten sind nicht überzufällig. Es ist in der wissenschaftlichen Diskussion schon eigentlich klar, dass das nicht stimmt. Es hat sich ein Konsensus, …“

    Ich merke schon, dass Sie absichtlich und bewusst verkürzt zitieren. Denn mit dem ganzen Zitat wird offensichtlich, dass Drosten sich hier nicht zur Labortheorie an sich äußert, sondern nur zum Argument, dass da zu viel Fremd-DNA drin sein soll und dass das die Labortheorie beweise. Wenn Drosten und der wissenschaftliche Konsens ein Argument für widerlegt halten, dass die Labortheorie stützt, dann widersprechen sie damit nicht der Labortheorie. Es mag andere Gründe für die Labortheorie geben, aber wer dieses widerlegte Argument verwendet, der redet Unsinn.

    Das ist ein feiner logischer Unterschied und manchen Leuten offenbar zu komplex.

  14. Wenn Wissenschaftler ein neues Virus „erschaffen“, dann gilt für ihre Arbeit, dass diese sich im Spannungsfeld zwischen Geheimhaltung und Sparsamkeitsprinzip befindet.
    Das Dümmste aus beiden Extremen ist dabei als Ergebnis ziemlich umwahrscheinlich.
    Das Sparsamkeitsprinzip würde sich dahingehend auswirken, dass nicht ein komplett neuer Virenstamm ( SARS-2 ) entwickelte würde, wenn man durch geringe Modifikation eines existierenden ( SARS-1) dasselbe viel leichter ( und vor allem unverdächtiger ) erreichen könnte.
    Das also höchst geheim höchst auffällige und aufwendige Manipulationen inklusive Züchtung eines ganz neuen Virenstammes durchgeführt wurden ( in einem Labor, das nicht als Waffenschmiede gilt ), von Leuten, die es dann aber nicht geschafft haben, die Ansteckung mehrerer Kollegen zu vermeiden, halten nun Forscher wie Drosten für extrem unwahrscheinlich ( nicht ausgeschlossen wohlgemerkt ).
    Aufgetretene Infektionen bei Nerzen und Hauskatzen legen aber nahe, die großen Pelztierfarmen in China mal genauer zu untersuchen.

    Zum Rest: Vom Klassenprimus zum unteren Durchschnitt bei der Pandemiebewältigung ist Deutschland wegen solcherart „False-Balancing“ geraten.

    Herr Streeck hat in seinen Prognosen zuverlässig immer komplett daneben gelegen. Die Heinsberg Studie hat sicher auch Erkenntnisse gebracht, schon deshalb, weil sie sehr frühzeitig durchgeführt wurde.

    Aber, die ermittelte CFR in Heinsberg ( die auch gerne zitiert wurde) von etwa 0,27%, kontrastiert zu der derzeitig für D ermittelten CFR von etwa 2,2% ( ourworldindata ) schon extrem.
    Die eingesetzten Antigentest lieferten reichlich false-positives ( gab keine besseren damals ), der Altersdurchschnitt war weit unterdurchschnittlich, es gab keine Pflegepatienten in der Gruppe … und obendrein liess Streeck keine Nachmeldungen von später verstorbenen Infizierten zu.

    Aber den Geruchs/Geschmacksverlust hat er super herausgefunden, unbestreitbar.

  15. @ erwinzk #15
    „diese Ähnlichkeiten sind nicht überzufällig“
    Es ist eine nachträgliche Schutzbehauptung, dass es Drosten nur um die Feinheiten der Argumente gegangen sein soll. Dieses zudem noch schwache Argument rechtfertigt schon gar nicht sein Verdikt „das ist kompletter Unsinn“, denn eine Hypothese mutiert nicht von ‚diskutabel‘ zu ‚kompletter Unsinn‘, weil eine Eigenschaft des Virus vielleicht gerade noch „nicht überzufällig“ ist.
    Nein, damals ging es eindeutig darum, die Laborthese als Ganzes aus der öffentlichen Debatte zu halten, und sei es mit sehr grobklötzigen Statements, die dann eben später wieder relativiert werden können, wie Sie es tun.
    Das Bild ist klar: Genau so zielstrebig, wie die Laborthese vor einem Jahr ausgeschlossen wurde, ist sie 2021 wieder in den Medien-Mainstream zurückgekehrt, u.a. in diesem Medium.
    Das lenkt u.a. ganz nett davon ab, dass es mehr als zwei Hypothesen gibt.
    Laborthese und eine lokale Unfallthese gehören nämlich nicht automatisch zusammen. Im Oktober 2019 fanden etwa in Wuhan auch die „Militärweltspiele“ statt. Und einige Teilnehmer berichteten bald über eine Erkrankung mit Symptomen, die wir inzwischen schon öfter gehört haben. Diese Zeugenaussagen waren ebenfalls nicht willkommen. Im Gegensatz zur Laborthese werden sie aber weiterhin nicht im Mainstream diskutiert.

  16. „Es ist eine nachträgliche Schutzbehauptung, dass es Drosten nur um die Feinheiten der Argumente gegangen sein soll.“

    Wem versuchen Sie hier eigentlich was vorzumachen? Oder verstehen Sie das – von Ihnen eingebrachte – Zitat wirklich einfach nicht? Das ist schon bemerkenswert.

    „Wer [das] nicht erfassen kann, […] sollte sich aus solchen Debatten heraushalten.“

  17. @17 Sie gehen über Ihr Falschzitat einfach hinweg, um Ihrem Gegenüber Intentionen und Böswilligkeit zu unterstellen. Das ist meiner Meinung nach unter dem sonst hier in der Regel gepflegten Niveau.

