Die Podcast-Kritik (55)

Wie Google zum Goliath wurde

Land of the giants

Alle dürfen senden, das ist das Schöne an Podcasts. Mittlerweile senden auch viele Unternehmen. Mal mehr, mal weniger selbstreferenziell, mal mehr, mal weniger hörenswert. Fast immer sind es gut inszenierte Botschaften der Selbstdarstellung an die Öffentlichkeit. Und besonders schön ist es, wenn dann jemand mit einem weiteren Podcast in diese Parade fährt.

Der amerikanische Podcast „Land of the Giants“ von Vox.com knöpft sich in jeder Staffel Unternehmen vor, die am meisten Kritik und am wenigsten ungestörte Selbstdarstellung verdient haben: die Tech-Giganten mit all ihrer Macht und ihrem Einfluss. In den vorangehenden Staffeln ging es um Amazon und Netflix, nun widmet sich „Land of the Giants“ dem Imperium Google/Alphabet: Wie es wurde, was es heute ist, und ob das eigentlich so bleiben kann. Eine fantastische Mischung aus Tech-Geschichte, Wirtschaftsjournalismus und Technikfolgenabschätzung.

Ästhetisch ist der Podcast kein großer Wurf: Es gibt ein eingängiges Intro und Sounddesign, ein bisschen DIY-Indie-Anmutung durch Home-Office-Hall auf den Aufnahmen, den gerade viele andere Pandemie-Produktionen auch haben. Sieben Folgen, die zwar gut strukturiert und geschrieben sind, aber auch nicht so, dass ich vor lauter Storytelling aus den Latschen kippe. Viele Töne aus Archiven und eigenen Interviews, aber keine aufregende Reporter*innen-Reise. Zwei Hosts, die abwechselnd erzählen, aber kaum miteinander interagieren. Beides keine Persönlichkeiten, die als Kinder in einen Charisma- oder Selbstdarstellungs-Zaubertrank gefallen sind – und wenn doch, ist vor dem Mikrofon ist davon jedenfalls nichts zu hören.

Seufz, der Schroeder bespricht also in seiner Podcast-Kritik mal wieder was mit Digitalzeugs und dann ist das nicht mal der Podcast des Jahres… Halt, stopp, hiergeblieben!

Es geht um die Suchmaschine, die alle nutzen, das Unternehmen, das so viel Geld verdient, so wenig Steuern zahlt, so viel bestimmt und mittlerweile in so viele Bereichen expandiert. Und die unaufgeregte, aber dafür sehr sorgfältige Art von „Land of the Giants“ lässt viel Raum übrig: um sich als Hörer dazu ein paar Gedanken selber zu machen, statt alles auf dem verzierten Storytelling-Silbertablett präsentiert zu bekommen.

Gegen den Gründerkult

Ich schätze diese Sorte Wirtschaftsjournalismus, der die kleinen und vor allem die unbequemen Mosaiksteinchen hervorkramt. Und vor allem überzeugt mich „Land of the Giants“, weil ich die folgenden Dinge für furchtbar überrepräsentiert im Medium Podcast halte: Tech-Optimisten, Startup-Bros, „Hustle Culture“, Optimierungswahn, Personen-, Unternehmens- und Gründer*innenkult von der Geschmackssorte Elon Musk. (Okay, zugegebenermaßen ist das keine vollständige Liste – sondern nur das Relevante für diese Podcast-Kritik.)

Ganz zufällig ist die Omnipräsenz dieser Dinge natürlich nicht: Es sind beliebte Zutaten für viele Podcasts, weil sie Erfolg versprechen, insbesondere in den USA. Viele dieser Konzepte wurden mittlerweile erfolgreich nach Deutschland getragen. Manche Podcast-Anbieter, wie beispielsweise die Online Marketing Rockstars OMR, scheinen sich mittlerweile darauf spezialisiert zu haben.

Irgendwo auf der Welt ist jetzt also immer gerade ein Podcast-Mikrofon offen, und ein Host fragt augenklimpernd: „Sag mir bitte, wie bist du da hingekommen, wo du heute bist – und erzähl doch nebenbei was Nettes über dich, dein Startup/dein Unternehmen/ dein Produkt/deine Idee/ dein Wasauchimmer! Ach ja, und verkauf mir bitte nebenbei was! Egal was – selbst wenn’s nur dein Marketing ist!“ Welcome to my TED talk, ultra-capitalism edition. Ich hasse diese Sorte von Gesprächsführung und alle Podcasts, die so funktionieren. Ausnahmslos. Aber anscheinend bin ich damit ziemlich einsam.

Zeitreise durchs Internet

„Land of the Giants“ ist dagegen eine wohltuende Kritik-Oase, in der nicht CEOs ihr Außenbild pflegen dürfen, während im Hintergrund wahlweise die Bude oder das gesellschaftliche Miteinander brennt. Der Podcast schafft für mich das perfekte Gleichgewicht, Google sehr hart zu kritisieren und trotzdem sehr differenziert zu betrachten. Die guten Entscheidungen, die Errungenschaften, die Fortschritte werden genauso im Zusammenhang dargestellt wie die Fehlentscheidungen und Misserfolge.