    Wenn Ich Ihnen sage Ihre Meinung Schwachsinn sei, dann ist das auch etwas anderes als zu sagen Sie seien ein schlechter Mensch. Das kann ich nicht beurteilen. Drosten kritisiert hier ein Argument als Unsinn (, was nach aktuellen Stand auch so ist) und nicht die Laborthese. Das sollten wir bitte klar trennen.

  18. @17
    Lieber Herr Andreas Müller
    Sie liefern hier ein schönes Beispiel dafür, wie der feine Grat zwischen seriöser Debatte mit einer beidseitigen Bereitschaft, sich korrigieren zu lassen einerseits und sturem Festhalten an seiner Meinung trotz faktischer Widerlegung anderseits leider viel zu oft überschritten wird.
    Da Sie dies tun, machen Sie sich verdächtig, eine nachweislich falsche Behauptung ganz gezielt deswegen zunächst zu streuen und dann an ihr festzuhalten, um eine bestimmte Hypothese (dass der Virus aus einem Labor stammt), der sie offensichtlich anhängen, zu mehr Gewicht zu verhelfen.
    Mit welcher verfolgten Agenda auch immer Sie das tun – es schadet einem offenen, fairen Diskurs und schafft/fördert ein Klima, das nicht weiterhilft!

  19. Der Verband der Wissenschaftsjournalisten hatte uns gefragt, ob wir eine Gegenrede auf den Text veröffentlichen würden. Das hätten wir auch getan, weil wir den Artikel von Andrej Reisin als Debattenbeitrag verstehen und diese Kontroverse gerne hier auf Übermedien austragen.

    Die konkrete Replik von Franco Zotta arbeitet sich aber unserer Meinung nach weniger an der Kritik ab als an einem Zerrbild davon; sie stellt die Positionen des Textes falsch dar, zum Beispiel in seiner Haltung zu Wiesendanger.

    Zotta behauptet etwa, dass Andrej Reisin sich „mehr Aufmerksamkeit“ für Wiesendanger gewünscht habe, weil er „doch Autor einer Studie sei, die den Laborursprung zu belegen gesucht habe“. Das stimmt nicht. Er hält das Papier von Wiesendanger gar nicht für eine ernstzunehmende Studie. Er wünscht sich auch nicht mehr Aufmerksamkeit für Wiesendanger. Er wünscht sich, im Gegenteil, dass seriöse Journalisten sich der These vom Laborursprung vorher so gründlich und ergebnisoffen gewidmet hätten, dass offenkundig unseriöse Auseinandersetzungen damit wie die von Wiesendanger keine solche Aufmerksamkeit bekommen, wie sie sie dann bekommen haben, weil es plötzlich das Narrativ gab: Das hier ist etwas, das verschwiegen werden sollte.

    Wir haben deshalb den Kollegen mitgeteilt, dass wir diese Replik nicht bei uns veröffentlichen können. Aber hier lässt sie sich ja nachlesen.

  20. Übrigens,

    in der ursprünglichen Version der Replik stand folgende Passage:

    Der Widerspruch, den Reisin konstruiert, ist jedoch keiner, denn SARS und MERS verlaufen eben nicht symptomfrei, und daher lässt sich bei diesen Erkrankungen der Ursprung grundsätzlich ermitteln. Das heißt: Bei SARS und MERS konnte man mit Erfolg nach Patient null suchen, weil jeder Patient Krankheitssymptome hatte. Auch hier gilt wieder: Die Tücke liegt im Detail – und im umfangreichen Faktenwissen.

    Wir haben die Kollegen dann darauf hingewiesen, dass zum Beispiel MERS durchaus auch symptomfrei verlaufen kann.

    In der jetzt veröffentlichten Version heißt es nun nur noch:

    Der Widerspruch, den Reisin konstruiert, ist jedoch keiner, denn SARS und MERS verlaufen extrem selten völlig symptomfrei, und daher lässt sich bei diesen zoonotischen Erkrankungen die Quelle der Infektionen im Tierreich grundsätzlich leichter ermitteln.

    (Hervorhebungen von mir)

    Die Tücke liegt im Detail – und im umfangreichen Faktenwissen.

  21. @23 „[…] weil wir den Artikel von Andrej Reisin als Debattenbeitrag verstehen und diese Kontroverse gerne hier auf Übermedien austragen.“

    Diese Debatte wirkt auf mich ehrlich gesagt sehr konstruiert. Sie wird jetzt gerade geführt, weil Reisins Text existiert, nicht weil die Argumente darin so stichhaltig wären. Die sehr ausführliche – und natürlich nicht fehlerfreie :/ – Replik von Zotta bringt das dennoch sehr gründlich auf den Punkt. Mein Eindruck direkt nach dem Lesen eures Textes hier hatte ich unmittelbar als Kommentar @2 hinterlassen.

    Mein Eindruck ist, dass ihr hier mit euren Erwartungen an die Medienwelt auf die Welt der Wissenschaft blickt. Das sind aber zwei verschiedene Systeme die nach unterschiedlichen Spielregeln funktionieren. Ihr müsst euch jetzt fragen lassen, ob die von euch angestoßene Debatte irgendeinen Mehrwert bietet und zum Erkenntnisgewinn beiträgt. Meiner Meinung nach tut sie das nicht und ich hätte den Text lieber nicht hier auf Übermedien gelesen.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.