Es ist eine unterhaltsame Zeitreise von der angehenden Suchmaschine zu Youtube und der Brille Google Glass bis hin zum Monopol. Es geht nur um ein paar Jahrzehnte, aber gefühlt reise ich mit dem Podcast von der digitalen Steinzeit bis ins Heute. Unterwegs dreht sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Digitalem von naiver Anfangsbegeisterung zu Alltag und zunehmender Skepsis. Am Ende steht die widersprüchliche Erkenntnis: Ohne Google wäre das Internet sowohl offener als auch weniger zugänglich. „Land of the Giants“ ist deswegen eine gute Übung in Ambiguitätstoleranz, die weder verherrlicht noch verteufelt und sich nicht in falsche Ausgewogenheit zurückzieht.

Die Hosts Shirin Ghaffary und Alex Kantrowitz behalten als erfahrene Tech-Journalist*innen eine klare Haltung: Im Zweifel für die Angestellten, für die Kleinen und die nicht (genügend) angehörten Kritiker*innen. In einer Zeit, in der alle senden dürfen, finde ich es sehr sympathisch, wenn Journalismus nicht nur den ohnehin Reichweitenstarken und Mächtigen beim Senden zuhört.

Klein gegen groß

Das David-gegen-Goliath-Leitmotiv zieht sich durch alle Episoden, ohne überstrapaziert oder verkitscht zu werden. Es wird erst für den Aufstieg von Google selbst benutzt, bis Google dann selbst zum Goliath im Markt wurde – und dann setzt sich die Erzählung im Inneren des Unternehmen fort.

Das „Klein gegen Groß“ wird besonders deutlich in den Folgen 5 und 6: Es sind packende, kenntnisreiche Tauchgänge in die Mitarbeiter*innen-Proteste gegen die Beteiligung an militärischen Projekten und damit ein Einblick in die Unternehmenskultur, das Miteinander bei Google. Dem Podcast gelingt es, das Innenleben des Unternehmens, kleine und große Ereignisse der Unternehmensgeschichte immer wieder mit unserem Alltag als Nutzer*innen zu verknüpfen.

„Land of the Giants“ hat mir einmal mehr gezeigt, wie viel Mehrwert und neue Gedanken das Aufbereiten und Zusammenstellen von bereits Bekanntem bieten kann: Kaum eine zitierte Szene aus dem Google-Imperium ist wirklich unbekannt, die interviewten Akteur*innen und Entscheidungen stehen seit Jahren und Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, die Diskussionen über die Plattformen und Tech-Giganten sind alle nicht neu.

Aber die Zusammenstellung all dessen in sieben Folgen mit jeweils vierzig Minuten macht mich im besten Sinne nachdenklich. Dafür hätte es nicht einmal das Staffelfinale gebraucht, das die folgerichtigen Fragen nach dem Monopol und einer möglichen Zerschlagung stellt. Ich bin mir auch mit einigem Abstand zum Hören noch unsicher, wie sehr es mich stört, dass im Podcast Werbung von einem Mitbewerber für Internetsuchen geschalten ist, dessen Logo auf dem Podcast-Cover auftaucht, und ob das für mich nicht eine unangenehme, wenn auch möglicherweise unbeabsichtigte, Annäherung von redaktionellem Inhalt und Werbung ist.

Davon abgesehen, fehlt aber „Land of the Giants“ meiner Meinung nur noch eine kleine Sache: Viel mehr Staffeln und möglichst eine davon über Spotify.


Podcast: „Land of the Giants“, von Vox.com

Episodenlänge: 7 Folgen, jeweils circa 40 Minuten, bisher 3 Staffeln

Offizieller Claim: The Google Empire

Inoffizieller Claim: Wann ist etwas ‚Too Big To Not Fail?‘

Wer diesen Podcast mag, hört oder schaut auch: „Sway“ aus der Meinungsredaktion der New York Times; den „Netzpolitik Podcast“ von netzpolitik.org; das „Logbuch: Netzpolitik“ von Tim Pritlove; „She likes Tech“ von NDR Info; das Youtube-Format „Too many tabs“ von funk

Ein Kommentar

  1. „Ich hasse diese Sorte von Gesprächsführung und alle Podcasts, die so funktionieren. Ausnahmslos. Aber anscheinend bin ich damit ziemlich einsam.“

    Nein, sind Sie nicht, Herr Schroeder.

    Dieses ganze geistlose Getue geht mir zunehmend auf die Nerven. Ob vonseiten von Gründern, Unternehmensberaterm, Marketingexpertem oder wem auch immer. Ich kann mittlerweile insbesondere das Wort Startup nicht mehr hören und habe eine Aversion gegen das ganze Drumherum entwickelt: GründerInnen, Start-up-Messen, deren Pseudo-Produkte und alles. In meinen Augen sind das Wichtigtuerinnen aus der Oberschicht, die einen Weg gefunden haben, sich ins Rampenlicht zu stellen und Geld zu kassieren, das sie nach normalen Maßstäben nicht nötig hätten. Und die Glücksspieler (aka Investoren) befeuern auf diese Weise eine Blase, um noch reicher zu werden.
    An dieser Stelle empfehle ich das Buch von Adrian Daub: „Was das Valley denken nennt: Über die Ideologie der Techbranche.“

    Sorry, jetzt bin ich abgeschweift. Aber dadurch habe ich zumindest untermauert, wie sehr ich Ihrer oben zitierten Aussage zustimme und mit Ihnen fühle.

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